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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg
Urteil verkündet am 25.04.2007
Aktenzeichen: OVG 12 B 19.06
Rechtsgebiete: AufenthG, SGB II, VwGO, SGB V


Vorschriften:

AufenthG § 2 Abs. 3
AufenthG § 2 Abs. 3 Satz 1
AufenthG § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1
AufenthG § 5
AufenthG § 5 Abs. 1 Nr. 1
AufenthG § 6 Abs. 4 Satz 1
AufenthG § 6 Abs. 4 Satz 2
AufenthG § 27 Abs. 3 Satz 1
AufenthG § 29 Abs. 1 Nr. 2
AufenthG § 30 Abs. 1 Nr. 1
AufenthG § 55 Abs. 1
AufenthG § 55 Abs. 2 Nr. 6
SGB II § 7 Abs. 1
SGB II § 9 Abs. 1 Nr. 2
SGB II § 11
SGB II § 11 Abs. 1
SGB II § 11 Abs. 2
SGB II § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2
SGB II § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3
SGB II § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4
SGB II § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5
SGB II § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 6
SGB II § 11 Abs. 2 Satz 2
SGB II § 11 Abs. 2 Satz 3
SGB II § 20
SGB II § 20 Abs. 1
SGB II § 20 Abs. 3
SGB II § 22
SGB II § 22 Abs. 1 Satz 1
SGB II § 28
SGB II §§ 29 ff.
SGB II § 30
VwGO § 113 Abs. 5
SGB V § 10
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OVG 12 B 19.06

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 12. Senat auf die mündliche Verhandlung vom 25. April 2007 durch den Präsidenten des Oberverwaltungsgerichts Kipp, die Richterin am Oberverwaltungsgericht Merz, den Richter am Oberverwaltungsgericht Dr. Riese, die ehrenamtliche Richterin Golz und den ehrenamtlichen Richter Jünemann für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufungen der Beklagten und des Beigeladenen wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 7. April 2006 aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte oder der Beigeladene zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die 1973 geborene Klägerin, serbische Staatsangehörige, begehrt ein Visum zur Familienzusammenführung mit ihrem im Bundesgebiet lebenden Ehemann, der bosnisch-herzegowinischer Staatsangehöriger ist.

Die Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in Belgrad lehnte den auf Ehegattennachzug gerichteten Visumsantrag der Klägerin mit Bescheid vom 21. April 2005 ab, nachdem der Beigeladene seine Zustimmung verweigert hatte. Das anrechenbare Einkommen des Ehemannes der Klägerin (849,28 Euro) liege unter dem Bedarf der Eheleute nach dem SBG II, der sich auf 1.022,00 Euro belaufe (2 x Regelsatz in Höhe von jeweils 311,00 Euro und 400,00 Euro für die Kosten der Unterkunft).

Das Verwaltungsgericht hat der Klage mit Urteil vom 7. April 2006 stattgegeben und die Beklagte verpflichtet, der Klägerin das begehrte Visum zur Familienzusammenführung mit ihrem Ehemann zu erteilen. Es fehle insbesondere nicht an der Sicherung des Lebensunterhaltes im Sinne von §§ 5 Abs. 1 Nr. 1, 2 Abs. 3 AufenthG. Der Bedarf nach §§ 20 Abs. 1, 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II belaufe sich für beide Eheleute auf 1.022,00 Euro, wobei offen bleiben könne, ob die derzeit gezahlte Bruttowarmmiete in Höhe von 400,00 Euro oder lediglich die von dem Beigeladenen anerkannte angemessene Miete in Höhe von 380,00 Euro einzustellen sei. Diesem Bedarf stehe ausweislich der vorgelegten Lohnabrechnungen, die für das Jahr 2005 ein Bruttoeinkommen von 18.082,95 Euro auswiesen, ein durchschnittlicher monatlicher Nettolohn des Ehemannes in Höhe von 1.196,49 Euro gegenüber. Es könne offen bleiben, ob von dem Nettobetrag ein Betrag gemäß § 11 Abs. 2 Satz 2 SGB II abzusetzen sei, weil das Einkommen selbst in diesem Fall über dem errechneten Bedarf liege. Die Freibeträge nach § 30 SGB II seien hingegen nicht einkommensmindernd zu berücksichtigen. Sie dienten anderen gesetzgeberischen Zwecken. Ihre Anwendung im Aufenthaltsrecht führe zu einer von dem Gesetzgeber nicht gewollten erheblichen Beschränkung des Familiennachzugs. Insoweit werde auf das den Beteiligten bekannte Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 23. September 2005 - VG 25 A 329.02 - Bezug genommen.

Die wegen besonderer rechtlicher Schwierigkeiten der Sache zugelassene Berufung begründet der Beigeladene wie folgt: Nach § 2 Abs. 3 Satz 1 AufenthG sei der Lebensunterhalt eines Ausländers gesichert, wenn er ihn einschließlich ausreichenden Krankenversicherungsschutzes ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel bestreiten könne. Damit sei die Aufenthaltserlaubnis zu versagen, wenn ein Anspruch auf Sozialleistungen bestehe, und zwar unabhängig davon, ob öffentliche Mittel tatsächlich in Anspruch genommen würden. Ein derartiger Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II sei hier gegeben, weil die in §§ 11 Abs. 2, 30 SGB II genannten Beträge bei der Einkommensberechnung mindernd berücksichtigt werden müssten. Dies habe das Verwaltungsgericht zu Unrecht unterlassen. Der Sinn und Zweck des § 5 AufenthG bestehe darin, die Inanspruchnahme öffentlicher Mittel zu vermeiden. Es komme daher nicht darauf an, ob ein Ausländer auch mit geringeren Mitteln auskomme.

Der Beigeladene beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 7. April 2006 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 7. April 2006 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Sie schließt sich der Auffassung des Beigeladenen an und nimmt auf die Begründung ihres Zulassungsantrags vom 13. Juni 2006 Bezug.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das erstinstanzliche Urteil für zutreffend.

Aus den vorgelegten Lohnabrechnungen ihres Ehemannes ergibt sich für das Jahr 2006 ein Bruttoeinkommen von 18.574,50 Euro. Hiervon wurden insgesamt 1.811,00 Euro Rentenversicherungsbeiträge, 1.420,95 Euro Krankenversicherungsbeiträge, 204,33 Euro Pflegeversicherungsbeiträge und 603,66 Euro Arbeitslosenversicherungsbeiträge gezahlt. Die zum Teil erheblich differierenden monatlichen Lohnzahlungen begründet der Arbeitgeber des Ehemannes der Klägerin mit der schwankenden Auftragslage des Verpackungsunternehmens, für das der Ehemann tätig ist. Im Jahresschnitt seien die zu verpackenden Mengen aber regelmäßig gleichbleibend groß.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Streitakte und die von der Beklagten und dem Beigeladenen vorgelegten Verwaltungsvorgänge Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Entscheidung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist begründet. Das Verwaltungsgericht hat der Klage zu Unrecht stattgegeben, denn die Klägerin hat keinen Anspruch auf Erteilung des begehrten Visums, § 113 Abs. 5 VwGO.

Nach §§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1, 6 Abs. 4 Satz 1 und 2 des Gesetzes über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet (Aufenthaltsgesetz - AufenthG) vom 30. Juli 2004 (BGBl. I S. 1950), zuletzt geändert durch Art. 2 des Gesetzes zur Anpassung von Rechtsvorschriften des Bundes infolge des Beitritts der Republik Bulgarien und Rumäniens zur Europäischen Union vom 7. Dezember 2006 (BGBl. I S. 2814) in Verbindung mit §§ 30 Abs. 1 Nr. 1, 29 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG ist dem Ehegatten eines Ausländers vor der Einreise ein Aufenthaltstitel in Form eines Visums zu erteilen, wenn der Ausländer - wie der Ehemann der Klägerin - eine Niederlassungserlaubnis besitzt und ausreichender Wohnraum zur Verfügung steht, was angesichts der von dem Ehemann gemieteten 144 m² großen Wohnung ebenfalls erfüllt ist. Der begehrten Visumserteilung steht jedoch entgegen, dass der Lebensunterhalt der Klägerin im Bundesgebiet nicht gesichert ist (§ 5 Abs. 1 Nr. 1, § 2 Abs. 3 Satz 1 AufenthG).

§ 2 Abs. 3 Satz 1 AufenthG bestimmt, dass der Lebensunterhalt eines Ausländers gesichert ist, wenn er ihn einschließlich ausreichenden Krankenversicherungsschutzes ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel bestreiten kann. Die Feststellung dieser Voraussetzung erfordert einen Vergleich des voraussichtlichen Unerhaltsbedarfs mit dem tatsächlich zur Verfügung stehenden Einkommen (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 18. August 2005 - OVG 7 B 24.05 -, juris).

1. Der Unterhaltsbedarf setzt sich aus der Summe der auf die Familie entfallenden Regelsätze nach §§ 20, 28 des Sozialgesetzbuches Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitssuchende - (SGB II) vom 24. Dezember 2003 (BGBl. I S. 2954) in der Fassung vom 20. Juli 2006 (BGBl. I S. 1706), den Kosten für die Unterkunft (§ 22 SGB II in der Fassung vom 20. Juli 2006 <BGBl. I S. 1706>) und den Beiträgen zur Kranken- und Pflegeversicherung (§ 26 SGB II in der Fassung vom 20. Juli 2006 <BGBl. I S. 1706>) zusammen. Letztere sind hier nicht anzusetzen, weil sie aufgrund der Mitgliedschaft des Ehemannes in der gesetzlichen Krankenversicherung unmittelbar vom Lohn abgezogen werden und die Klägerin als Ehefrau nach ihrer Einreise gemäß § 10 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch - Gesetzliche Krankenversicherung - (SGB V) vom 20. Dezember 1988 (BGBl. I S. 2477, zuletzt geändert durch Gesetz vom 20. April 2007, BGBl. I S: 554) beitragsfrei familienversichert sein wird.

Unter Zugrundelegung dieses Maßstabes ergibt sich ein Unterhaltsbedarf von mindestens 1.002,00 Euro. Dieser setzt sich zusammen aus dem Regelbedarf für die Eheleute nach § 20 Abs. 3 SGB II (622,00 Euro) sowie dem Bedarf für die Unterkunft gemäß § 22 SGB II. Hierbei kann offen bleiben, ob nur die angemessenen Unterkunftskosten, die der Beigeladene mit 380,00 Euro beziffert, oder die tatsächlichen Unterkunftskosten in Höhe von 400,00 Euro in den Bedarf einzustellen sind (vgl. § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II), weil das zu berücksichtigende Einkommen in beiden Fällen nicht ausreicht, um den Bedarf zu decken.

2. Der so ermittelte Bedarf wird durch das von dem Ehemann der Klägerin erzielte und zu berücksichtigende Einkommen, das sich auf lediglich 931,21 Euro beläuft, nicht gedeckt.

a) Für die Berechnung des zur Verfügung stehenden Einkommens ist ebenfalls das Sozialgesetzbuch Zweites Buch maßgebend, das in § 11 Abs. 1 SGB II bestimmt, welches Einkommen bei der Prüfung der Hilfebedürftigkeit im Sinne von § 9 Abs. 1 Nr. 2 SGB II zu berücksichtigen ist. Von den danach ermittelten Einnahmen sind sämtliche in § 11 Abs. 2 SGB II genannten Posten abzusetzen.

aa) Dies gilt auch für den Erwerbstätigenfreibetrag nach § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 6 in Verbindung mit § 30 SGB II (in der Fassung vom 14. August 2005 <BGBl. I S. 2407>; vgl. VG Berlin, Urteil vom 28. März 2006 - VG 4 V 56.05 -, juris; Urteil vom 1. Juni 2006 - VG 2 V 5.06 -, juris; a.A.: Funke-Kaiser in: GK-AufenthG, Stand: Februar 2007, § 2 Rn. 43.2, 46; Hessischer VGH, Beschluss vom 14. März 2006 - 9 TG 512/06 -, juris; OVG Lüneburg, Beschluss vom 29. November 2006 - 11 LB 127/06 -, juris; VG Lüneburg, Urteil vom 18. Januar 2007 - 6 A 353/05 -, juris; VG Berlin, Urteil vom 23. September 2005 - VG 25 A 329.02 -, juris; vermittelnd: VG Berlin, Gerichtsbescheid vom 27. Januar 2007 - VG 37 V 12.03 -; offen gelassen OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 18. August 2005, a.a.O.).

Der Freibetrag stellt eine sozialleistungsrechtliche Privilegierung Erwerbstätiger dar, da durch die eingeräumte Abzugsmöglichkeit trotz eines tatsächlich zur Verfügung stehenden höheren Einkommens noch ein (ergänzender) Anspruch auf Sozialleistungen besteht. Damit soll ein finanzieller Anreiz zur Aufnahme bzw. Beibehaltung einer bestehenden Erwerbstätigkeit entsprechend dem Grundsatz geschaffen werden, dass derjenige, der arbeitet, mehr Geld zur Verfügung haben soll als derjenige, der trotz Erwerbsfähigkeit nicht arbeitet (vgl. Zeitler in: Mergler/Zink, Handbuch der Grundsicherung und Sozialhilfe, Teil I: SGB II, Stand: Januar 2007, § 11 Rn. 83, § 30 Rn. 2). Es handelt sich mithin um eine fiktive Einkommensminderung, um den genannten arbeitsmarkt- und sozialpolitischen Zweck zu erreichen.

Diese Zielrichtung steht einer Berücksichtigung der Freibetragsregelung bei der Berechnung des zur Sicherung des Lebensunterhalts zur Verfügung stehenden Einkommens im Rahmen von §§ 5 Abs. 1 Nr. 1, 2 Abs. 3 AufenthG nicht entgegen, obwohl dadurch die Anforderungen, die zur Erlangung eines Aufenthaltstitels zu erfüllen sind, für erwerbstätige Ausländer erheblich verschärft werden. § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG beinhaltet mit der Lebensunterhaltssicherung die wichtigste Voraussetzung, um die Inanspruchnahme öffentlicher Mittel zu verhindern (vgl. Begründung zum Entwurf des Zuwanderungsgesetzes BT-Drs. 15/420, S. 70, zu § 5 Abs. 1 Nr. 1). Das damit verfolgte legitime gesetzgeberische Interesse, keine weiteren bzw. neuen Belastungen für die öffentlichen Haushalte zu schaffen, gebietet, den Lebensunterhalt bereits dann als nicht gesichert anzusehen, wenn der Ausländer einen Anspruch auf öffentliche, nicht auf eigenen Beiträgen beruhende Leistungen hat und zwar unabhängig davon, ob er diese tatsächlich in Anspruch nimmt. Nur durch die Berücksichtigung auch eines zunächst lediglich rechnerisch bestehenden Anspruches auf Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch wird der Zweck der Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG, die Inanspruchnahme öffentlicher Mittel zu verhindern, gewährleistet. Die dabei zu treffende prognostische Entscheidung hinsichtlich der Sicherung des Lebensunterhalts an der Prüfung auszurichten, ob ein Anspruch auf Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch gegeben wäre, entspricht dem Wortlaut von § 2 Abs. 3 AufenthG. Diese Norm enthält keine Einschränkung, sondern spricht allgemein vom Bestreiten des Lebensunterhalts "ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel".

Auch beseitigt die lediglich fiktive Minderung der tatsächlich verfügbaren Eigenmittel um den nach § 30 SGB II zugebilligten Freibetrag nicht die Hilfebedürftigkeit des Betroffenen im Sinne des Gesetzes. Gemäß § 7 Abs. 1 SGB II erhalten Leistungen nach diesem Buch nur Personen, die nach der Einschätzung des Gesetzgebers öffentliche Leistungen benötigen, um ihren Lebensunterhalt im Bundesgebiet bestreiten zu können, d.h. sie können im Sinne von § 2 Abs. 3 Satz 1 AufenthG ihren Lebensunterhalt gerade nicht ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel bestreiten. Darüber hinaus handelt es sich bei den die Hilfebedürftigkeit regelnden Normen (§§ 9 ff. SGB II) wie auch den in §§ 29 ff. SGB II normierten Anreizen und Sanktionen zur Aufnahme einer Erwerbstätigkeit insgesamt um ein geschlossenes, in sich stimmiges System, dessen Teilregelungen derart aufeinander abgestimmt sind, dass ein angemessener Ausgleich zwischen den öffentlichen Interessen und denen der hilfesuchenden Betroffenen gewährleistet ist. Daher ist das ausländerrechtlich maßgebliche Einkommen anhand von § 11 SGB II zu berechnen, ohne dass einzelne Regelungen herausgelöst bzw. Abzugsbeträge unberücksichtigt bleiben dürfen. Aus diesem Grund kommt eine nur teilweise Berücksichtigung des Freibetrages nach § 30 SGB II - wie sie eine vermittelnde Auffassung vorschlägt - gleichfalls nicht in Betracht, zumal jegliche Anhaltspunkte für eine wie auch immer geartete Aufteilung fehlen.

Dem bedeutsamen Interesse der Bundesrepublik Deutschland, neu entstehende Soziallasten für die öffentliche Hand zu verhindern, kann nicht bei einer später anstehenden Verlängerung des Aufenthaltstitels oder durch eine ggf. auszusprechende Ausweisung hinreichend Rechnung getragen werden. Einen Ausländer trotz eines bestehenden rechnerischen Anspruchs auf Sozialleistungen erst einreisen zu lassen, um ihn dann bei Inanspruchnahme von Leistungen zur Grundsicherung nach § 55 Abs. 2 Nr. 6, Abs. 1 AufenthG auszuweisen, wäre ermessensfehlerhaft. Ebenso wenig könnte sich die Behörde bei der Entscheidung über eine Verlängerung des Aufenthaltstitels auf das Fehlen der Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG berufen, wenn sich die finanziellen Verhältnisse des Ausländers seit der erstmaligen Erteilung oder letzten Verlängerung nicht verschlechtert haben. Hinzu kommt, dass bei einer Inanspruchnahme von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch der Ausweisungsgrund des § 55 Abs. 2 Nr. 6 AufenthG nicht erfüllt sein dürfte, da der Ausländer keine Leistungen der Sozialhilfe, sondern der Grundsicherung erhält (vgl. Funke-Kaiser in: GK-AufenthG, Stand: Februar 2007, § 2 Rn. 43.1). Während nämlich in § 27 Abs. 3 Satz 1 AufenthG in der Fassung vom 18. März 2005 ausdrücklich beides genannt wird, ist eine entsprechende Anpassung von § 55 Abs. 2 Nr. 6 AufenthG im Zuge der Gesetzesänderung im März 2005 unterblieben. Entsprechend könnte die Verlängerung eines Aufenthaltstitels nicht unter Hinweis auf das Vorliegen eines Ausweisungsgrundes (§§ 8 Abs. 1, 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG) versagt werden.

Die mit diesem Ergebnis verbundene erhebliche Beschränkung der Familiennachzugsmöglichkeiten begegnet schließlich keinen verfassungsrechtlichen Bedenken und steht darüber hinaus im Einklang mit der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) vom 7. August 1952 (BGBl. II S. 685). Art. 6 Abs. 1 GG gebietet nicht, ausländischen Staatsangehörigen in jedem Fall die Möglichkeit einzuräumen, ihre familiäre Lebensgemeinschaft in Deutschland zu führen. Ein Ausländer ist prinzipiell darauf verwiesen, die Gemeinschaft mit seinen ausländischen Familienangehörigen im gemeinsamen Heimatland herzustellen und zu wahren, solange die Voraussetzungen für einen Familiennachzug nach den einschlägigen Vorschriften des Aufenthaltsgesetzes nicht vorliegen (vgl. u.a. OVG Berlin, Beschluss vom 22. Dezember 2004 - OVG 3 S 116.04 - ; Beschluss vom 8. Juli 2004 - OVG 8 S 134.02/OVG 8 M 42.02 - m.w.N, jeweils zu §§ 17, 18, 20, 22 AuslG). Auch Art. 8 EMRK verpflichtet einen Staat nicht generell dazu, die Wahl des familiären Wohnsitzes zu respektieren und eine Familienzusammenführung in seinem Staatsgebiet zu bewilligen (vgl. EGMR, Urteil vom 28. November 1996, InfAuslR 1997, 141). Die Versagung einer Aufenthaltserlaubnis ist im Aufenthaltsgesetz vorgesehen und verfolgt im Falle des Bezugs sozialer Leistungen ein legitimes Ziel im Sinne von Art. 8 Abs. 2 EMRK, nämlich die Erhaltung des wirtschaftlichen Wohls des Landes (vgl. EGMR, Urteil vom 11. Juli 2000, juris).

bb) Ebenso vom Einkommen abzusetzen sind die in § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 SGB II genannten notwendigen Ausgaben bei der Erzielung des Einkommens (a.A. VG Lüneburg, Urteil vom 18. Januar 2007 - 6 A 353/05 -, juris; OVG Lüneburg, Beschluss vom 29. November 2006 - 11 LB 127/06 -, juris, insoweit jeweils ohne Begründung). Dieser gemäß § 11 Abs. 2 Satz 2 SGB II abzuziehende Pauschalbetrag in Höhe von 100,00 Euro soll die in § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 bis 5 SBG II genannten Beiträge und Auslagen kompensieren, weil es sich dabei nach Auffassung des Gesetzgebers um einen im Regelfall tatsächlich entstehenden Aufwand handelt, der das Einkommen entsprechend mindert. Insoweit kommt es nicht darauf an, ob entsprechende Auslagen, z. B. Versicherungsbeiträge oder Fahrtkosten, im Einzelfall wirklich entstehen. An die Stelle des pauschalierten Betrages treten nach dem eindeutigen Wortlaut von § 11 Abs. 2 Satz 3 SGB II nur dann die tatsächlichen Aufwendungen, wenn diese die Pauschale übersteigen, das monatliche Einkommen mehr als 400,00 Euro beträgt und entsprechende Nachweise vorgelegt werden. Diese erwerbsfähige Hilfebedürftige begünstigende Regelung wirkt sich zwar bei der ausländerrechtlich relevanten Frage nach der Sicherung des Lebensunterhalts wiederum zu Lasten der Betroffenen aus, dies ist jedoch in der Regelung der §§ 5 Abs. 1 Nr. 1, 2 Abs. 3 AufenthG angelegt, da der Lebensunterhalt aus den oben dargelegten Gründen bereits dann nicht gesichert ist, wenn der Ausländer einen Anspruch auf öffentliche Leistungen hat, und zwar unabhängig davon, ob er diese tatsächlich in Anspruch nimmt. Die Leistungsberechtigung richtet sich dabei nach den einschlägigen Regelungen des Sozialgesetzbuches Zweites Buch, wobei auf die zum entscheidungserheblichen Zeitpunkt gesetzlich festgelegten Freibeträge abzustellen ist. Dem Abzug der Werbungskostenpauschale steht weiter nicht entgegen, dass sie bereits bei der Einkommenssteuerberechnung berücksichtigt wird, da in dem hier betroffenen Niedriglohnbereich ohnehin nur geringe Steuern anfallen, sich die Werbungskostenpauschale mithin steuerlich - wenn überhaupt - nur unwesentlich auswirkt. Im Übrigen steht es im Ermessen des Gesetzgebers, welche Abzüge er bei der Berechnung des sozialrechtlich maßgeblichen Einkommens vorsieht, zumal die Regelungen der §§ 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 bis 5 SGB II insgesamt eine Privilegierung beinhalten, wie § 11 Abs. 2 Satz 3 SGB II zeigt.

b) Die Anwendung der dargestellten Grundsätze ergibt, dass der Lebensunterhalt der Klägerin und ihres Ehemannes nicht gesichert ist. Wegen der erheblichen monatlichen Einkommensschwankungen, die bis zu 400,00 Euro betragen und mit der Auftragslage des den Ehemann beschäftigenden Unternehmens zusammenhängen, ist von dem Bruttoeinkommen auszugehen, das der Ehemann der Klägerin im Jahr 2006 erzielt hat und das sich auf 18.574,50 Euro belief. Das durchschnittliche monatliche Bruttoeinkommen betrug 1547,88 Euro. Hiervon sind entrichtete Steuern abzusetzen (§ 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB II), die jedoch in Steuerklasse III nicht anfallen. Ferner sind nach § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SGB II Pflichtbeiträge zur Sozialversicherung abzuziehen, die sich im Jahr 2006 durchschnittlich auf monatlich 336,67 Euro beliefen (150,92 Euro Rentenversicherungsbeitrag, 118,41 Euro Krankenversicherungsbeitrag, 17,03 Pflegeversicherungsbeitrag, 50,31 Euro Arbeitslosenversicherungsbeitrag). Schließlich sind die Beträge nach § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 - 5, Satz 2 SGB II (100,00 Euro) sowie nach § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 6 in Verbindung mit § 30 SGB II (180,00 Euro) abzusetzen. Dies ergibt ein - um 90,79 Euro unter dem Bedarf liegendes - zu berücksichtigendes Einkommen von 931,21 Euro. Umstände, die die Annahme einer Ausnahme von der Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG rechtfertigten, sind von der Klägerin im Berufungsverfahren weder vorgetragen worden noch sonst ersichtlich.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 2, 162 Abs. 3 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr. 10, § 711 der Zivilprozessordnung.

Die Revision ist zuzulassen. Der Rechtssache kommt im Hinblick auf die Frage, ob bei der Ermittlung des den Lebensunterhalt sichernden Einkommens (§§ 5 Abs. 1 Nr. 1, 2 Abs. 3 AufenthG) die in § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr.3 - 5 und Nr. 6 SGB II genannten Beträge abzusetzen sind, grundsätzliche Bedeutung zu, § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO.

Ende der Entscheidung

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