Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg
Beschluss verkündet am 17.08.2007
Aktenzeichen: OVG 11 S 33.07
Rechtsgebiete: AufenthG, AuslG


Vorschriften:

AufenthG § 4
AufenthG § 14 Abs. 1 Nr. 2
AufenthG § 50 Abs. 1
AufenthG § 51 Abs. 1
AufenthG § 51 Abs. 1 Nr. 6
AufenthG § 51 Abs. 1 Nr. 7
AufenthG § 51 Abs. 2
AufenthG § 58 Abs. 1
AufenthG § 58 Abs. 2 Nr. 1
AufenthG § 59
AufenthG § 101 Abs. 1 S. 1
AuslG § 9 Abs. 1 Nr. 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OVG 11 S 33.07

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 11. Senat durch den Vorsitzenden Richter am Oberverwaltungsgericht Laudemann, die Richterin am Oberverwaltungsgericht Apel und die Richterin am Oberverwaltungsgericht Scheerhorn am 17. August 2007 beschlossen:

Tenor:

Der Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin vom 30. März 2007 wird mit Ausnahme der Streitwertfestsetzung geändert.

Die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers (VG Berlin 11 A 826.06) gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 7. November 2006 wird angeordnet und wiederhergestellt.

Die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge trägt der Antragsgegner.

Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 2500 EUR festgesetzt.

Gründe:

I.

Der Antragsteller, türkischer Staatsangehöriger, der 1987 mit einem Visum zu Arbeitszwecken (Hymnensänger) für den Tebli Gemeinde e. V. (Moschee) in die Bundesrepublik Deutschland eingereist war, erhielt zuletzt am 12. Oktober 1992 eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis. Ab dem 21. September 2005 bis zum 15. Januar 2007 übte er in Sürmene/Türkei eine Erwerbstätigkeit aus, während seine Ehefrau und die drei volljährigen Kinder in Deutschland verblieben. Am 14. und 21. Februar 2006 war er zu Vorsprachen bei dem Jobcenter Friedrichshain-Kreuzberg erschienen und nach einem Vermerk der Ausländerbehörde vom 7. November 2006 (VV Bl. 144 R) danach krankgeschrieben und in Berlin bis Ende Mai 2006 behandelt worden. Ferner hatte er am 13. April und 6. November 2006 bei dem Jobcenter Friedrichshain-Kreuzberg vorgesprochen; ausweislich des Bescheides vom 20. März 2006 wurden seiner Ehefrau für eine Bedarfsgemeinschaft mit dem Antragsteller Leistungen nach dem SGB II bewilligt.

Mit Bescheid vom 7. November 2006 forderte der Antragsgegner den Antragsteller zur unverzüglichen Ausreise auf und drohte ihm die Abschiebung mit der Begründung an: Mit Blick auf seine Beschäftigung in der Türkei seit September 2005 sei davon auszugehen, dass seine Ausreise nicht nur aus einem vorübergehenden Grund erfolgt und seine Aufenthaltserlaubnis damit nach § 51 Abs. 1 Nr. 6 AufenthG erloschen sei. Da er zum Zeitpunkt der Ausreise auch Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts bezogen habe, sei diese Rechtsfolge auch nicht gemäß § 51 Abs. 2 AufenthG ausgeschlossen gewesen.

Den hiergegen gerichteten vorläufigen Rechtsschutzantrag lehnte das Verwaltungsgericht mit dem angegriffenen Beschluss mit der Begründung ab, entgegen der Auffassung des Antragstellers habe dieser mit der Beschäftigung als Prediger in Sürmene seinen Lebensmittelpunkt dorthin verlagert und sei im Sinne von § 51 Abs. 1 Nr. 6 AufenthG nicht nur vorübergehend ausgereist. Dass er möglicherweise die Motivation gehabt habe, nach Deutschland zurückzukehren, sei unbeachtlich, da sein Auslandsaufenthalt nicht nur von kurzer Dauer und sein Aufenthalt in der Türkei zunächst auf unabsehbare Zeit angelegt gewesen sei. Ein Auslandaufenthalt von mehr als sechs Monaten sei, wie sich der Wertung des § 51 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG entnehmen lasse, in zeitlicher Hinsicht grundsätzlich langfristig und es sei unerheblich, dass seine Ehefrau sowie seine volljährigen Kinder in Deutschland verblieben seien und er diese im Jahr 2006 dreimal kurzzeitig besucht habe.

II.

Die Beschwerde des Antragstellers gegen die Versagung vorläufigen Rechtsschutzes hat auf der Grundlage des maßgeblichen Beschwerdevorbringens Erfolg.

Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts kann der Senat im vorliegenden summarischen Verfahren nicht bereits feststellen, dass der Antragsteller mit dem Bescheid des Antragsgegners vom 7. November 2006 offensichtlich zu Recht gemäß § 50 Abs. 1 AufenthG vollziehbar zur Ausreise aufgefordert ist und ihm gemäß §§ 58 Abs. 1, 2 Nr. 1, 59 AufenthG die Abschiebung angedroht werden durfte, weil er ohne den nach § 4 AufenthG erforderlichen Aufenthaltstitel und damit gemäß § 14 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG im Jahr 2006 unerlaubt eingereist sei. Vielmehr erscheint dem Senat das Erlöschen des Aufenthaltstitels des Antragstellers gemäß § 51 Abs. 1 Nr. 6, 7 AufenthG anlässlich der Aufnahme der Berufstätigkeit in der Türkei ab 21. September 2005 zweifelhaft und mit Blick auf den langjährigen Aufenthalt des Antragstellers in Deutschland mit seiner Familie der Sofortvollzug auch nicht geboten.

1. Zunächst kann der Senat im vorliegenden Verfahren nicht feststellen, dass die dem Antragsteller am 12. Oktober 1992 erteilte Aufenthaltserlaubnis, die zunächst als Niederlassungserlaubnis gemäß § 101 Abs. 1 S. 1 AufenthG fort galt, nach Ausreise und Aufnahme der Tätigkeit in der Türkei zum 21. September 2005, die er nach eigener Einlassung bis zum 15. Januar 2007 ausübte, im Jahr 2006 bereits gemäß § 51 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG erloschen war, auf welche Regelung sich auch weder das Verwaltungsgericht noch der Antragsgegner so gestützt hatten. Nach dieser Vorschrift erlischt ein Aufenthaltstitel, wenn der Ausländer ausgereist und nicht innerhalb von 6 Monaten oder einer von der Ausländerbehörde bestimmten längeren Frist wieder eingereist ist. Bei der Frist des § 51 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG handelt es sich allerdings um eine gesetzliche Ausschlussfrist (vgl. zur mit § 51 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG übereinstimmenden Regelung von § 44 Abs. 1 Nr. 3 AuslG: VGH BW, Beschluss vom 22. Januar 1997 - 11 S 2934/96 -, InfAuslR 1997, 305; HessVGH, Beschluss vom 16. März 1999 - 10 TZ 325/99 -, InfAuslR 1999, 454, 456; OVG NRW, Beschluss vom 4. August 2004 - 18 B 2264/03 -, InfAuslR 2004, 439; BayVGH, Beschluss vom 21. April 2005 - 24 CS 05.601 -, in Juris). Mit dieser gegenüber § 51 Abs. 1 Nr. 6 AufenthG eigenständigen Regelung steht fest, dass die dort genannte Frist grundsätzlich zu dem unwiderleglichen Schluss führt, dass der Ausländer zu einem nicht nur vorübergehenden Zweck ausgereist ist, worauf § 51 Abs. 1 Nr. 6 AufenthG abstellt (vgl. Begründung des Gesetzentwurfs BT-Drucksache 11/6321 S. 71 f.). Nr. 7 ergänzt den Erlöschensgrund der Nr. 6 des § 51 Abs. 1 AufenthG aus Gründen der Rechtsklarheit. Diese Funktion von § 51 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG dürfte dafür sprechen, dass die Regelung nur restriktiv gemäß ihrem Wortlaut, der auf eine Ausreise und Wiedereinreise abstellt, im Fall der Überschreitung der normierten 6-Monatsfrist eingreift. Hingegen dürfte eine zwar längere Ausreise aus Deutschland mit zwischenzeitlichen kurzfristigen Einreisen ohne Überschreitung der 6-Monatsfrist im Rahmen des § 50 Abs. 1 Nr. 6 AufenthG zu würdigen sein (so wohl auch BayVGH, Beschluss vom 21. April 2005 - 24 CS 05.601 -, in Juris; möglicherweise weitergehend OVG NRW, Beschluss vom 24. April 2006 - 18 B 2764/06 - in Juris, das seine Entscheidung dann aber auf § 44 Abs. 1 Nr. 2 AuslG - wortgleich mit § 51 Abs. 1 Nr. 6 AufenthG - gestützt hat).

Dem dürfte auch die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. Beschluss vom 30. Dezember 1988 - 1 B 135/88 -, InfAuslR 1989, 114f.) zu § 9 Abs. 1 Nr 3 AuslG in der bis zum 31. Dezember 1990 gültigen Fassung (BGBl. I 1965 S. 353) nicht entgegenstehen. Zu dieser Regelung hatte das Bundesverwaltungsgericht entschieden, es verstehe sich von selbst, dass ein Ausländer das Erlöschen der Aufenthaltserlaubnis nicht vermeiden könne, indem er jeweils kurz vor Ablauf von sechs Monaten nach der Ausreise mehr oder weniger kurzfristig in das Bundesgebiet zurückkehre. Die Vorschrift von § 9 Abs. 1 Nr. 3 AuslG entspricht im Grundsatz jedoch gerade § 51 Abs. 1 Nr. 6 AufenthG, wobei in § 9 Abs. 1 Nr. 3 AuslG gesetzlich nicht einmal die 6-Monatsfrist als Maßstab für einen nicht vorübergehenden Grund des Verlassens des Bundesgebietes normiert war. Die Aussage des Bundesverwaltungsgerichts wird deshalb im Rahmen von § 51 Abs. 1 Nr. 6 AufenthG zur Würdigung der Frage des vorübergehenden Grundes der Ausreise weiterhin Geltung beanspruchen können. Zu der eigenständigen strikten Regelung von § 51 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG kann sie hingegen wohl so nicht herangezogen werden.

Nach den Erkenntnissen des Senats aus dem Verwaltungsvorgang des Antragsgegners ist jedoch davon auszugehen, dass der Antragsteller mit seinen erneuten Einreisen nach Deutschland wohl bereits Ende Januar 2006, seiner Anwesenheit in der Folge im Februar, April und Mai sowie Anfang November 2006 jedenfalls jeweils vor Ablauf von sechs Monaten nach Ausreise im September 2005 wieder nach Deutschland eingereist war.

2. Dem Senat erscheint entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts auch das Erlöschen des Aufenthaltstitels des Antragstellers gemäß § 51 Abs. 1 Nr. 6 AufenthG anlässlich der Aufnahme der Berufstätigkeit in der Türkei ab 21. September 2005 zweifelhaft und keineswegs ausreichend belegt, um den Sofortvollzug einer Ausreisverpflichtung im vorliegenden Fall zwangsweise durchzusetzen.

Nach § 51 Abs. 1 Nr. 6 AufenthG erlischt die Aufenthaltserlaubnis, wenn der Ausländer aus einem seiner Natur nach nicht vorübergehenden Grund ausreist. Ein solcher Grund liegt zweifelsfrei in den Fällen der auf Dauer beabsichtigten Rückkehr des Ausländers in sein Heimatland vor. Aber auch dann, wenn der Ausländer beabsichtigt, später in das Bundesgebiet zurückzukehren, kann der Grund für das Verlassen des Bundesgebietes seiner Natur nach nicht nur vorübergehend sein. Ob er dies ist, beurteilt sich nicht nach dem inneren Willen des Ausländers, sondern aufgrund einer Würdigung der konkreten Gegebenheiten des Einzelfalles, zu denen auch die Dauer der Abwesenheit und Ungewissheit der Rückkehr zählen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 30. Dezember 1988 - 1 B 135/88 -, InfAuslR 1989, 114f.). Als Orientierungshilfe kann auch die Wertung von § 51 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG mit seiner 6-Monatsfrist herangezogen werden. Sie macht eine Würdigung aller wesentlichen Umstände des Einzelfalles jedoch nicht entbehrlich. So kann einerseits ein nicht unerheblich längerer Auslandsaufenthalt seiner Natur nach nur vorübergehend sein. Andererseits schließt eine Rückkehr schon vor Ablauf von sechs Monaten nach der Ausreise nicht aus, dass der Ausländer das Bundesgebiet aus einem seiner Natur nach nicht vorübergehenden Grunde verlassen hat.

Das Verwaltungsgericht hat es für seine Würdigung des Verhaltens des Antragstellers als nicht nur vorübergehendes Verlassen des Bundesgebiets als maßgeblich angesehen, dass dieser zwangsläufig seinen Lebensmittelpunkt mit der zunächst aufgenommenen Tätigkeit als Prediger ab September 2005 in Sürmene/Türkei bis zur Aufgabe dieser Erwerbstätigkeit im Januar 2007 dort genommen habe. Maßgeblich sei insoweit, dass für den Antragsteller die Rückkehr nach Deutschland völlig ungewiss gewesen sei, allein die Motivation der Rückkehr sei ebenso unbeachtlich wie der Verbleib der Ehefrau und der erwachsenen Kinder in Berlin.

Diese Schlussfolgerungen erscheinen dem Senat hingegen nicht zwingend, wie der Antragsteller zu Recht rügt. Als Auslegungshilfe für die Beurteilung des maßgeblichen Ausreisewillens können entsprechend den vorläufigen Anwendungshinweisen zum AufenthG des Bundesministern des Innern vom 22. Dezember 2004 (Ziff. 51.1.4.1) Umstände herangezogen werden, wie die der Aufgabe von Wohnung und Arbeitsstelle im Bundesgebiet sowie Mitnahme des Eigentums oder die Verpflichtung zur endgültigen Ausreise. Insoweit ist hier zunächst festzustellen, dass der Antragsteller unbestritten seine Ehewohnung in Berlin weiterhin behalten hatte. Er hat sich auch nicht von seiner Ehefrau getrennt, wie die zwischenzeitlichen Einreisen im Jahr 2006 und letztlich die Rückkehr Anfang 2007 zu der Ehefrau unter Aufnahme einer Erwerbstätigkeit nunmehr wieder in Berlin zeigen. In der Zeit der Erwerbstätigkeit in der Türkei hatte er zugleich am 14., 21. Februar 2006, 13. April und 6. November 2006 bei dem Jobcenter Friedrichshain-Kreuzberg vorgesprochen. Hiermit ist ein Wille zur Aufnahme einer Erwerbstätigkeit im Bundesgebiet wiederholt dokumentiert. Es mag zwar bei Ausreise im September 2005 ungewiss gewesen sein, wann er in das Bundesgebiet zu seiner Ehefrau zwecks Führung der ehelichen Lebensgemeinschaft dort wieder zurückkommen könnte. Dass ein solcher Rückkehrwille bereits bei Ausreise jedoch bestand, erscheint plausibel. Dies belegen die Bindungen die, wie dargelegt, im Bundesgebiet auch zwischenzeitlich nicht aufgegeben worden waren, sondern durch Besuchsaufenthalte, Aufenthalte zwecks Meldung beim Jobcenter und sogar Krankenbehandlung im Mai 2006 im Bundesgebiet aufrechterhalten worden sind. Bei einer solchen Sachlage dürfte die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit im Ausland zur Vermeidung einer weiteren Arbeitslosigkeit bei vorhandenem objektivierbaren Willen der Fortführung einer ehelichen Lebensgemeinschaft im Bundesgebiet nicht bereits zwingend den Schluss auf eine dauerhafte Ausreiseabsicht erlauben.

Soweit dem Antragsteller vom Antragsgegner und dem Verwaltungsgericht vorgeworfen wird, dass er die Frage der vorübergehenden Ausreise gemäß § 51 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG durch eine entsprechende Fristverlängerung zur Ausreise hätte klären lassen müssen, trifft dies so nicht zu. Diese Norm sieht lediglich die Möglichkeit der Verlängerung der Sechsmonatsfrist von § 51 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG zur Vermeidung des Erlöschens eines Aufenthaltstitels mit Ablauf der Sechsmonatsfrist nach Ausreise vor. Die Erforderlichkeit der Klärung der Frage des vorübergehenden Ausreisewillens vor Ausreise eines Ausländers durch die Ausländerbehörde im Rahmen der Anwendung von § 51 Abs. 1 Nr. 6 AufenthG regelt diese Norm nicht.

Hiernach waren der Sofortvollzug von Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung auszusetzen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 3 Nr. 2 i.V.m. § 52 Abs. 2, § 47 Abs. 1 des Gerichtskostengesetzes - GKG -.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 2 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

Ende der Entscheidung

Zurück