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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg
Urteil verkündet am 05.05.2006
Aktenzeichen: OVG 12 B 11.05
Rechtsgebiete: GG, AufenthG


Vorschriften:

GG Art. 16 a Abs. 1
AufenthG § 60 Abs. 1
AufenthG § 60 Abs. 2
AufenthG § 60 Abs. 3
AufenthG § 60 Abs. 4
AufenthG § 60 Abs. 5
AufenthG § 60 Abs. 6
AufenthG § 60 Abs. 7
Männliche Flüchtlinge mittleren Alters, die in ihrer Heimat über familiäre Strukturen verfügen, sind derzeit im Falle der Rückkehr nach Afghanistan extremen allgemeinen Gefahren i.S.d. § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG nicht ausgesetzt.
OVG 12 B 11.05

Verkündet am 5. Mai 2006

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 12. Senat auf die mündliche Verhandlung vom 24. Februar, 27. März und 5. Mai 2006 durch ... für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Frankfurt (Oder) vom 21. Oktober 2003 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten des Bundesbeauftragten für Asylangelegenheiten, die dieser selbst trägt.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Verpflichtung der Beklagten zur Asylanerkennung und Feststellung der Voraussetzungen von Abschiebungsverboten nach § 60 AufenthG.

Der 1975 in Herat geborene Kläger ist afghanischer Staatsangehöriger tadschikischer Volkszugehörigkeit und schiitischer Religionszugehörigkeit. Er verließ im Dezember 1998 Afghanistan und reiste am 12. März 1999 auf dem Landwege in die Bundesrepublik Deutschland ein.

Am 29. März 1999 beantragte er beim Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge seine Anerkennung als Asylberechtigter. Bei seiner Anhörung gab er zu den Gründen seiner Ausreise im Wesentlichen an, er sei etwa im Oktober 1998 von den Taliban zusammengeschlagen worden, weil er in seinem Auto Musik gehört habe. Zehn Tage vor der Ausreise sei sein Vater wegen seiner schiitischen Religionszugehörigkeit festgenommen worden. Weder er noch sein Vater hätten sich in Afghanistan in irgendeiner Form politisch aktiv betätigt. Wegen der Einzelheiten der Angaben des Klägers wird auf das Anhörungsprotokoll vom 8. April 1999 Bezug genommen.

Mit Bescheid vom 14. April 1999 lehnte das Bundesamt den Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigter ab, stellte fest, dass die Voraussetzungen der §§ 51 Abs. 1, 53 AuslG nicht vorliegen und forderte den Kläger unter Androhung der Abschiebung nach Afghanistan zur Ausreise auf. Der Bescheid wurde dem Kläger am 4. Mai 1999 in der Aufnahmeeinrichtung ausgehändigt. Mit seiner am 11. Mai 1999 vor dem Verwaltungsgericht Frankfurt (Oder) erhobenen Klage hat er sich darauf berufen, als Schiit rigoroser Verfolgung durch die Taliban ausgesetzt zu sein.

In der mündlichen Verhandlung vom 21. Oktober 2003 hat er ferner geltend gemacht, seine Familie habe in Herat auf Seiten des Schiitenführers "Ghari" gegen Ismail Khan gekämpft, weshalb ihm Verfolgung drohe, vor der ihn der afghanische Staat nicht schützen könne. Vom durch die Taliban verschleppten Vater gebe es bis heute kein Lebenszeichen. Der Kläger habe keinen Kontakt mehr zu früheren Verwandten und Bekannten in Herat und verfüge auch in Kabul nicht über Verwandte oder Bekannte.

Erstinstanzlich hat der Kläger beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 15. April 1999 zu verpflichten, den Kläger als Asylberechtigten anzuerkennen sowie festzustellen, dass bei dem Kläger die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG sowie Abschiebungshindernisse im Sinne des § 53 AuslG bezüglich Afghanistans vorliegen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das Verwaltungsgericht hat mit Urteil vom 21. Oktober 2003, zugestellt am 10. November 2003, die Klage abgewiesen. Mit am 24. November 2003 beim Verwaltungsgericht eingegangenem Schriftsatz hat der Kläger die Zulassung der Berufung beantragt. Dem hat der Senat mit am 29. November 2005 zugestelltem Beschluss entsprochen.

Mit seiner am 29. Dezember 2005 beim Oberverwaltungsgericht eingegangenen Berufungsbegründungsschrift macht er im Wesentlichen geltend, er befürchte, als Schiit und Unterstützer von "Quari Ahmad" in Herat politisch verfolgt zu werden. Der afghanische Staat sei nicht Willens und in der Lage, ihn vor Übergriffen des Clans von Ismail Khan zu schützen. Ihm drohe auch wegen der Zugehörigkeit zur schiitischen Glaubensminderheit politische Verfolgung. Von seinem von den Taliban verschleppten Vater gebe es bis heute kein Lebenszeichen. Abgesehen von "einer alten Oma" habe er in Herat keine Verwandten mehr.

Unter dem 16. Februar 2006 hat der Kläger ein Schreiben vorgelegt, das von seiner im Iran lebenden Schwester verfasst sein soll. Darin heißt es, der Kläger sei im Falle der Rückkehr nach Afghanistan der dringenden Gefahr ausgesetzt, Opfer der Blutrache zu werden, nachdem sein Vater den Mann getötet habe, der ihn seinerzeit bei den Taliban angezeigt hätte. Wegen des näheren Inhalts des Schreibens wird auf die vorgelegte Übersetzung Bezug genommen.

Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung am 24. Februar 2006 angegeben, die im Brief geschilderten Umstände seien ihm bis zum Erhalt desselben unbekannt gewesen. In Herat lebe seine Mutter zusammen mit zwei jüngeren Schwestern im Haus der Großmutter.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Frankfurt (Oder) vom 21. Oktober 2003 abzuändern und die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 15. April 1999 zu verpflichten,

1. den Kläger als Asylberechtigten anzuerkennen sowie festzustellen, dass in seiner Person die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG vorliegen,

2. hilfsweise festzustellen, dass in seiner Person Abschiebungsverbote im Sinne des § 60 Abs. 2 bis 5 AufenthG vorliegen,

3. äußerst hilfsweise festzustellen, dass in seiner Person ein Abschiebungsverbot im Sinne des § 60 Abs. 7 AufenthG besteht.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält weder die Voraussetzungen des Art. 16 a Abs. 1 GG noch diejenigen des § 60 AufenthG für gegeben.

Der Senat hat am 27. März 2006 den sachverständigen Zeugen Georg XX und am 5. Mai 2005 den sachverständigen Zeugen Dr. Mostafa Danesch zur Situation der aus Europa nach Afghanistan zurückkehrenden Flüchtlinge vernommen. Er hat ferner Stellungnahmen der International Organisation of Migration (IOM) und des Auswärtigen Amtes zur Durchführung des RANA-Programmes eingeholt. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschriften und die Schreiben von IOM vom 13. April 2006 und des Auswärtigen Amtes vom 18. April 2006 Bezug genommen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Streitakten, der Verwaltungsvorgänge der Beklagten und der Ausländerbehörde sowie auf die in das Verfahren eingeführten Erkenntnismittel Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

I. Die Berufung ist zulässig, soweit der Kläger ein Abschiebungsverbot nach § 60 AufenthG geltend macht. Soweit er seine Asylanerkennung nach Art. 16 a Abs. 1 GG begehrt, setzt er sich mit der angefochtenen Entscheidung des Verwaltungsgerichts nicht auseinander. Ob die Berufung daher insoweit mangels Begründung bereits unzulässig ist, lässt der Senat offen, weil sie insoweit jedenfalls unbegründet ist.

II. 1. Der Kläger kann sich gemäß Art. 16 a Abs. 2 Satz 1 GG, § 26 a Abs. 1 Satz 1 und 2 AsylVfG (in der Fassung der Bekanntmachung vom 27. Juli 1993, BGBl. I S. 1126, zuletzt geändert durch Gesetz vom 14. März 2005, BGBl. I S. 721) nicht auf Art. 16 a Abs. 1 GG berufen. Er ist auf dem Landweg in die Bundesrepublik Deutschland eingereist, somit durch einen sicheren Drittstaat (Anlage I zu § 26 a AsylVfG in der Fassung des Gesetzes vom 29. Oktober 1997, BGBl. I S. 2584).

2. Der Kläger kann von der Beklagten auch nicht die Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 1 AufenthG (vom 30. Juli 2004, BGBl. I. S. 1950, geändert durch Gesetz vom 14. März 2005, BGBl. I. S. 721) verlangen. Nach dessen Satz 1 darf in Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist.

Der Kläger macht geltend, als Angehöriger der schiitischen Glaubensminderheit von den Taliban (a), von der Regierung Karzai bzw. den mit der Regierung verflochtenen früheren Mujahedin-Angehörigen (b) und im Besonderen von Ismail Khan bzw. dessen Milizen (c) verfolgt zu werden.

a) Der Schutz des § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG ist dem Kläger nicht wegen drohender Verfolgung durch die Taliban zuzuerkennen.

aa) Er ist nicht aufgrund politischer Vorverfolgung durch die Taliban i.S.d. § 60 Abs. 1 AufenthG ausgereist. Der sog. herabgestufte Wahrscheinlichkeitsmaßstab, nach dem im Falle einer Vorverfolgung eine erneute Verfolgung hinreichend sicher ausgeschlossen sein muss, findet daher keine Anwendung (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 18. Februar 1997 - 9 C 9.96 - BVerwGE 104, 97, 98 ff. m.w.Nw.).

Sein Vortrag zu der behaupteten Verhaftung seines Vaters durch die Taliban ist zur Überzeugung des Senats insgesamt unglaubhaft: Bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt gab der Kläger zunächst an, bis einen Monat vor der Ausreise als selbständiger Schuster gearbeitet und sodann das Geschäft verkauft zu haben. In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat am 24. Februar 2006 hat er demgegenüber bekundet, der erste von zwei Schuhläden der Familie sei etwa zwei Tage nach der Verhaftung des Vaters, also etwa acht Tage vor der Ausreise des Klägers, verkauft worden.

Bei der Polizei in Senftenberg erklärte der Kläger am 26. März 1999, sein Vater habe an einen ihm unbekannten Schleuser 6.000 Dollar gezahlt und ihm gesagt, er solle sich bereithalten. Vor dem Bundesamt gab er demgegenüber am 8. April 1999 an, sein Vater habe ihn, vermittelt durch die Mutter, aus der Haft heraus zur Ausreise überredet. Vor dem Senat hat der Kläger am 24. Februar 2006 angegeben, das Geld für die Flucht sei nach dem Verkauf des ersten Geschäfts einem Freund seines Vaters übergeben worden, der für den Kläger die Flucht organisiert habe.

Im gerichtlichen Verfahren hat der Kläger noch mit der Berufungsbegründungsschrift vom 29. Dezember 2005 vortragen lassen, sein Vater sei von den Taliban verschleppt worden, es gebe bis heute kein Lebenszeichen von ihm. Nunmehr trägt er unter Bezugnahme auf einen vermeintlichen Brief seiner in Mesched, Iran, lebenden Schwester vor, der Vater des Klägers habe nach seinem Freikauf aus der Haft, etwa drei bis vier Monate nach der Ausreise des Klägers, seinen Geschäftsnachbarn im Streit getötet, weil dieser ihn bei den Taliban als Schiit und Unterstützer des "Ghari Ahmad" denunziert habe. Dies habe der Kläger bislang nicht angeben können, weil seine Schwester es ihm erst mit dem im Januar 2006 erhaltenen Brief offenbart habe, obwohl er nach seiner Ausreise noch etwa ein Jahr lang Kontakt zu seiner Schwester unterhalten und diesen bereits seit Anfang 2004 wieder aufgenommen habe. Das ist unglaubhaft. Denn es ist in keiner Weise erklärlich, warum die Schwester des Klägers ihm dies nicht bereits nach der angeblichen Befreiung des Vaters mitgeteilt haben sollte. Der Brief enthält dafür keine nachvollziehbare Begründung. Darin heißt es, die Schwester teile dem Kläger nunmehr die Wahrheit mit, weil er ihr bei dem letzten Telefonat von seiner eventuell bevorstehenden zwangsweisen Rückkehr nach Afghanistan berichtet habe. Sie hoffe, den Kläger mit der Wahrheit über seinen Vater nicht zu beunruhigen. Die Annahme, die Schwester des Klägers habe ihm etwa sieben Jahre lang vorenthalten, dass der Vater lebend aus der Haft bei den Taliban wieder hätte entkommen können, um ihm Beunruhigung zu ersparen, ist schon in sich nicht schlüssig und verbietet sich deshalb. Auch hätte der Schwester des Klägers klar sein müssen, dass dessen Rückkehr nach Afghanistan in den vergangenen sieben Jahren jederzeit hätte möglich sein können. Hätte sie ihn für den Fall der Rückkehr vor der Gefahr drohender Blutrache warnen wollen, hätte sie dies sogleich tun müssen. Dies gilt umso mehr, als nach dem Vortrag des Klägers über etwa vier Jahre der Kontakt zu seiner Schwester abgebrochen war, der Schwester also spätestens bei der Wiederaufnahme des Kontaktes im Jahre 2004 klar sein musste, dass sie ggf. von einer Rückkehr des Bruders nach Afghanistan nicht rechtzeitig erfahren würde, um ihn noch rechtzeitig warnen zu können.

Hinzukommt, dass der Kläger auch im erstinstanzlichen Verfahren unmittelbar vor der mündlichen Verhandlung seinen Vortrag erheblich gesteigert hat, indem er erstmalig und entgegen seinen früheren Angaben eine Beteiligung seiner Familie an Kämpfen gegen Ismail Khan geltend gemacht hat (hierzu sogleich zu c). Ferner hat er noch im Dezember 2005 mit der Berufungsbegründung vortragen lassen, "über keinerlei Verwandte mehr in Herat (zu verfügen) bis auf eine alte Oma, die nicht mehr fliehen konnte" (Schriftsatz vom 29. Dezember 2005, S. 1). In der mündlichen Verhandlung hat der Kläger demgegenüber am 24. Februar 2006 angegeben, in Herat lebten im Hause der Großmutter noch seine Mutter und zwei jüngere Schwestern. Seine Schwester lasse der Mutter über Reisende zwischen Mesched und Herat Nachrichten vom Kläger zukommen.

Für glaubhaft hält der Senat die auch vor dem Bundesamt bereits geäußerte Behauptung des Klägers, etwa im September oder Oktober 1998 von drei Taliban geschlagen worden zu sein, weil er im Auto Musik gehört habe.

Obwohl jede nicht ganz unerhebliche Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit einer Person durch staatliche Stellen, die an asylerhebliche Merkmale anknüpft, politische Verfolgung i.S.d. Art. 16 a Abs. 1 GG wie des § 51 Abs. 1 AuslG bzw. nunmehr des § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG darstellt, ohne dass es insoweit noch auf eine besondere Intensität oder Schwere des Eingriffs ankommt (vgl. etwa BVerwG, Urteil vom 25. Juli 2000 - 9 C 28.99 - BVerwGE 111, 334, 338 zu § 51 Abs. 1 AuslG), rechtfertigt der geschilderte Vorfall mangels einer Anknüpfung an ein asylerhebliches Merkmal nicht die Annahme einer Vorverfolgung i.S.d. § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG. Staatliche Verbote, die die Ausübung der Religion beeinträchtigen, stellen nur dann eine Verfolgung i.S.d. § 60 Abs. 1 AufenthG dar, wenn sie in das so genannte religiöse Existenzminimum eingreifen, wenn sie also die Religionsausübung abseits der Öffentlichkeit und in persönlicher Gemeinschaft mit anderen Gläubigen dort, wo man sich nach Treu und Glauben unter sich wissen darf, betreffen (BVerwG, Beschluss vom 25. Juni 2004 - 1 B 282.03 - Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 286, S. 117, 119 zu § 51 Abs. 1 AuslG; BVerfG, Beschluss vom 1. Juli 1987 - 2 BvR 478, 962/86 -, BVerfGE 76, 143, 158 ff. zu Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG a.F.). Zwar war das öffentliche wie private Hören von Musik unter den Taliban aus religiösen Gründen verboten (vgl. UNHCR, Stellungnahme zur Rückkehrgefährdung afghanischer Staatsangehöriger von Januar 2001, S. 6). Für den Kläger war das Hören der Musikkassette jedoch nicht religiös motiviert; es handelte sich vielmehr, wie er vor dem Bundesamt und dem Senat erklärt hat, um einfache Unterhaltungsmusik, die mit seinem Glauben in keinem Zusammenhang stand. Das mittels Gewalt durchgesetzte Verbot, in der Öffentlichkeit Musik zu hören, stellte daher für den Kläger bereits keinen Eingriff in seine Religionsfreiheit dar, geschweige denn, einen solchen in sein "religiöses Existenzminimum" im zuvor genannten Sinne. Es ist auch nichts dafür ersichtlich, dass die Taliban das Verbot, Musik zu hören, nur oder jedenfalls in strengerer Weise gegenüber Schiiten durchgesetzt, eine Verletzung dieses Verbots durch Sunniten jedoch toleriert haben. Es entsprach vielmehr gängiger Praxis, Verstöße gegen die Religionsvorschriften und den Sittenkodex sogleich mittels Gewalt zu ahnden (vgl. etwa Dr. Danesch, Gutachten für den Hessischen Verwaltungsgerichtshof vom 5. April 1997, S. 7 ff.).

Auch der weitere, in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat vom 24. Februar 2006 erstmalig geschilderte Vorfall, nämlich Schläge auf die Füße des Klägers wegen des Versuchs, eine Kontrolle der Taliban zu umgehen, stellte bereits mangels Anknüpfung an ein asylerhebliches Merkmal keine Vorverfolgung i.S.d. § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG dar. Im Übrigen stellt sich die Ausreise des Klägers bei der gebotenen objektiven Betrachtung (hierzu: BVerwG, Beschluss vom 13. November 2003 - 1 B 260.03 - Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 276 S. 101, 102) nach ihrem äußeren Erscheinungsbild nicht als durch vorgenanntes Ereignis ausgelöst dar.

bb) Eine landesweite Verfolgung des Klägers i.S.d. § 60 Abs. 1 Sätze 1 und 4 AufenthG durch Angehörige der Taliban in Anknüpfung an seine Volks- und Religionszugehörigkeit ist in absehbarer Zukunft nicht beachtlich wahrscheinlich. Sie kann darüber hinaus, ohne dass es darauf mangels Vorverfolgung ankäme, zur Überzeugung des Senats für die absehbare Zukunft hinreichend sicher ausgeschlossen werden. Ein solcher Ausschluss ist möglich, wenn mehr als überwiegend wahrscheinlich ist, dass keine erneute Verfolgung droht, wenn also keine ernsthaften Zweifel an zukünftiger Sicherheit bestehen; eines Ausschlusses erneuter Verfolgung "mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit" bedarf es hingegen nicht (BVerwG, Urteil vom 18. Februar 1997, a.a.O. S. 99.; vgl. auch Hailbronner, AuslR, Stand 3/1998, Art. 16 a GG Rn. 272 m.w.Nw. zur Rspr. des BVerwG).

(1) Die Wiedererlangung staatlicher (§ 60 Abs. 1 Satz 4 lit. a AufenthG) oder quasistaatlicher (§ 60 Abs. 1 Satz 4 lit. b AufenthG) Macht der Taliban und in deren Folge die Wiedererrichtung eines Regimes in gleich oder ähnlich restriktiver Form, wie es bis 2001 bestanden hat, kann derzeit und für die absehbare Zukunft mit hinreichender Sicherheit ausgeschossen werden (so im Ergebnis auch OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 6. Dezember 2005 - 6 A 11184/05.OVG - S. 6 UA; Bay. VGH, Urteil vom 16. Juni 2005 - 6 B 98.33657 - S. 11 UA; OVG für das Land Brandenburg, Beschluss vom 15. März 2005 - 3 A 810/03 - S. 3 BA; Hess. VGH, Urteil vom 11. November 2004 - 8 UE 2759/01.A - S. 10 UA).

Allerdings ist in den südöstlichen, südlichen und nunmehr auch südwestlichen Provinzen eine Reinfiltration von Islamisten, u.a. auch von Taliban, zu verzeichnen; jedoch werden diese von der Anti-Terror-Koalition bekämpft (Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 29. November 2005 [im Folgenden: Lagebericht 11/2005], S. 15; Neue Zürcher Zeitung vom 14. November 2005; Berliner Morgenpost vom 7. Oktober 2005). Die Koalitionskräfte gehen gemeinsam mit der afghanischen Armee gegen die Taliban vor (vgl. Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 24. Juni 2005). Es kann also nicht davon ausgegangen werden, dass die Regierung Karzai eine erneute Übernahme der Regierungsgewalt durch die Taliban fördert oder in Kauf nimmt. Daran ändert nichts, dass Hamid Karzai offensichtlich bemüht ist, gemäßigte ehemalige Taliban in die Regierung einzubinden (vgl. Dr. Danesch, Gutachten für das Verwaltungsgericht Frankfurt a.M. vom 20. Juni 2005 [im Folgenden: Danesch 6/2005], S. 5; ders. im Gutachten für das Sächsische Oberverwaltungsgericht vom 24. Juli 2004 [im Folgenden: Danesch 7/2004], S. 10) und sie in den Versöhnungsprozess einzubeziehen (Neue Zürcher Zeitung vom 14. November 2005). Etwas anders folgt auch nicht aus der Zusammensetzung des nunmehr gewählten Unterhauses: Zwar sind darin auch mindestens zwölf ehemalige Taliban-Kommandeure vertreten und ist das Parlament vermutlich konservativ ausgerichtet (Lagebericht 11/2005, S. 8). Ethnisch besteht jedoch eine Balance zwischen den Paschtunen einerseits und den nord- und zentralafghanischen Ethnien andererseits (a.a.O.).

Da auch in den Fällen des § 60 Abs. 1 Satz 4 lit. a und b AufenthG ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG nur bei landesweit drohender Verfolgung besteht (BVerwG, Urteil vom 12. April 2005 - 1 C 3/04 - NVwZ 2005, 1328), bestünde ein Verbot der Abschiebung des aus Herat stammenden Klägers im Übrigen selbst dann nicht, wenn es den Taliban gelänge, sich in näherer Zukunft im Süden oder Südosten des Landes als staatliche oder quasistaatliche Macht zu etablieren.

(2) Auch eine - landesweite - Verfolgung des Klägers durch Mitglieder der Taliban als nichtstaatliche Akteure i.S.d. § 60 Abs. 1 Satz 4 lit. c AufenthG kann hinreichend sicher ausgeschlossen werden. Zwar sind insbesondere in Kabul Anschläge u.a. der Taliban auch in jüngster Vergangenheit wiederholt vorgekommen (vgl. etwa die Welt vom 15. November 2005; Lagebericht 11/2005 S. 14). Es bestehen jedoch keine Anhaltspunkte dafür, dass die Taliban in Herat oder Kabul tadschikische Volkszugehörige schiitischer Religionszugehörigkeit in Anknüpfung an eines dieser Merkmale gezielt verfolgen (vgl. Danesch 7/2004 S. 37; Deutsches Orientinstitut, Gutachten für das Sächsische OVG vom 23. September 2004 [im Folgenden: Dt. Orientinstitut 9/2004], S. 11 und Auswärtiges Amt, Auskunft an das Sächsische OVG vom 17. Februar 2004 [im Folgenden: AA 2/2004], S. 3).

b) Auch soweit sich der Kläger auf eine Verfolgung durch die Regierung Karzai beruft, sind die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG nicht erfüllt.

aa) Der Kläger hat Afghanistan nicht aufgrund einer der Regierung Karzai zuzurechnenden Vorverfolgung im Sinne des § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG verlassen.

Dazu bedarf keiner Entscheidung, ob eine frühere Verfolgung durch Ismail Khan wegen seiner heutigen Stellung als Minister, wegen der nach wie vor erheblichen Macht seiner Milizen in Herat oder wegen einer Anknüpfung an dasselbe Ausgrenzungsmerkmal (hierzu: BVerwG, Urteil vom 18. Februar 1997 - 9 C 9.96 - BVerwGE 104, 97, 100 f.) bei der Prüfung einer drohenden Verfolgung durch die Regierung Karzai als Vorverfolgung zu behandeln wäre. Der erstmalig mit Schriftsatz vom 20. Oktober 2003 angedeutete und in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht vertiefte Vortrag des Klägers, seine Familie habe vor der Machtübernahme durch die Taliban auf Seiten eines "Quari" bzw. "Ghari" Ahmad gegen die Mujahedin-Fraktion des Ismail Khan gekämpft, weshalb ihm nunmehr seitens dieser Gruppierung Verfolgung drohe, ist zur Überzeugung des Senats verfahrensangepasst und ebenso unglaubhaft wie seine Behauptungen zur Verhaftung, Befreiung und Flucht seines Vaters (s.o. zu a). Bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt am 7. April 1999 hat der Kläger nämlich noch angegeben, weder er noch sein Vater seien in Afghanistan jemals politisch aktiv gewesen. Davon abgesehen begann die Einnahme von Herat durch die Taliban im August 1995 (vgl. UN, Bericht über die Situation der Menschenrechte in Afghanistan vom 27. Februar 1996, S. 11 und 23). Zuvor war es Ismail Khan bereits seit längerem gelungen, die zahlreichen verfeindeten Gruppierungen erfolgreich zu bekämpfen (Deutsches Orientinstitut, Gutachten für das Verwaltungsgericht Gießen vom 12. Mai 1995, S. 16 f.), nachdem er sich nach 1992 bereits gegen die "kommunistische" Regierung behauptet hatte (vgl. Danesch, 7/2004, S. 15). Ismail Khan oder Angehörige seiner Milizen hätten deshalb bereits vor der Machterlangung der Taliban in Herat an den Angehörigen der erfolgreich bekämpften Gruppierungen Rache üben können, wenn sie dies beabsichtigt hätten.

Es ist ferner auch nicht ersichtlich, dass die - behauptete - früher drohende Verfolgung durch Ismail Khan bei objektiver Betrachtung im Jahre 1998 noch Einfluss auf den Entschluss des Klägers zum Verlassen Afghanistans gehabt hat.

bb) Eine dem Kläger im Falle der Rückkehr durch die Regierung Karzai oder eines ihrer Mitglieder drohende Verfolgung allein wegen seiner tadschikischen Volkszugehörigkeit oder seiner schiitischen Glaubenszugehörigkeit ist nicht beachtlich wahrscheinlich; sie kann darüber hinaus auch mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden.

Wegen seiner Volkszugehörigkeit hätte der Kläger nach übereinstimmenden Auskünften keine Verfolgung zu befürchten (Danesch, 7/2004 S. 37; Dt. Orientinstitut 9/2004, S. 11; Auswärtiges Amt, Auskunft an das Sächsische Oberverwaltungsgericht vom 17. Februar 2004 [im Folgenden: AA 2/2004], S. 3; vgl. auch den Lagebericht 11/2005, S. 19 ff., der Tadschiken als ethnisch verfolgte Gruppe nicht nennt). Die Tadschiken stellen nach Schätzungen die zweitgrößte Volksgruppe Afghanistans dar; ihre Sprache Dari ist neben Paschtu als Amtssprache in der Verfassung festgeschrieben (Lagebericht 11/2005, S. 9). Sie sind in der Regierung Karzai in bedeutenden Ministerien (vgl. Danesch, 7/2004 S. 2 f.) und auch im Parlament repräsentiert (so etwa Yunis Quanuni, vgl. Süddeutsche Zeitung vom 14. November 2005).

Auch eine landesweite Verfolgung des Klägers wegen seiner schiitischen Glaubenszugehörigkeit lässt sich mit hinreichender Sicherheit ausschließen. Die genannten fachkundigen Stellen (Danesch 7/2004 S. 37; Dt. Orientinstitut 9/2004 S. 11; AA 2/2004 S. 3) gehen übereinstimmend davon aus, dass Tadschiken schiitischer Religionszugehörigkeit allein wegen ihres Glaubens keine Verfolgung zu befürchten haben. Auch der Lagebericht 11/2005 erwähnt eine Verfolgung tadschikischer Schiiten nicht. Er führt lediglich an, im März 2004 sei es nach abfälligen Äußerungen einiger Rekruten der afghanischen Armee gegenüber den Teilnehmern einer schiitischen Prozession zu Auseinandersetzungen gekommen, bei denen mehrere Rekruten verletzt wurden (Lagebericht 11/2005 S. 23 zu d.).

Die vom Kläger für seine Behauptung, ihm drohe bereits aufgrund seiner Glaubenszugehörigkeit politische Verfolgung, angeführte Stellungnahme des Reiseberichts des Österreichischen Roten Kreuzes (ÖRK) von September 2003 (S. 64) verhält sich zur Bevölkerungsgruppe der schiitischen Hazara, zu der der Kläger nicht gehört. Im Übrigen greift der Kläger lediglich zwei einzelne Sätze aus dieser Stellungnahme heraus. Nimmt man auch die weiteren Ausführungen des ÖRK zur aktuellen Situation der Hazara in den Blick, lässt sich nicht feststellen, dass die seinerzeit von den Taliban ausgehende Verfolgung der Hazara aktuell durch die Regierung Karzai oder einzelne ihrer Regierungsmitglieder fortgeführt wird. Im Gegenteil ist der Führer der die Interessen der Hazara vertretenden Wahdat-Partei, Abdul Karim Khalili (hierzu: Danesch 7/2004, S. 17), einer der zwei Vizepräsidenten Afghanistans.

Anhaltspunkte für ein staatliches "Verfolgungsprogramm" gegen Schiiten tad-schikischer Volkszugehörigkeit liegen nicht vor (hierzu: BVerwG, Urteil vom 5. Juli 1994 - 9 C 158/94 - BVerwGE 96, 200; 203 f.). Auch gibt es keine Anzeichen für eine Verfolgungsdichte von gruppengerichteten Verfolgungshandlungen gegen Schiiten tadschikischer Volkszugehörigkeit, die den Schluss erlauben würden, dass für alle Gruppenangehörigen nicht nur die Möglichkeit, sondern ohne weiteres die aktuelle Gefahr eigener Betroffenheit besteht (hierzu etwa: BVerwG, Beschluss vom 23. Dezember 2002 - 1 B 42.02 - Buchholz 11 Art. 16 a Nr. 49 S. 48).

c) Eine landesweite Verfolgung des Klägers im Sinne des § 60 Abs. 1 Sätze 1 und 4 AufenthG durch Ismail Khan oder Angehörige seiner Milizen ist nicht beachtlich wahrscheinlich und kann darüber hinaus mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden.

Wie bereits ausgeführt, drohte und droht dem Kläger keine individuelle Verfolgung aufgrund einer Beteiligung seiner Familie an Kämpfen gegen Ismail Khan.

Dass Ismail Khan oder Angehörige seiner Milizen in Herat oder Kabul tadschikische Volkszugehörige schiitischen Glaubens allein wegen ihrer Religionszugehörigkeit systematisch verfolgen würden, ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Der Kläger hat bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt selbst angegeben, dass vor der Machtübernahme durch die Taliban ein sehr großer Anteil (nach Einschätzung des Klägers etwa 40 %) der Bevölkerung Herats schiitischen Glaubens war. Von einer systematischen Verfolgung dieses Bevölkerungsteils durch Ismail Khan allein aufgrund der Glaubenszugehörigkeit ist nichts bekannt. Dieser pflegt im Übrigen seit jeher sehr gute Beziehungen zum Iran (vgl. Danesch 7/2004 S. 15 ff.), was mit einer systematischen Verfolgung von Schiiten kaum vereinbar sein dürfte.

3. Der Kläger kann sich nicht mit Erfolg auf ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 2 AufenthG berufen. Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass ihm im Falle der Rückkehr nach Afghanistan dort mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit (zu diesem Wahrscheinlichkeitsmaßstab vgl. nur Renner, AuslR, 8. Aufl., § 60 Rn. 38) Folter droht, bestehen nicht.

4. Auch § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK steht einer Abschiebung des Klägers nach Afghanistan nicht entgegen. Es bestehen keine hinreichend gewichtigen Anzeichen dafür, dass ihm im Falle der Rückkehr nach Afghanistan dort mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht, unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen zu werden.

Abschiebungsschutz nach § 53 Abs. 4 AuslG i.V.m. Art. 3 EMRK konnte bis zum 31. Dezember 2004 nur beanspruchen, wem im Zielland der Abschiebung landesweit die Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Strafe oder Behandlung durch den Staat oder eine staatsähnliche Organisation drohte (BVerwG, Urteil vom 15. April 1997 - 9 C 38.96 - BVerwGE 104, 265). Daran hat sich auch unter der Geltung des nach seinem Wortlaut mit der früheren Regelung identischen § 60 Abs. 5 AufenthG nichts geändert. Die Erstreckung auf eine Verfolgung durch Private hat der Gesetzgeber des Aufenthaltsgesetzes nur für § 60 Abs. 1 AufenthG vorgenommen. Ob er damit den Anforderungen an Artt. 6, 15 lit. b und 18 der Richtlinie des Rates der Europäischen Union 2004/83/EG vom 29. April 2004 (Amtsblatt der Europäischen Union L304/12; sog. Qualifikationsrichtlinie) genügt, kann mangels Ablaufs der Umsetzungsfrist und mangels verpflichtender Vorwirkung der Richtlinie dahinstehen (hierzu BVerwG, Urteil vom 1. November 2005, a.a.O. S. 15; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 12. Mai 2005 - A 3 S 358/05 -, AuAS 2005, 14; OVG für das Land Schleswig-Holstein, Beschluss vom 13. Juli 2005 - 1 LA 68/05 - AuAS 2005, 22 m.w.N.; OVG für das Land Nordrhein-Westfahlen, Urteil vom 5. April 2006 - 20 A 5161/04.A, UA S. 7).

Eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung durch Angehörige der Taliban würde daher bereits mangels Staatlichkeit dieser Organisation den Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK nicht genügen. Gleiches gilt für die geltend gemachte Gefahr vor der Blutrache seitens der Angehörigen des angeblich vom Vater des Klägers getöteten Mannes. Davon abgesehen ist dieser Vortrag unglaubhaft, wie bereits ausgeführt wurde.

Dem Kläger droht, wie gleichfalls bereits dargelegt wurde, auch nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgung - und somit auch keine unmenschliche oder erniedrigende Bestrafung oder Behandlung - durch Ismail Khan oder Angehörige seiner Milizen. Dahin stehen kann daher, ob Ismail Khan in Herat über eine staatsähnliche Macht verfügt (so etwa der Hessische VGH, Urteil vom 10. Mai 2005 - 8 UE 185/02.A - S. 35 f.). Auch von der Regierung Karzai droht dem Kläger nach dem zu § 60 Abs. 1 AufenthG bereits Gesagten eine solche Behandlung nicht.

Ein Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungsverbots aus § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 8 EMRK besteht gegenüber der Beklagten nicht. Ihr obliegt nur die Prüfung zielstaatsbezogener Abschiebungshindernisse; sie hat nicht zu prüfen, ob auch die Ehefrau und das Kind des Klägers nach Afghanistan abgeschoben werden können und falls nicht, ob der Schutz von Ehe und Familie einer Abschiebung des Klägers entgegensteht (vgl. BVerwG, Urteil vom 21. September 1999 - 9 C 12.99 - BVerwGE 109, 305, 309 f.).

5. Der Kläger kann von der Beklagten auch nicht die Feststellung der Voraussetzungen eines Abschiebungsverbotes gemäß § 60 Abs. 7 AufenthG verlangen.

a) Ihm droht im Falle seiner Rückkehr nach Afghanistan nicht landesweit eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit i.S.d. § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG, die nicht zugleich auch der Bevölkerung oder einer Bevölkerungsgruppe i.S.d. Satzes 2 der Norm droht.

Wie bereits ausgeführt wurde, ist seine Behauptung unglaubhaft, er habe im Falle der Rückkehr die Blutrache seitens der Angehörigen des von seinem Vater vermeintlich Getöteten zu befürchten. Auch wurde bereits dargelegt, dass eine individuelle Verfolgung des Klägers durch Angehörige der Milizen des Ismail Khan nicht beachtlich wahrscheinlich ist.

b) Gemäß § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG werden Gefahren, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, bei Entscheidungen nach § 60 a Abs. 1 Satz 1 AufenthG berücksichtigt. Eine Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung eines Abschiebungshindernisses würde daher voraussetzen, dass Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG eine verfassungskonforme Überwindung dieser Sperrwirkung gebieten. Das ist nicht der Fall.

aa) Eine allgemeine Gefahr im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG liegt vor, wenn ein Missstand im Abschiebezielstaat die Bevölkerung insgesamt oder eine Bevölkerungsgruppe so trifft, dass grundsätzlich jedem, der der Bevölkerung oder Bevölkerungsgruppe angehört, deshalb mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine erhebliche Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit i.S.d. § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG droht. Ist die von der allgemeinen Gefahr betroffene Gruppe so groß und die Gefahr von solcher Art, dass es einer politischen Leitentscheidung nach § 60 a Abs. 1 Satz 1 AufenthG bedarf, greift die Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG ein (BVerwG, Urteil vom 12. Juli 2001 - 1 C 5.01 -, Buchholz 402.240 § 53 AuslG Nr. 49, S. 71, 74 zur entsprechenden Rechtslage nach §§ 53 Abs. 6, 54 AuslG). Individuelle Gefährdungen des Ausländers, die sich aus einer allgemeinen Gefahr in diesem Sinne ergeben, können auch dann nicht als Abschiebungshindernis unmittelbar nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG berücksichtigt werden, wenn sie - auch - durch Umstände in der Person oder in den Lebensverhältnissen des Ausländers begründet oder verstärkt werden, aber gleichwohl insgesamt nur typische Auswirkungen der allgemeinen Gefahrenlage sind (BVerwG, Urteil vom 8. Dezember 1998 - 9 C 4/98 - BVerwGE 108, 77, 82).

Soweit sich der Kläger auf Gefahren aufgrund der allgemeinen Sicherheits- und Versorgungslage in Afghanistan beruft, handelt es sich um solche, denen die gesamte afghanische Bevölkerung ausgesetzt ist. Möglicherweise kann angenommen werden, dass den aus Europa, Nordamerika und Australien zurückkehrenden Flüchtlingen wegen bei ihnen vermuteter finanzieller Mittel sogar besondere Gefahren drohen. An der Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG würde dies nichts ändern, weil auch solche Umstände für die genannte Untergruppe von Rückkehrern eine politische Entscheidung in dem zuvor dargestellten Sinn erfordern würde.

bb) Eine Durchbrechung der Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG darf nur erfolgen, sofern dem Ausländer nicht bereits anderweitig hinreichender Schutz vor einer Abschiebung zur Verfügung steht (vgl. BVerwG, Urteil vom 12. Juli 2001 - 1 C 2.01 -, Buchholz 402.240 § 53 AuslG Nr. 50 zu § 53 Abs. 6 Satz 2 AuslG). Nach dem Erlass des Innenministeriums des Landes Brandenburg Nr. 8/2005 vom 22. Juli 2005 kann nunmehr mit einer "Rückführung afghanischer Staatsangehöriger in einer überschaubaren Größenordnung" begonnen werden. In Abhängigkeit von den Rückführungsmöglichkeiten sollen ab dem 1. Juli 2005 mit Vorrang zurückgeführt werden: Straftäter; Personen, gegen die Ausweisungsgründe vorliegen oder die die innere Sicherheit gefährden. Ferner sollen mit Vorrang zurückgeführt werden volljährige, allein stehende Männer, die sich am 24. Juni 2005 noch keine sechs Jahre im Bundesgebiet aufgehalten haben. Im Übrigen sind bei der Rückführung die Dauer des Aufenthalts, der Familienstand, das Geschlecht und Alter sowie die berufliche Situation zu berücksichtigen (vgl. Nr. II 3 des Erlasses). Unter engen Voraussetzungen sieht der Erlass (zu III.) eine Bleiberechtsregelung vor, deren Voraussetzungen der Kläger jedoch nicht erfüllt. Auch im Hinblick darauf, dass er mit seiner Ehefrau und dem erst im Juni 2003 geborenen gemeinsamen Kind zusammenlebt, also nicht unter den Kreis der vorrangig zurückzuführenden Personen fällt, gewährt ihm die gegenwärtige Erlasslage in Brandenburg keinen mit dem nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG bzw. § 60 a Abs. 1 AufenthG gleichwertigen Schutz (vgl. für diesen Personenkreis nach hessischer Erlasslage aber Hessischer VGH, Beschluss vom 13. Oktober 2005 - 8 UE 1274/04.A -, S. 15 f. des BA). Denn auch für Familien sieht der Erlass grundsätzlich die Rückführung vor, ohne ihnen ein weiteres Bleiberecht für einen bestimmten oder jedenfalls verlässlich bestimmbaren Zeitraum einzuräumen. Dementsprechend hat die für den Kläger und seine Angehörigen zuständige Ausländerbehörde mit Bescheid vom 28. November 2005 die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnisse der Ehefrau und des Kindes des Klägers abgelehnt und ihnen lediglich sog. Grenzübertrittsbescheinigungen erteilt.

cc) Die verfassungskonforme Überwindung der Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG ist nur gerechtfertigt, wenn der Ausländer im Zielstaat landesweit (BVerwG, Beschluss vom 4. Februar 2004 - 1 B 291.03 - Buchholz 402.240 § 53 AuslG Nr. 75 S. 123 f.) mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen allgemeinen Gefahr dergestalt begegnen würde, dass er gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde (st. Rspr. des BVerwG zur entsprechenden Regelung des § 53 Abs. 6 Satz 2 AuslG, vgl. etwa Beschluss vom 16. September 2004 - 1 B 132.04 - Buchholz 402.240 § 53 AuslG Nr. 80 S. 133 f.). Das ist bei einer allgemein schlechten Sicherheits- und Versorgungslage der Fall, wenn der Ausländer alsbald nach seiner Rückkehr in eine lebensbedrohliche Bedrängnis geraten würde, aus der er sich weder allein noch mit erreichbarer Hilfe Anderer befreien kann. Eine nur "unberechenbare" Sicherheitslage genügt ebenso wenig wie eine "hohe Zahl von Opfern" unter der Zivilbevölkerung oder eine nur "erhebliche Gefahr" (BVerwG, Beschluss vom 7. Oktober 2004 - 1 B 121.04 - Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 293 S. 127). Das Erfordernis der Unmittelbarkeit der Gefahr und ihres hohen Wahrscheinlichkeitsgrades besagt nicht, dass Tod oder schwerste Verletzungen sofort, gewissermaßen noch am Tag der Ankunft im Zielstaat eintreten müssen. Eine extreme Gefahrenlage liegt vielmehr etwa auch dann vor, wenn der Ausländer mangels jeglicher Lebensgrundlage dem baldigen sicheren Tod ausgeliefert werden würde (BVerwG, Beschluss vom 26. Januar 1999 - 9 B 617/98 - Buchholz 402.240 § 53 AuslG Nr. 14).

Es lässt sich nicht feststellen, dass dem Kläger bei seiner Rückkehr nach Afghanistan landesweit mit hoher Wahrscheinlichkeit derartige extreme Gefahren für Leib und Leben drohen.

(1) Sollte er bis zum 15. August 2006 Kabul erreichen, würde die Flugreise von Kabul nach Herat ausweislich der insoweit glaubhaften Angabe des sachverständigen Zeugen David in der mündlichen Verhandlung vom 27. März 2006 und der schriftlichen Mitteilung der IOM gegenüber dem Senat vom 13. April 2006 im Rahmen des RANA-Programms von IOM übernommen werden. Der Kläger hat Kenntnis von diesem Programm. Es ist ihm zuzumuten, das in Kabul ansässige Büro von IOM über seine Ankunft zu unterrichten. Selbst wenn er entgegen den Angaben des Zeugen David nicht bereits am Flughafen von den Mitarbeitern von IOM in Empfang genommen werden könnte, liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass es ihm unmöglich wäre, das in Kabul befindliche IOM-Büro zu erreichen. Der Preis für ein Taxi vom Flughafen Kabul in die Innenstadt beläuft sich nach den Angaben des sachverständigen Zeugen Dr. Danesch in der mündlichen Verhandlung vom 5. Mai 2006 auf etwa $ 8. Der Betrag wird den Rückkehrern nach Auskunft dieses Zeugen von IOM erstattet.

Auch wenn der Kläger erst nach dem Auslaufen des RANA-Programmes Kabul erreichen und ein Folgeprogramm nicht aufgelegt werden sollte, was derzeit noch ungewiss ist (vgl. die Mitteilung von IOM gegenüber dem Senat vom 13. April 2006), lässt sich nicht feststellen, dass dem Kläger eine Weiterreise nach Herat unmöglich wäre. Ausweislich der Angabe des sachverständigen Zeugen Dr. Danesch in der mündlichen Verhandlung am 5. Mai 2005 bestehen zwischen Kabul und Herat regelmäßige Busverbindungen. Gemessen am vom Zeugen angegebenen Fahrpreis für die Strecke Kabul - Kandahar von etwa 800 Afghani (das entspricht etwa $ 16) ist dem Kläger, sollte er über hinreichende finanzielle Mittel für einen Flug von Kabul nach Herat nicht verfügen, selbst beim gegenwärtigen Bezug von Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz möglich, den Fahrpreis für die Busreise von Kabul nach Herat zu bestreiten.

Die Sicherheitslage macht eine Weiterreise des Klägers von Kabul nach Herat auf dem Landweg nicht unmöglich, auch wenn sich der Kläger dazu für kurze Zeit in Kabul aufhalten müsste.

Der Weg vom Flughafen in die Innenstadt wird vom Auswärtigen Amt als "vergleichsweise sicher eingestuft" (Lagebericht 11/2005, S. 34); anders lautende Erkenntnisse liegen nicht vor. Zwar kommt es auch in Kabul immer wieder zu Raketenbeschuss und terroristischen Anschlägen; die Sicherheitslage wird jedoch, wenn auch als "fragil", so doch als "im regionalen Vergleich zufrieden stellend" (Lagebericht 11/2005, S. 14) oder als "weitest gehend stabil" (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Afghanistan, Update vom 3. Februar 2006 [im Folgenden: SFH 2/2006], S. 3) dargestellt. Die Kriminalitätsrate ist nach verschiedenen übereinstimmenden Auskünften hoch. Danach kommt es regelmäßig zu Morden, Raubüberfällen, Entführungen und Erpressungen, von denen insbesondere auch aus dem Westen zurückkehrende Flüchtlinge betroffen sein können, bei denen Geld vermutet wird. Die afghanischen Polizei- und Sicherheitskräfte bieten kaum ausreichenden Schutz; sie sind in manchen Fällen selbst Täter oder schützen diese zumindest und sind - aufgrund ihres geringen Einkommens - in hohem Maße korrupt. Effektiver Rechtsschutz fehlt [vgl. zum Ganzen etwa Lagebericht 11/2005, S. 14 f.; Danesch 7/2004, S. 23 f.; SFH 2/2006, S. 4; Bericht des Informationsverbundes Asyl e.V./ Pro Asyl, Rückkehr nach Afghanistan, Bericht über eine Untersuchung in Afghanistan von März bis Juni 2005 (im Folgenden: Pro Asyl 6/2005), S. 5 ff.)]. Die vom Senat vernommenen sachverständigen Zeugen beurteilen die allgemeine Kriminalität unterschiedlich: Der Zeuge David schätzt die Kriminalitätsrate als nicht besonders hoch und eher günstiger als diejenige in einer deutschen Großstadt ein. Der Zeuge Dr. Danesch hingegen hält sie für "hoch bedrohlich". Es komme täglich zu Übergriffen schlimmster Art wie Morden, Vergewaltigungen und Entführungen. Auch zurückgekehrte afghanische Flüchtlinge seien generell von Kriminalität bedroht, sofern sie als jemand erkannt würden, der über Geld verfüge.

Die Bewertung dieser Umstände erlaubt zur Überzeugung des Senats nicht den Schluss, dass prinzipiell jeder aus Westeuropa zurückkehrende Flüchtling mit der für eine verfassungskonforme Durchbrechung der Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG erforderlichen hohen Wahrscheinlichkeit zu erwarten hat, in Kabul alsbald Opfer eines lebensbedrohlichen kriminellen Übergriffs zu werden (so auch OVG für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 5. April 2006 - 20 A 5161/04.A - , UA S. 14). Für den Kläger, der sich allenfalls kurze Zeit bis zur Weiterreise nach Herat in Kabul aufhalten muss, gilt dies erst recht. Zwar geht der Senat unter Berücksichtigung aller verfügbaren Auskünfte davon aus, dass die Kriminalität in Afghanistan und insbesondere in Kabul entgegen der Einschätzung des Zeugen David ein weitaus erheblicheres Problem für die Bevölkerung darstellt, als dies in deutschen Großstädten der Fall ist. Andererseits lässt sich jedoch aus den verfügbaren Erkenntnismitteln nicht folgern, jeder - aus Westeuropa - zurückkehrende Flüchtling werde mit hoher Wahrscheinlichkeit alsbald Opfer eines gegen ihn verübten Gewaltdelikts werden. Auch der Zeuge Dr. Danesch, der das Problem der Kriminalität am eindringlichsten beschreibt, hat angegeben, sich selbst frei in Kabul bewegen zu können, weil er die Landessprache beherrsche, die Mentalität der Menschen kenne und als Iraner weniger gefährdet sei als etwa ein Westeuropäer. All dies trifft auf den in Afghanistan aufgewachsenen Kläger erst recht zu.

Sofern eine Busreise durch den Norden des Landes, also insbesondere über Mazar-i-Sharif und Shebergan, möglich sein sollte, liegen konkrete Anhaltspunkte für eine Reisenden mit hoher Wahrscheinlichkeit drohende Gefährdung nicht vor. Auch ist es dem Kläger möglich und zumutbar, über Kandahar nach Herat zu reisen. Zwar wird die inzwischen fertig gestellte Fernstraße zwischen Kabul und Kandahar vom Auswärtigen Amt als "gefährlich" bezeichnet, weil es in den letzten Monaten "vermehrt" zu Überfällen seitens den Taliban zuzurechnender Kräfte gekommen sei (Lagebericht 11/005, S. 34). Der Zeuge Dr. Danesch hat jedoch bei seiner Befragung angegeben, Reisen seien im ganzen Land "unter Inkaufnahme mancher Gefahren" möglich, er selbst habe eine Busreise von Kabul nach Kandahar unternommen. Vor diesem Hintergrund lässt sich nicht feststellen, dass der Kläger bei einer ggf. notwendigen Busreise über Kandahar mit hoher Wahrscheinlichkeit einen lebensbedrohlichen Angriff oder Überfall zu befürchten hätte.

(2) Der Kläger ist auch in Herat nicht allgemeinen Gefahren ausgesetzt, die eine Überwindung der Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG rechtfertigen.

Die allgemeine Sicherheitslage in Herat wird trotz vereinzelt vorkommender Sprengstoffanschläge als relativ stabil bezeichnet (Lagebericht 11/2005, S. 16, Danesch 7/2004, S. 16). Zwar wird angenommen, dass auch in den Provinzhauptstädten mit der Rückkehr von Flüchtlingen ein Ansteigen der allgemeinen Kriminalität einhergehe (vgl. Pro Asyl 6/2005, S. 6). Anhaltspunkte dafür, dass die Kriminalität in Herat bedrohlichere Ausmaße als in Kabul annimmt, liegen jedoch nicht vor. Es lässt sich daher auch für Herat nicht feststellen, dass Rückkehrer alsbald mit hoher Wahrscheinlichkeit Opfer eines gegen sie gerichteten lebensbedrohlichen kriminellen Verbrechens werden, zumal wenn sie wie der Kläger in dortige familiäre Strukturen zurückkehren. Von dem ernsthaften Problem organisierter Kindesentführungen, die auch in Herat vorkommen sollen (Pro Asyl 2005, S. 6), ist der Kläger nicht selbst betroffen. Auf eine Rückkehrmöglichkeit seiner Frau oder seines Kindes kommt es für die Frage, ob dem Kläger selbst Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 AufenthG zu gewähren ist, nicht an (vgl. BVerwG, Urteil vom 16. Juni 2004 - 1 C 27.03 - Buchholz 402.240 § 53 Nr. 78 S. 129 f.).

Auch die Versorgungslage in Herat erlaubt vorliegend keine Durchbrechung der Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG.

Staatliche soziale Sicherungssysteme bestehen in Afghanistan nicht. Die notwendige soziale Absicherung wird durch Familien und Stämme übernommen (vgl. etwa Lagebericht 11/2005, S. 32; SFH 2/2006, S. 9; Pro Asyl 2005, S. 20). Nach den Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung vom 24. Februar 2006 leben in Herat im Haus seiner Großmutter seine Mutter, die Herat nie verlassen haben soll, und zwei jüngere Schwestern. Diese müssen über Einkommen oder Vermögen verfügen, denn andernfalls hätten sie ihren Lebensunterhalt nicht bis heute sicherstellen können. Dass sie vom Kläger unterhalten wurden, hat er nicht behauptet und ist auch nicht ersichtlich. Es ist davon auszugehen, dass auch der Kläger bei seiner Rückkehr zunächst Unterkunft im Haus seiner Großmutter oder sonstigen Verwandten oder Bekannten finden kann, sollte er darauf angewiesen sein. Ebenso ist zu erwarten, dass er von seinen Angehörigen mit den notwendigsten Lebensmitteln versorgt werden wird, solange er dazu nicht selbst in der Lage ist. Dabei geht der Senat davon aus, dass der Kläger jedenfalls nach einer kurzen Orientierungsphase selbst seinen Lebensunterhalt wird sicherstellen können. Der Zeuge David schätzt die Situation in Herat im Vergleich mit den sonstigen Städten Afghanistans als am besten ein. Die Stadt sei im Krieg weitgehend unzerstört geblieben und verfüge über funktionierende öffentliche Strukturen. Dies steht in Einklang mit früheren Bewertungen weiterer Auskunftspersonen (vgl. zur "geringfügig günstigeren" wirtschaftlichen Situation etwa Danesch 7/2004, S. 51, und zum Aufbau von Schul- und Verwaltungsstrukturen Dr. Glatzer, Gutachten für das Schleswig-Holsteinische Verwaltungsgericht von August 2002, S. 2). Der Kläger hat seinen Angaben zufolge vor seiner Ausreise als selbständiger Schuster gearbeitet, verfügt folglich sowohl über kaufmännische als auch handwerkliche Fertigkeiten. Ausweislich seiner Angaben im Asylverfahren spricht er Dari und Farsi; ferner verfügt er aufgrund seines Aufenthalts in Deutschland jedenfalls auch über Grundkenntnisse der deutschen Sprache. Zwar genügen solche Kenntnisse möglicherweise noch nicht dazu, um von deutschen Stellen in Afghanistan als Dolmetscher oder Übersetzer angestellt zu werden, wie der Zeuge Dr. Danesch bei seiner Befragung angegeben hat. Jedoch gibt es eine Vielzahl von weniger qualifizierten Tätigkeiten (etwa als Bote, Fahrer, Wachpersonal, Hausmeister etc.), für die bereits geringe Kenntnisse einer fremden Sprache (insbesondere auch der lateinischen Schriftsprache) nützlich sind und gegenüber anderen Bewerbern Vorteile bringen. Bereits die Sprachkenntnisse des Klägers heben ihn daher deutlich von der Masse der Analphabeten in Afghanistan und insbesondere auch in Herat ab. Die Möglichkeiten des handwerklich vorgebildeten Klägers, in Herat ein Auskommen zu finden, sind zur Überzeugung des Senats deutlich besser als etwa diejenigen der überwiegend analphabetischen verarmten Bauern und Nomaden, die als Binnenflüchtlinge in den Flüchtlingslagern bei Herat leben müssen (hierzu Danesch 7/2004, S. 52; Pro Asyl, 6/2005, S. 18). Sollte dem Kläger nicht möglich sein, seine Sprachkenntnisse nutzbringend einzusetzen und sollte er auch seine frühere Tätigkeit als Schuster nicht wieder aufnehmen können, ist ihm zuzumuten, sich um Gelegenheitsarbeiten, etwa im Baugewerbe, zu bemühen. Nach Auskunft des Zeugen David gibt es nicht nur in Kabul, sondern "überall im Land (...) eine enorme Bautätigkeit", weshalb er versuche, zurückkehrenden Flüchtlingen vornehmlich eine Beschäftigung im Bausektor zu vermitteln (S. 5 der Verhandlungsniederschrift vom 27. März 2006). Zwar schätzt der Zeuge Dr. Danesch die Möglichkeiten für Rückkehrer, im Baugewerbe eine Beschäftigung zu finden, als erheblich geringer ein; auch er räumt jedoch jedenfalls die Möglichkeit ein, sich im Baugewerbe "von Zeit zu Zeit als Tagelöhner verdingen" und so "über Wasser halten zu können" (S. 7 der Verhandlungsniederschrift vom 5. Mai 2005).

Nach Allem kann - zumal angesichts seines familiären Rückhalts in Herat - nicht angenommen werden, dass der Kläger mit hoher Wahrscheinlichkeit alsbald nach seiner Rückkehr verhungern wird, weil er keinerlei Möglichkeit findet, seinen notwendigen Lebensunterhalt sicherzustellen.

Schließlich rechtfertigt auch die medizinische Versorgung der Bevölkerung Afghanistans nicht die Feststellung, der Kläger werde im Falle der Rückkehr alsbald mit hoher Wahrscheinlichkeit in eine lebensbedrohliche Lage kommen. Nach übereinstimmenden Auskünften verschiedener Stellen ist die private wie öffentliche medizinische Versorgung allerdings noch unzureichend (Lagebericht 11/2005, S. 31; SFH 2/2006, S. 11; Pro Asyl 6/2005, S. 8 und 22; Danesch 7/2004, S. 43 ff.). Den Angaben des afghanischen Gesundheitsministeriums zufolge wird ein Schwerpunkt auf die medizinische Grundversorgung der Bevölkerung gelegt, die in 77 % des Landes verfügbar sein soll, was indes von anderen Quellen bestritten werde (so die Schweizer Flüchtlingshilfe, SFH 2/2006, S. 11). Nach den Angaben der Delegation, die im Frühjahr 2005 das Land bereiste, können in den Krankenhäusern jedenfalls "einfache Krankheiten eines sonst normal Gesunden" behandelt werden (Pro Asyl 6/2005, S. 8). Die Behandlung in öffentlichen Krankenhäusern ist grundsätzlich kostenlos; allerdings müssen Medikamente vom Patienten selbst beschafft und sowohl Ärzte als auch sonstiges Krankenhauspersonal aufgrund ihres unzureichenden Einkommens zusätzlich vom Patienten "entlohnt" werden (vgl. etwa Pro Asyl, a.a.O. sowie die Angaben der vernommenen Zeugen).

Der im Jahre 1975 geborene Kläger ist mangels gegenteiliger Anhaltspunkte gesund, also auf eine regelmäßige ärztliche oder medikamentöse Behandlung nicht angewiesen. Unabhängig davon ist nach der geschilderten Auskunftslage davon auszugehen, dass jedenfalls die auch bei einem grundsätzlich gesunden Mann im Alter des Klägers in Erwägung zu ziehenden Erkrankungen und Verletzungen in Herat behandelbar sind. Des Weiteren kann angenommen werden, dass der Kläger die dafür notwendigen "Zuzahlungen" wird aufbringen können, sei es durch selbst erwirtschaftete Mittel, sei es durch die Unterstützung seiner Familienangehörigen, die offensichtlich bislang auch in der Lage waren, etwaige notwendige Krankenbehandlungen, insbesondere auch der älteren und durchgehend in Herat aufhältlichen Mutter des Klägers sicherzustellen.

Nach allem lässt sich bei wertender Gesamtschau der maßgeblichen Gefährdungskriterien (hierzu BVerwG, Beschluss vom 4. Februar 2004 - 1 B 291.03 - Buchholz 402.240 § 53 AuslG Nr. 75 S. 123, 124) nicht feststellen, dass männliche Flüchtlingen mittleren Alters, die in familiäre Strukturen zurückkehren können, bei ihrer Abschiebung nach Afghanistan mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt sind.

6. Die Abschiebungsandrohung genügt den Voraussetzungen des § 34 AsylVfG i.V.m. § 59 AufenthG.

7. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben, § 83 b AsylVfG.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr. 10, § 711 der Zivilprozessordnung.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil keiner der in § 132 Abs. 2 VwGO genannten Gründe vorliegt.

Ende der Entscheidung

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