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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg
Urteil verkündet am 30.04.2009
Aktenzeichen: OVG 12 B 19.07
Rechtsgebiete: AuslG, AufenthG, VwGO, LVwVfG, FreizügG/EU


Vorschriften:

AuslG § 8 Abs. 2
AuslG § 16
AuslG § 16 Abs. 1
AuslG § 16 Abs. 2
AufenthG § 4 Abs. 1
AufenthG § 6 Abs. 4
AufenthG § 27 Abs. 1 a
AufenthG § 28 Abs. 1 Nr. 1
AufenthG § 37
AufenthG § 37 Abs. 1
AufenthG § 37 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1
AufenthG § 37 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2
AufenthG § 37 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3
AufenthG § 37 Abs. 2
AufenthG § 37 Abs. 2 Satz 1
AufenthG § 37 Abs. 3 Nr. 1
AufenthG § 68 Abs. 1
AufenthG § 68 Abs. 2 Satz 1
VwGO § 113 Abs. 5 Satz 1
VwGO § 121
LVwVfG § 48
LVwVfG § 49
LVwVfG § 51
FreizügG/EU § 6 Abs. 5 Satz 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OBERVERWALTUNGSGERICHT BERLIN-BRANDENBURG IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

OVG 12 B 19.07

Verkündet am 30. April 2009

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 12. Senat auf die mündliche Verhandlung vom 30. April 2009 für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst tragen.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger, ein türkischer Staatsangehöriger, begehrt ein Visum zur Wiederkehr in das Bundesgebiet bzw. - erstmalig im Berufungsverfahren - ein Visum zum Ehegattennachzug.

Der am 21. März 1979 in Göppingen geborene Kläger, der zuletzt eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis besaß, wurde nach Abschluss der Hauptschule und dem Beginn einer - dann abgebrochenen - Ausbildung im Oktober 1996 durch das Amtsgericht Göppingen wegen Diebstahls in zwei Fällen, in einem Fall in Tateinheit mit vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis, und wegen schwerer räuberischer Erpressung in zwei Fällen zu einer Jugendstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt. Aufgrund einer während der Strafhaft begangenen gemeinschaftlichen gefährlichen Körperverletzung erkannte das Amtsgericht Mosbach 1998 auf eine Einheitsjugendstrafe von vier Jahren und acht Monaten. Während seiner Inhaftierung schloss der Kläger im Februar 1999 mit Erfolg eine Ausbildung zum Industrieelektroniker/Gerätetechniker ab.

Das Regierungspräsidium Stuttgart wies den Kläger, den es als Berechtigten im Sinne von Art. 7 Satz 1 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrats EWG/Türkei über die Entwicklung der Assoziation - ARB 1/80 - ansah, mit Bescheid vom 9. Oktober 1998 und Widerspruchsbescheid vom 18. März 1999 aus dem Bundesgebiet aus. Hiergegen gerichteter verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz blieb ohne Erfolg (Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 22. September 1999 - 16 K 2087/99 -). Der Kläger wurde am 11. März 1999 aus der Strafhaft in die Türkei abgeschoben. Ein weiteres, im Jahr 2001 anhängig gemachtes Verfahren vor dem Verwaltungsgericht Stuttgart, das die Wiederaufnahme des Ausweisungsverfahrens und die Befristung der Wirkungen von Ausweisung und Abschiebung zum Gegenstand hatte, wurde mit Vergleich vom 24. Oktober 2001 beendet (16 K 1479/01). Danach wurden die Wirkungen der Ausweisung und Abschiebung unter bestimmten Bedingungen auf den 11. März 2004 befristet. Die Vollstreckung der noch ausstehenden Restjugendstrafe wurde im März 2004 zur Bewährung ausgesetzt und im April 2007 erlassen.

Mit Schreiben vom 31. Januar 2004 beantragte der Verfahrensbevollmächtigte des Klägers bei der Deutschen Botschaft in Ankara, dem Kläger ein Visum als Wiederkehrer nach § 16 AuslG zu erteilen. Der Kläger wiederholte diesen Antrag unter dem 23. Februar 2004 und fügte u.a. Gehaltsnachweise seines im Bundesgebiet lebenden Vaters sowie eine von diesem unterzeichnete privatschriftliche Verpflichtungserklärung bei. Der Beigeladene zu 1., in dessen Zuständigkeitsbereich die Eltern des Klägers leben, stimmte der begehrten Visumserteilung nicht zu, weil der Kläger den Antrag entgegen § 16 Abs. 1 Nr. 3 AuslG erst kurz vor Vollendung seines 25. Lebensjahres gestellt habe und die Voraussetzungen der Härtefallregelung in § 16 Abs. 2 AuslG nicht erfüllt seien. Angesichts dessen lehnte die Beklagte den Antrag mit Bescheid vom 13. Mai 2004 ab.

Die hiergegen gerichtete Verpflichtungsklage wies das Verwaltungsgericht Berlin mit Urteil vom 9. Juni 2005 ab. Es verneinte die Voraussetzungen des nunmehr anwendbaren § 37 Abs. 1 AufenthG, weil dessen Nr. 3 nicht gegeben sei. Das Begehren lasse sich auch nicht auf § 37 Abs. 2 AufenthG stützen, denn es fehle an der danach erforderlichen besonderen Härte. Der Kläger unterscheide sich in gravierender Weise von dem gesetzlichen Typus eines Wiederkehrers in jungen Jahren.

Mit der wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassenen Berufung macht der Kläger im Wesentlichen geltend: Die Ausweisungsverfügung verstoße gegen Gemeinschaftsrecht, weil das Regierungspräsidium Stuttgart über den Widerspruch des Klägers verfahrensfehlerhaft nicht als unabhängige Stelle im Sinne von Art. 9 der Richtlinie 64/221/EG entschieden habe. Sie widerspreche zudem Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80. Ferner genüge die Ausweisung nicht den Anforderungen des Art. 28 Abs. 3 a) der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 - Unionsbürgerrichtlinie -, die auf assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige anwendbar sei. Der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes zufolge müssten gemeinschaftsrechtswidrige Ausweisungen zurückgenommen werden. Schließlich sei die Ausweisung unverhältnismäßig, weil sie mit unbefristeter Wirkung verfügt worden sei. Sie widerspreche der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR).

Während des Berufungsverfahrens schloss der Kläger die Ehe mit der 1978 geborenen deutschen Staatsangehörigen Nurcan Ö., die damals in Stuttgart wohnte. Seinen Antrag auf Erteilung eines Visums zur Familienzusammenführung lehnte die Botschaft der Bundesrepublik Deutschland Ankara nach Versagung der Zustimmung durch die Ausländerbehörde Stuttgart mit Bescheid vom 26. März 2007 ab, weil die Ehe nicht schutzwürdig im Sinne von Art. 6 GG sei. Der Kläger, der den ablehnenden Bescheid unwidersprochen in das Berufungsverfahren einbezogen hat, tritt der Auffassung der Beklagten entgegen.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 9. Juli 2005 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides der Deutschen Botschaft in Ankara vom 13. Mai 2004 zu verpflichten, dem Kläger ein Visum zur Wiederkehr in die Bundesrepublik Deutschland zu erteilen,

hilfsweise, die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides der Deutschen Botschaft in Ankara vom 26. März 2007 zu verpflichten, dem Kläger ein Visum zur Familienzusammenführung mit seiner Ehefrau zu erteilen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält an den angegriffenen Bescheiden fest. Soweit es um den das Recht auf Wiederkehr betreffenden Visumsantrag geht, schließt sie sich den Ausführungen des Beigeladenen zu 1. an. Ein Visum zur Familienzusammenführung komme nicht in Betracht, weil es sich nicht um eine schutzwürdige Ehe handele.

Der Beigeladene zu 1. vertritt die Auffassung, dass die seinerzeit verfügte Ausweisung nicht offensichtlich rechtswidrig gewesen sei und aufgrund ihrer Bestandskraft durch den Kläger nicht mehr beseitigt werden könne. Im Übrigen habe der Kläger durch den vor dem Verwaltungsgericht Stuttgart geschlossenen Vergleich die Rechtmäßigkeit der Ausweisung anerkannt. Die Unionsbürgerrichtlinie sei erst zum 1. Mai 2006 wirksam geworden und gelte nicht für die Vergangenheit. Außerdem sei sie nur auf Unionsbürger anwendbar.

Die Beigeladene zu 2., in deren Zuständigkeitsbereich die Ehefrau des Klägers verzogen ist, hat sich nicht geäußert.

Der Senat hat zu der Frage, ob der Kläger mit Frau Ö. eine schutzwürdige eheliche Lebensgemeinschaft im Bundesgebiet zu führen beabsichtigt, Beweis erhoben durch Vernehmung der Frau Ö. als Zeugin. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift vom 30. April 2009 Bezug genommen. Im Übrigen wird wegen der weiteren Einzelheiten auf die Streitakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten, des Beigeladenen zu 1. und der früheren Beigeladenen zu 2. verwiesen, die vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Entscheidung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung und der Hilfsantrag, der die im Berufungsverfahren erhobene Klage betrifft, haben keinen Erfolg. Der Kläger kann weder die Erteilung eines Visums im Wege der Wiederkehr nach § 37 AufenthG noch im Wege der Familienzusammenführung mit seiner Ehefrau (§§ 6 Abs. 4, 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG) verlangen, § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO.

I. 1. Einem Anspruch gemäß § 37 Abs. 1 AufenthG, wonach einem Ausländer, der als Minderjähriger rechtmäßig seinen Aufenthalt im Bundesgebiet hatte, unter den dort genannten Voraussetzungen eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen ist, steht entgegen, dass der Kläger den Visumsantrag nicht gemäß § 37 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG vor Vollendung des 21. Lebensjahres, sondern erst kurz vor der Vollendung seines 25. Lebensjahres gestellt hat. Angesichts dessen kann offen bleiben, ob der Antrag - wie außerdem in § 37 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG gefordert - vor Ablauf von fünf Jahren seit der Abschiebung des Klägers (11. März 1999) gestellt worden ist. Daran könnten Zweifel bestehen, wenn eine Antragstellung vor dem Wegfall der in § 8 Abs. 2 AuslG (jetzt § 11 Abs. 1 AufenthG) normierten Sperrwirkung unbeachtlich ist, weil die zeitliche Begrenzung in § 37 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG nicht durch offensichtlich aussichtslose frühzeitige Anträge unterlaufen werden soll. Demgegenüber hat der Kläger die Voraussetzungen des § 37 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG (rechtmäßiger Aufenthalt im Bundesgebiet während eines Zeitraumes von acht Jahren sowie sechsjähriger Schulbesuch) aufgrund seines rechtmäßigen Aufenthaltes von rund 19 1/2 Jahren und seines rund 9jährigen Schulbesuches im Bundesgebiet (über)erfüllt.

2. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Wiederkehr bzw. auf ermessensfehlerfreie Bescheidung seines Visumsantrags gemäß dem hier allein in Betracht kommenden § 37 Abs. 2 Satz 1 AufenthG. Dieser Regelung zufolge kann zur Vermeidung einer besonderen Härte von den in § 37 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 3 AufenthG bezeichneten Voraussetzungen abgesehen werden.

a) Einem möglichen Anspruch aus § 37 Abs. 2 Satz 1 AufenthG steht nicht - wie die Beklagte im erstinstanzlichen Verfahren geltend gemacht hat - § 37 Abs. 3 Nr. 1 AufenthG entgegen, wonach die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis versagt werden kann, wenn der Ausländer ausgewiesen worden war oder ausgewiesen werden konnte, als er das Bundesgebiet verließ. Die Beklagte hat das ihr insoweit eingeräumte Ermessen weder in dem versagenden Bescheid noch im gerichtlichen Verfahren hinreichend sachgerecht ausgeübt. Angesichts dessen kann offen bleiben, ob § 37 Abs. 3 Nr. 1 AufenthG im Hinblick auf seinen Sinn und Zweck nur auf § 37 Abs. 1 AufenthG und nicht auch auf § 37 Abs. 2 AufenthG anwendbar ist. Ferner braucht der Senat nicht der Frage nachzugehen, ob § 37 Abs. 3 Nr. 1 AufenthG auch dann noch anwendbar ist, wenn die Wirkung der Ausweisung befristet worden ist (vgl. insoweit zur alten Rechtslage Engels, GK-AuslG, Stand August 1996, § 16 AuslG Rn. 107 ff; BT-Drs. 6321, S. 59).

b) Die Beklagte hat das Vorliegen der Voraussetzungen des § 37 Abs. 2 Satz 1 AufenthG zu Recht verneint, weil eine besondere Härte im Sinne dieser Vorschrift nicht vorliegt. Ihre Feststellung erfordert den anhand einer Gesamtbetrachtung aller hierfür erheblichen Umstände des Einzelfalls durchzuführenden Vergleich des konkreten Einzelfalles mit dem gesetzlichen Typus des Wiederkehrers, weil auch von dem Gesetz nicht erfasste, der gesetzlichen Wertung jedoch entsprechende Wiederkehrmöglichkeiten eröffnet werden sollen. Maßstabsbildend sind insoweit die frühere Aufenthaltsverfestigung und Integration sowie die Integrationsfähigkeit, wobei die Defizite bei der Erfüllung einzelner Tatbestandsmerkmale des § 37 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 3 AufenthG auch in anderer Weise als durch die Übererfüllung eines der Merkmale des § 37 Abs. 1 AufenthG kompensiert oder relativiert werden können (vgl. im Einzelnen BVerwG, Beschluss vom 30. Mai 1994, NVwZ-RR 1994, 614; Urteil vom 19. März 2002, NVwZ 2003, 104, 105 ff.).

aa) Der Kläger kann sich nicht auf eine besondere Härte mit der Begründung berufen, dass die ihm gegenüber mit Bescheid vom 9. Oktober 1998 und Widerspruchsbescheid vom 18. März 1999 verfügte Ausweisung rechtswidrig, insbesondere gemeinschaftsrechtswidrig, gewesen sei. Damit kann offen bleiben, ob und unter welchen Bedingungen die Umstände der Aufenthaltsbeendigung geeignet sein können, einen Härtefall im Sinne von § 37 Abs. 2 AufenthG zu begründen.

(1) An einer besonderen Härte im Sinne von § 37 Abs. 2 Satz 1 AufenthG fehlt es jedenfalls dann, wenn der Ausländer - wie hier - nicht alles ihm Mögliche und Zumutbare unternommen hat, um die aus seiner Sicht ungerechtfertigte aufenthaltsbeendende Maßnahme zu beseitigen. Da die Ausweisungsverfügung, über die das Verwaltungsgericht Stuttgart mit Urteil vom 22. September 1999 - 16 K 2287/99 - rechtskräftig zu Lasten des Klägers entschieden hatte, aufgrund der eingetretenen Bindungswirkung im Sinne von § 121 VwGO grundsätzlich nicht erneut - und zwar auch nicht inzident - einer gerichtlichen Überprüfung unterzogen werden darf (vgl. dazu auch Kopp/ Schenke, VwGO, 15. Auflage, § 121 Rn. 9 ff.), konnte der Kläger nur versuchen, ein Wiederaufgreifen des Verfahrens nach § 51 VwVfG für Baden-Württemberg (LVerwVfG) bzw. die Rücknahme oder den Widerruf gemäß §§ 48, 49 LVwVfG zu erreichen oder ein verwaltungsgerichtliches Wiederaufnahmeverfahren zu betreiben (§ 153 VwGO). Letzteres hat er zwar 2001 vor dem Verwaltungsgericht Stuttgart in Gang gesetzt (16 K 1479/01). Dieses Verfahren wurde aber nicht fortgeführt, sondern der Kläger hat die Ausweisung im Rahmen eines gerichtlichen Vergleichs vom 24. Oktober 2001 sowie eine Befristung ihrer Wirkung auf den 11. März 2004 akzeptiert und den ursprünglich - rund ein Jahr nach der rechtskräftigen Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Ausweisung - gestellten Wiederaufnahmeantrag aus freien Stücken nicht weiter verfolgt.

Gleiches gilt hinsichtlich eines Rücknahmeantrages nach § 48 LVwVfG, der den nicht weiter überprüften Angaben des Klägers zufolge bei der zuständigen Behörde gestellt und in das zeitgleich betriebene Wiederaufnahmeverfahren einbezogen worden ist. Selbst wenn man mit dem Kläger davon ausgeht, dass die verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung vor einigen Jahren noch weniger "europarechtsfreundlich" gewesen sei als heute, steht sein damaliges Verhalten der Annahme einer besonderen Härte im Sinne von § 37 Abs. 2 Satz 1 AufenthG entgegen.

(2) Unabhängig davon ist nicht ersichtlich, dass ein Antrag auf Rücknahme nach § 48 LVwVfG eine Beseitigung der Ausweisungsverfügung zur Folge gehabt hätte. Dem Kläger hätte kein Anspruch auf Rücknahme, sondern nur ein Anspruch auf ermessensfehlerfreie Bescheidung seines Rücknahmebegehrens zugestanden. Selbst bei bestandskräftig ausgewiesenen Unionsbürgern ist mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung davon auszugehen, dass die Grundsätze zur Verdichtung des Rücknahmeremessens durch Gemeinschaftsrecht nicht modifiziert werden. Es gibt keinen Grund für die Annahme, dass sich das Ermessen bei der Entscheidung über die Rücknahme einer Ausweisung durch die Vorschriften des Aufenthaltsgesetzes bzw. sonstiger gemeinschaftsrechtlicher Vorschriften nach Sinn und Zweck als positiv intendiert erweist (vgl. BVerwG, Urteil vom 20. März 2008, NVwZ 2008, 1024; Urteil vom 23. Oktober 2007, NVwZ, 2008, 326). Nichts anderes ergibt sich aus der in diesem Zusammenhang von dem Kläger angeführten Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes vom 18. September 2006 (NVwZ 2006, 1277). Die danach für eine gemeinschaftsrechtlich motivierte Rücknahmeverpflichtung geforderten Kriterien (Befugnis zur Rücknahme nach nationalem Recht, Urteil eines nationalen Gerichtes in letzter Instanz, Beruhen des Urteils auf der unrichtigen Auslegung von Gemeinschaftsrecht im Hinblick auf eine unterlassene Vorabentscheidung, unmittelbarer Antrag bei der Verwaltungsbehörde nach Kenntnis von dieser Entscheidung) liegen hier ersichtlich nicht vor.

Es bestehen ferner keine Anhaltspunkte dafür, dass das der zuständigen Behörde zustehende Rücknahmeermessen auf Null reduziert gewesen wäre, weil die offensichtliche Rechtswidrigkeit der Ausweisungsvefügung, bezogen auf den Zeitpunkt ihres Erlasses, die Annahme gerechtfertigt hätte, ihre Aufrechterhaltung sei schlechthin unerträglich (vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 23. Oktober 2007, NVwZ 2008, 326, 329). Diese Voraussetzungen lagen im Zeitpunkt der Ausweisung (Bescheid vom 9. Oktober 1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. März 1999) nicht vor. Ein Verstoß gegen Gemeinschaftsrecht war seinerzeit weder gesichert noch evident. Auch im Hinblick auf nationales Recht drängte sich eine Rechtswidrigkeit der Ausweisungsverfügung nicht auf.

Schon die Zulassung durch das Oberverwaltungsgericht im Hinblick auf die für grundsätzlich bedeutsam gehaltene Frage nach der Anwendbarkeit von Art. 28 Abs. 3 Buchstabe a) der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 (ABl. EU L 158, S. 77) - Unionsbürgerrichtlinie - zeigt, dass ein offensichtlicher Verstoß gegen Gemeinschaftsrecht im Jahr 1999 nicht gegeben war und im Übrigen auch derzeit nicht gegeben ist. Eine Rechtswidrigkeit der seinerzeit verfügten Ausweisung käme insoweit nur in Betracht, wenn Art. 28 Abs. 3 Buchstabe a) der Unionsbürgerrichtlinie, die erst zum 30. April 2006 umgesetzt werden musste, keine neue Rechtslage geschaffen, sondern lediglich bereits bestehendes Gemeinschaftsrecht normiert hätte und dieses zudem auch auf assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige anwendbar wäre. Das ist hier nicht der Fall.

Die Unionsbürgerrichtlinie ist auf eine unter der Geltung der Richtlinie 64/221/EWG verfügte und mit der Klage angegriffene Ausweisung nicht anwendbar ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 3. Dezember 2008, NVwZ 2009, 326, unter Berufung auf EuGH, Urteil vom 4. Oktober 2007, InfAuslR 2007, 425 - Polat; vgl. ferner BVerwG, Urteil vom 13. Januar 2009, AuAS 2009, 110). Danach gilt Art. 3 der Richtlinie 64/221/EWG des Rates vom 25. Februar 1964, die nach Art. 38 Abs. 2 der Unionsbürgerrichtlinie bis zum 30. April 2006 in Kraft war, auch in Bezug auf assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige, wonach bei Maßnahmen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit ausschließlich das persönliche Verhalten der in Betracht kommenden Personen ausschlaggebend sein darf und strafrechtliche Verurteilungen allein diese Maßnahme nicht ohne weiteres begründen können.

Selbst wenn man die Unionsbürgerrichtlinie grundsätzlich auch auf vor ihrer Umsetzungsbedürftigkeit erlassene Ausweisungen anwenden wollte (vgl. auch Hessischer VGH, Beschluss vom 2. Mai 2005, InfAuslR 2005, 295), müsste die in der Rechtsprechung umstrittene Frage geklärt werden, ob der in § 6 Abs. 5 Satz 3 FreizügG/EU umgesetzte Art. 28 Abs. 3 Buchstabe a) auf ausgewiesene ARB-Berechtigte anwendbar ist. Diese Frage hat der VGH Baden-Württemberg dem Europäischen Gerichtshof zur Entscheidung vorgelegt, worüber noch nicht entschieden ist. Der Ansicht des VGH zufolge, die ein beachtlicher Teil der obergerichtlichen Rechtsprechung teilt, ist die Unionsbürgerrichtlinie auf ARB-Berechtigte nicht anwendbar, weil es sich nicht maßgeblich um eine Regelung der Arbeitnehmerfreizügigkeit handelt, sondern um eine Ausgestaltung der Unionsbürgerschaft (Beschluss vom 22. Juli 2008 - 13 S 1917/07, juris, Rn. 37 ff. m.w.N. zur Rsp.). Auch das Bundesverwaltungsgericht ist der Auffassung, dass die Frage nach der Anwendbarkeit von Art. 28 der Unionsbürgerrichtlinie auf türkische Staatsangehörige nur durch den EuGH beantwortet werden kann (Urteil vom 13. Januar 2009, AuAS 2009, 110).

Ferner lässt sich nicht der von dem Kläger behauptete gemeinschaftsrechtliche Verfahrensverstoß, der darin liegen soll, dass die Ausweisung nicht durch eine unabhängige Stelle im Sinne von Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 64/221/EWG überprüft worden sei, als offensichtlich bezeichnen. Ein derartiger Verstoß war im hier maßgeblichen Jahr 1999 nicht evident, weil der Europäische Gerichtshof zu der Reichweite von Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 64/221/EWG erst mehrere Jahre später mit Urteil vom 29. April 2004 (NVwZ 2004,1099 - Orfanopoulos und Oliveri) entschieden hat (ebenso BVerwG, Urteil vom 20. März 2008, NVwZ 2008, 1024, 1025). Schließlich ist nicht erkennbar, dass die Ausweisung des damals volljährigen Klägers, die seinerzeit in einem verwaltungsgerichtlichen Verfahren ohne Erfolg überprüft worden ist, im Hinblick auf sonstige Rechtsvorschriften offensichtlich nicht hätte verfügt dürfen. Dies gilt angesichts der von dem Kläger verübten erheblichen Straftaten - er war unter anderem wegen schwerer räuberischer Erpressung und einer in der Strafhaft begangenen gemeinschaftlichen gefährlichen Körperverletzung zu einer Einheitsjugendstrafe von vier Jahren und acht Monaten verurteilt worden - vor allem auch in Bezug auf Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80, wonach die Ausweisung eines türkischen Staatsangehörigen, der strafrechtlich verurteilt wurde, möglich ist, wenn dessen persönliches Verhalten eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaften berührt (vgl. dazu z.B. EuGH, Urteil vom 4. Oktober 2007, InfAuslR 2007, 425).

Nach dem bei Erlass der Ausweisungsverfügung maßgeblichen Stand der Rechtsprechung lag auch keine offensichtliche Verletzung von Art. 8 Abs. 1 EMRK oder Art. 6 Abs. 1 GG vor. Der EGMR hat den Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 EMRK - auch im Hinblick auf so genannte Verwurzelungsfälle - im Wesentlichen erst in seiner neueren Rechtsprechung erweitert (vgl. z.B. EGMR, Urteil vom 16. Mai 2005, InfAuslR 2005, 349 - Sliveko; Urteil vom 18. Oktober 2006, NVwZ 2007, 1279 - Üner; Urteil vom 22. März 2007, InfAuslR 2007, 221 - Maslov). Das Bundesverfassungsgericht ist diesem Ansatz, wonach nunmehr aufenthaltsbeendende Maßnahmen als an Art. 2 Abs. 1 GG zu messender Eingriff in das Recht auf Achtung des Privatlebens einer umfassenden Verhältnismäßigkeitsprüfung zu unterziehen sind, erst in jüngerer Zeit gefolgt (vgl. BVerfG, Kammer, Beschlüsse vom 10. Mai 2007, InfAuslR 2007, 275, und vom 10. August 2007, NVwZ 2007, 1300). Dass die Ausweisung bereits bei ihrem Erlass hätte befristet werden müssen, war seinerzeit ebenfalls nicht offensichtlich. Diese Frage wird noch heute in der Rechtsprechung des EGMR unterschiedlich beantwortet (verneinend z.B. Urteil vom 28. Juni 2007, InfAuslR 2007, 325 - Kaya, m.w.N.).

Soweit der Kläger rügt, dass die Ausweisung zu Unrecht auch auf generalpräventiv motivierte Erwägungen gestützt worden sei, verhilft dies der Berufung ebenfalls nicht zum Erfolg. Die Anforderungen der neueren höchstrichterlichen Rechtsprechung, wonach bei ARB-Berechtigten generalpräventive Gründe weder tragend noch mittragend sein dürfen (BVerwG, Urteil vom 6. Oktober 2005, NVwZ 2006, 475, 476 = BVerwGE 124, 243 ff.), galten in diesem Ausmaß 1999 noch nicht. Selbständig tragende spezialpräventive Gründe reichten nach damaliger Erkenntnis aus.

Die Ausweisungsverfügung verstößt schließlich nicht offensichtlich gegen die neuere Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, wonach assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige nur noch im Ermessenswege ausgewiesen werden können und es für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage auf den Zeitpunkt der (letzten) mündlichen Verhandlung ankommt (BVerwG, Urteile vom 3. August 2004, BVerwGE 121, 315 ff. = NVwZ 2005, 224, und vom 15. März 2005, NVwZ 2005, 1074). Abgesehen davon, dass diese Rechtsprechung erst mehrere Jahre nach Erlass der Ausweisungsverfügung entwickelt worden ist, hat die zuständige Ausländerbehörde seinerzeit eine Ermessensentscheidung getroffen.

c) Selbst wenn man hier die offensichtliche Rechtswidrigkeit der Ausweisung unterstellte, lägen die Voraussetzungen des § 37 Abs. 2 AufenthG nicht vor. Das Verwaltungsgericht ist insoweit zu Recht davon ausgegangen, dass der Kläger dem gesetzlichen Typus des Wiederkehrers nicht entspricht. Hierbei fällt vor allem zu Lasten des Klägers ins Gewicht, dass die Abweichung von dem zeitlichen Rahmen des § 37 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG im Hinblick auf die Antragstellung erheblich ist. Diese zeitliche Grenze wurde um fast vier Jahre überschritten. Der Kläger war mit nahezu 25 Jahren von dem Leitbild, das der Gesetzgeber bei der Normierung des § 37 AufenthG vor Augen hatte, deutlich entfernt. Um einen "jugendlichen oder heranwachsenden Wiederkehrer" (vgl. dazu Hailbronner, Aufenthaltsgesetz, Kommentar, § 37 Rn. 27) handelte es sich nicht mehr. Ferner belief sich die Dauer des Aufenthaltes im Heimatstaat des Klägers seit seiner Ausreise bei Antragstellung auf mindestens nahezu fünf Jahre. Bei einer Würdigung der Gesamtumstände ist ferner zu Lasten des Klägers zu berücksichtigen, dass er das Bundesgebiet nicht freiwillig oder aufgrund einer besonderen familiären oder sonstigen - ggf. schicksalhaften - Situation verlassen hat, sondern dieses allein wegen aufenthaltsbeendender Maßnahmen verlassen musste, die letztlich in seinem eigenem Verhalten begründet waren. Bei der Abschiebung durften Ausländerbehörde und Verwaltungsgericht angesichts der Art der begangenen Straftaten und der Höhe der Jugendstrafe zu Recht von einer mangelnden Integration des volljährigen Klägers in die bundesrepublikanischen Verhältnisse sowie - trotz der während der Haft absolvierten Ausbildung - von einer ungünstigen Prognose hinsichtlich seiner Gefährlichkeit ausgehen.

Angesichts dessen lassen sich im Hinblick darauf, dass der Kläger im Bundesgebiet geboren ist, seine Familie hier lebte, er über einen Hauptschulabschluss sowie eine - in der Haft absolvierte - Berufsausbildung verfügte und er die in § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG genannten Anforderungen deutlich übererfüllt, insgesamt keine abweichenden Umstände bejahen, die das Festhalten an den im Gesetz geforderten Voraussetzungen als unzumutbar erscheinen lassen. Unabhängig davon ist nicht ersichtlich, dass sich der Kläger um eine zeitigere Wiedereingliederung in die hiesigen Verhältnisse bemüht hat, weil der Befristungsantrag erst längere Zeit nach der Abschiebung gestellt worden ist. Dass ein solcher Antrag von vornherein sinnlos gewesen wäre, ist nicht ersichtlich. Auf eine Integrationsfähigkeit des Klägers, die zumindest in wirtschaftlicher Hinsicht offen sein dürfte, kommt es mithin nicht mehr an.

d) Unabhängig von alledem steht der Erteilung eines Visums oder einer Neubescheidung nach § 37 Abs. 2 AufenthG entgegen, dass der Lebensunterhalt des Klägers nicht im Sinne von § 37 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG gesichert ist. Die Übernahme der Unterhaltsverpflichtung durch einen Dritten für die Dauer von fünf Jahren ist nicht nachgewiesen. Die im erstinstanzlichen Verfahren vorgelegten Nachweise sind nicht mehr aktuell, beziehen sich nicht auf den in § 37 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG geforderten Zeitraum und schon damals fehlte ein Nachweis zur Krankenversicherung. Im Übrigen hätte es einer schriftlichen Verpflichtungserklärung gegenüber der Ausländerbehörde nach § 68 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 AufenthG bedurft, die spätestens im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung der Tatsacheninstanz vorliegen muss (vgl. Hailbronner, AufenthG, Kommentar, § 37 Rn. 16 ff.; Eberle, in: Storr/Wenger u.a., Kommentar zum Zuwanderungsrecht, 2. Aufl., § 37 Rn. 11 f.).

II. Der auf Erteilung eines Visums zum Ehegattennachzug gerichtete Hilfsantrag, der die im Berufungsverfahren erhobene zulässige Klageerweiterung betrifft, ist nicht begründet. Der versagende Bescheid der Beklagten ist rechtmäßig, denn der Kläger hat keinen Anspruch auf Erteilung eines Sichtvermerks zur Familienzusammenführung mit seiner deutschen Ehefrau, § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO.

Rechtliche Grundlage für den geltend gemachten Anspruch sind §§ 4 Abs. 1, 6 Abs. 4, 28 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG. Danach ist dem ausländischen Ehegatten eines Deutschen zur Herstellung und Wahrung der familiären Lebensgemeinschaft im Bundesgebiet eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen, wenn der Deutsche seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet hat. Der Kläger ist zwar mit einer im Bundesgebiet lebenden deutschen Staatsangehörigen verheiratet, und es bestehen auch keine Zweifel an der formalen Wirksamkeit dieser Eheschließung. Dies allein genügt jedoch nicht, denn Sinn und Zweck der Familiennachzugsregelungen ist es, den in Art. 6 Abs. 1 GG verbürgten Schutz von Ehe und Familie zu gewährleisten. Art. 6 Abs. 1 GG setzt voraus, dass außer einer rechtlichen auch eine tatsächliche Verbundenheit zwischen den Ehegatten besteht oder jedenfalls hergestellt werden soll (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 15. Juni 1993, InfAuslR 1994, 311). Gemessen daran müssen beide Eheleute wirklich beabsichtigen, eine nach Art. 6 GG schutzwürdige Lebensgemeinschaft im Bundesgebiet herzustellen (BVerwG, Urteil vom 23. März 1982, BVerwGE 65, 174, 180; Beschluss vom 12. Juni 1992, InfAuslR 1992, 305). Nutzt einer der Eheleute die Eheschließung lediglich dazu, um sich ein anderweitig verwehrtes Aufenthaltsrecht im Bundesgebiet zu verschaffen, so kommen ihm in ausländerrechtlicher Hinsicht die Schutzwirkungen der Eheschließung nicht zugute (OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 22. März 2007 - OVG 12 N 79.07 - m.w.N.).

Im vorliegenden Verfahren ist der Senat davon überzeugt, dass jedenfalls der Kläger die Ehe mit Frau Ö. während des Berufungsverfahrens nur geschlossen hat, um seine bislang ohne Erfolg betriebene Rückkehr in das Bundesgebiet zu sichern und ein ihm anderweitig verwehrtes Aufenthaltsrecht zu erlangen. Angesichts dessen kommt es hier auf die Frage nach dem Anwendungsbereich des § 27 Abs. 1 a AufenthG nicht entscheidungserheblich an (vgl. dazu OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 29. Januar 2009 - OVG 2 B 11.08 -).

Gegen die Absicht des Klägers, eine schutzwürdige Ehe mit Frau Ö. im Bundesgebiet führen zu wollen, spricht zunächst, dass er im Visumsverfahren - schon vor der gemeinsamen Anhörung - unzutreffende Angaben gemacht hat, die für die Frage nach der Schutzwürdigkeit der geschlossenen Ehe von großer Bedeutung waren. Später hat der Kläger anlässlich der zeitgleichen Anhörung beider Eheleute die unwahren Angaben wiederholt und auch seine Ehefrau dazu bewegt, nicht die Wahrheit zu sagen. Dadurch hat er erhebliche Zweifel an seiner Glaubwürdigkeit in aufenthaltsrechtlichen Angelegenheiten hervorgerufen, die später nicht ausgeräumt worden sind.

So waren z.B. die Angaben zum Kennenlernen, wonach sich die Eheleute 2004 in M. zufällig am Strand getroffen und danach fast täglich gesehen hätten, in jeder Hinsicht ebenso frei erfunden wie die bei der Anhörung genannte - ohnehin divergierende - Anzahl der Besuche in der Türkei, die Angaben zu den Wohnverhältnissen während dieser Aufenthalte und die Erklärung des Klägers, die Eheleute hätten im Sommer 2005 die Ehe vor dem Imam geschlossen. Auch die Anzahl der Hochzeitsgäste, die der Kläger vor der gemeinsamen Anhörung angegeben und die die Ehefrau während ihrer Anhörung vor der ursprünglich beigeladenen Ausländerbehörde wiederholt hat, stimmte nicht mit den tatsächlichen Gegebenheiten überein.

Zwar hat Frau Ö. zu Beginn ihrer Vernehmung als Zeugin in der mündlichen Verhandlung von sich aus zugegeben, dass einige der im Verwaltungsverfahren gemachten Angaben - aufgrund einer Absprache mit ihrem Ehemann - erfunden gewesen seien. Allein dadurch werden die Zweifel an der Glaubwürdigkeit des Klägers jedoch nicht ausgeräumt. Dem insgesamt zurückhaltenden Eindruck zufolge, den die Zeugin in der mündlichen Verhandlung gemacht hat, ging es ihr offensichtlich vor allem darum, sich vor Gericht keiner Falschaussage schuldig zu machen. Der Kläger selbst hat hingegen keine Notwendigkeit gesehen, die bereits anlässlich seiner ersten Befragung gegenüber der Beklagten gemachten Falschangaben im gerichtlichen Verfahren zu korrigieren. Er hat - ganz im Gegenteil - an den unwahren Angaben festgehalten, diese schriftsätzlich vertieft und versucht, von der Beklagten beanstandete Widersprüche mit weiteren unzutreffenden Angaben zu erklären oder aufzulösen. Hierbei ist er sogar so weit gegangen, Zeugenbeweis für die angebliche Hochzeitsfeier mit 40 Gästen anzubieten, die den glaubhaften Bekundungen der Ehefrau zufolge in diesem Rahmen überhaupt nicht stattgefunden hat und an der die als Zeugen benannten Personen nicht teilgenommen haben.

Ferner legt das durch einen Verwandten des Klägers und Arbeitskollegen der von ihrem damaligen Ehemann zu diesem Zeitpunkt getrennt lebenden Zeugin vermittelte Kennenlernen der Eheleute den Schluss nahe, dass der Kläger von Beginn an ausschließlich seine Rückkehr in das Bundesgebiet plante. So hatte er an der Person der Zeugin und ihrem äußeren Erscheinungsbild offensichtlich kein Interesse. Zwar wurde der Zeugin von ihrem Arbeitkollegen ein Foto des Klägers gezeigt, das sich auf dessen Handy befand. Der Kläger hat jedoch den Angaben der Zeugin zufolge vor der gemeinsamen Begegnung in der Türkei kein Foto von ihr verlangt oder gesehen. Ebenso wenig ist der Tag der Eheschließung auf Fotos festgehalten worden, und die von den Eheleuten im gerichtlichen Verfahren vorgelegten Fotos, auf denen sie gemeinsam abgebildet sind, sind erst während des gerichtlichen Verfahrens im März 2009, also rund 2 1/2 Jahre nach der Eheschließung, aufgenommen worden.

Diese "Geschäftsmäßigkeit" der ehelichen Beziehung und die fehlende Verbundenheit auf Seiten des Klägers werden durch weitere Umstände bestätigt: So haben sich die Eheleute seit dem 8. August 2006, dem Tag der Eheschließung, trotz des seitdem vergangenen erheblichen Zeitraumes nur noch einmal - im März 2009 - für lediglich drei Tage getroffen. Diese von Frau Ö. unternommene Reise galt zudem offensichtlich nicht in erster Linie dem Kläger, denn sie ist ihren in der mündlichen Verhandlung gemachten Angaben zufolge wegen einer Operation ihrer in Istanbul lebenden Mutter in die Türkei gereist und hat lediglich "nebenbei" ihren Ehemann besucht. Im Jahr zuvor - 2008 - hatte sich Frau Ö. wegen einer Erkrankung ihrer Großmutter ebenfalls in der Türkei aufgehalten, ohne allerdings ihren Ehemann zu treffen. Dieses erklärungsbedürftige Verhalten haben weder der Kläger noch die Zeugin nachvollziehbar erläutern können.

In das Bild einer allein durch geschäftsmäßige Beziehungen geprägten Verbindung fügt sich ferner der Umstand, dass Frau Ö. nach der standesamtlichen Eheschließung weiterhin im Hotel und der Kläger in seiner Wohnung in K. gewohnt und übernachtet und Frau Ö. die Wohnung ihres Ehemannes auch bei ihrem weiteren Besuch nicht betreten hat. Eine einleuchtende Erklärung für dieses Verhalten ihres Ehemannes konnte sie in der mündlichen Verhandlung nicht geben. Dass es vor einer religiösen Trauung oder einer größeren Hochzeitsfeier im Bundesgebiet nicht möglich gewesen sein soll, die Wohnung des Ehemannes zumindest zu betreten oder anzuschauen, ist nicht nachvollziehbar. Dies gilt im Übrigen umso mehr, als sich der Kläger von einer etwaigen religiösen Überzeugung nicht hat abhalten lassen, die Zeugin zu heiraten, obwohl ihre vorherige Ehe kurz zuvor geschieden worden war. Hinzu kommt, dass die Besuche der Ehefrau in K. lediglich von kurzer Dauer waren. So ist sie nach der Eheschließung nur noch zwei Tage in K. geblieben, um danach - wie zuvor geplant - Urlaub mit der Familie einer Freundin in der Nähe von Antalya ohne den Kläger zu verbringen. Im März 2009 hat sich Frau Ö. nur drei Tage in K. aufgehalten und während dieser Zeit bei einer Freundin gewohnt. Während der räumlichen Trennung der Eheleute war der Kontakt den Angaben der Zeugin zufolge trotz der guten gemeinsamen Sprachbasis (Deutsch und Türkisch) unregelmäßig und manchmal für mehrere Wochen unterbrochen. Auch der Kontakt der Zeugin zu der im Bundesgebiet lebenden Familie ihres Ehemannes war trotz des langen Zeitraumes auf wenige Treffen beschränkt. Nach alledem steht für den Senat fest, dass die Ehe zumindest auf Seiten des Klägers allein aus aufenthaltsrechtlichen Gründen geschlossen worden ist und es ihm in Wirklichkeit nicht auf eine Familienzusammenführung mit seiner Ehefrau, sondern auf einen erneuten Aufenthalt im Bundesgebiet ankommt.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 2, 162 Abs. 3 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr. 10, § 711 der Zivilprozessordnung.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.

Ende der Entscheidung

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