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Gericht: Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg
Beschluss verkündet am 12.10.2007
Aktenzeichen: OVG 12 M 29.07
Rechtsgebiete: VwGO, ZPO, AufenthG, SGB II, BGB, SGB XII, GKG


Vorschriften:

VwGO § 166
ZPO § 114
ZPO § 115
ZPO § 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 a)
ZPO § 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 b)
ZPO § 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 a)
ZPO § 115 Abs. 1 Satz 7
ZPO § 115 Abs. 2
ZPO § 115 Abs. 4
ZPO § 121
AufenthG § 2 Abs. 3
AufenthG § 32 Abs. 3
SGB II § 11 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6
SGB II § 11 Abs. 2 Satz 2
SGB II § 11 Abs. 2 Nr. 7
SGB II § 20
SGB II § 30
BGB §§ 1601 ff.
BGB § 1610
BGB § 1610 Abs. 2
SGB XII § 82 Abs. 2
GKG § 3 Abs. 2
GKG § 34
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OVG 12 M 29.07

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 12. Senat durch den Präsidenten des Oberverwaltungsgerichts Kipp, die Richterin am Oberverwaltungsgericht Merz und den Richter am Oberverwaltungsgericht Dr. Riese am 12. Oktober 2007 beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin vom 29. Januar 2007 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

Gründe:

Die Beschwerde ist nicht begründet. Das Verwaltungsgericht hat im Ergebnis zutreffend entschieden, dass der aus dem Kosovo stammende Kläger, der die Erteilung eines Visums zur Familienzusammenführung mit seinem im Bundesgebiet lebenden Vater begehrt, nach § 166 VwGO in Verbindung mit §§ 114, 121 ZPO keinen Anspruch auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwalts für das erstinstanzliche Verfahren hat. Zwar bietet die beabsichtigte Rechtsverfolgung im Verfahren der ersten Instanz hinreichende Aussicht auf Erfolg (1.). Der Kläger ist jedoch nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen in der Lage, die Kosten der Prozessführung aufzubringen (2.).

1. Dem Kläger steht voraussichtlich nach § 32 Abs. 3 AufenthG in der Fassung des Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19. August 2007 (BGBl. I S. 1970) ein Anspruch auf Erteilung des begehrten Visums zu.

a) Zwar spricht einiges dafür, dass der Vater des Klägers nicht allein personensorgeberechtigt im Sinne von § 32 Abs. 3 AufenthG ist, weil ihm das Sorgerecht durch das Urteil des Amtsgerichts Peje vom 12. Januar 2006 aufgrund der im Kosovo geltenden familienrechtlichen Vorschriften nicht vollständig übertragen werden konnte (vgl. Art. 112 des hier noch maßgeblichen Gesetzes über die Ehe und die verwandtschaftlichen Beziehungen vom 24. Februar 1984; ebenso nunmehr Art. 141 Abs.1 des UNMIK-Gesetzes Nr. 2004/32 vom 20. Januar 2006 - Familiy Law of Kosovo). Nach der Rechtsprechung des Senats ist § 32 Abs. 3 AufenthG jedoch in denjenigen Fällen, in denen das anzuwendende Heimatrecht des nachzugswilligen Kindes keine vollständige Sorgerechtsübertragung auf den im Bundesgebiet lebenden Elternteil zulässt, analog anwendbar (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 25. April 2007 - OVG 12 B 2.05 -).

b) Ferner dürften auch die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen gegeben sein. Es ist insbesondere nicht ersichtlich, dass der Lebensunterhalt des Klägers im Bundesgebiet nicht gesichert wäre (§ 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG). Das insoweit nach § 2 Abs. 3 AufenthG zu berücksichtigende Einkommen liegt über dem Bedarf, den Kläger, sein Vater und seine Stiefmutter nach dem SGB II beanspruchen können. Der Regelbedarf nach § 20 SGB II beläuft sich auf 898,00 Euro. Hinzu kommen die Kosten für die Unterkunft (175,00 Euro und 470,00 Euro), sodass sich insgesamt ein Bedarf von 1543,00 Euro ergibt.

Dem stehen das für den Kläger zu gewährende Kindergeld in Höhe von 153,00 Euro, das monatliche Nettoeinkommen des Vaters in Höhe von durchschnittlich 1728,30 Euro (im Jahr 2006) bzw. 1939,51 Euro (Januar bis April 2007) und das monatliche Einkommen der Stiefmutter (im Jahr 2006 brutto ca. 2.800,00 Euro) gegenüber. Auch wenn von dem Einkommen der Stiefmutter noch Steuern und Pflichtbeiträge zur Sozialversicherung (§ 11 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGB II) und von beiden Einkommen die Beträge nach § 11 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6, § 30 SGB II und nach § 11 Abs. 2 Satz 2 SGB II in Höhe von maximal 620,00 Euro abzusetzen sind (vgl. Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 25. April 2007 - OVG 12 B 16.07 -), und wenn man ferner nach § 11 Abs. 2 Nr. 7 SGB II die von dem Vater des Klägers angegebenen Unterhaltsleistungen (125,00 Euro monatlich) absetzt, liegt das zu berücksichtigende Einkommen noch über dem errechneten Bedarf.

2. Der Kläger ist jedoch nicht bedürftig im Sinne von §§ 114, 115 ZPO.

a) Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe kann hier entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts nicht mit der Begründung versagt werden, dass der Kläger nach § 1610 Abs. 2 BGB gegen seinen im Bundesgebiet lebenden Vater einen unterhaltsrechtlichen Anspruch auf Prozesskostenvorschuss habe. Dieser Anspruch, der einer Inanspruchnahme von Prozesskostenhilfe vorgeht, ist zwar in der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung grundsätzlich anerkannt (vgl. z.B. VGH München, Beschluss vom 27. März 2007 - 5 C 06.2392 -, zitiert nach juris; OVG Hamburg, FamRZ 2006, 1615; OVG Münster, Beschluss vom 26. November 1998 - 19 E 612/98 -, zitiert nach juris). Der (materielle) Unterhaltsanspruch des im Kosovo lebenden Klägers gegen seinen Vater richtet sich jedoch nicht nach §§ 1601 ff. BGB, sondern nach dem im Kosovo geltenden Unterhaltsrecht. Dieses Recht wäre gemäß Art. 18 Abs. 1 EGBGB auch dann anzuwenden, wenn der Kläger seinen Vater von dem Kosovo aus vor einem deutschen Gericht auf Zahlung von Unterhalt in Anspruch nähme. Die familienrechtlichen Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches sind nach Art. 18 Abs. 2 EGBGB nur dann anwendbar, wenn das berufene ausländische Recht dem Anspruchsteller einen Unterhaltsanspruch generell versagt (vgl. dazu auch OLG Brandenburg, FamRZ 2006, 1766). Hierfür besteht kein Anhaltspunkt (vgl. Art. 289 ff. des UNMIK-Gesetzes Nr. 2004/32 vom 20. Januar 2006 - Familiy Law of Kosovo).

Ob der Kläger nach kosovarischem Familienrecht einen Anspruch auf Prozesskostenvorschuss gegen seinen Vater hat, lässt sich dem Familiengesetz vom 20. Januar 2006 nicht entnehmen. Art. 290 des Familiengesetzes bestimmt zwar, dass die Eltern verpflichtet sind, ihren minderjährigen Kindern Unterhalt zu leisten. Der konkrete Umfang dieser Unterhaltspflicht ist jedoch nicht ersichtlich. Ebenso wenig hat der Senat Hinweise auf die Ausgestaltung der Unterhaltspflicht in der gerichtlichen Praxis. Das ist allerdings auch nicht entscheidungserheblich.

b) Im auf Erteilung eines Visums zum Kindernachzug gerichteten Klageverfahren kommt es für die Frage nach der Bedürftigkeit gemäß §§ 114, 115 ZPO nicht allein auf die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des minderjährigen nachzugswilligen Klägers, sondern auch auf die wirtschaftliche Situation seines bereits im Bundesgebiet lebenden Elternteils an. Der Vater des Klägers ist hier zwar nicht unmittelbar Verfahrensbeteiligter, sondern nur gesetzlicher Vertreter seines Sohnes. In tatsächlicher Hinsicht betreibt jedoch nicht der minderjährige Kläger, sondern sein Vater den Nachzug in das Bundesgebiet. In rechtlicher Hinsicht steht dem Vater aufgrund der Schutzwirkungen von Art. 6 Abs. 1 GG ebenfalls ein Anspruch auf Erteilung eines Visums zur Familienzusammenführung mit seinem Sohn zu (vgl. z.B. BVerwGE 102, 12 ff.; VGH Mannheim, Urteil vom 16. März 2005 - 11 S 2885/04 -, zitiert nach juris, Rn. 24; OVG Berlin, Urteil vom 16. Dezember 2003 - 8 B 26.02 -, zitiert nach juris, Rn. 22 ff.; zur vergleichbaren Problematik bei der Ausweisungsverfügung vgl. OVG Lüneburg, NVwZ-RR 2004, 791). Dies rechtfertigt es, im Prozesskostenhilfeverfahren auf die wirtschaftliche Situation des Vaters abzustellen, die hier im Übrigen auch in materiell-rechtlicher Hinsicht maßgeblich ist. Hinzu kommt, dass im Ausland befindliche minderjährige Kinder, für die eine Aufenthaltserlaubnis aus familiären Gründen beansprucht wird, nicht besser gestellt werden dürfen, als Kinder, die sich bereits im Bundesgebiet aufhalten und auf die gemäß Art. 18 Abs. 1 EGBGB deutsches Familienrecht mit der Folge anzuwenden ist, dass ihnen im Verfahren auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis die Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Berufung auf § 1610 BGB versagt werden kann.

c) Der Vater des Klägers verfügt über Einkommen, das er nach § 115 ZPO zur Bestreitung der Prozesskosten einzusetzen hat. Dieses Einkommen beläuft sich nach den zuletzt eingereichten Unterlagen auf monatlich durchschnittlich 2.632,16 Euro (brutto). Setzt man hiervon nach § 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1. a) ZPO in Verbindung mit § 82 Abs. 2 SGB XII die entrichteten Steuern und die Pflichtbeiträge zur Sozialversicherung ab, so ergibt sich ein monatliches Einkommen von 1939,51 Euro. Hiervon sind ferner nach § 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 b) ZPO in Verbindung mit Nr. 1 der Bekanntmachung zu § 115 der Zivilprozessordnung vom 11. Juni 2007 (BGBl. I S. 1058) 174,00 Euro für den erwerbstätigen Vater des Klägers sowie ein Betrag nach § 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 a) ZPO in Höhe von 382,00 Euro abzusetzen. Dies gilt jedoch nicht im Hinblick auf die Ehefrau des Vaters, weil sie eigenes Einkommen in entsprechender Höhe erzielt (§ 115 Abs. 1 Satz 6 ZPO). Zu berücksichtigen sind außerdem nach § 115 Abs. 1 Satz 7 ZPO die Unterhaltszahlungen des Vaters an die im Kosovo lebenden Kinder in Höhe von 125,00 Euro monatlich (1.500 Euro jährlich), die er in Form einer Geldrente leistet. Dabei kann offen bleiben, ob diese Zahlungen den gesetzlich zu gewährenden Unterhalt übersteigen und ob sie tatsächlich regelmäßig in der genannten Höhe erbracht werden. Schließlich sind noch die von dem Vater des Klägers geleisteten Unterkunftskosten in Höhe von 175,00 Euro abzusetzen (§ 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 3 ZPO). Somit ergibt sich ein einzusetzendes Einkommen von 1083,51 Euro.

Die Kosten der Prozessführung werden voraussichtlich 1282,26 Euro betragen. Sie setzen sich aus den Gerichtskosten und der Vergütung des Verfahrensbevollmächtigten zusammen. Bei dem hier zugrundezulegenden Streitwert in Höhe von 5000,00 Euro fallen nach § 3 Abs. 2 GKG in Verbindung mit Anlage 1, Nr. 5110 des Kostenverzeichnisses 3,0 Verfahrensgebühren an, die sich nach § 34 GKG in Verbindung mit Anlage 2 zu § 34 GKG auf jeweils 121,00 Euro, d.h. insgesamt 363,00 Euro belaufen. Die Kosten für den Verfahrensbevollmächtigten des Klägers werden voraussichtlich 919,26 Euro betragen (2,5 Gebühren zu jeweils 301,00 Euro nach Nr. 3100 und 3104 der Anlage 1 zu § 2 Abs. 2 RVG in Verbindung mit Anlage 2 zu § 13 Abs. 1 RVG + 20 Euro Auslagenpauschale nach Nr. 7002 + Mehrwertsteuer von 19 %).

Da nach § 115 Abs. 2 ZPO monatliche Raten in Höhe von 633,51 Euro einzusetzen sind (300 Euro zuzüglich des 750 Euro übersteigenden Teils des einzusetzenden Einkommens) und Prozesskostenhilfe nach § 115 Abs. 4 ZPO nicht bewilligt wird, wenn die Kosten der Prozessführung vier Monatsraten voraussichtlich nicht übersteigen, ist der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe mangels Bedürftigkeit abzulehnen.

Nichts anderes gilt, wenn man die von dem Vater des Klägers angegebenen Lebensversicherungsbeiträge in Höhe von insgesamt 228,00 Euro von dessen Einkommen absetzt, so dass sich ein einzusetzendes Einkommen von 855,51 Euro ergibt. Dann beträgt eine Monatsrate 405,51 Euro, sodass auch in diesem Fall die Prozesskosten vier Monatsraten nicht überschreiten. Die Lebensversicherungsbeiträge sind allerdings nicht zu abzusetzen, weil insoweit keine Nachweise erbracht worden sind. Angesichts dessen brauchte der Senat auch nicht der Frage nachzugehen, inwieweit es sich um einzusetzendes Vermögen handelt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, § 127 Abs. 4 ZPO. Einer Streitwertfestsetzung bedarf es wegen der gesetzlich bestimmten Festgebühr nicht.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Ende der Entscheidung

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