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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg
Beschluss verkündet am 08.08.2005
Aktenzeichen: OVG 1 K 74.05
Rechtsgebiete: VwGO, ZPO, RVG, BRAGO, GKG


Vorschriften:

VwGO § 155 Abs. 1
VwGO § 162 Abs. 2
VwGO § 164
ZPO § 106
RVG § 60 Abs. 1 Satz 1
BRAGO § 6 Abs. 1
BRAGO § 6 Abs. 1 Satz 2
BRAGO § 6 Abs. 1 Satz 2, 2. Hs.
BRAGO § 11 Abs. 1 Satz 4
BRAGO § 31 Abs. 1 Nr. 1
BRAGO § 114 Abs. 2
GKG § 13 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OVG 1 K 74.05

In der Kostensache

hat der 1. Senat des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg durch ... am 8. August 2005 beschlossen:

Tenor:

Auf den Antrag der Erinnerungsführerin wird der Kostenfestsetzungsbeschluss der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle vom 20. November 2003 geändert.

Die von der Erinnerungsführerin den Erinnerungsgegnern zu erstattenden außergerichtlichen Kosten werden auf 25.917,82 Euro festgesetzt. Im Übrigen wird die Erinnerung zurückgewiesen.

Die Kosten des Erinnerungsverfahrens werden der Erinnerungsführerin zu 1/3 und den Erinnerungsgegnern zu 2/3 auferlegt.

Der Streitwert des Erinnerungsverfahrens wird auf 17.138,76 Euro festgesetzt.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten im vorliegenden Kostenverfahren um die Höhe der den Erinnerungsgegnern von der Erinnerungsführerin zu erstattenden außergerichtlichen Kosten. Die Erinnerungsgegner hatten im Ausgangsverfahren einen Rechtsanwalt mit der Durchführung eines gegen die Gültigkeit eines Bebauungsplans gerichteten Normenkontrollverfahrens beauftragt. Umstritten ist, ob durch die gemeinsame Vertretung aller Erinnerungsgegner erhöhte anwaltliche Prozessgebühren entstanden sind, die von der Erinnerungsführerin zu erstatten sind.

Das Oberverwaltungsgericht für das Land Brandenburg hat durch rechtskräftiges Urteil vom 20. August 2003 dem Normenkontrollantrag der Erinnerungsgegner im Wesentlichen stattgegeben, der Erinnerungsführerin die Verfahrenskosten zu 183/185 auferlegt und mit Beschluss vom selben Tage den Wert des Streitgegenstandes auf 1.850.000 Euro festgesetzt. Bei dieser Wertfestsetzung hat das Oberverwaltungsgericht das Interesse an der Nichtigerklärung des Bebauungsplans mit je 20.000 Euro für Eigentümer/Miteigentümer und mit je 10.000 Euro für Mieter/Mietergemeinschaften eines jeden Wohngrundstücks bemessen und diese Werte zur Feststellung des Wertes des Streitgegenstandes zusammengerechnet.

Die Erinnerungsgegner haben nach Abschluss des Verfahrens die gerichtliche Festsetzung der ihnen zu erstattenden außergerichtlichen Kosten beantragt. Dabei haben sie auf der Grundlage des festgesetzten Gegenstandswertes u.a. eine anwaltliche Prozessgebühr in Höhe von 39/10 (um 26/10 erhöhte Prozessgebühr von 13/10) wegen der Vertretung mehrerer Auftraggeber in Ansatz gebracht. Dem hat die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle mit Kostenfestsetzungsbeschluss vom 20. November 2003 entsprochen.

Dagegen richtet sich der vorliegende Antrag auf gerichtliche Entscheidung, mit dem die Erinnerungsführerin geltend macht, die Erinnerungsgegner hätten keinen Anspruch auf Erstattung einer um 26/10 erhöhten Prozessgebühr, weil die dafür im Gesetz genannten Voraussetzungen nicht gegeben seien. Denn die Rechtsanwälte der Erinnerungsgegner seien zwar für mehrere Auftraggeber tätig geworden; der Gegenstand der anwaltlichen Tätigkeit sei aber nicht derselbe gewesen, weil jeder Erinnerungsgegner mit dem Normenkontrollverfahren die Beeinträchtigung seiner individuellen (grundstücksbezogenen) Interessen geltend gemacht habe. Dem sind die Erinnerungsgegner entgegengetreten.

II.

Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung - sog. Erinnerung - gegen den auf §§ 164 VwGO, 106 ZPO gestützten Kostenfestsetzungsbeschluss der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle vom 20. November 2003 ist zulässig (§§ 165, 151 VwGO), aber nur in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet. Die Erinnerungsgegner können zwar die Erstattung sog. Erhöhungsgebühren der anwaltlichen Prozessgebühren beanspruchen, aber nicht in der von der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle festgesetzten Höhe.

Ausgangspunkt der rechtlichen Beurteilung der Kostenerstattungsansprüche der Erinnerungsgegner ist § 162 Abs. 2 VwGO. Danach sind die Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwalts stets erstattungsfähig. Die Gebühren des Rechtsanwalts der Antragsteller berechnen sich im vorliegenden Verfahren noch nach den Vorschriften der Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte - BRAGO - in der in § 61 Abs. 1 Satz 1 bezeichneten Fassung des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes - RVG - vom 5. Mai 2004 (BGBl. I S. 788), § 60 Abs. 1 Satz 1 RVG. Die für das Betreiben des Normenkontrollverfahrens entstandene 13/10 Prozessgebühr gemäß §§ 31 Abs. 1 Nr. 1, 114 Abs. 2, 11 Abs. 1 Satz 4 BRAGO wird gemäß § 6 Abs. 1 Satz 2 BRAGO um höchstens zwei volle Gebühren erhöht, wenn der Rechtsanwalt in derselben Angelegenheit für mehrere Auftraggeber tätig und der Gegenstand der anwaltlichen Tätigkeit derselbe ist.

Nach dieser gesetzlichen Regelung führt mithin nicht allein die Vertretung mehrerer Auftraggeber im Normenkontrollverfahren zur Erhöhung der Geschäftsgebühr. Dem durch die Vertretung mehrerer Auftraggeber entstandenen anwaltlichen Mehraufwand trägt das Gesetz dadurch Rechnung, dass die Gegenstandswerte aller Auftraggeber zusammengerechnet werden (§ 7 Abs. 2 BRAGO) und sich die Prozessgebühr nach dem so erhöhten Gegenstandswert berechnet; die Prozessgebühr nach dem durch Zusammenrechnen gebildeten Gegenstandswert erhält der Anwalt allerdings nur einmal (§ 6 Abs. 1 Satz 1 BRAGO).

Demgegenüber erfordert das Entstehen der erhöhten Prozessgebühr nach § 6 Abs. 1 Satz 2 BRAGO neben dem Tätigwerden für mehrere Auftraggeber zusätzlich, dass "Gegenstand der anwaltlichen Tätigkeit derselbe" ist (und deshalb eine Erhöhung des Gegenstandswertes nach § 7 Abs. 2 BRAGO ausscheidet). Dieses zusätzliche Erfordernis ist im vorliegenden Verfahren nur hinsichtlich derjenigen Erinnerungsgegner erfüllt, die das Normenkontrollverfahren als Mieter- oder Eigentümergemeinschaften betrieben haben. Denn diese und die weiteren Antragsteller haben mit dem Normenkontrollverfahren die Beeinträchtigung ihrer jeweils individuellen, grundstücksbezogenen Anliegerinteressen geltend gemacht, so dass der Gegenstand der anwaltlichen Tätigkeit für die verschiedenen Auftraggeber nicht "derselbe" i.S.v. § 6 Abs. 1 Satz 2 BRAGO war. Denn wenn mehrere Eigentümer/-gemeinschaften einen Bebauungsplan angreifen, geschieht dies regelmäßig zur Abwehr der durch den Plan zu erwartenden Nachteile für das jeweilige Grundstück, so dass das Verfahren, rechtlich gesehen, ausschließlich dem Interesse des jeweils betroffenen Grundstückseigentümers dient, auch wenn - worauf die Erinnerungsgegner zutreffend hinweisen - eine Parallelität in der Rechtsbetroffenheit und in den Interessen der klagenden Eigentümer/-gemeinschaften gegeben sein mag (OVG Münster, NVwZ- RR 1999, 616 m.w.N.).

Vorstehende rechtliche Einschätzung liegt auch der Streitwertfestsetzung des beschließenden Senats im Ausgangsverfahren zugrunde: Der Senat hat die Gegen-standswerte der klagenden Grundstückseigentümer zum auf 1.850.000 Euro festgesetzten Streitwert zusammengerechnet und dabei allerdings nur die Anzahl der Wohngrundstücke und nicht die Anzahl der Antragsteller zugrunde gelegt; wurden Wohngrundstücke von mehreren Eigentümern/Mietern genutzt, hat sich dies nicht streitwerterhöhend ausgewirkt.

Folglich können nur diejenigen Antragsteller eine Erstattung der erhöhten Prozessgebühr beanspruchen, die das Normenkontrollverfahren als Mieter- oder Miteigentümergemeinschaft betrieben haben. Für diese mehreren Auftraggeber war der Gegenstand der anwaltlichen Tätigkeit derselbe und ihre jeweilige Anzahl hat sich auch nicht streitwerterhöhend ausgewirkt. Die Erhöhung der Prozessgebühr für diesen Personenkreis berechnet sich allerdings nicht nach dem Gesamtstreitwert von 1.850.000 Euro, sondern nach dem Betrag, an dem die Auftraggeber gemeinschaftlich beteiligt sind (§ 6 Abs. 1 Satz 2, 2. Hs. BRAGO). Das sind nach der Streitwertfestsetzung des beschließenden Senats im Ausgangsverfahren jeweils 10.000 Euro für die fünf Mietergemeinschaften (Antragsteller zu 27. und 28.; 74. und 76.; 88. und 89.; 99. und 100.; 110. und 111.) und jeweils 20.000 Euro für die 20 Eigentümergemeinschaften (Antragsteller zu 36. und 40.; 41. und 42.; 45. und 122.; 50. und 51.; 54. und 55.; 59. und 64.; 60. und 61; 86. und 87.; 92. und 93.; 94. und 95.; 101. und 102.; 103. und 104.; 106. und 107.; 114. und 115.; 116. und 117.; 123. und 124.; 126., 127. und 128.; 129. und 130.; 135. und 136.; 140. und 141.).

Daraus errechnen sich unter Berücksichtigung des Erhöhungsbetrages gemäß § 6 Abs. 1 Satz 2 BRAGO von 3/10 der 13/10 Prozessgebühr (39/100; vgl. Gerold/Schmitt/von Eicken/Madert, BRAGO, 15. Aufl., § 6 Rn. 33/34 m.w.N.) sowie des Abschlags von 10 % wegen des Sitzes des Anwalts im Beitrittsgebiet (vgl. KostGErmVO vom 14. April 1996 [BGBl. I S. 604]) eine den Erinnerungsgegnern entstandene und ihnen anteilig zu erstattende Prozessgebühr wie folgt:

Prozessgebühr gem. §§ 31 Abs. 1 Nr. 1, 114 Abs. 2, 11 Abs. 1 Satz 4 BRAGO 13/10 (1.850.000 Euro) 8.569,41 Euro Erhöhung gemäß § 6 Abs. 1 BRAGO je Mietergemeinschaft 5 x 39/100 (10.000 Euro) 847,96 Euro Erhöhung gemäß § 6 Abs. 1 BRAGO je Eigentümergemeinschaft 19 x 39/100 (20.000 Euro) 4.313,40 Euro 1 x 78/100 (20.000 Euro) 454,04 Euro 4.767,44 Euro Prozessgebühr insgesamt 14.184,81 Euro

Die Kappungsgrenze des § 6 Abs. 1 Satz 2, 2. Hs. BRAGO wirkt sich nicht aus, weil der Betrag von zwei vollen Gebühren in keiner der für die Erhöhung zu berücksichtigenden Mieter-/Eigentümergemeinschaften überschritten wird.

Die den Erinnerungsgegnern von der Erinnerungsführerin zu erstattenden außergerichtlichen Kosten berechnen sich demnach unter Zugrundelegung der übrigen unstreitigen Ansätze im Kostenfestsetzungsbeschluss der Urkundsbeamtin wie folgt:

Erinnerungsgegner:

Erhöhte Prozessgebühr 14.184,81 Euro Verhandlungsgebühr 8.569,41 Euro Postpauschale 20,45 Euro Mehrwertsteuer 3.643,95 Euro 26.418,61 Euro

Erinnerungsführerin:

Prozessgebühr 8.569,41 Euro Verhandlungsgebühr 8.569,41 Euro Postpauschale 20,45 Euro Mehrwertsteuer 2.745,48 Euro 19.904,75 Euro

Von diesen auszugleichenden Gesamtkosten in Höhe von 46.323,37 Euro haben die Erinnerungsgegner zu 114. und 115. nach der Kostenentscheidung im Ausgangsverfahren 2/185, also 500,79 Euro zu tragen, so dass sich für die übrigen Erinnerungsgegner ein Erstattungsbetrag von 25.917,82 (26.418,61 - 500,79) Euro ergibt.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 VwGO. Den Erinnerungsgegnern ist nur rund 1/3 der ursprünglich festgesetzten erhöhten Prozessgebühr zu erstatten, so dass die Erinnerung im Umfang von rund 2/3 des umstrittenen Betrages Erfolg hat.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 13 Abs. 2 GKG. Der festgesetzte Streitwert entspricht der umstrittenen, im Kostenfestsetzungsverfahren festgesetzten erhöhten Prozessgebühr.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Ende der Entscheidung

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