Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg
Beschluss verkündet am 22.09.2005
Aktenzeichen: OVG 2 S 103.05
Rechtsgebiete: VwGO, BauGB, BauNVO


Vorschriften:

VwGO § 146 Abs. 4 Satz 1
VwGO § 146 Abs. 4 Satz 3
VwGO § 146 Abs. 4 Satz 6
BauGB § 5 Abs. 2 Nr. 2
BauGB § 34 Abs. 2
BauNVO § 4 Abs. 2 Nr. 3
BauNVO § 4 Abs. 3 Nr. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OVG 2 S 103.05

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 2. Senat des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg durch den Vorsitzenden Richter am Oberverwaltungsgericht Dr. Korbmacher, die Richterin am Oberverwaltungsgericht Dr. Broy-Bülow und den Richter am Oberverwaltungsgericht Hahn am 22. September 2005 beschlossen:

Tenor:

Auf die Beschwerde der Beigeladenen wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Potsdam vom 22. Juni 2004 teilweise geändert. Der Antrag wird insgesamt abgelehnt.

Die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen tragen die Antragsteller zu 1. und 2., die Antragsteller zu 3. und 4. sowie der Antragsteller zu 5. jeweils zu einem Drittel.

Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 7 500 EUR festgesetzt.

Gründe:

Die Beschwerde ist zulässig und begründet.

Der Antrag der Antragsteller ist unter entsprechender Änderung des angefochtenen Beschlusses des Verwaltungsgerichts auch insoweit abzulehnen, als sie beantragt haben, die aufschiebende Wirkung ihres Widerspruchs gegen die der Beigeladenen unter dem 28. April 2004 erteilte Baugenehmigung für das Vorhaben "Neubau einer Marina mit ca. 28 Liegeplätzen und 9 Stellplätzen" anzuordnen.

Den Antragstellern fehlt das Rechtsschutzbedürfnis für die Durchführung des vorliegenden Eilverfahrens. Das Rechtsschutzbedürfnis ist zu verneinen, wenn der bei Gericht um Rechtsschutz Nachsuchende seine Rechtsstellung mit der begehrten gerichtlichen Entscheidung in keiner Hinsicht verbessern kann und die Inanspruchnahme des Gerichts deshalb als für ihn nutzlos erscheinen muss. Wann dies der Fall ist, richtet sich wesentlich nach den jeweiligen Verhältnissen im Einzelfall. Im vorliegenden Fall geht der Eilantrag, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragsteller gegen die der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung anzuordnen, ins Leere, nachdem auf Grund des Schreibens der Antragsgegnerin vom 20. Januar 2005, das die Antragsteller mit Schriftsatz vom 27. Mai 2005 übersandt haben, sowie des Schriftsatzes der Beigeladenen vom 3. Juni 2005, dem zufolge die Steganlage "bis ca. 1,64 m nach Osten verschoben wurde", feststeht, dass die streitgegenständliche Steganlage - nicht nur unwesentlich - abweichend von der Baugenehmigung errichtet worden ist. Da überdies - schon wegen der damit notwendig verbundenen Beseitigung der bereits errichteten Anlage - nichts dafür spricht, dass die Beigeladene beabsichtigt, bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung im Hauptsacheverfahren von der ihr unter dem 28. April 20004 erteilten Baugenehmigung noch Gebrauch zu machen, sondern sie in ihrem Schriftsatz vom 15. Juli 2005 vielmehr angekündigt hat, einen neuen Antrag zur Genehmigung der bereits errichteten Steganlage zu stellen, ist das Rechtsschutzbedürfnis für den vorliegenden Eilantrag entfallen. Es widerspräche der lediglich interimistischen, in erster Linie auf eine Verhinderung vollendeter Tatsachen gerichteten Funktion des vorläufigen Rechtsschutzes, hier auf die bloß noch theoretische Möglichkeit einer Ausnutzung der Baugenehmigung vom 28. April 2004 abzustellen.

Der Wegfall des Rechtsschutzbedürfnisses kann auch im Beschwerdeverfahren berücksichtigt werden, obwohl die Beigeladene dies nicht fristgerecht im Rahmen der Beschwerdebegründung gemäß § 146 Abs. 4 Satz 1 und 3 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) gerügt hat. Nach diesen Vorschriften muss die Beschwerde innerhalb der einmonatigen Beschwerdebegründungsfrist die Gründe darlegen, aus denen die Entscheidung aufzuheben oder abzuändern ist, und sich mit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts auseinander setzen. Das Oberverwaltungsgericht prüft gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO nur die dargelegten Gründe. Sinn und Zweck dieser Vorschrift ist es, das Beschwerdeverfahren u.a. auch mit Blick auf den Prüfungsaufwand und Prüfungsumfang der Beschwerdegerichte zu straffen (vgl. VGH Mannheim, Beschluss vom 1. Juli 2002 - 11 S 1293/02 - NVwZ 2002, 1388, 1389, unter umfassender Auswertung der Gesetzgebungsmaterialien). Das Gericht soll nicht von sich aus in eine zu einer Verzögerung des Beschwerdeverfahrens führende umfassende Überprüfung der angefochtenen verwaltungsgerichtlichen vorläufigen Rechtsschutzentscheidung eintreten, wenn die Beschwerdebegründung hierfür keinen Anlass bietet (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 13. Aufl. 2003, § 146 Rn. 43). Dieser Normzweck verbietet es nach Auffassung des Senats, die Vorschrift unter Berufung auf den Wortlaut im Sinne einer strikten Beschränkung des Beschwerdegerichts auf die dargelegten Gründe auszulegen, jedenfalls wenn sich hierdurch der Prüfungsaufwand im Beschwerdeverfahren - wie im vorliegenden Fall - im Ergebnis sogar vergrößern würde. Wenn die Ausgangsentscheidung sich unter Berücksichtigung von Umständen, die sich ohne weiteres aus dem vorhandenen Akteninhalt ergeben, im Ergebnis als offensichtlich unrichtig erweist, widerspräche es der Prozessökonomie und dem Ziel der Verfahrensbeschleunigung, wenn das Beschwerdegericht darauf beschränkt wäre, die dargelegten Gründe "abzuarbeiten". Jedenfalls in diesen Ausnahmefällen ist daher eine Erweiterung des Prüfungsrahmens geboten. Nur auf diese Weise kann auch verhindert werden, dass das Gericht sehenden Auges materiell falsch entscheiden muss, wenn die dargelegten Gründe zwar für die Zulässigkeit der Beschwerde, nicht aber für das Rechtswidrigkeitsurteil ausreichen (Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, 10. Ergänzungslieferung 2004, § 146 Rn. 15). Ob § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO weitergehend im Wege der teleologischen Reduktion sogar dahin auszulegen ist, dass der Grundsatz der Amtsermittlung (§ 86 Abs. 1 VwGO) nicht aufgehoben, sondern lediglich "gemildert" wird (vgl. VGH München, Beschluss vom 27. August 2002 - 8 CS 02.1514 - NVwZ-RR 2003, 154, 155), kann dahinstehen, da jedenfalls im vorliegenden Fall der Umstand, aus dem sich die Ausgangsentscheidung im Ergebnis als fehlerhaft erweist, aus dem Akteninhalt offensichtlich ist.

Ist der Antrag der Antragsteller auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen die Baugenehmigung vom 28. April 2004 mithin schon mangels Rechtschutzbedürfnisses unzulässig, kann dahinstehen, ob das Verwaltungsgericht ihn zu Recht für begründet gehalten hat. Im Hinblick auf das von der Beigeladenen beabsichtigte neue Baugenehmigungsverfahren und die damit verbundene Prüfung, ob die "Marina" planungsrechtlich den Anforderungen des § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 4 Abs. 2 Nr. 3 Baunutzungsverordnung (BauNVO) entspricht, weist der Senat allerdings auf Folgendes hin: Nach den Feststellungen der Kammer, denen die Beteiligten nicht entgegengetreten sind, befindet sich das Vorhaben in einem Gebiet, das bauplanungsrechtlich als allgemeines Wohngebiet (§ 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 4 BauNVO) zu qualifizieren ist. In allgemeinen Wohngebieten sind nach § 4 Abs. 2 Nr. 3 BauNVO grundsätzlich auch Anlagen für sportliche Zwecke - hierzu dürften auch Steganlagen zählen - zulässig. Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass die in § 4 Abs. 2 Nr. 3 BauNVO genannten "Anlagen für kirchliche, kulturelle, soziale, gesundheitliche und sportliche Zwecke" nur die in § 5 Abs. 2 Nr. 2 BauGB definierten Gemeinbedarfsanlagen erfassen (vgl. BVerwG, Urteil vom 12. Dezember 1996 - 4 C 17.95 - BVerwGE 102, 351, 353). Auch Anlagen für sportliche Zwecke sind damit auf Gemeinbedarfsanlagen, d.h. auf Anlagen und Einrichtungen beschränkt, die der Allgemeinheit zugute kommen. Der Allgemeinheit dient eine Anlage im Sinne des § 5 Abs. 2 Nr. 2 BauGB, wenn sie, ohne dass die Merkmale des Gemeingebrauchs erfüllt zu sein brauchen, einem nicht fest bestimmten wechselnden Teil der Bevölkerung zugänglich ist. Auf die Rechtsform des Trägers kommt es nicht entscheidend an. Liegt die Trägerschaft in der Hand einer natürlichen oder einer juristischen Person des Privatrechts, so genügt es, wenn mit staatlicher oder gemeindlicher Anerkennung eine öffentliche Aufgabe wahrgenommen wird, hinter die etwaiges privatwirtschaftliches Gewinnstreben eindeutig zurücktritt (vgl. BVerwG, Beschluss vom 18. Mai 1994 - 4 NB 15/94 - NVwZ 1994, 1004 f.). An der Voraussetzung, dass die Nutzung privatwirtschaftlichem Bestreben entzogen ist, dürfte es hier fehlen, denn nach der mit dem Bauantrag eingereichten Betriebsbeschreibung soll mit der Errichtung der Marina ein "komplexer Standort für den Tourismus" entstehen, wobei neben dem "Verleih von Liegeplätzen für die Wasserwanderer" das Betreiben eines "Bootscharters" geplant ist. Auch der von der Beigeladenen im Beschwerdeverfahren übersandte Zuwendungsbescheid der Investitionsbank des Lands Brandenburg für das Vorhaben geht offensichtlich von einer privatwirtschaftlichen Nutzung aus. Vor diesem Hintergrund dürfte eine Zulassung des Vorhabens der Beigeladenen wohl nur ausnahmsweise in Betracht kommen, sofern insbesondere der von der Beigeladenen geplante Bootscharter die Voraussetzungen eines nicht störenden Gewerbebetriebes im Sinne des § 4 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO erfüllt.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1, § 159 Satz 1 VwGO i. V. m. § 100 Abs. 1 ZPO, § 162 Abs. 3 VwGO. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen waren für erstattungsfähig zu erklären, weil sie sich durch Einlegung des Rechtsmittels einem Kostenrisiko ausgesetzt hat (§ 154 Abs. 3 VwGO). Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 3 Nr. 2 i.V.m. § 52 Abs. 1, § 47 Abs. 1 des Gerichtskostengesetzes - GKG -. Der Senat folgt insoweit der erstinstanzlichen Streitwertfestsetzung.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 4 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

Ende der Entscheidung

Zurück