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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg
Beschluss verkündet am 04.08.2005
Aktenzeichen: OVG 10 L 1.05
Rechtsgebiete: VwGO


Vorschriften:

VwGO § 162 Abs. 2 Satz 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OBERVERWALTUNGSGERICHT BERLIN-BRANDENBURG Beschluss

OVG 10 L 1.05

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 10. Senat des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg durch den Vorsitzenden Richter am Oberverwaltungsgericht , die Richterin am Oberverwaltungsgericht und die Richterin am Oberverwaltungsgericht am 4. August 2005 beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde der Kläger gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin vom 21. Juli 2004 wird zurückgewiesen.

Die Kläger tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens als Gesamtschuldner.

Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf bis zu 300,- Euro festgesetzt.

Gründe:

Die zulässige Beschwerde ist nicht begründet. Das Verwaltungsgericht hat den Antrag der Kläger, die Hinzuziehung eines Prozessbevollmächtigten im Vorverfahren für notwendig zu erklären, zu Recht abgelehnt.

Die Notwendigkeit der Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren gemäß § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO bestimmt sich danach, welche Anforderungen in dem konkreten Fall eine Rechtsverfolgung gestellt hat. Ausgangspunkt der rechtlichen Beurteilung ist die Schwierigkeit der Sache, die jedoch nicht abstrakt, sondern unter Berücksichtigung der Sachkunde und der (persönlichen) Verhältnisse des Widerspruchsführers festzustellen ist.

Die Erstattungsfähigkeit von Anwaltskosten im Vorverfahren ist nicht "automatisch", sondern je nach Lage des Einzelfalls nur unter der Voraussetzung der konkreten Notwendigkeit anzuerkennen (BVerwG, Urteil vom 17. Dezember 2001 - 6 C 19.01 -, NVwZ-RR 2002, 446). § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO bringt die Einschätzung des Gesetzgebers zum Ausdruck, dass im verwaltungsgerichtlichen Vorverfahren eine Vertretung durch Rechtsanwälte "in der Regel" weder üblich noch erforderlich ist (OVG für das Land Brandenburg, Beschluss vom 9. Juni 2005 - 3 E 75/04; OVG Berlin, Beschluss vom 19. März 1996 - OVG 2 L 1.96 -, NVwZ-RR 1997, 264; Urteil vom 21. September 2000 - OVG 5 B 13.99; Beschluss vom 27. Februar 2004 - OVG 8 L 24.03 -; vgl. auch BVerwG, Urteil vom 17. Dezember 2001 - 6 C 19.01 -, a.a.O.; Beschluss vom 15. März 1999 - 8 B 225.98 -, VIZ 1999, 414; Urteile vom 26. Januar 1996 - 8 C 15.95 -, BayVBl 1996, 571, vom 26. Februar 1993 - 8 C 68.91 -, BayVBl 1994, 285, vom 13. Februar 1987 - 8 C 35.85 -, NVwZ 1987, 883, vom 16. Oktober 1980 - 8 C 10.80 -, BVerwGE 61, 100; vgl. aber auch BVerwG, Urteil vom 24. Mai 2000 - 7 C 8.99 -, VIZ 2000, 601 unter Hinweis darauf, dass aus dem Begriff der "Notwendigkeit" der Zuziehung eines Bevollmächtigten nicht folge, dass die Erstattungsfähigkeit im Widerspruchsverfahren auf "Ausnahmefälle" beschränkt bleiben müsse).

Maßgebend ist, ob sich ein vernünftiger Bürger mit gleichem Bildungs- und Erfahrungsstand bei der gegebenen Sachlage eines Rechtsanwalts oder sonstigen Bevollmächtigten bedient hätte. Hierbei kommt es nicht auf die subjektive Sicht des Widerspruchsführers an, sondern darauf, wie ein verständiger Dritter in dessen Situation gehandelt hätte. Die Beurteilung ist nach der Sachlage vorzunehmen, wie sie sich im Zeitpunkt der Zuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten dargestellt hat. Notwendig ist die Zuziehung eines Rechtsanwalts nur dann, wenn es der Partei nach ihren persönlichen Verhältnissen und wegen der Schwierigkeiten der Sache nicht zuzumuten war, das Vorverfahren selbst zu führen, wobei zu berücksichtigen ist, dass - wie dargelegt - im verwaltungsrechtlichen Vorverfahren eine Vertretung des Bürgers durch Rechtsanwälte oder sonstige Bevollmächtigte im Allgemeinen weder üblich noch erforderlich ist.

Gemessen an diesem Maßstab war es den Klägern im vorliegenden Fall nach Lage der Dinge zuzumuten, den Widerspruch gegen die Baugenehmigung - einschließlich des 1. und 2. Nachtrags - zur Erweiterung des vorhandenen Einkaufsmarktes und der Stellplatzflächen selbst zu erheben und zu begründen. Zutreffend hat das Verwaltungsgericht ausgeführt, dass nicht erkennbar ist, warum es den Kläger nach ihren Verhältnissen nicht zuzumuten gewesen sein sollte, selbst darzustellen, warum das Vorhaben nach ihrer Auffassung gegen Nachbarrechte verstößt. Das von den Klägern angeführte nachbarrechtliche "Dreiecksverhältnis" begründet nicht für sich genommen Schwierigkeiten, die einen Beistand im Vorverfahren notwendig machen. Der Schriftwechsel mit der Behörde im Sommer/Herbst 2003 zu Lärmbeeinträchtigungen und zur Nutzung der Stellplätze belegt, dass die Kläger auch hinreichend gewandt und in der Lage sind, die - für die Beurteilung der Situation offensichtlich im Wesentlichen maßgeblichen - tatsächlichen Umstände vorzutragen, die aus ihrer Sicht gegen die angefochtene Baugenehmigung sprechen. Dabei ist auch der Bildungsstand des promovierten Klägers zu 2) zu berücksichtigen. Der Hinweis der Kläger, dass die Erhebung der Untätigkeitsklage notwendig geworden sei, betrifft nicht Schwierigkeiten des Vorverfahrens. Eine besondere Schwierigkeit ergibt sich auch nicht daraus, dass (erst) auf Grund des Orts- und Verhandlungstermins im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes (VG 13 A 75.03) - auf Antrag der Beigeladenen - der Nachtrag vom 22. Mai 2003 zur Baugenehmigung vom 5. Dezember 2002 erlassen wurde. Denn auch insoweit bedurfte es zur Formulierung des Widerspruchs nicht etwa besonderer Sachkunde oder gewisser, geschweige denn gar geschulter Rechtskenntnisse. Mit der Beschwerde werden auch keine anderen Gründe vortragen, die Anhaltspunkt dafür sein könnten, dass den Klägern die selbständige Führung des Vorverfahrens nicht zumutbar gewesen sein könnte. Die Kläger beschränken sich vielmehr im Wesentlichen auf den allgemein gehaltenen Einwand, dass "die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten bei einem Rechtsanwalt in der Regel, nicht nur in Ausnahmefällen zu bejahen" sei. Sie verkennen dabei, dass es jeweils auf die Besonderheiten im jeweiligen Einzelfall ankommt und eine Zuziehung nicht "automatisch" als notwendig anzusehen ist.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 2, 159 Satz 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwertes für das Beschwerdeverfahren beruht auf § 52 Abs. 1 i.V.m. § 72 Nr. 1 zweiter Halbsatz GKG. Maßgeblich sind insoweit die Kosten, die den Klägern durch die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten für das Widerspruchsverfahren entstanden sind (OVG für das Land Brandenburg, Beschluss vom 9. Juni 2005 - 3 E 75/04 -) und die jedenfalls die in § 34 Abs. 1 Satz 1 GKG bestimmte Obergrenze von 300,- Euro für die niedrigste Gebührenstufe nicht überschreiten, wie schon daraus hervorgeht, dass ausweislich des Kostenfestsetzungsbeschlusses des Verwaltungsgerichts für das gerichtliche Verfahren den Klägern nur Kosten in Höhe von 392,66 Euro zu erstatten sind und eine Beweisgebühr im Vorverfahren nicht angefallen ist.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 4 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

Ende der Entscheidung

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