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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg
Urteil verkündet am 05.05.2006
Aktenzeichen: OVG 12 B 9.05
Rechtsgebiete: AufenthG


Vorschriften:

AufenthG § 60 Abs. 7
1. Männliche Flüchtlinge mittleren Alters sind derzeit im Falle der Rückkehr nach Afghanistan in der Regel extremen allgemeinen Gefahren i.S.d. § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG selbst dann nicht ausgesetzt, wenn sie in ihrer Heimat auf fortbestehende familiäre Bindungen nicht zurückgreifen können.

2. Eine extreme Gefahrenlage im vorgenannten Sinne wäre nur dann gegeben, wenn der Flüchtling alsbald nach seiner Rückkehr in eine lebensbedrohliche Bedrängnis geraten würde, aus der er sich weder allein noch mit erreichbarer Hilfe anderer befreien kann.


OVG 12 B 9.05

Verkündet am 5. Mai 2006

In der Verwaltungsstreitsache

Tenor:

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Frankfurt (Oder) vom 2. September 2003 geändert:

Die Klage wird insgesamt abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten des Bundesbeauftragten für Asylangelegenheiten, die dieser selbst trägt.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beklagte wendet sich mit ihrer Berufung gegen die erstinstanzliche Verpflichtung zur Feststellung der Voraussetzungen des § 53 Abs. 6 AuslG, nunmehr § 60 Abs. 7 AufenthG.

Der Kläger ist afghanischer Staatsangehöriger paschtunischer Volks- und muslimischer Religionszugehörigkeit. Er ist im September 1995 nach Pakistan und seinen Angaben zufolge von dort aus am 21. September 1995 auf dem Luftweg in die Bundesrepublik Deutschland eingereist. Am selben Tage reiste er nach Berlin und übergab der Polizei ein Schriftstück, auf dem er zuvor Folgendes in der Sprache Paschtu verfasst hatte:

"Ich heiße F_____. Ich möchte mit meiner Familie zusammen leben in Dresden."

Das Schriftstück wurde mit dem in lateinischer Schrift hinzugefügten Zusatz "Asyl! F_____ 27.10.71" zum Verwaltungsvorgang genommen, jedoch nicht übersetzt.

Nachdem der Kläger am 26. September 1995 bei der Haftprüfung vor dem Amtsgericht sein Asylbegehren geäußert hatte, eröffnete die Außenstelle Berlin des Bundesamtes für die Anerkennung Ausländischer Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) am 26. September 1995 ein Asylverfahren, wies den Kläger der Zentralen Ausländerbehörde Eisenhüttenstadt zu und gab das Verfahren an die Außenstelle Eisenhüttenstadt des Bundesamtes ab. In diesem Verfahren wurde der Kläger als A_____, geboren 27.10.1971, geführt.

Am 16. Oktober 1995 beantragte der Kläger bei der Außenstelle Gießen des Bundesamtes unter dem Namen F_____ in Kandahar, Asyl. Zur Begründung machte er im Wesentlichen geltend, gegen die Mudjaheddin gearbeitet zu haben und im August 1994 von Angehörigen der hezb-i-islami entführt und gegen Zahlung eines Bestechungsgeldes wieder freigelassen worden zu sein. Hinsichtlich der Einzelheiten seiner Asylgründe wird auf das Anhörungsprotokoll vom 16. Oktober 1995 Bezug genommen.

Ferner legte der Kläger bei seiner Anhörung ein Schriftstück vor, bei dem es sich um einen "Haftbefehl" der hezb-i-islami handeln soll. Es enthält die Namen von Personen, die von der Organisation gesucht werden. Unter anderem sind darin auch der Name des Klägers, der seines Vaters und der seines Bruders angeführt. Bei einer Rückkehr fürchte der Kläger, von den Mudjaheddin festgenommen und getötet zu werden.

Mit Bescheid vom 21. Dezember 1995 lehnte das Bundesamt den Asylantrag des Klägers als offensichtlich unbegründet ab und stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG offensichtlich nicht gegeben seien, diejenigen des § 53 AuslG nicht vorlägen. Ferner forderte es den Antragsteller zur Ausreise binnen einer Woche nach Bekanntgabe der Entscheidung auf und drohte ihm für den Fall der Nichtbefolgung die Abschiebung nach Afghanistan oder in einen anderen aufnahmebereiten Staat an. Mit Bescheid vom 26. April 2006 hat es vorgenannten Bescheid insoweit aufgehoben, als Ansprüche des Klägers als "offensichtlich unbegründet" abgelehnt worden sind.

Obwohl aufgrund des in Gießen geführten Asylverfahrens dem Bundesamt die seinerzeitige Anschrift des Klägers in Bündingen bekannt war, richtete es seinen Bescheid vom 21. Dezember 1995 an die Aufnahmeeinrichtung Eisenhütte in Eisenhüttenstadt. Dort wurde der Bescheid nicht abgeholt und am 23. Januar 1996 an das Bundesamt zurückgesandt. Nachdem der seinerzeitige Verfahrensbevollmächtigte des Klägers sich an die Außenstelle des Bundesamtes in Berlin gewandt hatte, teilte die Außenstelle Gießen ihm mit Schreiben vom 20. März 1996 den Sachverhalt mit.

Darauf hin hat der Kläger am 10. Juni 1996 beim Verwaltungsgericht Potsdam Klage erhoben. Dieses hat den Rechtsstreit mit Beschluss vom 26. Februar 1997 an das Verwaltungsgericht Frankfurt (Oder) verwiesen.

Der Kläger hat im erstinstanzlichen Verfahren beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 21. Dezember 1995 zu verpflichten, ihn als Asylberechtigten anzuerkennen sowie hilfsweise

festzustellen, dass bei dem Kläger Abschiebungshindernisse gemäß §§ 51 und 53 AuslG bzgl. Afghanistans vorliegen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das Verwaltungsgericht hat mit angefochtenem Urteil vom 2. September 2003 die Beklagte unter teilweiser Aufhebung ihres Bescheides vom 21. Dezember 1995 verpflichtet festzustellen, dass bei dem Kläger Abschiebungshindernisse im Sinne des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG bzgl. Afghanistan vorliegen und im Übrigen die Klage abgewiesen. Der Kläger sei einer konkreten und individuellen Gefahr ausgesetzt, weil er als ehemaliger kommunistischer Funktionsträger der Najibullah-Zeit in einer exponierten Lage gewesen sei und die Gefahr bestehe, dass die Verfolgung durch die in Kandahar derzeit tonangebende Mudjaheddin-Fraktion fortdauere. Dies sei dem genannten Haftbefehl zu entnehmen.

Das Urteil ist der Beklagten am 18. September 2003 zugestellt worden. Mit am 1. Oktober 2003 beim Verwaltungsgericht eingegangenen Schriftsatz hat sie die Zulassung der Berufung beantragt. Nach den vorliegenden Erkenntnissen bestehe für ehemalige kommunistische Funktionsträger der Najibullah-Zeit eine inländische Fluchtalternative zumindest im Raum Kabul. Auch bestehe keine allgemeine extreme Gefahrenlage bei einer gleichzeitigen Schutzlücke, die die Durchbrechung der Sperrwirkung des § 53 Abs. 6 Satz 2 AuslG rechtfertige.

Der die Berufung zulassende Beschluss des Senats vom 2. September 2005 ist der Beklagten am 13.September 2005 zugestellt worden. Zur Begründung ihrer Berufung beruft sie sich mit ihrer am 29. September 2005 beim Oberverwaltungsgericht eingegangenen Berufungsbegründungsschrift auf ihren Bescheid vom 21.Dezember 1995 und auf den Antrag auf Zulassung der Berufung vom 1. Oktober 2003.

Die Beklagte beantragt,

die Klage unter entsprechender Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts Frankfurt (Oder) vom 2. September 2003 in vollem Umfange abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er behauptet, er müsse im Hinblick auf den vorgelegten "Haftbefehl" davon ausgehen, nach wie vor wegen seiner Mitgliedschaft in der Milizpartei defa-e-khodi verfolgt zu werden, weil noch immer die Mitglieder der hezb-i-islami in Kandahar an der Macht und auch in Kabul durchaus in der Lage seien, Einfluss zu nehmen. Auch sei ihm aufgrund der allgemeinen Sicherheits- und Versorgungslage eine Rückkehr nach Afghanistan nicht möglich.

Der Senat hat am 27. März 2006 den sachverständigen Zeugen Georg XX und am 5. Mai 2005 den sachverständigen Zeugen Dr. Mostafa Danesch zur Situation der aus Europa nach Afghanistan zurückkehrenden Flüchtlinge vernommen. Er hat ferner Stellungnahmen der International Organisation of Migration (IOM) und des Auswärtigen Amtes zur Durchführung des RANA-Programmes eingeholt. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahmen wird auf die Sitzungsniederschriften und die Schreiben von IOM vom 13. April 2006 und des Auswärtigen Amtes vom 18. April 2006 Bezug genommen.

Die im Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 24. Februar 2006 aufgeführten Verwaltungsvorgänge haben vorgelegen und waren, soweit wesentlich, Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend hierauf, auf die in das Verfahren eingeführten Erkenntnismittel sowie auf den Inhalt der Streitakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig und begründet. Die Beklagte ist nach der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung des Senats (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG) nicht verpflichtet, gemäß § 31 Abs. 3 Satz 1 AsylVfG das Vorliegen der Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 AufenthG festzustellen.

I. Nach dessen Satz 1 soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für ihn landesweit (hierzu: BVerwG, Beschluss vom 4. Februar 2004 - 1 B 291.03 - Buchholz 402.240 § 53 AuslG Nr. 75 S. 123, 124) eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Erheblich ist die Gesundheitsgefahr in diesem Sinne, wenn der Tod, eine wesentliche oder sogar lebensbedrohliche Verschlechterung des Gesundheitszustandes zu befürchten ist, konkret, wenn dies alsbald nach der Rückkehr droht (vgl. BVerwG, Urteil vom 25. November 1997 - 9 C 58/96 -, BVerwGE 105, 383, 387 zu § 53 Abs. 6 AuslG). Auch im Falle bereits erlittener Eingriffe in Leib, Leben oder Freiheit kann eine konkrete Gefahr in diesem Sinne nur angenommen werden, wenn sie dem Ausländer im Falle der Rückkehr in den Zielstaat der Abschiebung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht (BVerwG, Urteil vom 17. Oktober 1995 - 9 C 9.95 - BVerwGE 99, 324, 330 zu § 53 Abs. 6 AuslG).

1. Dem Kläger droht im Falle seiner Rückkehr nach Afghanistan nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit alsbald landesweit eine erhebliche Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit durch Angehörige der hezb-i-islami.

Allerdings zweifelt der Senat nicht daran, dass es sich bei dem Kläger um den Sohn des Herrn M_____ handelt. Der Kläger hat dies bereits gegenüber der Polizei in Berlin in seiner Muttersprache Paschtu schriftlich niedergelegt. Wer auf dasselbe Schriftstück in lateinischer Schrift den Zusatz "Asyl! F_____ 27.10.71" angebracht hat, lässt sich nicht mehr feststellen. Es besteht jedoch kein Anhaltspunkt dafür, dass es der Kläger selbst war.

Der Vortrag des Klägers zu der behaupteten Verfolgung durch Angehörige der hezb-i-islami im Jahre 1994 ist hingegen in wesentlichen Punkten widersprüchlich und lässt sich auch mit den Einlassungen seiner Angehörigen nicht ohne Weiteres in Einklang bringen. Er rechtfertigt die Annahme einer drohenden konkreten Gefahr nicht:

Während der Kläger bei seiner Anhörung vom 16. Oktober 1995 durch die Außenstelle Gießen des Bundesamtes bekundete, bei dem Vorfall am 16. August 1994 sei sein Vater geschlagen, der Kläger selbst aber mitgenommen worden, hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung vom 24. Februar 2006 vor dem Senat angegeben, der Mullah Fazel Bari habe ihm erklärt, man habe seinen Vater getötet und werde auch ihn töten. Darauf hin habe man ihn mitgenommen und drei bis vier Monate festgehalten. Auch alle weiteren im Haus anwesenden Männer seien mitgenommen worden. Sein Vater sei nach einiger Zeit wieder frei gekommen; überhaupt habe der Onkel es geschafft, "uns allen" wieder zur Freiheit zu verhelfen.

Der Vater des Klägers hatte bei seiner Anhörung vor der Außenstelle der Beklagten in Aschaffenburg am 8. November 1994 angegeben, am 16. August 1994 seien zehn Mudjaheddin in sein Haus eingedrungen, hätten ihn bewusstlos geschlagen und einen seiner Söhne mitgenommen. Bereits im April 1993 sei er von Freunden davor gewarnt worden, dass die Mudjaheddin in töten wollten.

Die Ehefrau des Klägers gab wiederum bei ihrer Anhörung vom 27. Dezember 1994 vor der Außenstelle des Bundesamtes in Schwalbach an, eines Nachts vor der Ausreise seien ihr Ehemann und ihr Schwiegervater verhaftet worden. Ihr Ehemann sei lediglich der Fahrer seines Vaters gewesen; der Schwiegervater selbst jedoch Abgeordneter unter Najibullah. Man habe ihren Mann nur wegen des Vaters mitgenommen. Vor dieser Festnahme habe es keine Andeutung, keine besonderen Schwierigkeiten gegeben.

Der Vortrag des Klägers bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt lässt sich folglich mit demjenigen seines Vaters in Einklang bringen, nicht jedoch mit demjenigen seiner Ehefrau. Die von seinem ursprünglichen Vortrag abweichenden Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat stimmen hingegen, was die behauptete Entführung von Vater und Sohn angeht, mit dem Vortrag seiner Ehefrau vor dem Bundesamt überein, nicht jedoch mit demjenigen seines Vaters. Was den behaupteten Grund für die Verhaftung des Klägers angeht, lässt sich sein Vortrag nur schwerlich mit demjenigen seiner Ehefrau vereinbaren.

Selbst wenn man zu Gunsten des Klägers die Echtheit des vorgelegten "Haftbefehls" der hezb-i-islami sowie die Richtigkeit seiner Angaben vor dem Senat als wahr unterstellt und dabei offen lässt, ob nur er oder auch die weiteren männlichen Familienangehörigen von den Mudjaheddin mitgenommen worden sind, erlaubt dies die Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung der Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht.

Der "Haftbefehl" enthält die Namen von Personen, die von der hezb-i-islami gesucht werden, unter anderem den Namen des Klägers, den seines Vaters und den seines Bruders. Weiter heißt es darin: "Und oben genannte Personen gibt es Dokumente zu deren Verrat, dass sie mehrere Menschen umgebracht haben" (so die Übersetzung durch den Dolmetscher in der mündlichen Verhandlung vom 24. Februar 2006). Führer der hezb-i-islami ist seit langem Golbud-Din Hekmatyar (vgl. Schetter, Kleine Geschichte Afghanistans, S. 91). Dieser kooperiert derzeit mit den Taliban (vgl. Neue Zürcher Zeitung vom 26. August 2005) und soll Stützpunkte in Paktia und Ghazni unterhalten (vgl. etwa Dr. Danesch, Gutachten für das Sächsische OVG vom 24. Juli 2004 [im Folgenden: Danesch 7/2004] S. 11). Dass die hezb-i-islami derzeit in Kabul über maßgeblichen Einfluss verfügt, ist nicht ersichtlich.

Ferner ist zu berücksichtigen, dass der Onkel des Klägers diesen - und ggf. auch die weiteren "verhafteten" männlichen Familienangehörigen - aus der Haft bei den Angehörigen der hezb-i-islami freikaufen konnte, obwohl diesen, wie der Kläger nunmehr einräumt, seine Identität - also auch die Verwandtschaft mit seinem Vater - bekannt war. Dass ihm dennoch auch nach Ablauf von inzwischen nahezu zwölf Jahren auch in Kabul droht, aufgrund des "Haftbefehls", der Verwandtschaft zu seinem Vater und der Tätigkeit an dem Kontrollposten (erneut) festgenommen zu werden, ist nicht beachtlich wahrscheinlich. Zumal der Kläger nicht vorgetragen hat, tatsächlich die im "Haftbefehl" vorgeworfenen Tötungen begangen zu haben, wofür es im Übrigen auch sonst keine Anhaltspunkte gibt.

2. Dem Kläger droht in Kabul auch seitens der Regierung oder sonstiger Gruppen nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit wegen seiner Familienzugehörigkeit oder früheren Tätigkeiten.

Dies gilt auch dann, wenn man trotz der zuvor aufgezeigten Widersprüche in den Angaben des Klägers und seiner Angehörigen davon ausgehen wollte, dass der Vater des Klägers tatsächlich mit dem damaligen Regierungschef Najibullah befreundet war und daher als der DVPA nahe stehend angesehen werden konnte (nach seinen Angaben vor dem Bundesamt am 8. November 1994 war der Vater kein Mitglied einer Partei Afghanistans, obwohl das Auswärtige Amt ein von ihm vorgelegtes Dokument als Parteiausweis - wohl der DVPA - und ein weiteres als Ausweis des Khad qualifizierte).

Zwar kann nach dem Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 29. November 2005 (S. 21; im Folgenden: Lagebericht 11/2005) eine Verfolgung herausragender ehemaliger kommunistischer Militärs, Polizeirepräsentanten und Mitarbeiter des Geheimdienstes Khad durch Private, aber auch durch Regierungsvertreter oder gegenwärtige Polizei- und Geheimdienstmitarbeiter nicht ausgeschlossen werden. Die Zentralregierung verfüge über keine hinreichenden Schutzmöglichkeiten. Einfachen früheren Mitgliedern der DVPA, die sich keiner Menschenrechtsverletzung schuldig gemacht haben und nicht deshalb Rache fürchten müssen, droht jedoch heute eine Verfolgung nicht mehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit (vgl. etwa Deutsches Orientinstitut, Gutachten für das Sächsische OVG vom 23. September 2004 [im Folgenden: Dt. Orientinstitut 9/2004] S. 11; Lagebericht 9/2005 S. 21; auch Dr. Danesch leitet eine fortbestehende Gefahr für ehemalige Mitglieder der DVPA vor allem aus ihrer früheren Bedeutung, Bekanntheit und Verantwortlichkeit für Menschenrechtsverletzungen ab: Danesch 7/2004 S. 36 ff.; vgl. aus der Rspr. etwa Hess. VGH, Urteil vom 11. November 2004 - 8 UE 2759/01.A S. 10 f.). Dass sich der Vater des Klägers oder der Kläger selbst einer Menschenrechtsverletzung schuldig gemacht hätte, der Kläger daher heute auch im Raum Kabul noch Rache fürchten müsste, macht er nicht geltend. Auch andere Anzeichen dafür liegen nicht vor.

II. Gemäß § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG werden Gefahren, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, bei Entscheidungen nach § 60 a Abs. 1 Satz 1 AufenthG berücksichtigt. Eine Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung eines Abschiebungshindernisses würde daher voraussetzen, dass Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG eine verfassungskonforme Überwindung dieser Sperrwirkung gebieten. Das ist vorliegend nicht der Fall.

1. Eine allgemeine Gefahr im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG liegt vor, wenn ein Missstand im Abschiebezielstaat die Bevölkerung insgesamt oder eine Bevölkerungsgruppe so trifft, dass grundsätzlich jedem, der der Bevölkerung oder Bevölkerungsgruppe angehört, deshalb mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine erhebliche Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit i.S.d. § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG droht. Ist die von der allgemeinen Gefahr betroffene Gruppe so groß und die Gefahr von solcher Art, dass es einer politischen Leitentscheidung nach § 60 a Abs. 1 Satz 1 AufenthG bedarf, greift die Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG ein (BVerwG, Urteil vom 12. Juli 2001 - 1 C 5.01 -, Buchholz 402.240 § 53 AuslG Nr. 49, S. 71, 74 zur entsprechenden Rechtslage nach §§ 53 Abs. 6, 54 AuslG). Individuelle Gefährdungen des Ausländers, die sich aus einer allgemeinen Gefahr in diesem Sinne ergeben, können auch dann nicht als Abschiebungshindernis unmittelbar nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG berücksichtigt werden, wenn sie - auch - durch Umstände in der Person oder in den Lebensverhältnissen des Ausländers begründet oder verstärkt werden, aber gleichwohl insgesamt nur typische Auswirkungen der allgemeinen Gefahrenlage sind (BVerwG, Urteil vom 8. Dezember 1998 - 9 C 4/98 - BVerwGE 108, 77, 82).

Soweit sich der Kläger auf Gefahren aufgrund der allgemeinen Sicherheits- und Versorgungslage in Afghanistan beruft, handelt es sich um solche, die der gesamten afghanischen Bevölkerung drohen. Möglicherweise kann angenommen werden, dass den aus Europa, Nordamerika und Australien zurückkehrenden Flüchtlingen wegen bei ihnen vermuteter finanzieller Mittel sogar besondere Gefahren drohen. An der Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG würde dies nichts ändern, weil auch solche Umstände für die genannte Untergruppe von Rückkehrern eine politische Entscheidung in dem zuvor dargestellten Sinn erfordern würde.

2. Eine Durchbrechung der Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG darf nur erfolgen, sofern dem Ausländer nicht bereits anderweitig hinreichender Schutz vor einer Abschiebung zur Verfügung steht (vgl. BVerwG, Urteil vom 12. Juli 2001 - 1 C 2.01 -, Buchholz 402.240 § 53 AuslG Nr. 50 zu § 53 Abs. 6 Satz 2 AuslG). Ob der für den Kläger maßgebliche hessische Erlass vom 27. Juli 2005 (Hessischer Staatsanzeiger 34/2005, S. 3258) in seiner praktischen Umsetzung in Hessen dem Kläger wegen des Zusammenlebens mit seiner Familie bereits einen mit dem nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG bzw. § 60 a Abs. 1 AufenthG gleichwertigen Schutz vermittelt (so Hessischer VGH, Beschluss vom 13. Oktober 2005 - 8 UE 1274/04.A -, S. 15 f. des BA), bedarf keiner abschließenden Entscheidung, weil jedenfalls die weiteren Voraussetzungen für eine Überwindung der Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG nicht vorliegen.

3. Die verfassungskonforme Überwindung der Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG ist nur gerechtfertigt, wenn der Ausländer im Zielstaat landesweit (BVerwG, Beschluss vom 4. Februar 2004 - 1 B 291.03 - Buchholz 402.240 § 53 AuslG Nr. 75 S. 123 f.) mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen allgemeinen Gefahr dergestalt begegnen würde, dass er gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde (st. Rspr. des BVerwG zur entsprechenden Regelung des § 53 Abs. 6 Satz 2 AuslG, vgl. etwa Beschluss vom 16. September 2004 - 1 B 132.04 - Buchholz 402.240 § 53 AuslG Nr. 80 S. 133 f.). Das ist bei einer allgemein schlechten Sicherheits- und Versorgungslage der Fall, wenn der Ausländer alsbald nach seiner Rückkehr in eine lebensbedrohliche Bedrängnis geraten würde, aus der er sich weder allein noch mit erreichbarer Hilfe Anderer befreien kann. Eine nur "unberechenbare" Sicherheitslage genügt ebenso wenig wie eine "hohe Zahl von Opfern" unter der Zivilbevölkerung oder eine nur "erhebliche Gefahr" (BVerwG, Beschluss vom 7. Oktober 2004 - 1 B 121.04 - Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 293 S. 127). Dies gilt auch für die Notlage am Ort einer inländischen Fluchtalternative (BVerwG, Beschluss vom 25. Oktober 1999 - 9 B 167/99 u.a. - Buchholz 402.240 § 53 AuslG Nr. 25). Das Erfordernis der Unmittelbarkeit der Gefahr und ihres hohen Wahrscheinlichkeitsgrades besagt nicht, dass Tod oder schwerste Verletzungen sofort, gewissermaßen noch am Tag der Ankunft im Zielstaat eintreten müssen. Eine extreme Gefahrenlage liegt vielmehr etwa auch dann vor, wenn der Ausländer mangels jeglicher Lebensgrundlage dem baldigen sicheren Tod ausgeliefert werden würde (BVerwG, Beschluss vom 26. Januar 1999 - 9 B 617/98 - Buchholz 402.240 § 53 AuslG Nr. 14).

Es lässt sich nicht feststellen, dass dem Kläger bei seiner Rückkehr nach Afghanistan landesweit, insbesondere auch in Kabul, unmittelbar mit hoher Wahrscheinlichkeit extreme Gefahren für Leib und Leben drohen.

a) Die Sicherheitslage in Kabul rechtfertigt die Annahme einer mit hoher Wahrscheinlichkeit unmittelbar drohenden Gefahr für Leib oder Leben des Klägers nicht.

Der Weg vom Flughafen in die Innenstadt wird vom Auswärtigen Amt als "vergleichsweise sicher eingestuft" (Lagebericht 11/2005, S. 34); anders lautende Erkenntnisse liegen nicht vor. Zwar kommt es auch in Kabul immer wieder zu Raketenbeschuss und terroristischen Anschlägen; die Sicherheitslage wird jedoch, wenn auch als "fragil", so doch als "im regionalen Vergleich zufrieden stellend" (Lagebericht 11/2005, S. 14) oder als "weitest gehend stabil" (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Afghanistan, Update vom 3. Februar 2006 [im Folgenden: SFH 2/2006], S. 3) dargestellt.

Die Kriminalitätsrate ist nach verschiedenen übereinstimmenden Auskünften hoch. Danach kommt es regelmäßig zu Morden, Raubüberfällen, Entführungen und Erpressungen, von denen insbesondere auch aus dem Westen zurückkehrende Flüchtlinge betroffen sein können, bei denen Geld vermutet wird. Die afghanischen Polizei- und Sicherheitskräfte bieten kaum ausreichenden Schutz; sie sind in manchen Fällen selbst Täter oder schützen diese zumindest und sind - aufgrund ihres geringen Einkommens - in hohem Maße korrupt. Effektiver Rechtsschutz fehlt (vgl. zum Ganzen etwa Lagebericht 11/2005, S. 14 f.; Danesch 7/2004, S. 23 f.; SFH 2/2006, S. 4; Bericht des Informationsverbundes Asyl e.V./ Pro Asyl, Rückkehr nach Afghanistan, Bericht über eine Untersuchung in Afghanistan von März bis Juni 2005 [im Folgenden: Pro Asyl 6/2005], S.5 ff.). Die vom Senat vernommenen sachverständigen Zeugen beurteilen die allgemeine Kriminalität unterschiedlich: Der Zeuge David schätzt die Kriminalitätsrate als nicht besonders hoch und eher günstiger als diejenige in einer deutschen Großstadt ein. Der Zeuge Dr. Danesch hingegen hält sie für "hoch bedrohlich". Es komme täglich zu Übergriffen schlimmster Art wie Morden, Vergewaltigungen und Entführungen. Auch zurückgekehrte afghanische Flüchtlinge seien generell von Kriminalität bedroht, sofern sie als jemand erkannt würden, der über Geld verfüge.

Die Bewertung dieser Umstände erlaubt zur Überzeugung des Senats nicht den Schluss, prinzipiell jeder aus Westeuropa zurückkehrende Flüchtling habe mit der für eine verfassungskonforme Durchbrechung der Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG erforderlichen hohen Wahrscheinlichkeit zu erwarten, in Kabul alsbald Opfer eines lebensbedrohlichen kriminellen Übergriffs zu werden (so auch OVG für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 5. April 2006 - 20 A 5161/04.A -, UA S. 14). Zwar geht der Senat unter Berücksichtigung verschiedener Auskünfte davon aus, dass die Kriminalität in Afghanistan und insbesondere in Kabul entgegen der Einschätzung des Zeugen David ein weitaus erheblicheres Problem für die Bevölkerung darstellt, als dies in deutschen Großstädten der Fall ist. Andererseits lässt sich jedoch aus den verfügbaren Erkenntnismitteln nicht folgern, jeder - aus Westeuropa - zurückkehrende Flüchtling werde mit hoher Wahrscheinlichkeit alsbald Opfer eines gegen ihn verübten Gewaltdelikts werden. Auch der Zeuge Dr. Danesch, der das Problem der Kriminalität am eindringlichsten beschreibt, hat angegeben, sich selbst frei in Kabul bewegen zu können, weil er die Landessprache beherrsche, die Mentalität der Menschen kenne und als Iraner weniger gefährdet sei als etwa ein Westeuropäer (vgl. auch die Angabe von Dr. Danesch im von der Prozessbevollmächtigten des Klägers in das Verfahren eingeführten Gutachten gegenüber dem Verwaltungsgericht Wiesbaden vom 13. Januar 2006 [im Folgenden: Danesch vom 13.01.2006], S. 16, wonach er sich "sechzehn Tage lang täglich zehn Stunden" in Kabul aufgehalten hat, ohne Opfer eines Überfalls zu werden). All dies trifft auf den in Afghanistan aufgewachsenen Kläger erst recht zu. Von dem ernsthaften Problem organisierter Kindesentführungen (vgl. etwa Lagebericht 11/2005, S. 14; Pro Asyl 6/2005, S. 6), ist der Kläger nicht betroffen. Auf eine Rückkehrmöglichkeit seiner Frau oder seiner Kinder kommt es für die Frage, ob dem Kläger selbst Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 AufenthG zu gewähren ist, nicht an (vgl. BVerwG, Urteil vom 16. Juni 2004 - 1 C 27.03 - Buchholz 402.240 § 53 Nr. 78 S. 129 f.).

b) Auch die Versorgungslage in Kabul rechtfertigt jedenfalls für gesunde Männer im Alter des 1970 oder 1971 geborenen Klägers keine Überwindung der Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG.

Allerdings bestehen staatliche soziale Sicherungssysteme in Afghanistan nicht. Die notwendige soziale Absicherung wird durch Familien und Stämme übernommen; fehlt es an solchen Strukturen, ist die Situation für Rückkehrer schwierig (vgl. etwa Lagebericht 11/2005, S. 32; SFH 2/2006, S. 9). Für die Pflege von Kranken und die Betreuung von Frauen und Kindern werden sie darüber hinaus als überlebensnotwendig dargestellt (so Pro Asyl 6/2005, S. 20). Im Einzelnen:

aa) Die Versorgung mit Wohnraum ist nach übereinstimmenden Auskünften unzureichend (vgl. nur Lagebericht 11/2005, S. 31). Die Mieten liegen insgesamt auf einem hohen Niveau, wobei die Auskünfte hinsichtlich der Preise für einfache Wohnungen oder Zimmer voneinander abweichen. Während der Zeuge David angegeben hat, der Mietzins für ein einfaches Zimmer belaufe sich seiner Erfahrung nach auf monatlich etwa $ 50, nennt Dr. Danesch in seinem Gutachten vom 25. Januar 2006 (S. 12) einen Preis von $ 250 für eine einfache Zwei-Zimmer-Wohnung, die Delegation, die Afghanistan im Frühjahr 2005 bereiste, einen Preis von $ 200 bis 500 für eine Zwei- bis Drei-Zimmer-Wohnung (Pro Asyl 6/2005, S. 15). Auch die genannten Zahlen der Obdachlosen bzw. der auf eine Unterkunft in einem der Flüchtlingslager bzw. einer der Ruinen der Stadt angewiesenen Personen weichen stark voneinander ab: Nach dem vom Kläger zitierten Artikel in der New York Times vom 14. Februar 2005 lebten zu diesem Zeitpunkt in Kabul Schätzungen zufolge etwa "10.000 Obdachlose, 4000 von ihnen in zwei Auffanglagern", und zwar bei einer angenommenen Einwohnerzahl Kabuls von 3,4 Millionen (vgl. den Schriftsatz der Prozessbevollmächtigten des Klägers vom 24. März 2006, S. 6). Der Zeuge David schätzt die Zahl derer, die bei einer angenommenen Einwohnerzahl Kabuls von etwa 4,5 Millionen auf eine Unterkunft in einem der Flüchtlingslager oder in einer der Ruinen angewiesen sind, auf jedenfalls unter 100.000; auch heute noch lebten die meisten Menschen in Kabul in kleinen, aus Lehm errichteten Häusern (ohne Wasser- und Stromanschluss), die im Eigentum der Familien stünden. Die Schweizerische Flüchtlingshilfe nennt für Dezember 2005 eine Zahl von etwa "40.000 Rückkehrer-Familien", die in Kabul keine Unterkünfte hätten, ohne eine durchschnittliche Anzahl von Personen pro Familie anzugeben (SFH 2/2006, S. 10).

Der Zeuge Dr. Danesch hat in der mündlichen Verhandlung am 5. Mai 2006 zwar keine konkrete Zahl derer genannt, die in Flüchtlingslagern oder Ruinen leben müssen, wohl aber geäußert, bei einer von ihm angenommenen Einwohnerzahl von etwa 4,5 bis 5 Millionen lebten "Millionen Menschen" in "slumartigen Vorstädten", in denen die Unterbringung noch weit schlechter sei als die in einem Aufnahmewohnheim des UNHCR. Der Zeuge muss sich insoweit entgegenhalten lassen, dass er die Wohnsituation in den Vorstädten Kabuls weder in seinem Gutachten vom 13. Januar 2006 noch in demjenigen vom 25. Januar 2006 für das Verwaltungsgericht Hamburg (im Folgenden: Danesch vom 25.01.2006) problematisiert hat. In beiden Gutachten geht er zur Beschreibung der "katastrophalen" Wohnsituation in Kabul eingehend auf das Flüchtlingslager an der Taimani-Straße und das sog. Flüchtlingslager "Camp-e Wabika" ein, erwähnt jedoch die Wohnsituation in den Vorstädten nicht, obwohl hiervon weit mehr Personen betroffen sein müssten. Erstgenanntes Flüchtlingslager wird - neben einem weiteren - auch von genannter Reisedelegation beschrieben (Pro Asyl 6/2005, S. 5, 7, 14, 16 f.). Auch dort wird die Wohnsituation in den Vorstädten nicht problematisiert. Nach Allem lässt sich nicht feststellen, dass ein Großteil der Bevölkerung Kabuls ("Millionen Menschen") in Wohnverhältnissen lebt, die eine extreme Gefahr für Leib und Leben der Bewohner in sich bergen.

Hinzukommt, dass der Kläger ausweislich seiner und seines Vaters Angaben im Asylverfahren einer wohlhabenden Familie aus Kandahar entstammt, die auch in Kabul über einflussreiche Kontakte verfügt haben muss. Er lebte bereits in den Jahren 1992 und 1993 für nahezu ein Jahr mit seiner Familie in Kabul. Der Kläger ist daher nicht ohne weiteres mit der verarmten Landbevölkerung zu vergleichen, der die Grundlage für ein weiteres Leben in den ländlichen Gebieten entzogen ist und die deshalb versuchen muss, in den Städten, vor allem in Kabul, ihr Überleben zu sichern (vgl. zu diesem Bevölkerungsteil Kabuls etwa die Angaben des Zeugen Dr. Danesch in der Vernehmung am 5. Mai 2006). Es ist vielmehr davon auszugehen, dass er aufgrund seines Bildungsgrades und der früheren Stellung seines Vaters in der afghanischen Gesellschaft eher in der Lage ist, in Anknüpfung an frühere Kontakte der Familie zumindest eine einfache Unterkunftsmöglichkeit auch in Kabul zu finden als die meisten der aus Iran und Pakistan zurückkehrenden Flüchtlinge, die aus ländlichen Regionen stammen und über keinerlei Beziehungen zur Stadt verfügen.

Auch beide vom Senat gehörten sachverständigen Zeugen unterscheiden zwischen den aus Iran und Pakistan einerseits und den aus sonstigen Ländern andererseits zurückkehrenden Flüchtlingen: Nach den Angaben des Zeugen David in der mündlichen Verhandlung vom 27. März 2006 und der schriftlichen Mitteilung der IOM gegenüber dem Senat vom 13. April 2006 können Flüchtlinge, die bis zum 15. August 2006 nach Kabul abgeschoben werden, im Rahmen des RANA-Programms jedenfalls für eine Übergangszeit von - grundsätzlich - bis zu zwei Wochen im Übergangswohnheim auf dem Gelände des Flüchtlingsministeriums Unterkunft finden und mit den nötigsten Lebensmitteln versorgt werden. Dem steht nicht entgegen, dass die Identifikation von Rückkehrern und ihre Begleitung bei der Einreise nur freiwilligen Rückkehrern angeboten werden, wie der Kläger unter Bezugnahme auf ein Informationsblatt von IOM vorträgt. Der Kläger hat Kenntnis von diesem Programm. Es ist ihm zuzumuten, das in Kabul ansässige Büro von IOM über seine Ankunft zu unterrichten. Selbst wenn er entgegen den Angaben des Zeugen David nicht bereits am Flughafen von den Mitarbeitern von IOM in Empfang genommen werden könnte, liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass es ihm unmöglich wäre, das auf dem Gelände des Flüchtlingsministeriums in Kabul befindliche Wohnheim zu erreichen. Der Preis für ein Taxi vom Flughafen Kabul in die Innenstadt beläuft sich nach den Angaben des sachverständigen Zeugen Dr. Danesch in der mündlichen Verhandlung vom 5. Mai 2006 auf etwa $ 8. Der Betrag wird den Rückkehrern nach Auskunft dieses Zeugen von IOM erstattet. Ob nach dem Auslaufen des Programms im August 2006 ein Folgeprogramm aufgelegt wird, steht nach der genannten schriftlichen Auskunft von IOM allerdings noch nicht fest.

Hinsichtlich der Aufnahmekapazität der Einrichtung widersprechen sich die Angaben der Zeugen: Während der Zeuge David angegeben hat, das Wohnheim verfüge über 96 Betten in Zwei-Bett-Zimmern, befinden sich nach den Angaben des Zeugen Dr. Danesch auf der für abgeschobene Flüchtlinge eingerichteten Etage des Gästehauses nur 20 Zimmer, die maximal 40 Personen Platz böten. Nach Auskunft des Zeugen David sei die Einrichtung in der Vergangenheit zu keiner Zeit ausgelastet gewesen, weshalb jedem aus den Ländern der Europäischen Union ankommenden Flüchtling auf Wunsch eine vorübergehende Unterkunft in dem Wohnheim bzw. Gästehaus habe ermöglicht werden können. Der Zeuge Dr. Danesch hat demgegenüber angegeben, nach den Informationen, die er am 3. Mai 2006 von seinen - auch auf Nachfrage namentlich nicht benannten - Informanten in Kabul erhalten habe, sei die Aufnahmeeinrichtung zurzeit voll belegt. Andererseits lässt die Angabe des Zeugen Dr. Danesch, das betreffende Gebäude werde schon seit längerem als ein Gästehaus des Ministeriums genutzt und stehe zurückkehrenden Flüchtlingen aus allen Ländern der Welt mit Ausnahme der Länder Iran und Pakistan zur Verfügung, darauf schließen, dass es auch für den Fall einer ersatzlosen Beendigung des von der Europäischen Union finanzierten RANA-Programmes über den August 2006 hinaus vom Ministerium weiter betrieben und Rückkehrern auch aus Westeuropa zur Verfügung stehen wird.

Letztlich bedarf keiner weiteren Aufklärung, ob der Kläger in genannter Einrichtung - ggf. auch noch nach dem 15. August 2006 - vorübergehend Aufnahme finden kann. Selbst wenn er im Falle seiner Abschiebung nach Kabul entgegen der Einschätzung des Senats darauf angewiesen sein sollte, zumindest vorübergehend in einem der genannten Flüchtlingslager Unterkunft zu finden, lässt sich nicht feststellen, dass er mit der erforderlichen hohen Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahr ausgesetzt wäre. Zwar liegen Berichte vor, nach denen in den Wintermonaten wegen mangelnder Heizmöglichkeiten in den Flüchtlingslagern Frauen, Kinder und alte Menschen sterben mussten (Pro Asyl 6/2005, S. 16); der Kläger gehört als gesunder Mann mittleren Alters jedoch nicht zu diesem Personenkreis.

bb) Es lässt sich auch nicht feststellen, dass der Kläger im Falle seiner Abschiebung nach Afghanistan mangels jeglicher Lebensgrundlage dem baldigen sicheren Hungertod ausgeliefert sein würde.

Die Versorgung mit Nahrungsmitteln und Hilfsgütern ist in Kabul grundsätzlich gewährleistet (vgl. Lagebericht 11/2005, S. 31; Dt. Orientinstitut 9/2004, S. 15). Ein Brot von etwa 150 bis 200 g kostet nach den Angaben von Dr. Danesch sechs Afghani (Gutachten vom 25.01.2006, S. 13). Der Preis für andere einfache Grundnahrungsmittel wie Reis dürfte dem in etwa entsprechen. Der Verdienst eines Bauarbeiters beläuft sich nach Auskunft von Dr. Danesch (a.a.O.) auf etwa 100 Afghani täglich, was etwa $ 2 entspricht. Selbst wenn der Kläger darauf angewiesen wäre, mit zahlreichen weiteren Bewerbern um eine Beschäftigung als Tagelöhner im Baugewerbe zu konkurrieren, kann nicht angenommen werden, dass er mit hoher Wahrscheinlichkeit nur an so wenigen Tagen des Monats eine Beschäftigung wird finden können, dass sein Überleben auch auf einfachstem Niveau nicht gesichert ist. Auf die Möglichkeit, zugleich auch das Überleben seiner Ehefrau und Kinder sichern zu können, kommt es für die Frage, ob dem Kläger selbst der Schutz des § 60 Abs. 7 AufenthG zuzubilligen ist, nicht an. Dem Einwand des Zeugen Dr. Danesch, Angehörige der gebildeten afghanischen Bevölkerungsschicht seien generell für die Aufnahme handwerklicher Tätigkeiten nicht geeignet, weshalb ihnen der Arbeitsmarkt versperrt sei, vermag sich der Senat weder allgemein noch für den Fall des Klägers anzuschließen. Es ist nicht nachzuvollziehen, weshalb der Kläger und andere Männer seines Bildungsstandes auch zu einfachen handwerklichen Tätigkeiten nicht in der Lage sein sollten. Darüber hinaus dürften der Bildungsstand und die frühere berufliche Tätigkeit des Klägers seine Möglichkeiten, eine Beschäftigung zu finden, eher steigern. Der Kläger hebt sich dadurch von der kaum gebildeten Landbevölkerung, die nach Kabul geflohen ist, deutlich ab. Es herrscht nach wie vor auch ein Mangel an Bildung im Land (vgl. nur SFH 2/2006, S. 10). Selbst wenn eine erneute Tätigkeit des Klägers im Staatsdienst ausgeschlossen sein sollte, weil dort bereits zuviel Personal beschäftigt wird (so Pro Asyl, 6/2005, S. 22), darf nicht übersehen werden, dass Bildung, insbesondere das Beherrschen der Schriftsprache, auch für eine sehr große Zahl von Tätigkeiten in der sich im Neuaufbau befindlichen "freien Wirtschaft" unerlässlich ist. Ferner ist auch im Hinblick auf die Möglichkeiten einer Beschäftigung zu berücksichtigen, dass der Kläger einer wohlhabenden Familie entstammt, die früher über Kontakte auch nach Kabul verfügt haben muss und diese ggf. auch heute noch nutzbar machen könnte; einer abschließenden Klärung dieser Möglichkeiten bedarf es insoweit allerdings nach dem Gesagten nicht.

Sofern der Kläger die ersten Tage nach der Ankunft in Kabul in zuvor genanntem Wohnheim auf dem Gelände des Flüchtlingsministeriums Unterkunft finden sollte, würde er dort auch mit Nahrung versorgt werden (und sei es nur notdürftig, wie der Zeuge Dr. Danesch betont). Andernfalls ist bei der gebotenen realitätsnahen Betrachtung davon auszugehen, dass der Kläger, - selbst beim gegenwärtigen Bezug von Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz - nicht völlig mittellos nach Kabul gelangen würde.

cc) Schließlich rechtfertigt auch die medizinische Versorgung der Bevölkerung Afghanistans nicht die Feststellung, der Kläger werde im Falle der Rückkehr alsbald mit hoher Wahrscheinlichkeit in eine lebensbedrohliche Lage kommen.

Allerdings ist nach übereinstimmenden Auskünften verschiedener Stellen die private wie öffentliche medizinische Versorgung noch unzureichend (vgl. etwa Lagebericht 11/2005, S. 31; SFH 2/2006, S. 11; Pro Asyl 2005, S. 8 und 22; Danesch 7/2004, S. 43 ff.; Danesch 1/2006, S. 25 ff.). Den Angaben des afghanischen Gesundheitsministeriums zufolge werde ein Schwerpunkt auf die medizinische Grundversorgung der Bevölkerung gelegt, die in 77 % des Landes verfügbar sein soll, was indes von anderen Quellen bestritten werde; nach Angaben der WHO konzentriere sich ein Drittel des medizinischen Fachpersonals in der Provinz Kabul (so die Mitteilung der Schweizer Flüchtlingshilfe, SFH 2/2006, S. 11). Nach Auskunft der Delegation, die im Frühjahr 2005 das Land bereiste, können in den Krankenhäusern jedenfalls "einfache Krankheiten eines sonst normal Gesunden" behandelt werden (Pro Asyl 6/2005, S. 8). Nach Auskunft des vom Senat vernommenen Zeugen David bestehen in Kabul mit wenigen Ausnahmen nahezu alle Behandlungsmöglichkeiten.

Die Behandlung in öffentlichen Krankenhäusern ist grundsätzlich kostenlos; allerdings müssen Medikamente vom Patienten selbst beschafft und sowohl Ärzte als auch sonstiges Krankenhauspersonal aufgrund ihres unzureichenden Einkommens zusätzlich vom Patienten "entlohnt" werden (vgl. etwa Pro Asyl, a.a.O. sowie die Angaben der vernommenen Zeugen).

Der im Jahre 1970 bzw. 1971 geborene Kläger ist mangels gegenteiliger Anhaltspunkte gesund, also auf eine regelmäßige ärztliche oder medikamentöse Behandlung nicht angewiesen. Nach der geschilderten Auskunftslage ist davon auszugehen, dass jedenfalls die auch bei einem grundsätzlich gesunden Mann im Alter des Klägers in Erwägung zu ziehenden Erkrankungen und Verletzungen in Kabul behandelbar sind. Auch kann nach den zuvor dargestellten Möglichkeiten des Klägers, in Kabul Arbeitseinkommen zu erzielen, nicht mit der erforderlichen hohen Wahrscheinlichkeit angenommen werden, dass ihm die unbedingt notwendige medizinische Versorgung verwehrt bleiben würde, weil er die Mittel für die erforderlichen "Zuzahlungen" nicht aufbringen könnte.

dd) Nach allem lässt sich bei wertender Gesamtschau der maßgeblichen Gefährdungskriterien (hierzu BVerwG, Beschluss vom 4. Februar 2004 - 1 B 291.03 - Buchholz 402.240 § 53 AuslG Nr. 75 S. 123, 124) nicht feststellen, dass auch gesunde Männer mittleren Alters bei ihrer Abschiebung nach Kabul mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt sind (so auch OVG Münster, Urteil vom 5. April 2006 - 20 A 5161/04.A - S. 9 ff. UA; OVG Hamburg, Urteil vom 11. April 2003 - 1 Bf 104/01.A - zit. nach juris S. 4 f.).

Der sachverständige Zeuge Dr. Danesch räumt demgegenüber auch nach Kabul abgeschobenen Männern, "gleichgültig ob (...) 30 oder 50 Jahre alt", die in Afghanistan weder über Familie noch über finanzielle Mittel verfügen, nur "sehr schlechte" Überlebenschancen ein; auch für sie sei ein Überleben allenfalls in der Form möglich, dass sie "auf allerunterstem Niveau dahinvegetieren und irgendwann den Tod finden" (so seine Angaben bei der Vernehmung und ähnlich im Gutachten für das Verwaltungsgericht Hamburg vom 25.01.2006, S. 14).

Dieser Bewertung vermag sich der Senat weder in ihrer Allgemeinheit noch für den Fall des Klägers anzuschließen. Dr. Danesch geht davon aus, dass heute in Kabul 4 1/2 bis 5 Millionen Einwohner leben, von denen 3 1/2 Millionen als zurückkehrende Flüchtlinge nach Kabul gekommen seien, obwohl sie oftmals dort nie zuvor gelebt hatten, also offensichtlich in Kabul nicht über familiären Rückhalt verfügten. Wenn es nach der Einschätzung des Zeugen Dr. Danesch bereits gesunden Männern im arbeitsfähigen Alter in der Regel unmöglich ist, in Kabul ohne dortige familiäre Strukturen ihr eigenes Überleben zu sichern, wäre ihnen erst recht unmöglich, den Lebensunterhalt für ihre Familie zu gewährleisten. Das würde bedeuten, dass die meisten der in den vergangenen Jahren zurückgekehrten und nach Kabul gezogenen Flüchtlinge ihr Überleben, insbesondere auch in den Wintermonaten, nicht hätten sicherstellen können. Dem Senat liegt es fern, die ausweislich aller genannten Auskünfte ohne Zweifel äußerst schwierige Situation der nach Afghanistan und insbesondere nach Kabul zurückkehrenden Flüchtlinge zu verharmlosen. Es kann jedoch nicht angenommen werden, dass von einer so hohen Sterblichkeitsrate auch unter erwachsenen Bewohnern Kabuls, wie sie sich als Konsequenz aus der Bewertung des Zeugen Dr. Danesch ergeben würde, nicht auch von den sonstigen fachkundigen Stellen berichtet worden wäre (vgl. auch OVG für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 5. April 2006, a.a.O. S. 18 der UA). Nach Auskunft des UNHCR liegt die Sterblichkeit von Kindern unter fünf Jahren in Afghanistan bei knapp 26 % (UNHCR, April 2005, S. 5). Etwa die Hälfte dieser Todesfälle sei auf den fehlenden Zugang zu sauberem Trinkwasser zurückzuführen (vgl. Danesch vom 13.01.2006, S. 12 unter Bezugnahme auf eine Dokumentation von CSOMICS; vgl. ferner etwa Lagebericht 11/2005, S. 31). Hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass auch unter (an sich) gesunden Männern mittleren Alters eine vergleichbar hohe Sterblichkeitsrate zu besorgen ist, liegen nicht vor. Im Gegenteil ist zu berücksichtigen, dass Kleinkinder im Hinblick auf fehlende Heizmöglichkeiten, mangelhafte Ernährung, verunreinigtes Trinkwasser und unzulängliche medizinische Behandlung deutlich gefährdeter sind als gesunde Männer mittleren Alters.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben, § 83 b AsylVfG.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr. 10, § 711 der Zivilprozessordnung.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil keiner der in § 132 Abs. 2 VwGO genannten Gründe vorliegt.

Ende der Entscheidung

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