Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg
Beschluss verkündet am 24.08.2006
Aktenzeichen: OVG 10 S 7.06
Rechtsgebiete: BauGB, VwGO


Vorschriften:

BauGB § 154 Abs. 1 Satz 1
BauGB § 212 a Abs. 2
VwGO § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1
VwGO § 80 Abs. 5
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OVG 10 S 7.06

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 10. Senat durch den Vizepräsidenten des Oberverwaltungsgerichts Krüger, die Richterin am Oberverwaltungsgericht Dr. Bumke und die Richterin am Oberverwaltungsgericht Scheerhorn am 24. August 2006 beschlossen:

Tenor:

Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin vom 24. Januar 2006 mit Ausnahme der Streitwertfestsetzung geändert.

Die aufschiebende Wirkung der Widersprüche der Antragstellerin gegen die Festsetzungsbescheide vom 1. Dezember 2000 wird angeordnet.

Der Antragsgegner trägt die Kosten in beiden Rechtszügen.

Der Wert des Verfahrensgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 6.799,67 € festgesetzt.

Gründe:

Die zulässige Beschwerde ist begründet. Zwar sind die Feststellungen des Verwaltungsgerichts zum Maßstab im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzes nicht zu beanstanden (1.). Zutreffend hat das Verwaltungsgericht auch ausgeführt, dass die so genannte Zielbaummethode eine zulässige Methode zur Ermittlung der sanierungsbedingten Bodenwerterhöhung darstellt (2.). Die Antragstellerin hat jedoch mit dem erstmals in der Beschwerdebegründung enthaltenen Hinweis - unter Bezugnahme auf Seite 14 der gutachterlichen Stellungnahme -, es könne "keine Rede davon sein, dass bei dem Grundstück ... wieder eine GFZ von 3,3 erreicht werden könnte", einen Gesichtspunkt dargelegt (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), der dazu führt, das die in der gutachterlichen Stellungnahme des Vermessungsamts vom 5. Oktober 2000 enthaltene Berechnung des Endwertes nicht nachvollziehbar erscheint (3.).

1. Das Verwaltungsgericht hat entgegen der Auffassung der Antragstellerin bei der Prüfung, ob im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzes die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin gegen die (zwei) sanierungsrechtlichen Festsetzungsbescheide anzuordnen ist, keinen "falschen" Maßstab zugrunde gelegt.

Zu Recht hat das Verwaltungsgericht unter Bezugnahme auf die einschlägige obergerichtliche Rechtsprechung angenommen, dass ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit einer Abgabenforderung mit Blick auf § 212 a Abs. 2 BauGB und § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 VwGO nur dann anzunehmen sind, "wenn auf Grund summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage ein Erfolg des Widerspruchsführers bzw. Klägers im Hauptsacheverfahren wahrscheinlicher ist als sein Unterliegen" (BA S. 5), mithin die aufschiebende Wirkung nur dann anzuordnen ist, wenn die zugrunde liegende Sachentscheidung sich mit überwiegender Wahrscheinlichkeit als rechtswidrig erweist. Das deckt sich mit der Rechtsprechung des Senats und des bis zur Fusion zuständigen früheren 2. Senats des Oberverwaltungsgerichts Berlin (OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 11. Juli 2006 - OVG 10 S 13.06 -; Beschluss vom 20. Juni 2006 - OVG 10 S 24.05 -; OVG Berlin, Beschluss vom 4. Dezember 2001 - OVG 2 SN 8.01 -; Beschluss vom 18. September 2002 - OVG 2 S 16.02 -). Auch ist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts geklärt, dass der Ausgleichsbetrag, den die Eigentümer der im förmlich festgelegten Sanierungsgebiet gelegenen Grundstücke nach § 154 Abs. 1 Satz 1 BauGB zu entrichten haben, eine öffentliche Abgabe i.S.d. § 80 Abs. 2 (Satz 1) Nr. 1 VwGO darstellt (BVerwG, Urteil vom 17. Dezember 1992 - 4 C 30.90 -, Buchholz 406. 11 § 154 BauGB Nr. 1). Die Antragstellerin bestreitet letztlich nicht, dass es sich hier um den Fall der gesetzlichen Sofortvollzugsanordnung gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 VwGO handelt.

Soweit die Antragstellerin mit der Begründung, die Ausgleichsabgabe sei "materiell als Steuer anzusehen", auf finanzgerichtliche Rechtsprechung verweist bzw. aus Entscheidungen zitiert und das Verwaltungsgericht dafür kritisiert, dass es sich mit dieser Rechtsprechung nicht auseinander gesetzt, sondern sich auf Entscheidungen von Oberverwaltungsgerichten berufen habe, die nach ihrer Auffassung "- unter Missachtung der gewünschten Rechtseinheit in Deutschland - keine Überlegungen dazu angestellt haben, ob den Entscheidungen und Rechtssätzen gefolgt werden müsste, die von den Finanzgerichten entwickelt wurden", verkennt sie, dass für das Verwaltungsgericht kein Anlass bestand, die Rechtsprechung von Gerichten, die einer anderen Fachgerichtsbarkeit angehören, zugrunde zu legen. Es gilt das Prinzip der Fachgerichtsbarkeit (vgl. Art. 95 GG). Für die hier strittigen Fragen ist die Verwaltungsgerichtsbarkeit zuständig. Abgesehen davon hat die Antragstellerin sich auch nicht ansatzweise mit den vom Verwaltungsgericht in Bezug genommenen verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen auseinander setzt.

Im Übrigen wird nicht beachtet, dass die fachgerichtliche Rechtsprechung zum Maßstab im Rahmen des § 80 Abs. 5 VwGO, die anknüpft an den Unterschied zwischen der gesetzlichen Sofortvollzugsanordnung (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1-3 VwGO) und der behördliche Anordnung der sofortigen Vollziehung (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO), die Billigung durch das Bundesverfassungsgericht gefunden hat. Das Bundesverfassungsgericht hat ausdrücklich festgestellt, dass sich in Fällen der gesetzlichen Sofortvollzugsanordnung die Interessenabwägung von derjenigen unterscheidet, die in den Fällen einer behördlichen Anordnung stattfindet, und unterstrichen, dass "in den Fällen der Nr. 1 bis 3 zu beachten (ist), dass hier der Gesetzgeber einen grundsätzlichen Vorrang des Vollziehungsinteresses angeordnet hat und es deshalb besonderer Umstände bedarf, um eine hiervon abweichende Entscheidung zu rechtfertigen (BVerfG, Beschluss vom 10. Oktober 2003 - 1 BvR 2025/03 -, NVwZ 2004, 93, 94).

2. Die pauschalen Einwände der Antragstellerin gegen die in der gutachterlichen Stellungnahme des Vermessungsamtes zur Anwendung gebrachten Zielbaummethode greifen nicht. Denn es besteht keine Pflicht - wenn die Voraussetzungen für das Vergleichswertverfahren nicht vorliegen -, auf ein bestimmtes Verfahren zurückzugreifen. Bei der Ermittlung der sanierungsbedingten Bodenwerterhöhung steht der Behörde sowohl hinsichtlich der für die Ermittlung des Anfangs- und Endwertes maßgeblichen Faktoren als auch hinsichtlich des Verfahrensweges ein Einschätzungsspielraum zu. Wie das Verwaltungsgericht zutreffend festgestellt hat, ist das Vergleichswertverfahren nur dann anzuwenden, wenn ausreichende Daten zur Verfügung stehen, die gewährleisten, dass der Verkehrswert und im Falle der Sanierung dessen Erhöhung zuverlässig zu ermitteln sind (BVerwG, Beschluss vom 16. November 2004 - 4 B 71.04 -, NVwZ 2005, 449; VGH Mannheim, Urteil vom 18. November 2005 - 8 S 496.05 -, juris-Ausdruck S. 6). Zulässig ist jede Methode, mit der der gesetzliche Auftrag, die Bodenwerterhöhung und damit den Ausgleichsbetrag nach dem Unterschied zwischen Anfangs- und Endwert zu ermitteln, erfüllt werden kann. Dabei hat das Bundesverwaltungsgericht ausdrücklich auch das - im vorliegenden Fall angewandte - so genannte Zielbaumverfahren als zulässige Methode angesehen.

3. Zu Recht weist die Antragstellerin jedoch darauf hin, dass die in der gutachterlichen Stellungnahme des Vermessungsamtes vorgenommene Berechnung des Endwertes unter Zugrundelegung der derzeit - unstreitig - realisierten Geschossflächenzahl (GFZ) von 3,3 mit Blick auf die Festsetzungen des übergeleiteten Baunutzungsplans i.d.F. vom 28. Dezember 1960 (ABl. 1961 S. 742), wonach eine GFZ von 1,5 gilt, nicht nachvollziehbar erscheint.

Zwar wirkt die gutachterliche Einschätzung des Vermessungsamtes zunächst mit Blick auf die Feststellungen in dem Gutachten auf Seite 4 in sich schlüssig. Dort wird festgestellt, dass sich das zulässige Maß der baulichen Nutzung - hier bezogen auf die Festsetzung der Geschossflächenzahl - nicht aus dem übergeleiteten Baunutzungsplan ableite, sondern sich nach dem "realisierten Bestand" ergebe, da "die Bauleitplanung von der normativen Kraft des Faktischen bereits korrigierend überlagert" worden sei. Dementsprechend wird "ein bauliches Nutzungsmaß, das annähernd dem des bisherigen Bestands auf dem Grundstück entspricht, als genehmigungsfähig" unterstellt.

Diese Feststellungen stehen jedoch in offensichtlichem Widerspruch zu der Stellungnahme des Stadtplanungsamtes des Antragsgegners vom 31. Juli 2000 ("Zustanddokumentation"), die das Vermessungsamt bei seiner Bewertung und Berechnung zugrunde gelegt hat. In der Zustanddokumentation des Stadtplanungsamtes wird auf S. 4 unter der Rubrik ""Rechtliche Neuordnung" unter dem Unterpunkt "Grundstücke" festgestellt (VV Bd. II Bl. 352): "Die planungsrechtlichen Aussagen des Baunutzungsplanes haben weiterhin Gültigkeit" und darauf hingewiesen, dass bei einer Neubebauung zwar eine Blockrandbebauung mit Vorderhäusern in Höhe der bestehenden Traufkante "befürwortet" würde. Zugleich wird aber ausdrücklich angemerkt: "SF wären dann nicht mehr zulässig (GFZ 1,5)". Diese Aussagen können nur dahingehend verstanden werden, dass der Baunutzungsplan - in diesem hier interessierenden Punkt - jedenfalls nach Einschätzung des für planungsrechtliche Fragen in besonderer Weise sachkundigen Stadtplanungsamtes nicht funktionslos geworden und grundsätzlich - vorbehaltlich der Frage, ob Befreiungen erteilt werden könnten - im Fall der "fiktiven" Neubebauung von einer GFZ von 1,5 auszugehen ist.

Das Vermessungsamt merkt zwar seinerseits an, dass Seitenflügel nicht mehr genehmigt würden (S. 4 der Stellungnahme vom 5. Oktober 2000). Es findet sich in der gutachterlichen Stellungnahme jedoch keinerlei Auseinandersetzung mit den Feststellungen des Stadtplanungsamtes, sondern es wird lediglich behauptet, "(i)n realer Einschätzung der bisherigen Baugenehmigungspraxis der Baugenehmigungsbehörden ließe sich ... ein bauliches Nutzungsmaß, das annähernd dem des bisherigen Bestands auf dem Grundstück entspricht, als genehmigungsfähig unterstellen". Eine Erklärung, worauf sich die "reale Einschätzung der bisherigen Baugenehmigungspraxis" gründet, gibt das Vermessungsamt nicht.

Bestehen - wie im vorliegenden Fall - greifbare im Verantwortungsbereich des Antragsgegners wurzelnde Widersprüche, die Zweifel an der sorgfältigen Aufbereitung des Sachverhalts und Beantwortung der damit zusammenhängen rechtlichen Fragen begründen, geht die mangelnde Plausibilität der Berechnung zu Lasten des Antragsgegners. Denn insofern liegen "besondere Umstände" i.S.d. Rechtsprechung zu § 80 Abs. 5 VwGO vor, die - bei dem mangels Nachvollziehbarkeit der Berechnung offenem Verfahrensausgang - im Rahmen der gebotenen Interessenabwägung zu einer Relativierung des aufgezeigten grundsätzlichen Vorrangs des Vollziehungsinteresses führen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung findet ihre Grundlage in §§ 52 Abs. 1, 53 Abs. 3 Nr. 2 GKG. Der Senat folgt insoweit der erstinstanzlichen Streitwertfestsetzung auch für das Beschwerdeverfahren.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

Ende der Entscheidung

Zurück