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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg
Urteil verkündet am 30.03.2007
Aktenzeichen: OVG 2 B 2.07
Rechtsgebiete: AufenthG, VwGO, SGB V


Vorschriften:

AufenthG § 2 Abs. 3
AufenthG § 5 Abs. 1 Nr. 1
AufenthG § 6 Abs. 4
AufenthG § 27 Abs. 1
AufenthG § 28 Abs. 4
AufenthG § 36
AufenthG § 36 Satz 1
VwGO § 58 Abs. 2
VwGO § 118 Abs. 1
SGB V § 5 Abs. 1 Nr. 7
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OVG 2 B 2.07

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 2. Senat auf die mündliche Verhandlung vom 30. März 2007 durch den Vorsitzenden Richter am Oberverwaltungsgericht Dr. Korbmacher, die Richterin am Oberverwaltungsgericht Dr. Broy-Bülow und den Richter am Oberverwaltungsgericht Dr. Jobs sowie die ehrenamtliche Richterin Bauer und den ehrenamtlichen Richter Barwig für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung des Beigeladenen wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 9. November 2005 geändert.

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen in erster Instanz.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Der Kläger darf die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht der Beigeladene oder die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leisten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt ein Visum zum Zwecke des Familiennachzugs im Rahmen der Härtefallregelung.

Er ist 1974 geboren, kasachischer Staatsangehöriger und leidet seit seiner Kindheit an einer Geistesschwäche. Er kann nach den Angaben der Vertrauensärztin der Deutschen Botschaft in Almaty vom 1. Juli 2003 weder lesen, schreiben noch rechnen. Der leibliche Vater des Klägers ist im Jahre 1981 verstorben. Seine russische Mutter hat später einen deutschen Volkszugehörigen geheiratet, ist nach der Durchführung eines vertriebenenrechtlichen Aufnahmeverfahrens als nichtdeutsche Ehegattin eines Spätaussiedlers in den Aufnahmebescheid mit einbezogen worden und mit ihrem Ehemann im September 2001 nach Deutschland übersiedelt. Die Einbeziehung des Klägers in das Aufnahmeverfahren gelang nicht. Diese war vom Bundesverwaltungsamt mangels Abstammung von einem deutschen Spätaussiedler mit Bescheid vom 10. Januar 2001 / Widerspruchsbescheid vom 2. Mai 2001 abgelehnt worden. Daraufhin erklärte der Stiefvater am 29. Juni 2001 gegenüber dem örtlichen Standesamt eine Vaterschaftsanerkennung. Die Geburtsurkunde wurde rückwirkend geändert und der Stiefvater als leiblicher Vater des Klägers eingetragen.

Die nunmehr aufgrund der Vaterschaftsanerkennung beantragte vertriebenenrechtliche Aufnahme des Klägers hatte ebenfalls keinen Erfolg (Bescheid vom 12. Februar 2004 / Widerspruchsbescheid vom 1. September 2004). Die Voraussetzungen einer deutschen Abstammung sind vom Bundesverwaltungsamt nach wie vor als nicht erfüllt angesehen worden, da die Vaterschaftsanerkennung nur erfolgt sei, um den Ausreisebemühungen des Klägers zum Erfolg zu verhelfen. Das vertriebenenrechtliche Klageverfahren (2 K 3253/04) ist noch beim Verwaltungsgericht Minden anhängig, ruht aber u. a. im Hinblick auf das vorliegende Verfahren.

Im Juni 2003 beantragte der Kläger die Erteilung eines Visums zum Familiennachzug in die Bundesrepublik Deutschland. Die Beklagte lehnte dies mit Bescheid vom 7. September 2004 ab, weil der Lebensunterhalt für den Kläger nicht gesichert sei und ein Krankenversicherungsschutz nicht nachgewiesen werden könne.

Das Verwaltungsgericht Berlin hat der Klage durch Urteil vom 9. November 2005 stattgegeben. Es hat einen außergewöhnlichen Härtefall im Sinne des § 36 Satz 1 AufenthG angenommen sowie einen atypischen Sachverhalt, der ein Abweichen von der Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG ermögliche, so dass die Versagung des Visums ermessensfehlerhaft gewesen sei. Nach Art. 6 Abs. 1 GG habe der Staat die Aufgabe, die Familie zu schützen und zu fördern. Einwanderungspolitische Belange müssten zurückstehen, wenn ein Familienmitglied auf die Lebenshilfe eines anderen Familienmitglieds angewiesen sei und diese Hilfe nur in der Bundesrepublik Deutschland erbracht werden könne. Ein solcher Fall liege hier vor.

Hiergegen hat der Beigeladene Berufung eingelegt. Er ist der Ansicht, dass keine außergewöhnliche Härte vorliege. Der Kläger werde schon seit der Ausreise der Eltern im Jahre 2001 nicht mehr von seiner Mutter und seinem Stiefvater betreut. Bei der Übersiedlung nach Deutschland hätten die Eltern gewusst, dass ihr Sohn in Kasachstan verbleiben müsse, dies aber dennoch in Kauf genommen. Dieser lebe zurzeit in Kasachstan bei Bekannten der Eltern, und habe in der Heimat noch einen Onkel sowie einen Bruder. Schließlich sei auch eine finanzielle Unterstützung des Klägers durch die Eltern von Deutschland aus möglich. Im Nachzugsfalle würden sich die familiären Beziehungen ohnehin nur auf eine reine Begegnungsgemeinschaft mit gelegentlichem Umgang beschränken, da beide Elternteile berufstätig seien.

Zudem bestehe auch beim Vorliegen eines außergewöhnlichen Härtefalles kein Rechtsanspruch auf einen Familiennachzug, solange die Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG nicht erfüllt sei. Der Kläger sei aufgrund seiner geistigen Behinderung erwerbsunfähig und werde kein eigenes Einkommen beziehen, so dass der Lebensunterhalt nicht gesichert sei. Hinzu komme, dass kein ausreichender Krankenversicherungsschutz für den Kläger zu erlangen sei. Diese Anforderungen könnten auch nicht durch die Annahme eines atypischern Sachverhalts überwunden werden, weil eine solcher nicht vorliege

Der Beigeladene beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 9. November 2005 zu ändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er nimmt zu der Berufungsbegründung des Beigeladenen inhaltlich nicht Stellung, weil er die Berufung für unzulässig hält.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Streitakten und der Verwaltungsvorgänge Bezug genommen, die vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren sowie auf das dem Terminsprotokoll vom 30. März 2007 zu entnehmende Vorbringen der Beteiligten in der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung hat Erfolg.

I. Die Berufung des Beigeladenen ist zulässig.

1. Der Rechtsmittelführer ist als notwendig Beigeladener (§ 65 Abs. 2 VwGO) Verfahrensbeteiligter (§ 63 Nr. 3 VwGO) und aufgrund des stattgebenden Urteils des Verwaltungsgerichts Berlin vom 9. November 2005 beschwert. Er ist befugt, Rechtsmittel einzulegen, da er hinsichtlich der von ihm zu erteilenden Zustimmung zur Visaerteilung der Rechtskraftbindung der gerichtlichen Entscheidung unterliegt (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 14. Auflage 2005, § 65 RNr. 1; Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Stand: 2006, § 124 RNr. 38).

2. Die Berufung ist nicht verfristet. Mit dem am 17. Januar 2006 eingelegten Rechtsmittel der Berufung gegen das ihm am 22. Dezember 2005 zugestellte Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 9. November 2005 hat der Beigeladene die Berufungsfrist (§ 124 a Abs. 2 Satz 1 VwGO) gewahrt. Einer erneuten Einlegung des Rechtsmittels bedurfte es nicht, auch wenn mit dem am 23. Januar 2006 zugestellten Berichtigungsbeschluss des Verwaltungsgerichts Berlin vom 17. Januar 2006 die Rechtsmittelbelehrung des vorgenannten Urteils dahingehend korrigiert worden war, dass statt des Antrags auf Zulassung der Berufung die Berufung zulässig ist, denn die Berichtigung wirkt auf den Zeitpunkt des Erlasses des Urteils zurück. Die neue Fassung gilt dann auch für bereits gegen das Urteil in der ursprünglichen Fassung eingelegte Rechtsmittel (vgl. Kopp/Schenke, a.a.O., § 118 RNr. 9; Schoch, u.a., a.a.O., § 118 RNr. 7).

3. Auch die zweimonatige Berufungsbegründungsfrist (§ 124 a Abs. 3 Satz 1 VwGO) ist vom Beigeladenen gewahrt worden. Der am 28. Februar 2006 beim Gericht eingegangene Begründungsschriftsatz des Beigeladenen war noch fristgemäß, weil sich die Frist hierfür mit der Zustellung des Berichtigungsbeschlusses bis zum 23. März 2006 verlängert hat. Zwar gilt der Grundsatz, dass ein Berichtigungsbeschluss im Hinblick auf die Offensichtlichkeit der im Rahmen des § 118 Abs. 1 VwGO nur korrigierbaren Fehler keine neue Rechtsmittelfrist in Gang setzt (vgl. Schoch, u.a., a.a.O., § 118 Rdnr. 7; BayVGH, Beschluss vom 20. September 2002 - 7 ZB 02.1219 - zitiert nach Juris; HbgOVG, Beschluss vom 14. November 1996 - Bs VI 236.96 - zitiert nach Juris; HessVGH, Beschluss vom 4. Juli 1990, NVwZ-RR 1991, 390). Eine Ausnahme gilt jedoch dann, wenn erst mit der Berichtigung Klarheit über ein bestimmtes Rechtsmittel geschaffen wird. Dann beginnt die Rechtsmittelfrist für den Betroffenen mit der Zustellung des Berichtigungsbeschlusses erneut zu laufen (vgl. Schoch, u.a., a.a.O.; BGH, Beschluss vom 23. April 1955, NJW 1955, 989 = BGHZ 17, 149; BayVGH, a.a.O.). Ein solcher Fall liegt hier vor, obwohl die Unrichtigkeit der Rechtsmittelbelehrung aufgrund der Zulassung der Berufung im Tenor des Verwaltungsgerichtsurteils und der Ausführungen in der Begründung hierzu offensichtlich war, denn der Berichtigungsbeschluss vom 17. Januar 2006 hat im Hinblick auf die anderenfalls geltende Jahresfrist des § 58 Abs. 2 VwGO zumindest Klarheit über das Fristende geschaffen.

II. Die Berufung des Beigeladenen ist auch begründet. Zu Recht ist die vom Kläger begehrte Erteilung eines Visums zum Familiennachzug mit Bescheid vom 7. September 2004 versagt worden.

Rechtsgrundlage für das Begehren des Klägers sind die § 36 Satz 1 (§ 28 Abs. 4), § 27 Abs. 1, § 6 Abs. 4 AufenthG. Danach kann einem sonstigen Familienangehörigen ein Visum für das Bundesgebiet zum Zwecke des Familiennachzugs erteilt werden, wenn es zur Vermeidung einer außergewöhnlichen Härte erforderlich ist.

1. Der 1974 geborene Kläger ist sonstiger Familienangehöriger im Sinne des § 36 Satz 1 AufenthG, denn er ist kein Minderjähriger mehr. Ob der Kläger Familienangehöriger eines Ausländers oder eines Deutschen ist und deshalb § 36 Satz 1 AufenthG unmittelbare oder gemäß § 28 Abs. 4 AufenthG nur entsprechende Anwendung findet, kann dahinstehen, weil Ausländer mit einer familiären Beziehung zu Deutschen gegenüber Ausländern, die einer rein ausländischen Familie angehören, im Rahmen eines Familiennachzugsbegehrens nach § 36 AufenthG nicht privilegiert sind (vgl. Jakober/Welte, AktAR, Stand: Februar 2007, § 36 Rdnr. 13). Die Frage der Rechtswirksamkeit der am 29. Juni 2001 vor dem örtlichen Standesamt in Kasachstan erfolgten Vaterschaftsanerkennung durch den deutschstämmigen Stiefvater des Klägers mag deshalb im Rahmen des noch beim Verwaltungsgericht Minden anhängigen vertriebenenrechtlichen Klageverfahrens (2 K 3253/04) von Bedeutung sein, nicht aber im vorliegenden ausländerrechtlichen Verfahren.

2. Der Kläger hat jedoch keinen Anspruch auf das von ihm begehrte Visum zum Familiennachzug, denn nach den in der mündlichen Verhandlung vom Gericht gewonnenen Erkenntnissen stellt sein Verbleiben in Kasachstan keine außergewöhnliche Härte im Sinne des § 36 Satz 1 AufenthG dar.

a) § 36 Satz 1 AufenthG dient der Vermeidung einer außergewöhnlichen Härte. Dieser unbestimmte Rechtsbegriff weist einen gesteigerten graduellen Unterschied zu einer (nur) besonderen Härte und damit vergleichsweise erhöhte Anforderungen auf (vgl. Jakober/Welte, AktAR, a.a.O., § 36 RNr. 20). Die individuellen Besonderheiten des konkreten Einzelfalles müssen deshalb nach ihrer Art und Schwere so ungewöhnlich und groß sein, dass die Folgen der Versagung des Visums zum Familiennachzug unter Berücksichtigung des Zwecks der Nachzugsvorschriften, die Herstellung und Wahrung der Familieneinheit zu schützen, sowie des Schutzgebots des Art. 6 Abs. 1, Abs. 2 GG schlechthin unvertretbar sind (vgl. BVerwG, Beschluss vom 25. Juni 1997, Buchholz 402.240 § 22 AuslG 1990 Nr. 4). Immer ist hierbei auch der Zweck des Familiennachzugs, nämlich die Herstellung und Wahrung der familiären Lebensgemeinschaft (§ 27 Abs. 1 AufenthG), im Blick zu behalten (vgl. Renner, AuslR, 8. Auflage 2005, § 36 RNr. 7). Der Nachzug von Volljährigen ist in aller Regel nicht zur Herstellung einer familiären Lebensgemeinschaft erforderlich, denn sie benötigen grundsätzlich keine familiäre Lebenshilfe mehr. Ein solcher Nachzug ist auf eine Begegnungsgemeinschaft angelegt, die im Prinzip auch durch wiederholte Besuche, Brief- und Telefonkontakte und durch Zuwendungen aufrecht erhalten und gepflegt werden kann. Soweit eine wirtschaftliche Unterstützung erforderlich sein sollte, kann diese durch die im Bundesgebiet lebenden Familienangehörigen in der Regel auch durch Geldüberweisungen erfolgen. Um die Herstellung einer familiären Lebensgemeinschaft im Sinne des § 27 Abs. 1, § 36 Satz 1 AufenthG handelt es sich beim Nachzug Volljähriger nur, wenn Lebensverhältnisse bestehen, die einen über eine Begegnungsgemeinschaft hinausgehenden familiären Schutz erfordern, weil ein Familienmitglied auf die Lebenshilfe eines anderen Familienmitglieds angewiesen ist. Eine außergewöhnliche Härte kann somit für einen ausländischen Volljährigen bei Versagung des Familiennachzugs allenfalls gegeben sein, wenn dieser allein kein eigenständiges Leben mehr führen kann, und die von ihm benötigte, tatsächlich und regelmäßig zu erbringende wesentliche familiäre Lebenshilfe zumutbarer Weise nur in der Bundesrepublik Deutschland erbracht werden kann (vgl. BVerwG, Beschluss vom 25. Juni 1997, a.a.O.; BVerfG, Beschluss vom 14. Dezember 1989, NJW 1990, 895, 896; OVG NW, Urteil vom 12. Februar 1993, InfAuslR 1993, 24, 25; Jakober/Welte, AktAR, a.a.O., § 36 RNr. 24, 25 m. w. N.; Renner, a.a.O., § 36 RNrn. 9, 13 m. w. N.). In einem solchen Fall erfüllt die Familie im Kern die Funktion einer Beistands- und Betreuungsgemeinschaft, die die gleichzeitige Anwesenheit der Familienangehörigen in Deutschland erfordert. Immer muss die Zusammenführung zur Vermeidung der außergewöhnlichen Härte jedoch gerade in Deutschland zwingend geboten sein. Dann hat der Staat aus dem Schutz- und Förderungsgebot des Art. 6 Abs. 1 GG die Pflicht, die Familie zu schützen und einwanderungspolitische Belange zurückzustellen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 25. Oktober 1995, NVwZ 1996,1099,1100; BVerfG, Beschluss vom 14. Dezember 1989, a.a.O.; Jakober/Welte, AktAR, a.a.O., § 36 RNr. 25). Daraus folgt, dass jedenfalls so lange keine außergewöhnliche Härte im Sinne des § 36 Satz 1 AufenthG anzunehmen ist, wie die benötigte Lebenshilfe auch im Heimatstaat des Ausländers erbracht werden kann (vgl. OVG Bln-Bbg, Beschluss vom 23. August 2005 - OVG 12 N 10.05 -). Für die Beurteilung, ob eine außergewöhnliche Härte vorliegt, ist auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten Tatsachenentscheidung abzustellen (vgl. OVG Bln, Urteil vom 31. Januar 2003, InfAuslR 2003, 275).

b) Die Voraussetzungen für die Annahme einer zur Vermeidung einer außergewöhnlichen Härte zwingend in Deutschland herzustellenden familiären Beistands- und Betreuungsgemeinschaft sind hier nicht erfüllt. Der in Kasachstan zurückgelassene Kläger wird offenbar seit der Ausreise seiner Mutter mit ihrem Ehemann im Jahre 2001 von Dritten soweit erforderlich häuslich betreut. Er ist zur Zeit bei ehemaligen Nachbarn der Mutter untergebracht, die sie mit Geldzahlungen für die Unterkunft, den Unterhalt, die Kleidung und die Verpflegung des Klägers unterstützt. Der Kläger ist in der Lage, einfache Gelegenheitsarbeiten in Kasachstan auszuführen und damit seinen Lebensunterhalt teilweise selbst zu verdienen. Diese relative Selbständigkeit des Klägers, der in der Lage und soweit orientiert ist, dass er für seine übrige Lebensführung zwar aufgrund seiner geistigen Behinderung einer gewissen Aufmerksamkeit und Anleitung durch Dritte bedarf, aber weder dauernd beaufsichtigt werden muss noch etwa pflegebedürftig ist, grenzt den Betreuungsbedarf ein, wobei selbst eine nachteiligere Betreuungssituation aufgrund der allgemeinen Verhältnisse im Heimatland allein keine außergewöhnliche Härte begründen würde (vgl. BVerwG, Beschluss vom 25. Juni 1997, a.a.O.). Zudem soll der Kläger nach den Angaben des Klägervertreters im Schriftsatz vom 7. August 2005 und in der mündlichen Verhandlung körperlich gesund sein, da seine geistige Behinderung insoweit keine gesundheitlichen Folgen nach sich ziehe. Unter diesen Umständen ist nicht erkennbar, welche Art von wesentlicher Lebenshilfe für den Kläger stattdessen oder auch darüber hinaus von seiner Mutter und dem Stiefvater nur in Deutschland erbracht werden könnte. Immerhin sind beide berufstätig, so dass der Kläger tagsüber, wie seine Mutter bestätigte, auch nur in der Wohnung verbleiben würde, sofern er nicht Gelegenheitsarbeiten nachginge oder einen Platz in einer Behindertenwerkstätte erhalten würde, um den sie sich allerdings noch nicht bemüht hat. Die Notwendigkeit eines Nachzugs des Klägers zur Herstellung einer familiären Beistandsgemeinschaft in der Bundesrepublik Deutschland zur Vermeidung einer außergewöhnlichen Härte ist damit nicht gegeben.

Weitere Erwägungen auf der Stufe des § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG zur Frage der Gewährleistung des Lebensunterhalts des Klägers und des von § 2 Abs. 3 AufenthG im Nachzugsfalle geforderten, offenbar nur im Falle der Aufnahme des Klägers in einer Behindertenwerkstatt gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 7 SGB V erreichbaren Abschlusses einer Krankenversicherung erübrigen sich daher ebenso, wie solche zu der Möglichkeit eines Absehens von diesen regelmäßigen Erteilungsvoraussetzungen für eine Visum aufgrund eines so genannten atypischen Sachverhalts (vgl. hierzu BVerwG, Beschluss vom 26. März 1999, InfAuslR 1999, 332 = NVwZ-RR 1999, 610 m. w. N.; OVG Bln, Beschluss vom 3. März 2005 - OVG 8 S 8.05 -; Renner, AuslR, a.a O., § 5 RNr. 36).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO sowie - für das erstinstanzliche Verfahren - auch aus § 162 Abs. 3 VwGO; die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Revision wird nicht zugelassen, weil keiner der in § 132 Abs. 2 VwGO genannten Gründe hierfür vorliegt.

Ende der Entscheidung

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