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Gericht: Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg
Beschluss verkündet am 11.08.2008
Aktenzeichen: OVG 10 S 32.07
Rechtsgebiete: VwGO, BO 58, BauGB, BauNVO, BImSchG


Vorschriften:

VwGO § 146
VwGO § 146 Abs. 4 Satz 3
VwGO § 147
BO 58 § 7 Nr. 3
BO 58 § 7 Nr. 4
BO 58 § 7 Nr. 5
BO 58 § 7 Nr. 6
BO 58 § 7 Nr. 7
BO 58 § 7 Nr. 8
BO 58 § 7 Nr. 9
BO 58 § 7 Nr. 9 Satz 1 b
BO 58 § 7 Nr. 10
BO 58 § 7 Nr. 11
BO 58 § 7 Nr. 12
BO 58 § 7 Nr. 15
BauGB § 1 Abs. 3 Satz 2
BauGB § 31 Abs. 1
BauGB § 31 Abs. 2
BauGB § 173 Abs. 3
BauGB § 233 Abs. 3
BauNVO § 11
BauNVO § 11 Abs. 1
BauNVO § 11 Abs. 3
BauNVO § 11 Abs. 3 Satz 1
BauNVO § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2
BauNVO § 11 Abs. 3 Satz 2
BauNVO § 15 Abs. 1 Satz 2
BImSchG § 3
BImSchG § 5 Abs. 1 Nr. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OVG 10 S 32.07

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 10. Senat durch den Vizepräsidenten des Oberverwaltungsgerichts Krüger, die Richterin am Oberverwaltungsgericht Gaube und den Richter am Oberverwaltungsgericht Seiler am 11. August 2008 beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde der Antragsteller gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin vom 29. November 2007 wird zurückgewiesen.

Die Antragsteller tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens, einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu 1) und 2) zu je einem Drittel.

Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 11.250,00 EUR festgesetzt.

Gründe:

Die nach §§ 146, 147 VwGO zulässige Beschwerde ist unbegründet. Die von den Antragstellern vorgebrachten Beschwerdegründe - soweit sie überhaupt dem Darlegungserfordernis des § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO genügen - rechtfertigen es nicht, den angefochtenen Beschluss des Verwaltungsgerichts zu ändern.

Die Ansicht des Verwaltungsgerichts, dass sich die Antragsteller nicht darauf berufen können, das Vorhaben der Beigeladenen zu 1) sei nach § 7 Nr. 9 Satz 1 b) BO 58 in einem gemischten Gebiet unzulässig, haben die Antragsteller nicht schlüssig in Frage gestellt. Nach den nicht angegriffenen Feststellungen des Verwaltungsgerichts liegt das angefochtene Vorhaben in einem durch den als Bebauungsplan fortgeltenden (§ 233 Abs. 3 BauGB i.V.m. § 173 Abs. 3 BBauG) Baunutzungsplan festgesetzten gemischten Gebiet, während für die Grundstücke der Antragsteller ein allgemeines Wohngebiet ausgewiesen ist. Ein gebietsübergreifender, von konkreten Beeinträchtigungen unabhängiger Schutz des Nachbarn vor etwaigen gebietsfremden Nutzungen im lediglich angrenzenden Plangebiet besteht (vorbehaltlich einer anderweitigen, vorliegend zu verneinenden Regelung in dem Bebauungsplan) nicht (BVerwG, Beschluss vom 18. Dezember 2007 - 4 B 55.07 -, juris). Mangels eines Gebietserhaltungsanspruchs der Antragsteller geht auch ihr Vorbringen ins Leere, dass sich durch das Vorhaben der Beigeladenen zu 1) der Gebietscharakter wandele. Denn auch die hiermit der Sache nach geltend gemachte erste Voraussetzung des § 7 Nr. 5 BO 58 bezweckt im Wege der Feinsteuerung, die Eigenart des Baugebietes zu sichern (vgl. zu der Parallelvorschrift des § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, 87. EL Februar 2008, § 15 BauNVO RN 13, 33). Zudem steht diese auf Seite 2 der Beschwerdeschrift aufgestellte Behauptung im Widerspruch zu den Ausführungen auf Seite 5 der Beschwerdeschrift, denen zufolge bereits "in den letzten Jahren" (so der in Bezug genommene, in dem Verfahren VG 13 A 136.07 eingereichte Schriftsatz des Antragstellers zu 1) vom 10. Juli 2007) sich das "Mischgebiet in ein praktisch ausschließlich von Gewerbegrundstücken, Supermärkten etc. dominiertes Gewerbegebiet" umgewandelt habe.

Ebenso wenig kommt es auf eine Vereinbarkeit des angegriffenen Vorhabens mit den "Ausführungsvorschriften über großflächige Einzelhandelseinrichtungen für das Land Berlin (AV Einzelhandel)" vom 29. September 2007 (Amtsblatt S. 2957) an. Der behauptete Verstoß gegen diese Verwaltungsvorschrift könnte die Ermessensentscheidung über die der Beigeladenen zu 1) erteilte Ausnahme und Befreiung nach § 31 Abs. 1 und 2 BauGB schon deshalb nicht gegenüber den Antragstellern fehlerhaft machen, weil die "AV Einzelhandel" nach ihrer Ziffer 1.1 "ausschließlich auf städtebauliche und raumordnerische Ziele, insbesondere auf die Sicherung einer ausreichenden, wohnortnahen Versorgung (§ 1 Abs. 6 Nr. 8 Buchstabe a BauGB) ausgerichtet" ist.

Gleichfalls ohne Erfolg tragen die Antragsteller vor, dass nach den "Grundsätze(n) der Rechtsprechung der oberen Gerichte und des Bundesverwaltungsgerichts" großflächige Einzelhandelsbetriebe "grundsätzlich ... nur in einem Sondergebiet mit entsprechenden Festsetzungen zugelassen werden können". Zwar dürfte das Vorhaben der Beigeladenen zu 1) die Errichtung eines großflächigen Einzelhandelsbetriebes i.S.d. § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 BauNVO umfassen, da die Verkaufsfläche nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts ca. 1061 qm beträgt (s. zur Maßgeblichkeit der Verkaufsfläche: BVerwG, Urteil vom 24. November 2005 - 4 C 10.04). Auch erkennen die Antragsteller, dass das in § 11 Abs. 3 Satz 1 BauNVO aufgestellte Planerfordernis für Vorhaben, die im Geltungsbereich des Baunutzungsplanes liegen, nicht unmittelbar einschlägig ist, weil nach § 233 Abs. 3 BauGB i.V.m. § 173 Abs. 3 BBauG i.V.m. § 7 Nr. 3 BO 58 die planungsrechtlichen Vorschriften der BO 58 - und nicht diejenigen der BauNVO - gelten. Die Vorschriften der BauNVO können deshalb nur als Auslegungshilfe (vgl. zum nach § 173 Abs. 3 BBauG übergeleiteten Recht: BVerwG, Urteil vom 17. Dezember 1998 - 4 C 16.97 -, juris) bzw. als sachverständige Konkretisierung allgemeiner städtebaulicher Grundsätze (Wilke/Dageförde/Knuth/Meyer/Broy-Bülow, Bauordnung für Berlin, 6. Aufl. 2008, Anh. RN 19 m.w.N.) herangezogen werden. Jedoch spricht Überwiegendes dafür, dass § 7 Nr. 9 BO 58 nicht unter Rückgriff auf § 11 BauNVO dahingehend ausgelegt werden kann, dass die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit von großflächigen Einzelhandelsbetrieben, welche die Auswirkungen des § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2, Satz 2 BauNVO aufweisen, eine auf die Anlagenspezifika zugeschnittene Planung der Gemeinde voraussetzt. Vielmehr dürfte eine derartige Auslegung im Ergebnis auf eine § 173 Abs. 3 BauGB widersprechende dynamische Verweisung (s. hierzu: BVerwG, Urteil vom 17. Dezember 1998 a.a.O.) hinauslaufen (offen gelassen: OVG Berlin, Beschluss vom 16. Mai 2000 - 2 S 1.00 -, ZfBR 2001, S. 52). Denn den Regelungen der BO 58 ist die Festsetzung von Sondergebieten für Baugebiete, die sich i.S.d. § 11 Abs. 1 BauNVO wesentlich von den Gebieten des § 7 Nr. 6 bis 12 BO 58 unterscheiden, fremd. Dies ergibt sich deutlich aus der abschließenden Aufzählung der Baugebiete in § 7 Nr. 4 BO 58. Unabhängig davon ist zweifelhaft, ob das Planerfordernis für großflächige Einzelhandelsbetriebe des § 11 Abs. 3 BauNVO gebietsfremden Grundstückseigentümern Drittschutz vermittelt. Selbst wenn man dies im Hinblick darauf bejahte, dass die Regelung auf den "Einwirkungsbereich" abstellt, der sogar über die Standortgemeinde hinausreichen kann (BVerwG, Urteil vom 1. August 2002 - 4 C 5.01 -, juris), könnte die Vorschrift einem Grundstückseigentümer höchstens insoweit - trotz § 1 Abs. 3 Satz 2 BauGB - Drittschutz gewähren, als es um von dem Vorhaben ausgehende schädliche Umwelteinwirkungen im Sinne des § 3 des Bundes-Immissionsschutzgesetzes geht. Denn die übrigen in § 11 Abs. 3 Satz 2 BauNVO aufgeführten Belange dienen ersichtlich nicht dem Schutz individueller Nachbarinteressen. Damit ist aber das Schutzniveau identisch mit dem durch die zweite Voraussetzung des § 7 Nr. 5 BO 58 gewährten Nachbarschutz (s. zu dem Verhältnis der zweiten Voraussetzung des § 7 Nr. 5 BO 58 vergleichbaren Regelung des § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO zu § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG: BVerwG, Beschluss vom 2. Februar 2000 - 4 B 87.99 -, juris).

Die Würdigung des Verwaltungsgerichts, dass mit dem Vorhaben das in der zweiten Voraussetzung des § 7 Nr. 5 BO 58 verankerte Rücksichtnahmegebot nicht verletzt wird, wird mit dem Beschwerdevorbringen nicht erschüttert.

Das Verwaltungsgericht hat mit sorgfältiger, auf die Beschränkungen der Baugenehmigung, einschließlich der dieser beigefügten Auflage des Umweltamtes St.-Z., die Immissionsprognose des Ingenieurbüros Dr. J & P vom 26. Juni 2006 und das Verkehrsgutachten der G I vom Juni 2006, gestützter Begründung eine die Schwelle der Unzumutbarkeit überschreitende Störung der Antragsteller durch von dem Vorhaben verursachte Lärm-, Abgas- und Geruchsimmissionen verneint. Soweit die Antragsteller dem eine Schilderung des Vorhabens und seiner Umgebung entgegensetzen, genügt dies schon nicht dem Darlegungserfordernis des § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO. Mit ihrer Vermutung, dass der Lieferverkehr überwiegend während der Nachtzeit stattfinden "dürfte", übersehen die Antragsteller, dass Gegenstand dieses Verfahrens allein die sofortige Vollziehbarkeit der Baugenehmigung ist und diese nach der - zutreffenden - Feststellung des Verwaltungsgerichts eine nächtliche Warenanlieferung nicht deckt. Bereits diese Feststellung macht deutlich, dass die Behauptung der Antragsteller, das Verwaltungsgericht habe den "Anlieferverkehr" nicht in die Prüfung eingestellt, schlicht unzutreffend ist; dies folgt auch aus der der Auseinandersetzung des Verwaltungsgerichts mit der genannten Immissionsprognose und dem Verkehrsgutachten, die beide den Lieferverkehr einbeziehen. Da das Vorliegen der zweiten Voraussetzung des § 7 Nr. 5 BO 58 gerichtlich voll überprüfbar sind, ist es schließlich von vornherein ohne Belang, ob - wie die Antragsteller (zudem unsubstantiiert) behaupten - der Antragsgegner bei der Entscheidung über den Bauantrag das Abfallen der Geländeoberfläche des Baugrundstücks in Richtung der Grundstücke der Antragsteller berücksichtigt hat. Maßgeblich ist insoweit, dass das Verwaltungsgericht diese Besonderheit in die Abwägung eingestellt hat und ohne Rüge der Antragsteller zu dem Ergebnis gelangt ist, dass der Höhenunterschied im südlichen, an die Grundstücke der Antragsteller angrenzenden Grundsstücksteil unter Immissionsgesichtspunkten kaum ins Gewicht fallen dürfte und hinter den für eine Zumutbarkeit der Immissionen sprechenden Umständen zurücktrete.

Schließlich vermag das Beschwerdevorbringen auch nicht die Ansicht des Verwaltungsgerichts in Frage zu stellen, dass das genehmigte Gebäude weder durch seine Lage noch durch seine Ausmaße auf die Grundstücke der Antragsteller eine erdrückende oder einmauernde Wirkung ausübe. Da es bei dieser Beurteilung um das äußere Erscheinungsbild des Gebäudes geht, ist es entscheidungsunerheblich, ob das Baugrundstück aus "mehreren zusammengelegten früheren Wohngrundstücken entstanden" ist und ob die Fläche der unterirdischen Tiefgarage bei der Ermittlung der bebaubaren Fläche i.S.d. § 7 Nr. 15 BO 58 mitzurechnen ist. Das übrige Vorbringen der Antragsteller erschöpft sich in Hinweisen auf eine dem Verwaltungsgericht im Termin vom 29. November 2007 von den Antragstellern vorgelegte Zeichnung des Bauvorhabens, auf dessen Breite und Tiefe sowie auf "die erhebliche Bebauungstiefe, die nah an die Grundstücke und Wohnhäuser" der Antragsteller heranreiche. Dies genügt ebenso wenig dem Darlegungserfordernis wie die (erneute) Schilderung der "Grundstückssituation" in der P.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 2, 159 Satz 1, 162 Abs. 3 VwGO, § 100 Abs. 1 ZPO. Es entspricht der Billigkeit, den Antragstellern auch die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu 1) und 2) aufzuerlegen, weil diese einen Antrag gestellt und sich damit dem Kostenrisiko des § 154 Abs. 3 VwGO ausgesetzt haben. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 3 Nr. 2 i.V.m. § 52 Abs. 1, § 47 Abs. 1 des Gerichtskostengesetzes - GKG -. Der Senat folgt in Anlehnung an die Empfehlungen der Nr. 9.7.1 und 1.5 des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit, Fassung 7/2004 (NVwZ 2004, 1327) der Festsetzung des Verwaltungsgerichts.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

Ende der Entscheidung

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