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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg
Beschluss verkündet am 01.04.2009
Aktenzeichen: OVG 12 M 113.08
Rechtsgebiete: VwGO, ZPO, AufenthG


Vorschriften:

VwGO § 166
ZPO § 114
ZPO § 121
AufenthG § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1
AufenthG § 6 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OBERVERWALTUNGSGERICHT BERLIN-BRANDENBURG BESCHLUSS

OVG 12 M 113.08

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 12. Senat durch den Präsidenten des Oberverwaltungsgerichts Kipp, die Richterin am Oberverwaltungsgericht Plückelmann und den Richter am Oberverwaltungsgericht Dr. Riese am 1. April 2009 beschlossen:

Tenor:

Der Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin vom 7. Oktober 2008 wird geändert. Dem Kläger wird Prozesskostenhilfe für den ersten Rechtszug bewilligt, und ihm wird Rechtsanwältin B_____, München, beigeordnet.

Gründe:

Die Beschwerde des Klägers ist begründet. Der Kläger, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen - auch unter Berücksichtigung des Einkommens seiner Ehefrau - nicht in der Lage ist, die Kosten der Prozessführung aufzubringen, hat nach § 166 VwGO in Verbindung mit §§ 114, 121 ZPO einen Anspruch auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwalts für das erstinstanzliche Verfahren. Die beabsichtigte Rechtsverfolgung bietet im Verfahren der ersten Instanz hinreichende Aussicht auf Erfolg.

Die Bejahung hinreichender Erfolgaussichten setzt grundsätzlich nicht voraus, dass der Prozesserfolg schon gewiss ist. Es genügt vielmehr eine gewisse Wahrscheinlichkeit, die bereits dann gegeben ist, wenn der Ausgang des Verfahrens offen ist und ein Obsiegen ebenso in Betracht kommt wie ein Unterliegen (vgl. BVerwG, NVwZ-RR 1999, 587, 588; VGH Mannheim, NVwZ-RR 2007, 210; Kopp/Schenke, VwGO, 15. Aufl., § 166 Rn. 8; Schmidt, in: Eyermann, VwGO, 12. Aufl., § 166 Rn. 26).

Gemessen daran erweist sich der Ausgang des Klageverfahrens zumindest als offen. Anders als das Verwaltungsgericht meint, hat sich das Verfahren nicht mit Ablauf des 20. Juli 2008 erledigt, weil der Kläger das Visum zum Besuch seiner im Bundesgebiet lebenden Ehefrau und Tochter, auf dessen Erteilung seine Verpflichtungsklage gerichtet ist, nur für die Zeit vom 20. April bis zum 20. Juli 2008 beantragt hatte. Zwar kommt nach Ablauf des im Visumsantrag genannten Zeitraumes, der bei Besuchsvisa regelmäßig angegeben werden muss, eine Visumserteilung grundsätzlich nicht mehr in Betracht; gerichtlicher Rechtsschutz kann dann nur noch im Wege der Fortsetzungsfeststellungsklage verfolgt werden (§ 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO in entsprechender Anwendung). Dies trifft jedoch in der Regel nur zu, in denen das Besuchsvisum im Hinblick auf ein zeitlich gebundenes Ereignis wie z.B. eine Hochzeit, eine Taufe oder eine Beerdigung begehrt wird.

Etwas anderes gilt angesichts der in Art. 19 Abs. 4 GG normierten Verpflichtung der Gerichte zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes, wenn ein Ausländer ein Visum zum Besuch eines im Bundesgebiet lebenden Familienangehörigen beansprucht und ersichtlich ist, dass dieser an Art. 6 Abs. 1 GG zu messende Besuch trotz der Angaben im Visumsantrag gerade nicht an einen konkreten Zeitraum gebunden sein soll. In derartigen Fällen würde die Dauer des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens - regelmäßig - dazu führen, dass der Kläger auf die Fortsetzungsfeststellungsklage verwiesen werden müsste, ohne dass er jemals Rechtsschutz im Wege der - aus prozessualer Sicht günstigeren - Verpflichtungsklage erlangen könnte. Nach alledem ist es im Hinblick auf Art. 19 Abs. 4 GG geboten, das Begehren nicht als erledigt anzusehen (vgl. dazu Urteil des Senats vom 9. Oktober 2008 - OVG 12 B 44.07 -). So liegt es auch hier, denn der Kläger hat deutlich zum Ausdruck gebracht, dass er aufgrund der derzeitigen familiären Situation auch nach Ablauf des in dem Visum genannten Zeitraumes seine Ehefrau und seine Tochter im Bundesgebiet besuchen möchte.

Es spricht einiges dafür, dass die auf Art. 5 Abs. 1 Buchstabe e) der Verordnung (EG) Nr. 562/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates über einen Gemeinschaftskodex für das Überschreiten der Grenzen durch Personen vom 15. März 2006 - Schengener Grenzkodex - (ABl. L 105 S.1) in Verbindung mit §§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1, 6 Abs. 1 AufenthG gestützte Ablehnung des begehrten Besuchsvisums, wonach die Beklagte wegen fehlender Rückkehrbereitschaft des Klägers eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit bejaht hat, dem Grundrecht des Klägers aus Art. 6 Abs. 1 GG nicht gerecht wird. Bei der Entscheidung über den Visumsantrag hätte zu Gunsten des Klägers berücksichtigt werden müssen, dass der Kläger seine querschnittsgelähmte Tochter, die seit rund 20 Jahren an einer chronischen schizophrenen Psychose leidet und der ständigen Betreuung und Pflege bedarf, nur im Bundesgebiet sehen kann. Hinzu kommt, dass sich die Ehefrau des Klägers, der sich schon einmal im Jahr 2005 zu Besuchszwecken bei seiner Familie im Bundesgebiet aufgehalten hat, eine zeitweilige Entlastung von einem weiteren Besuchsaufenthalt des Klägers verspricht. Dass der Kläger gleichzeitig ein Verfahren zur Familienzusammenführung betreibt, kann ihm nach alledem und im Hinblick auf Art. 6 Abs. 1 GG im Verfahren auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe nicht entgegenhalten werden.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Ende der Entscheidung

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