Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg
Beschluss verkündet am 27.11.2006
Aktenzeichen: OVG 1 S 136.05
Rechtsgebiete: VwGO, StVG, FeV


Vorschriften:

VwGO § 146
VwGO § 146 Abs. 4 Satz 6
VwGO § 147
StVG § 3 Abs. 1
StVG § 3 Abs. 2
StVG § 29 n.F.
StVG § 29 Abs. 5 Satz 1
StVG § 65 Abs. 9
StVG § 65 Abs. 9 Satz 1 Hs. 2
FeV § 11 Abs. 8
FeV § 13 Abs. 2 Buchstabe c)
FeV § 13 Abs. 2 Buchstabe d)
FeV § 46 Abs. 1
FeV § 46 Abs. 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OVG 1 S 136.05

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 1. Senat durch den Vorsitzenden Richter am Oberverwaltungsgericht Monjé, die Richterin am Oberverwaltungsgericht Dr. Blumenberg und die Richterin am Verwaltungsgericht Tänzer am 27. November 2006 beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Cottbus vom 30. November 2005 wird zurückgewiesen.

Die Kosten der Beschwerde trägt der Antragsteller.

Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 5.000 EUR festgesetzt.

Gründe:

I.

Der Antragsteller wendet sich im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes gegen den für sofort vollziehbar erklärten Bescheid des Antragsgegners vom 10. August 2005, mit dem ihm die tschechische Fahrerlaubnis, die er am 18. August 2004 erworben hatte, mit der Wirkung der Aberkennung des Rechts entzogen wurde, von ihr auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland Gebrauch zu machen, nachdem er der Anordnung zur Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens nicht nachgekommen war. Den Antrag, die aufschiebende Wirkung seines Widerspruches gegen diesen Bescheid wiederherzustellen, hat das Verwaltungsgericht durch Beschluss vom 30. November 2005 abgelehnt. Im Hinblick auf die europäische Führerschein-Richtlinie und die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) stellten sich die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache als offen dar. Wegen der dem Antragsteller später erteilten tschechischen Fahrerlaubnis sei fraglich, ob die Gutachtenanordnung zu Recht auf die durch Strafbefehl des Amtsgerichts Königs Wusterhausen vom 18. März 1997 abgeurteilte, im Jahre 1996 mit einer Blutalkoholkonzentration von 2,36 Promille begangene Trunkenheitsfahrt habe gestützt werden können. Im Rahmen der - wegen des offenen Ausgangs des Hauptsacheverfahrens vorzunehmenden - Interessenabwägung überwiege das öffentliche Interesse der Verkehrssicherheit am sofortigen Vollzug der Ordnungsverfügung. Es sei zweifelhaft, ob die durch die Trunkenheitsfahrt hervorgerufenen Eignungsbedenken beseitigt seien. Da die seinerzeit festgestellte Blutalkoholkonzentration auf eine dauerhafte und ausgeprägte Alkoholproblematik des Antragstellers schließen lasse, setze die Wiedererlangung der Kraftfahreignung eine nachhaltige Verhaltensänderung in Bezug auf seinen Alkoholkonsum voraus. Dass dies geschehen sei, müsse bezweifelt werden. Dafür, dass die tschechischen Behörden den alkoholbedingten Eignungszweifeln nachgegangen seien, lasse sich den aktenkundigen Unterlagen nichts entnehmen.

Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Antragstellers.

II.

Die nach §§ 146 und 147 VwGO zulässige Beschwerde ist nicht begründet.

Zur Begründung seiner Beschwerde trägt der Antragsteller im Wesentlichen Folgendes vor: Sachverhalte, die der Erteilung der Fahrerlaubnis durch einen anderen Mitgliedstaat vorgelagert seien, dürften nicht mehr zur Grundlage der Anordnung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens gemacht werden. Aus der Trunkenheitsfahrt aus dem Jahre 1996 dürfe schon wegen des unterdessen verstrichenen Zeitablaufs nicht mehr auf eine überdurchschnittliche Alkoholverträglichkeit oder -gewöhnung geschlossen werden. Außerdem sei diese Tat wegen ihrer zwischenzeitlichen Tilgung ohnehin nicht mehr verwertbar. Abgesehen davon sei der Erteilung der tschechischen Fahrerlaubnis eine ärztliche Begutachtung vorausgegangen. Die angefochtene Entscheidung werde dem Sinn der Führerschein-Richtlinie nicht gerecht, da es ihr unabhängig davon, ob man sich in einem anderen Mitgliedstaat niederlassen wolle, darum gehe, die Fortbewegung der Unionsbürger zu erleichtern. Der Vorrang des Europarechts vor dem nationalen Recht stehe jedenfalls der Anordnung des Sofortvollzugs entgegen.

Das Beschwerdevorbringen des Antragstellers, das das Oberverwaltungsgericht gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO allein zu prüfen hat, rechtfertigt keine Änderung des angefochtenen Beschlusses. Die Erfolgsaussichten der zwischenzeitlich erhobenen Klage (2 K 77/06) gegen die Entziehungsverfügung stellen sich als offen dar (dazu unter 1.). Im Rahmen der Interessenabwägung überwiegt das öffentliche Interesse am Vollzug der angefochtenen Verfügung das Interesse des Antragstellers, von deren Vollzug einstweilen verschont zu bleiben (dazu unter 2.).

1. Die mit dem angegriffenen Bescheid verfügte Aberkennung des Rechts, von der tschechischen Fahrerlaubnis in der Bundesrepublik Deutschland Gebrauch zu machen, stellt sich nach der im Verfahren auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes allein gebotenen summarischen Prüfung weder als offensichtlich rechtmäßig noch als offensichtlich rechtswidrig dar. Die von der Republik Tschechien ausgestellte Fahrerlaubnis ist grundsätzlich auch von den deutschen Behörden anzuerkennen. Der Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung der von den Mitgliedstaaten ausgestellten Fahrerlaubnisse kann jedoch durchbrochen werden, wenn es dem Fahrerlaubnisinhaber im Einzelfall verwehrt ist, sich auf die im EU-Ausland erworbene Fahrerlaubnis zu berufen. Die hierzu erforderliche Aufklärung der tatsächlichen Umstände, die beim Antragsteller zum Erwerb der tschechischen Fahrerlaubnis geführt haben, muss dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben. Ob und unter welchen Voraussetzungen der Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung von EU-Führerscheinen Einschränkungen unterliegt, ist vom EuGH zu entscheiden, ohne dass für den Senat im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes indes eine dahingehende Vorlagepflicht besteht.

a) Die Anwendung der innerstaatlichen Vorschriften über die Entziehung der Fahrerlaubnis - hier: § 3 Abs. 1 und 2 StVG i.V.m. § 46 Abs. 1 und § 11 Abs. 8 der Fahrerlaubnis-Verordnung (FeV) - unterliegt den gemeinschaftsrechtlichen Bindungen der Richtlinie 91/439/EWG des Rates vom 29. Juli 1991 über den Führerschein (ABlEG Nr. L 237 vom 24. August 1991, S. 1) in der Fassung der Richtlinie 97/26/EG des Rates vom 2. Juni 1997 (ABlEG Nr. L 150 vom 7. Juni 1997) - im Folgenden: Führerschein-RL. Art. 1 Abs. 2 Führerschein-RL sieht vor, dass die von den Mitgliedstaaten ausgestellten Führerscheine gegenseitig anerkannt werden. Nach Art. 8 Abs. 2 derselben Richtlinie kann der Mitgliedstaat des ordentlichen Wohnsitzes auf den Inhaber eines von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins seine innerstaatlichen Vorschriften über Einschränkung, Aussetzung, Entzug oder Aufhebung der Fahrerlaubnis anwenden; nach Art. 8 Abs. 4 kann ein Mitgliedstaat es ablehnen, die Gültigkeit eines Führerscheins anzuerkennen, der von einem anderen Mitgliedstaat einer Person ausgestellt wurde, auf die in seinem Hoheitsgebiet eine der in Absatz 2 genannten Maßnahmen angewendet wurde. Der für die Auslegung des Gemeinschaftsrechts zuständige EuGH hat sich mit diesen Richtlinienbestimmungen unlängst (Beschluss vom 6. April 2006 - Rs. C-227/05 [Halbritter] - NJW 2006, 2173 und bereits zuvor Urteil vom 29. April 2004 - Rs. C-476/01 [Kapper] - NJW 2004, 1725) näher befasst. Danach sehe Art. 1 Abs. 2 Führerschein-RL nach gefestigter Rechtsprechung die gegenseitige Anerkennung der von den Mitgliedstaaten ausgestellten Führerscheine ohne jede Formalität vor und erlege den Mitgliedstaaten eine klare und unbedingte Verpflichtung auf, die keinen Ermessensspielraum in Bezug auf die zu erlassenden Maßnahmen einräume, um dieser Verpflichtung nachzukommen. Art. 8 Abs. 4 Führerschein-RL stelle sich als Ausnahme dieses allgemeinen Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung dar und sei demnach eng auszulegen. Art. 1 Abs. 2 i.V.m. Art. 8 Abs. 4 Führerschein-RL verbiete es einem Mitgliedstaat, die Gültigkeit eines von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins dann abzulehnen, wenn dieser Führerschein nach Ablauf einer zusätzlich zu der Maßnahme des Entzugs angeordneten Sperrfrist ausgestellt worden sei. Der Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung würde negiert, wenn ein Mitgliedstaat berechtigt wäre, die Anerkennung eines von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins unter Berufung auf die eigenen nationalen Vorschriften unbegrenzt zu verweigern. Die Mitgliedstaaten könnten sich nicht auf die ihnen mit Art. 8 Abs. 2 Führerschein-RL eingeräumte Befugnis berufen, um die Gültigkeit eines in einem anderen Mitgliedstaat nach Ablauf der Sperrfrist erworbenen Führerscheins nicht anzuerkennen. Sie könnten vom Inhaber eines in einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins nicht verlangen, dass er die Bedingungen erfülle, die ihr nationales Recht für die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis nach ihrem Entzug aufstelle. Hätten die Behörden eines Mitgliedstaats einen Führerschein gemäß Art. 1 Abs. 1 der Führerschein-RL ausgestellt, seien die anderen Mitgliedstaaten nicht mehr befugt, die Beachtung der Ausstellungsbedingungen erneut zu prüfen (EuGH, Beschluss vom 6. April 2006, a.a.O., Rdn. 25 - 29 und 34).

Gemessen an diesen gemeinschaftsrechtlichen Maßstäben wäre der Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung der von den Mitgliedstaaten ausgestellten Führerscheine auch auf den Führerschein anzuwenden, den die tschechische Behörde dem Antragsteller am 18. August 2004 ausgestellt hat. Die zuletzt in dem seit dem 30. November 2002 rechtskräftigen Strafbefehl des Amtsgerichts Tiergarten vom 2. April 2002 (346 Cs 196/02) festgesetzte zwölfmonatige Sperrfrist für die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis war zu dieser Zeit längst verstrichen. Weil auch Eignungszweifel begründende Umstände im Anschluss an die Erteilung der tschechischen Fahrerlaubnis nicht bekannt geworden sind (zu nachträglichen Eignungszweifeln vgl. Beschluss des erkennenden Senats vom 27. Juni 2006 - OVG 1 S 112.05 -), wäre der Antragsgegner bei uneingeschränkter Geltung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung der EU-Fahrerlaubnisse gehindert, gestützt auf § 46 Abs. 3 i.V.m. § 13 Abs. 2 Buchstabe c) und d) FeV die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens zu verlangen, um die Fahrerlaubnisentziehung bei alkoholbedingten Eignungszweifeln wegen der früheren Trunkenheitsfahrt zu prüfen, und im Falle seiner nicht fristgerechten Vorlage gemäß § 11 Abs. 8 FeV auf die Nichteignung des Antragstellers zu schließen. Entgegen der Auffassung der Beschwerde ist die Gutachtenanordnung vom 19. April 2005 aber nicht deshalb materiell rechtswidrig, weil die am 2. November 1996 begangene und am 18. März 1997 durch den Strafbefehl des Amtsgerichts Königs Wusterhausen (2 CS 155 Js 28/97) abgeurteilte Trunkenheitsfahrt nicht mehr hätte verwertet werden dürfen. Die Verwertbarkeit von Entscheidungen, die - wie hier - bereits vor dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes und anderer Gesetze vom 24. April 1998 (BGBl. I S. 747) am 1. Januar 1999 in das Verkehrszentralregister eingetragen waren, bestimmt sich nach der Übergangsregelung des § 65 Abs. 9 StVG. Der in § 65 Abs. 9 Satz 1 Hs. 2 StVG enthaltene Verweis auf die Geltung der Verwertungsvorschriften nach altem Recht ist beschränkt auf die Verwertbarkeit bis längstens zu dem Tag, der einer zehnjährigen Tilgungsfrist entspricht. Was einer solchen Tilgungsfrist "entspricht", ergibt sich aus § 29 StVG n.F. einschließlich der Regelung über den Beginn der Tilgungsfrist in § 29 Abs. 5 Satz 1 StVG (dazu im Einzelnen BVerwG, Urteil vom 9. Juni 2005 - 3 C 21.04 -, NJW 2005, 3440 [3441 f.]). Danach beginnt die zehnjährige Tilgungsfrist bei Entziehung der Fahrerlaubnis wegen mangelnder Eignung erst mit der Erteilung oder Neuerteilung der Fahrerlaubnis zu laufen, spätestens jedoch fünf Jahre nach der beschwerenden Entscheidung. Da hier eine zwischenzeitliche Neuerteilung nicht erfolgt ist, begann die Tilgungsfrist ohnehin erst fünf Jahre nach der Unterzeichnung des Strafbefehls (vgl. § 29 Abs. 4 Nr. 1 StVG). Die Tilgungsfrist ist - ungeachtet einer unterdessen wegen der weiteren Verurteilung eingetretenen Ablaufhemmung - noch längst nicht verstrichen.

b) Auch der jüngste Beschluss des EuGH vom 6. April 2006 lässt jedoch noch Fragen offen, ob der Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung der von den Mitgliedstaaten ausgestellten Fahrerlaubnisse tatsächlich stets uneingeschränkte Geltung beanspruchen kann. Mit Hilfe der den mitgliedstaatlichen Gerichten auferlegten Pflicht zur gemeinschaftsrechtskonformen Auslegung des nationalen Rechts, um die volle Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts zu gewährleisten, lassen sich die verbleibenden Zweifel nicht ausräumen, da sie aus dem Gemeinschaftsrecht selbst und seiner Auslegung durch den Gerichtshof erwachsen. Der Judikatur des EuGH lassen sich immerhin Anhaltspunkte dafür entnehmen, dass es dem Fahrerlaubnisinhaber im Einzelfall verwehrt sein kann, sich auf die in einem anderen Mitgliedstaat erworbene Fahrerlaubnis zu berufen. Generell gestattet der EuGH die missbräuchliche oder betrügerische Berufung auf Gemeinschaftsrecht nicht (EuGH, Urteil vom 9. März 1999 - Rs. C-212/97 [Centros] - NJW 1999, 2027 [2028; Rdn. 24 f.]). Ein nicht schutzwürdiger Missbrauch ist anzunehmen, wenn eine Gesamtwürdigung der objektiven Umstände ergibt, dass trotz formaler Einhaltung der gemeinschaftsrechtlichen Bedingungen das Ziel der Regelung nicht erreicht wurde, und ein subjektives Element in Gestalt der Absicht, sich einen gemeinschaftsrechtlich vorgesehenen Vorteil dadurch zu verschaffen, dass die entsprechenden Voraussetzungen willkürlich geschaffen werden, vorliegt (vgl. EuGH, Urteile vom 21. Juli 2005 - Rs. C-515/03 [Eichsfelder Schlachtbetrieb] - Rdn. 39, ; vom 14. Dezember 2000 - Rs. C-110/99 [Emsland-Stärke] -, Slg. 2000, I-11569, Rdn. 50 ff.).

Bei summarischer Würdigung der bisher aktenkundigen Tatsachen anhand dieser Maßstäbe erscheint es nicht von vornherein ausgeschlossen, dass dem Antragsteller die Berufung auf den Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung der von den Mitgliedstaaten ausgestellten Fahrerlaubnisse wegen rechtsmissbräuchlicher Umgehung der inländischen Vorschriften im Ergebnis versagt sein kann. Selbst wenn man nicht schon darin eine missbräuchliche Inanspruchnahme der sich aus dem Gemeinschaftsrecht ergebenden Rechte erkennen kann, dass ein Fahrerlaubnisbewerber sich mangels vollständiger Harmonierung des Rechts der Mitgliedstaaten die für ihn günstigeren Vorschriften zunutze macht, kommen hier doch besondere Umstände hinzu, die in objektiver und subjektiver Hinsicht als Anzeichen für einen Rechtsmissbrauch bewertet werden können.

Das gilt zunächst für die auf objektiver Ebene angesiedelten Sachverhaltsmomente, die es zweifelhaft erscheinen lassen, den Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung von EU-Führerscheinen ohne weiteres anzuwenden. Insbesondere ergeben sich auch aus dem Vorbringen des Antragstellers in seinem Schriftsatz vom 21. August 2006 keine hinreichenden tragfähigen Anhaltspunkte für die Annahme, dass der Erwerb der tschechischen Fahrerlaubnis im Zusammenhang mit der Ausübung seiner Grundfreiheiten, namentlich der Niederlassungs- oder Dienstleistungsfreiheit steht. Danach unterhält er zwar seit dem 15. November 2003 einen Nebenwohnsitz in der Tschechischen Republik und seit dem 19. Juni 2005 eine vertragliche Geschäftsbeziehung betreffend den Im- und Export von Waren nach Tschechien. Selbst wenn es schwer zu verstehen ist, dass der Antragsteller diese Tatsachen nicht bereits spätestens mit der Beschwerdebegründung vorgetragen hat, zumal hierzu wegen der Begründung des angefochtenen Beschlusses Anlass bestand, kann der Senat deren Richtigkeit unterstellen. Gleichwohl ändert dieser Vortag nichts daran, dass sich der Hauptwohnsitz des Antragstellers seit 1992 ununterbrochen unter der im Rubrum bezeichneten Anschrift befindet. Diese Adresse hat die tschechische Behörde entsprechend den Angaben des Antragstellers auch in den tschechischen Führerschein eingetragen. Die Behauptung, dass er bereits zur Zeit des Erwerbs der tschechischen Fahrerlaubnis in Tschechien beruflich tätig war, hat der Antragsteller weder konkretisiert noch glaubhaft gemacht. Die vertragliche Geschäftsbeziehung hat nach seinem eigenen Vorbringen erst geraume Zeit - etwa zehn Monate - später begonnen. Es muss daher davon ausgegangen werden, dass allein die Kenntnis von dem Urteil des EuGH vom 29. April 2004 (Rechtssache Kapper) den Antragsteller bewogen hat, sich in Tschechien um die Ausstellung eines Führerscheins zu bemühen. Dieses Vorhaben ist nicht von dem in dem ersten Erwägungsgrund der Führerschein-RL niedergelegten Ziel getragen gewesen, die Freizügigkeit von Personen zu erleichtern, die sich in einem anderen Mitgliedstaat als dem niederlassen, in dem sie ihre Fahrprüfung abgelegt haben. Durch das Fehlen eines solchen gemeinschaftsrechtlich relevanten Vorganges unterscheidet sich die vorliegende Fallgestaltung auch von derjenigen, die Gegenstand des Beschlusses des EuGH vom 6. April 2006 (Rechtssache Halbritter) war. Dort hatte der Betroffene seinen Wohnsitz aus beruflichen Gründen nach Österreich verlegt. Diesen Gesichtspunkt hat der EuGH in seiner Entscheidung dahingehend gewürdigt, dass nach Art. 7 Abs. 1 Buchstabe b) und Abs. 5 Führerschein-RL ausschließlich Österreich eine Fahrerlaubnis erteilen und dem Betroffenen demnach nicht zum Vorwurf gemacht werden konnte, eine neue Fahrerlaubnis erworben zu haben, ohne die in Deutschland für den Erwerb einer Fahrerlaubnis nach dem Entzug seiner letzten Fahrerlaubnis aufgestellten Voraussetzungen beachtet zu haben (a.a.O., Rdn. 30). Die Entscheidung des EuGH lässt sich daher durchaus in dem Sinne verstehen, dass es für die Frage der Geltung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung der von den Mitgliedstaaten ausgestellten Führerscheine im Einzelfall eine Rolle spielen kann, ob der Erwerb der Fahrerlaubnis in einem anderen Mitgliedstaat einen von diesem Vorgang unabhängigen gemeinschaftsrechtlichen Bezug aufweist.

Hinzu kommt der weitere Umstand, dass der Antragsteller nichts dafür vorgetragen und glaubhaft gemacht hat, dass die tschechischen Behörden gemäß Art. 7 Abs. 1 Buchstabe a) Führerschein-RL die Erfüllung der gesundheitlichen Anforderungen nach Maßgabe des Anhangs III geprüft haben. Ziffer 14 des die Mindestanforderungen hinsichtlich der körperlichen und geistigen Tauglichkeit für das Führen eines Kraftfahrzeuges regelnden Anhangs III befasst sich mit alkoholbedingten Eignungszweifeln. Allein der Umstand, dass ausweislich der Auskunft des Ministeriums für Verkehr der Tschechischen Republik vom 23. März 2005 bei der Ausstellung des Führerscheins eine ärztliche Bescheinigung vorgelegen habe, wonach der Antragsteller gesundheitlich in der Lage sei, ein Kraftfahrzeug zu führen, erlaubt nicht den Schluss darauf, dass gerade den alkoholbedingten Eignungszweifeln nachgegangen wurde und diese sogar als behoben gelten können. Denn die Kommunikationsmöglichkeiten zwischen den Staaten bieten keine Gewähr dafür, dass die im Inland aufgetretenen Eignungsmängel den im Ausland für die Erteilung zuständigen Behörden bekannt werden und bei der Entscheidung über einen dort gestellten Fahrerlaubnisantrag berücksichtigt werden können (BVerwG, Urteil vom 17. November 2005 - 3 C 54.04 -, NJW 2006, 1151 Rdn. 23). Auch die danach mutmaßlich unterbliebene Überprüfung der an die physische Fahreignung gestellten Mindestanforderungen stellt einen Unterschied zu dem Sachverhalt dar, über den der EuGH mit Beschluss vom 6. April 2006 befunden hat. Der EuGH hat die Tatsache, dass die österreichischen Behörden seinerzeit die Mindestanforderungen an die physische und psychische Fahreignung geprüft hatten, ausdrücklich bei seiner Entscheidung gewürdigt, es dem Anerkennungsstaat zu verwehren, den im Ausstellerstaat erteilten Führerschein nicht anzuerkennen (a.a.O., Rdn. 31). Es liegt folglich nahe, diesem Umstand bei der Frage der gegenseitigen Anerkennung von EU-Führerscheinen Relevanz beizumessen, zumal die Führerschein-RL ausweislich ihrer Erwägungsgründe auch das Ziel verfolgt, die Sicherheit im Straßenverkehr zu verbessern und zu diesem Zweck Mindestvoraussetzungen für die Ausstellung eines Führerschein festlegt.

Auch auf subjektiver Ebene lassen sich gewisse Anhaltspunkte für die Absicht des Antragstellers erkennen, sich einen gemeinschaftsrechtlich vorgesehenen Vorteil durch Umgehung der innerstaatlichen Vorschriften zu verschaffen. Wesentlicher Beweggrund für den Antragsteller, einen Führerschein in Tschechien zu erwerben, waren ersichtlich seine mehrfach erfolglos gebliebenen Anträge auf Neuerteilung einer Fahrerlaubnis. Im Einzelnen: Im Anschluss an die Entziehung der Fahrerlaubnis durch den Strafbefehl des Amtsgerichts Königs Wusterhausen vom 18. März 1997 (2 CS 155 Js 28/97) wegen der am 2. November 1996 mit einer Blutalkoholkonzentration von 2,36 Promille begangenen Trunkenheitsfahrt lehnte die Fahrerlaubnisbehörde zwei Wiedererteilungsanträge mit Bescheiden vom 28. Juli 1998 und vom 12. Juli 1999 ab, nachdem der Antragsteller die jeweils angeforderten medizinisch-psychologischen Gutachten nicht vorgelegt hatte. Nach der weiteren Verurteilung wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis, fahrlässiger Körperverletzung und Unerlaubten Entfernens vom Unfallort durch Strafbefehl des Amtsgerichts Tiergarten vom 2. April 2002 (346 Cs 196/02) unter Anordnung einer zwölfmonatigen Sperrfrist für die Wiedererteilung der Fahrerlaubnis erschien dem Antragsteller der Erwerb eines tschechischen Führerscheins offensichtlich als Ausweg, um dem nach innerstaatlichem Recht unverzichtbaren Nachweis seiner Kraftfahreignung auszuweichen.

c) Die erforderliche Aufklärung der tatsächlichen Umstände, die beim Antragsteller zum Erwerb der tschechischen Fahrerlaubnis geführt haben, muss dem Hauptsacheverfahren ebenso vorbehalten bleiben wie die Würdigung, ob die Tatbestandsvoraussetzungen eines rechtsmissbräuchlichen Verhaltens erfüllt sind (vgl. EuGH, Urteile vom 21. Juli 2005, a.a.O., Rdn. 40; vom 14. Dezember 2000, a.a.O., Rdn. 54). Ob und unter welchen Voraussetzungen der Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung von EU-Führerscheinen Einschränkungen unterliegt, ist als Frage der Auslegung des Gemeinschaftsrechts im Hinblick auf dessen einheitliche Anwendung vom EuGH zu entscheiden (vgl. dazu Vorlagebeschluss des VG Sigmaringen vom 27. Juni 2006 - 4 K 1058/05 -, juris), ohne dass für den Senat im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes indes eine dahingehende Vorlagepflicht besteht. Die gemäß Art. 234 Abs. 3 EG-Vertrag statuierte Vorlagepflicht besteht auch für letztinstanzliche Gerichte grundsätzlich nicht im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes. Selbst wenn in einem solchen Verfahren - wie hier - ein Rechtsmittel nicht mehr zur Verfügung steht, bleibt den Beteiligten die Möglichkeit, das Hauptsacheverfahren zu betreiben, in dessen Rahmen unter Umständen ein Vorabentscheidungsersuchen erfolgen kann (vgl. Dörr in Sodan/Ziekow, Verwaltungsgerichtsordnung, 2. Auflage 2006, Europäischer Vertragsrechtsschutz Rdn. 127; Wegener in Calliess/Ruffert, EUV/EGV, 1999, Art. 234 Rdn. 22; jeweils m.w.N.).

2. Die losgelöst von den Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs im Hauptsacheverfahren vorzunehmende Interessenabwägung geht zu Lasten des Antragstellers. Das öffentliche Interesse an der Wahrung der Verkehrssicherheit genießt Vorrang gegenüber dem persönlichen Interesse des Antragstellers. Dabei verkennt der Senat nicht, dass der sofortige Vollzug der Aberkennung des Rechts, von der tschechischen Fahrerlaubnis in Deutschland Gebrauch zu machen, in die persönliche Lebensführung des Antragstellers und auch in die Wahrnehmung seiner grundrechtlichen Freiheiten eingreift. Diese durchaus als schwerwiegend zu bewertenden Folgen müssen jedoch im überragenden Interesse der Allgemeinheit an der Sicherheit des Straßenverkehrs und dem aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG ableitbaren Auftrag zum Schutz vor erheblichen Gefahren für Leib und Leben hingenommen werden, wenn - wie hier - alkoholbedingte Zweifel an der Kraftfahreignung nach wie vor nicht ausgeräumt sind. Die Vermeidung von Gefahren, die durch die Teilnahme von ungeeigneten Personen am motorisierten Straßenverkehr entstehen, ist ein vorrangiges öffentliches Anliegen, hinter dem die privaten Interessen eines Betroffenen in aller Regel zurückzustehen haben.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 3 Nr. 2 i.V.m. § 52 Abs. 2 des Gerichtskostengesetzes - GKG - sowie Ziffern 46.1 und 46.3 und 1.5 der Empfehlungen des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (NVwZ 2004, 1327).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

Ende der Entscheidung

Zurück