Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg
Beschluss verkündet am 30.03.2009
Aktenzeichen: OVG 12 S 28.09
Rechtsgebiete: VwGO, AufenthG


Vorschriften:

VwGO § 80 Abs. 5
VwGO § 123 Abs. 1
VwGO § 146 Abs. 4
AufenthG § 5 Abs. 2 Satz 2
AufenthG § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3
AufenthG § 28 Abs. 1 Satz 2
AufenthG § 28 Abs. 1 Satz 5
AufenthG § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2
AufenthG § 59 Abs. 3 Satz 1
AufenthG § 60 a
AufenthG § 60 a Abs. 2
AufenthG § 81 Abs. 3
AufenthG § 81 Abs. 4
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OBERVERWALTUNGSGERICHT BERLIN-BRANDENBURG BESCHLUSS

OVG 12 S 28.09

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 12. Senat durch den Präsidenten des Oberverwaltungsgerichts Kipp, die Richterin am Oberverwaltungsgericht Plückelmann und den Richter am Oberverwaltungsgericht Dr. Riese am 30. März 2009 beschlossen:

Tenor:

Der Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin vom 11. März 2009 wird geändert. Der Antragsgegner wird im Wege einstweiliger Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller eine Duldung zu erteilen. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens tragen der Antragsteller und der Antragsgegner jeweils zur Hälfte.

Der Wert des Verfahrensgegenstandes wird für beide Rechtsstufen auf 5.000 EUR festgesetzt.

Gründe:

Die Beschwerde hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg. Das Beschwerdevorbringen, das nach § 146 Abs. 4 VwGO den Umfang der Überprüfung durch das Oberverwaltungsgericht bestimmt, rechtfertigt insoweit eine Änderung des erstinstanzlichen Beschlusses.

1. Der mit der Beschwerde gemäß § 80 Abs. 5 VwGO ausdrücklich gestellte Antrag, die aufschiebende Wirkung der Klage VG 19 K 42.09 gegen die Abschiebungsandrohung in dem Bescheid des Landesamtes für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten vom 16. Januar 2009 anzuordnen, ist nicht begründet. Der bei Erlass der Abschiebungsandrohung vollziehbar zur Ausreise verpflichtete Antragsteller, dessen später gestellter Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis die Fiktionswirkung des § 81 Abs. 3, Abs. 4 AufenthG nicht ausgelöst hat, macht in Bezug auf die Abschiebungsandrohung in der Sache lediglich Duldungsgründe im Sinne von § 60 a Abs. 2 AufenthG geltend, die kein zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot darstellen und daher die Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung nicht berühren, § 59 Abs. 3 Satz 1 AufenthG (vgl. auch OVG Münster, Beschluss vom 6. Januar 2005, InfAuslR 2005, 146; Funke-Kaiser, in: GK-AufenthG, § 59 Rn. 165; Wenger, in: Storr u.a., Kommentar zum Zuwanderungsrecht, 2. Aufl., § 59 Rn 7).

2. Demgegenüber hat die Beschwerde Erfolg, soweit der Antragsteller einwendet, dass die Trennung von seiner Ehefrau und dem noch ungeborenen Kind auch einen Antrag nach § 123 Abs. 1 VwGO rechtfertigen könne, der gestellt werden solle, weil die Auslegung seines erstinstanzlichen Antrags durch das Verwaltungsgericht zweifelhaft sei. Insoweit rügt der Antragsteller zu Recht, dass das Verwaltungsgericht seinen Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes, der sich seiner Klage- und Antragsschrift zufolge sowohl auf den Bescheid vom 16. Januar 2009 (Androhung der Abschiebung, Versagung einer Duldung) als auch auf den Bescheid vom 10. Februar 2009 (Versagung der beantragten Aufenthaltserlaubnis) bezog, lediglich als Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO gegen die verfügte Abschiebungsandrohung ausgelegt hat, ohne Abschiebungsschutz gemäß § 123 Abs. 1 VwGO in Verbindung mit § 60 a AufenthG zu prüfen. Auch wenn der Antragsteller anwaltlich vertreten war, hätte das Verwaltungsgericht angesichts der umfassenden Antragstellung auf die von ihm beabsichtigte einschränkende Auslegung hinweisen und dem Antragsteller Gelegenheit zur Klarstellung bzw. Konkretisierung seines Antrags geben müssen. Die somit im Beschwerdeverfahren nachzuholende Prüfung des auf § 123 Abs. 1 VwGO gestützten Antrags fällt zugunsten des Antragstellers aus.

a) Die vorübergehende Trennung eines ausländischen Ehemannes von seiner deutschen Ehefrau, der - wie der Antragsteller - unter Verstoß gegen Visumsvorschriften in das Bundesgebiet eingereist ist und hier geheiratet hat, ist zur Durchführung eines von der Ausländerbehörde geforderten ordnungsgemäßen Visumsverfahrens im Hinblick auf Art. 6 Abs. 1 GG grundsätzlich nicht unzumutbar und stellt in der Regel keinen Duldungsgrund im Sinne von § 60 a Abs. 2 AufenthG dar. Dies gilt auch dann, wenn der ausländische Ehegatte (noch) nicht über die gemäß §§ 28 Abs. 1 Satz 5, 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG erforderlichen deutschen Sprachkenntnisse verfügt und diese zunächst im Ausland erwerben muss.

b) Der Antragsteller kann derzeit auch noch keine von der Sicherung des Lebensunterhaltes und dem Spracherfordernis unabhängige Aufenthaltserlaubnis gemäß § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, Satz 2 AufenthG beanspruchen, weil eine Lebensgemeinschaft mit dem gemeinsamen - deutschen - Kind, das voraussichtlich erst Mitte Juli 2009 geboren wird, noch nicht besteht. Allerdings ist die Vaterschaft eines bereits im Bundesgebiet lebenden Ausländers hinsichtlich des ungeborenen Kindes seiner deutschen Ehefrau geeignet, einen Umstand darzustellen, der unter dem Gesichtspunkt des Schutzes der Familie nach Art. 6 Abs. 1 GG und der Pflicht des Staates, sich gemäß Art. 2 Abs. 2 Satz 1, Art. 1 Abs. 1 GG schützend und fördernd vor den nasciturus zu stellen, aufenthaltsrechtliche Vorwirkungen im Sinne eines Abschiebungshindernisses entfaltet. Dies ist nicht nur erfüllt, wenn die Mutter oder das ungeborene Kind - beispielsweise bei einer Risikoschwangerschaft - auf die Hilfe des Vaters angewiesen sind, sondern auch dann, wenn der Entbindungszeitpunkt so nahe bevorsteht, dass bis zur Geburt ein Familiennachzug unter Einhaltung der Einreisevorschriften nicht mehr in Betracht kommt. Dabei knüpft der vorwirkende Schutz für bereits im Bundesgebiet lebende verheiratete Ausländer an die Geburt als zeitliche Grenze für einen geordneten Familiennachzug an, weil der spezifische Betreuungsbeitrag des Vaters nicht durch die mütterliche Betreuung entbehrlich wird und für das Kindeswohl und die Entwicklung des Kindes, auf die maßgeblich abzustellen ist, grundsätzlich beide Elternteile erforderlich sind (vgl. auch OVG Sachsen, Beschlüsse vom 25. Januar 2006, NVwZ 2006, 613, und vom 15. September 2006, InfAuslR 2006, 446; OVG Hamburg, Beschluss vom 14. August 2008, NVwZ-RR 2009, 133 mit Hinweisen zur Rsp. des Bundesverfassungsgerichts; BayVGH, Beschluss vom 25. Februar 2009 - 19 CE 09.213 -, juris Rn. 18; a.A. OVG Lüneburg, Beschluss vom 15. September 2008 - 10 ME 328/08 -, juris; OVG Saarlouis, Beschluss vom 24. April 2008, NVwZ-RR 2008, 646).

Gemessen daran kann der Antragsteller Abschiebungsschutz beanspruchen und nicht darauf verwiesen werden, zunächst das Visumsverfahren nachzuholen. Ein Familiennachzug zu der deutschen Ehefrau - der ausweislich des vorgelegten Mutterpasses ein Schwangerschaftsrisiko bescheinigt wird, ohne dass sich der Antragsteller darauf beruft - dürfte daran scheitern, dass der Antragsteller nicht über die erforderlichen deutschen Sprachkenntnisse verfügt, da er erst seit wenigen Monaten im Bundesgebiet lebt und sich seinem Vortrag zufolge erst jetzt zu einem Sprachkurs angemeldet hat. Damit kommt eine (sichere) Einreise nicht mehr vor der Geburt des Kindes in Betracht, sondern es spricht vielmehr einiges dafür, dass diese sich - bei einer Nachholung des Visumsverfahrens - auch noch nach der Geburt über einen gewissen Zeitraum hinziehen wird. Hierbei kann aus den dargelegten Gründen offen bleiben, ob der 22jährige Antragsteller - der angegeben hat, innerhalb der noch nicht abgelaufenen Beschwerdebegründungsfrist eine eidesstattliche Versicherung vorzulegen - nach seiner Rückkehr in die Türkei zum Wehrdienst eingezogen wird. Anders als das Verwaltungsgericht meint, spielt allerdings das Fehlverhalten des Antragstellers - nämlich die grundsätzlich strafbare illegale Einreise - für die Frage, ob ihm eine familiäre Trennung zugemutet werden kann, keine allein maßgebliche Rolle. Entscheidend ist hier vielmehr, ob im Bundesgebiet bereits eine schützenswerte familiäre Gemeinschaft insbesondere mit deutschen Staatsangehörigen gelebt wird bzw. ob insoweit Vorwirkungen bestehen, und ob durch die ausländerrechtliche Maßnahme in diese familiäre Lebensgemeinschaft - auch im Hinblick auf die Dauer einer Trennung, über die sich der Antragsgegner regelmäßig Klarheit verschaffen muss - in unverhältnismäßiger Weise eingegriffen wird. Insoweit kann auch die bevorstehende Einberufung zum Wehrdienst im Heimatstaat zu einem Abschiebungshindernis oder zu einer Unzumutbarkeit im Sinne von § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG führen (ebenso OVG Hamburg, Beschlüsse vom 4. Mai 2001, NVwZ-RR 2002, 308 und vom 11. April 2001 - 4 Bs 374/00 -, juris).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 3 Nr. 1 und Nr. 2, § 52 Abs. 2 GKG. Hierbei ist der Senat für jeden der Anträge von dem halben Auffangstreitwert ausgegangen. Da das Verwaltungsgericht - wie dargelegt - sowohl von einem Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung gemäß § 80 Abs. 5 VwGO als auch von einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gemäß § 123 Abs. 1 VwGO hätte ausgehen müssen, ist auch die erstinstanzliche Streitwertfestsetzung zu ändern, § 63 Abs. 3 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 in Verbindung mit § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

Ende der Entscheidung

Zurück