Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg
Beschluss verkündet am 22.08.2007
Aktenzeichen: OVG 2 S 61.07
Rechtsgebiete: VwGO, AufenthG, AufenthV


Vorschriften:

VwGO § 123 Abs. 1
AufenthG § 10
AufenthG § 10 Abs. 3 Satz 1
AufenthG § 10 Abs. 3 Satz 3
AufenthG § 27 Abs. 1
AufenthG § 28 Abs. 1 Nr. 1
AufenthG § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1
AufenthG § 60 a
AufenthV § 39 Nr. 5
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OVG 2 S 61.07

hat der 2. Senat durch den Vorsitzenden Richter am Oberverwaltungsgericht Dr. Korbmacher, die Richterin am Oberverwaltungsgericht Dr. Broy-Bülow und den Richter am Oberverwaltungsgericht Hahn am 22. August 2007 beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin vom 16. Mai 2007 wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt der Antragsteller.

Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 2 500 EUR festgesetzt.

Gründe:

Die Beschwerde gegen die Versagung vorläufigen Rechtsschutzes nach § 123 Abs. 1 VwGO hat keinen Erfolg. Der angegriffene Beschluss ist nicht aus den vom Antragsteller dargelegten Gründen, auf deren Prüfung das Oberverwaltungsgericht beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), zu beanstanden.

Allerdings geht der Senat - bei summarischer Prüfung - im Gegensatz zum Antragsgegner davon aus, dass zwischen dem Antragsteller und seiner deutschen Ehefrau A. S. eine unter dem Schutz des Art. 6 Abs. 1 GG stehende eheliche Lebensgemeinschaft besteht.

Die Zeugin D. K., eine nach eigenen Angaben langjährige Freundin der Ehefrau, hat in ihrer im erstinstanzlichen Verfahren eingereichten, ausführlichen eidesstattlichen Versicherung vom 14. September 2006 dargelegt, dass der Antragsteller und seine Ehefrau Ende des Jahres 2005 zusammengezogen sind und sie selbst mit den Eheleuten seitdem bei zahlreichen Anlässen zusammengetroffen ist. Ferner hat die Zeugin u.a. berichtet, dass sie den Antragsteller in der gemeinsamen Wohnung auch bei zufälligen Besuchen angetroffen hat und dass er dort Telefonanrufe entgegengenommen hat. Auch die Ehefrau des Klägers hat in ihrer ebenfalls sehr detailreichen und aussagekräftigen eidesstattlichen Versicherung vom 5. Juni 2007, in der sie u.a. über mehrere persönliche Begegnungen zwischen ihren Eltern und ihrem Ehemann berichtet, bestätigt, eine normale Ehe zu führen.

Die vom Antragsgegner in dem Bescheid vom 31. August 2006, mit dem die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis bzw. einer Duldung versagt worden ist, geäußerten Zweifel am Bestehen einer tatsächlich geführten ehelichen Lebensgemeinschaft werden demgegenüber lediglich damit begründet, dass die ebenfalls am 31. August 2006 durchgeführte Anhörung "etliche Differenzen" in den Antworten ergeben habe, ohne dass dies näher ausgeführt wird. Bei der Durchsicht der im Verwaltungsvorgang enthaltenen Fragebögen fällt zwar auf, dass die Eheleute zu einzelnen Fragen divergierende Antworten gegeben haben. Dies betrifft vor allem die Frage, wer den Heiratsantrag gemacht hat (Antragsteller: beide; Ehefrau: zuerst der Antragsteller) und die Beschreibung des Tagesablaufs des Vortages, an dem die Ehefrau laut Antragsteller mit dem Zug nach Holland - was schon angesichts der Entfernung unrealistisch erscheint - statt nach Küstrin/Polen, wie die Ehefrau selbst es angegeben hat, gereist sein soll. Im Übrigen lassen sich jedoch keine gewichtigen Widersprüche oder Ungereimtheiten bei den Angaben in der Anhörung feststellen. Im Gegenteil weisen die Angaben des Antragstellers ein Maß an Detailkenntnis auf wie es bei derartigen Befragungen nach den Erfahrungen des Senats nur sehr selten vorkommt. Dies gilt - um nur ein Beispiel zu nennen - für die genauen Angaben zur Wohnung und zur Wohnumgebung sowie beispielsweise für die detaillierten und übereinstimmenden Angaben des Antragstellers und seiner Frau über Übergabe und Renovierung der zum 13. Dezember 2005 gemieteten gemeinsamen Wohnung sowie zum anschließenden Umzug und die dabei anwesenden Helfer. Demgegenüber kommt den unterschiedlichen Angaben darüber, wer den Heiratsantrag gemacht haben soll, und den unterschiedlichen Angaben zum Reiseziel der Ehefrau des Klägers am Vortag der Anhörung angesichts der im Übrigen wiederum lebensnahen und bis in nebensächliche Details übereinstimmenden Aussagen der Eheleute zum Tagesablauf kein ausschlaggebendes Gewicht zu.

Der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Zwecke des Familiennachzugs zu einem deutschen Ehegatten nach § 27 Abs. 1, § 28 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG steht allerdings der Versagungsgrund des § 10 Abs. 3 Satz 1 AufenthG entgegen, wonach einem Ausländer, dessen Asylantrag unanfechtbar abgelehnt wurde, vor der Ausreise ein Aufenthaltstitel nur aus völkerrechtlichen, humanitären oder politischen Gründen (Abschnitt 5 AufenthG) erteilt werden darf. Der Antragsteller ist ein abgelehnter Asylbewerber. Er hat im Dezember 2005 nach erneuter Einreise in das Bundesgebiet seinen insgesamt dritten Asylantrag gestellt, der mit Bescheid des Bundesamtes vom 21. Januar 2006 bestandskräftig abgelehnt wurde.

Der Antragsteller kann sich auch nicht mit Erfolg auf die Ausnahmevorschrift des § 10 Abs. 3 Satz 3 AufenthG, wonach Satz 1 keine Anwendung findet, wenn ein Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels besteht, berufen. Zwar dürften bei summarischer Prüfung die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis im Wege des Ehegattennachzugs nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG vorliegen. Da der Antragsteller aber ohne das für einen Daueraufenthalt erforderliche Visum (§ 6 Abs. 4 AufenthG) eingereist ist, steht die Erteilung des Aufenthaltstitels ohne vorherige Ausreise und Durchführung des Visumsverfahrens im Ermessen der Ausländerbehörde. Bei einem solchen bloßen Ermessensanspruch handelt es sich aber nicht um einen Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels im Sinne des § 10 Abs. 3 Satz 3 AufenthG. Diese Vorschrift setzt vielmehr einen sich unmittelbar aus dem Gesetz ergebenden Anspruch voraus (OVG Frankfurt (Oder), Beschluss vom 25. Januar 2005 - 4 B 359/04). Ein Anspruch aufgrund einer Ermessensbindung auf Null genügt nicht (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 9. März 2006 - 11 N 77.05 - zitiert nach juris; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 26. Juli 2007 - 11 S 2523/05 - zitiert nach juris; Niedersächsisches OVG, Urteil vom 27. April 2006 - 5 LC 110/05 mit Hinweisen auf Gegenmeinung hins. Ermessensreduktion - zitiert nach juris).

Der Antragsteller kann sich ferner nicht auf § 39 Nr. 5 AufenthV berufen, wonach ein Ausländer, dessen Abschiebung nach § 60 a AufenthG ausgesetzt ist und der aufgrund einer Eheschließung während seines Aufenthalts im Bundesgebiet einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis erworben hat, einen Aufenthaltstitel ohne vorherige Durchführung eines Visumsverfahrens im Bundesgebiet beantragen kann. Richtig ist zwar, dass im Falle einer unmittelbar bevorstehenden Eheschließung im Hinblick auf die Vorwirkung des Art. 6 Abs. 1 GG dem Ausländer ein Anspruch auf Erteilung einer Duldung zusteht (vgl. Hailbronner, AuslR, § 60 a Rn. 30 m. w. N.) und diese Voraussetzung ab Ausstellung der Bescheinigung des Standesamts vom 29. Mai 2006, wonach alle Voraussetzungen für eine Eheschließung am 28. Juni vorlagen, erfüllt und im erstinstanzlichen Verfahren nachgewiesen war. Eine solche nur zur Sicherung der bevorstehenden Eheschließung erteilte Duldung bzw. ein entsprechender Duldungsanspruch genügt für die Anwendbarkeit des § 39 Nr. 5 AufenthV aber nicht. Eine Aussetzung der Abschiebung im Sinne dieser Norm liegt vielmehr nur dann vor, wenn unabhängig von der Eheschließung ein Abschiebungshindernis bestand und deswegen der weitere Aufenthalt des Ausländers geduldet wurde. Anderenfalls würde die Eheschließung im Rahmen der beiden kumulativ zu erfüllenden Tatbestandsvoraussetzungen des § 39 Nr. 5 AufenthV gewissermaßen doppelt, nämlich einmal als das erforderliche Abschiebungshindernis und zum anderen als Anspruchsgrund für den Aufenthaltstitel berücksichtigt werden. Letztlich wäre damit die Voraussetzung in § 39 Nr. 5 AufenthV, dass ein Abschiebungshindernis vorliegen muss, in Fällen der vorliegenden Art ohne eigenständige rechtliche Bedeutung. Dass eine solche Begünstigung derjenigen Ausländer beabsichtigt wäre, für die - bis zur beabsichtigten Eheschließung - keine Abschiebungshindernisse nach § 60 a AufenthG bestanden haben, die mit anderen Worten ihrer Pflicht zur Ausreise nicht nachkommen sind oder sich Abschiebungsmaßnahmen aktiv entzogen haben, kann auch mit Blick auf den mit § 39 Nr. 5 AufenthV verfolgten Zweck, unnötige Belastungen durch eine Visumsbeantragung zu verhindern, nicht angenommen werden. Ein solches Normverständnis würde gerade bei ehemaligen Asylbewerbern der gesetzgeberischen

Intention des § 10 AufenthG, in Fällen der unbegründeten Asylantragstellung besonders streng auf einer Ausreise vor Erteilung eines Aufenthaltstitels zu bestehen, widersprechen. Dass es nicht zu beanstanden ist, durch eine prinzipiell enge Auslegung von Ausnahmebestimmungen sicherzustellen, dass die Steuerungsmechanismen des Aufenthaltsgesetzes nicht ausgehöhlt und die dort vorgesehenen Zugangskontrollen hinsichtlich eines Aufenthalts in der Bundesrepublik Deutschland nicht unterlaufen werden, entspricht der Rechtsprechung des Senats (vgl. Beschluss des Senats vom 5. März 2007 - OVG 2 S 19.07 -). Schließlich ergibt sich auch aus Art. 6 Abs. 1 GG keine abweichende Beurteilung, da dem Schutz von Ehe und Familie durch die Ermöglichung der Eheschließung im Inland Rechnung getragen wird und eine vorübergehende Trennung zur Nachholung des Visumsverfahrens den Eheleuten grundsätzlich zumutbar ist. Vorliegend sind auch keine besonderen Umstände erkennbar, die die Forderung nach Nachholung des Visumsverfahrens und die damit einhergehend Ausreise des Antragstellers zu einer objektiv unangemessenen Forderung werden ließen. Weder sind kleine Kinder zu betreuen, noch ist sonst erkennbar, dass die Eheleute in besonderer Weise auf gegenseitigen Beistand angewiesen sind. Auch die mit der Nachholung des Visumsverfahrens verbundenen Kosten rechtfertigen keine andere Entscheidung, da dies die regelmäßige Konsequenz der gesetzlichen Visumspflicht sein wird (vgl. Renner, AuslR, 8. Aufl. Rn. 61 zu § 5). In der Beschwerdebegründung werden schließlich auch keine Gründe dargelegt, die Zweifel daran rechtfertigen, dass die Wiedereinreise des Antragstellers zügig erfolgen kann und eine nachhaltige, längerfristige Unterbrechung des familiären Zusammenlebens vermieden wird (vgl. zu diesem Gesichtspunkt OVG Schleswig, Beschluss vom 27. Juni 2001 - 4 M 41/01 - zitiert nach juris). Hierbei geht der Senat davon aus, dass sich die von dem Antragsgegner in seinem Bescheid vom 31. August 2006 geäußerten Bedenken gegen das Bestehen einer tatsächlich geführten ehelichen Lebensgemeinschaft aus den oben genannten Gründen im Visumsverfahren ausräumen lassen werden.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 3 Nr. 1, § 52 Abs. 2 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

Ende der Entscheidung

Zurück