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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg
Beschluss verkündet am 22.11.2007
Aktenzeichen: OVG 3 N 131.07
Rechtsgebiete: GG, VvB, BVerfGG, VwGO, ZPO


Vorschriften:

GG Art. 19 Abs. 4
GG Art. 103 Abs. 1
VvB Art. 15 Abs. 1
VvB Art. 15 Abs. 4
BVerfGG § 95 Abs. 2
VwGO § 54 Abs. 1
VwGO § 80 Abs. 5
VwGO § 80 Abs. 7
ZPO § 41 Nr. 6
ZPO § 42 Abs. 2
Die Verletzung von Verfahrensgrundrechten durch Richter eines Spruchkörpers in einem vorausgegangenen Verfahren der Beteiligten zum gleichen Streitgegenstand stellt grundsätzlich keinen Ablehnungsgrund wegen Besorgnis der Befangenheit (§ 54 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 42 Abs. 2 ZPO) dar. Etwas anderes gilt dann, wenn besondere Umstände hinzutreten, welche die Schlussfolgerung rechtfertigen, dass die Verletzung der Verfahrensgrundrechte auf einer unsachlichen oder voreingenommenen Einstellung des Richters beruht.
OVG 3 N 131.07

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 3. Senat durch den Richter am Oberverwaltungsgericht Dr. Jobs, die Richterin am Oberverwaltungsgericht Dr. Blumenberg und den Richter am Finanzgericht Dr. Beck am 22.. November 2007 beschlossen:

Tenor:

Die Ablehnungsgesuche des Klägers gegen die Vorsitzende Richterin am Oberverwaltungsgericht F_____ sowie die Richter am Oberverwaltungsgericht B_____ und Dr. P_____ werden zurückgewiesen.

Gründe:

I. Die Anträge des Klägers auf Ablehnung der Vorsitzenden Richterin am Oberverwaltungsgericht F. sowie der Richter am Oberverwaltungsgericht B. und Dr. P. wegen Besorgnis der Befangenheit sind statthaft, obwohl durch ihn alle (regelmäßigen) Mitglieder des 3. Senats des Oberverwaltungsgerichts erfasst werden. Zwar können nur individuelle auf die Person des einzelnen Richters bezogene Gründe erhebliche Befangenheitsgründe sein, weshalb die Ablehnung des gesamten Spruchkörpers als solches unzulässig wäre (stRspr, zuletzt BVerwG, Beschluss vom 14. August 2007 - 8 B 18.07 - veröffentlicht in Juris m.w.N.). Hiervon zu unterscheiden ist aber der Fall, dass Befangenheitsgründe individuell auf einzelne Richter bezogen werden, aber eben für jeden dem Spruchkörper angehörigen Richter gleichermaßen gelten. Eine solche Konstellation ist hier gegeben. Der Kläger knüpft mit seinen Ablehnungsgesuchen an die Mitwirkung der individuell benannten Richter an deren Verfahrensgestaltungen und Entscheidungen in den vorausgegangenen vorläufigen Rechtsschutzverfahren an. Die Befangenheit wird damit aus konkreten, in einer Kollegialentscheidung enthaltenen Anhaltspunkten hergeleitet, wobei der Kläger wegen des Beratungsgeheimnisses nicht wissen kann, welcher der Richter die Beschlüsse vom 24. April 2007 - 3 S 33.07 - und vom 28. Juni 2007 - 3 S 36.07 - mitgetragen hat. Das Ablehnungsgesuch richtet sich also nicht gegen den Spruchkörper, sondern gegen jedes einzelne Mitglied des Spruchkörpers und stellt daher keinen Missbrauch des Rechts zur Richterablehnung dar (vgl. u.a. BVerwG, Urteil vom 5. Dezember 1975, BVerwGE 50, 35).

II. Die Anträge auf Ablehnung der Richter wegen der Besorgnis der Befangenheit sind unbegründet.

1. Nach § 54 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 42 Abs. 2 ZPO setzt die Ablehnung eines Richters wegen Besorgnis der Befangenheit voraus, dass ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen. Die Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit setzt nicht voraus, dass der Richter tatsächlich befangen, voreingenommen oder parteiisch ist. Es genügt, wenn vom Standpunkt der Beteiligten aus gesehen hinreichende objektive Gründe vorliegen, die bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlass geben, an seiner Unparteilichkeit zu zweifeln. Die rein subjektive Besorgnis, für die bei Würdigung der Tatsachen vernünftigerweise kein Grund ersichtlich ist, reicht dagegen zur Ablehnung nicht aus (BVerwG, Beschluss vom 13. September 2007 - 4 A 1007.07 u.a. -, veröffentlicht in Juris; vgl. BVerfG, Beschluss vom 25. Mai 2007 - 1 BvR 1696/03 - veröffentlicht in Juris). Die Mitwirkung eines Richters an einem früheren Verfahren des die Ablehnung aussprechenden Beteiligten vermag - wie auch der Kläger im Schriftsatz vom 10. September 2007 nicht verkennt - die Besorgnis der Befangenheit grundsätzlich nicht zu begründen, und zwar auch dann nicht, wenn der frühere Rechtsstreit eine gleich liegende Sache betraf. Der Gesetzgeber hat in § 54 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 41 Nr. 6 ZPO eine Regelung getroffen, nach der Richter in bestimmten Fällen vorheriger richterlicher Tätigkeit ausgeschlossen sind. Ein Fall der vorliegenden Art, in dem die Ablehnungsgesuche in einem Verfahren auf Zulassung der Berufung (§ 124 a Abs. 4 und 5 VwGO) im Hinblick auf Entscheidungen der abgelehnten Richter in Beschwerdeverfahren des vorläufigen Rechtsschutzes (§§ 80 Abs. 5 und Abs. 7, 146 VwGO) angebracht wurden, ist dort nicht erwähnt. In den nicht aufgenommenen Fällen setzt der Gesetzgeber voraus, dass der Prozessbeteiligte grundsätzlich annehmen wird und muss, dass der Richter seiner Pflicht zur unbefangenen Entscheidung genügt. Um in diesen Fällen die Besorgnis der Befangenheit zu rechtfertigen, müssen also besondere Umstände hinzutreten, da andernfalls ein gesetzlich nicht vorgesehener Ausschließungsgrund geschaffen würde (vgl. BVerwG, Urteil vom 2. Juli 1976, NJW 1977, 312 m.w.N.).

2. Bei Anwendung dieses Maßstabes ist die Besorgnis der Befangenheit der genannten Richter nicht begründet. Besondere Umstände, aus denen sich bei vernünftiger Würdigung aller Umstände objektive Zweifel an der Objektivität und Unparteilichkeit der abgelehnten Richter ergeben, sind auch unter Berücksichtigung des Vorbringens des Klägers nicht hinreichend ersichtlich.

a. Soweit der Kläger geltend macht, die Besorgnis der Befangenheit der Richter ergebe sich bereits aus den Gründen des Beschlusses vom 28. Juni 2007 - OVG 3 S 36.07 -, aus denen eindeutig hervorgehe, dass die Richter den Sachverständigen Prof. Dr. B. für voreingenommen hielten und dessen Ausführungen im vorliegenden Verfahren nicht folgen werden, ohne sich ein eigenes Bild von diesem zu machen, ist das Ablehnungsgesuch unbegründet.

Das Verwaltungsgericht hat in der mündlichen Verhandlung im Hauptsacheverfahren (vgl. dazu VG Berlin, Urteil vom 26. April 2007 - 35 A 426.04 - veröffentlicht in Juris) ein mündliches Sachverständigengutachten des ehemaligen Lehrstuhlinhabers für Politik und Zeitgeschichte des Vorderen Orients an der FU Berlin Prof. Dr. B. eingeholt, der sich u.a. dahingehend geäußert hat, dass aus dem ihm vermittelten Wortlaut des (Predigt-) Textes des Klägers nicht "anspielungsweise" auf einen Mordaufruf geschlossen werden könne. Die abgelehnten Richter haben in den Gründen ihres Beschlusses vom 28. Juni 2007 hierzu im Kern (im Einzelnen EA S. 2 f.) ausgeführt, dass diese Äußerung des Sachverständigen ihre Auffassung "nicht in Zweifel" ziehe, wonach der Kläger mit dem im Freitagsgebet in einem Gebetsraum an der TU Berlin verwendeten Vergleich des amerikanischen Präsidenten Bush und des (damaligen) britischen Premierministers Blair mit dem Pharao öffentlich zur Gewaltanwendung aufgerufen und damit der Ausweisungstatbestand des § 54 Nr. 5 a AufenthG verwirklicht habe. Die Äußerungen des Sachverständigen bezögen sich auf das allgemeine Verständnis einer Formulierung in der Predigt des Klägers sowie der dieser zugrunde liegenden Sure des Korans, doch komme ihnen für den konkreten Fall des Klägers keine Aussagekraft zu.

Diese Entscheidungsgründe im vorläufigen Rechtsschutzverfahren geben bei vernünftiger Würdigung objektiv keinen Anlass für die Annahme, dass die abgelehnten Richter im Hauptsacheverfahren voreingenommen urteilen könnten, etwa weil sie sich in den Gründen des Beschlusses vom 28. Juni 2007 "unabänderlich" festgelegt hätten. Vielmehr kann trotz der Vorbefassung der Richter und ihrer Entscheidungsbegründung davon ausgegangen werden, dass die Richter gegebenenfalls nach einer Beweisaufnahme im Hauptsacheverfahren etwa durch die Einholung (weiterer) Sachverständigengutachten bereit und in der Lage sind, ihre vorläufig geäußerte Würdigung und Bewertung kritisch und unvoreingenommen zu überprüfen und gegebenenfalls beim Vorliegen entsprechender Gründe zu ändern. Substantiierte Anhaltspunkte aus dem Verhalten der Richter, die darauf schließen ließen, dass die Richter für künftige im Hauptsacheverfahren auftretende neue Aspekte und Argumente nicht mehr offen sind, hat der Kläger nicht dargetan. Auch die subjektive Besorgnis des Klägers, aus den Gründen des Beschlusses lasse sich schon jetzt entnehmen, dass die abgelehnten Richter den Sachverständigen für "voreingenommen" hielten, ist objektiv unbegründet. Aus den Entscheidungsgründen geht vielmehr hervor, dass die Richter im vorläufigen Rechtsschutzverfahren gerade offen gelassen haben, ob die Sachverständigenäußerungen mit der gebotenen Unvoreingenommenheit erfolgt seien. Auch die Behauptung des Klägers, in den Entscheidungsgründen würden die Äußerungen des Sachverständigen "verfälschend und unvollständig wiedergeben", greift nicht. Der Kläger bezeichnet nicht substantiiert, welche Begutachtungselemente die Richter in fehlerhafter Weise wiedergegeben haben sollten. Vielmehr ist eine gedrängte, nicht alle Erwägungen des mündlichen Gutachtens erschöpfend wiedergebende Entscheidungsbegründung gerade im vorläufigen Rechtsschutzverfahren gerechtfertigt.

b. Auch die vom Kläger gerügten Verfahrensfehler in den vorausgegangenen vorläufigen Rechtsschutzverfahren, welche Verfahrensgrundrechte des Klägers verletzt haben, stellen nach Überzeugung der zur Entscheidung über die Ablehnungsgesuche berufenen Richter objektiv noch keine hinreichenden Gründe dar, die bei vernünftiger Würdigung den Schluss auf die Besorgnis der Befangenheit der abgelehnten Richter im Hauptsacheverfahren rechtfertigen.

aa. Der Kläger macht insoweit im Wesentlichen geltend, die abgelehnten Richter hätten im vorläufigen Rechtsschutzverfahren mit Beschluss vom 24. April 2007 (- OVG 3 S 33.07 -, AuAS 2007 S. 114) und 28. Juni 2007 (OVG 3 S 36.07 -) zum Nachteil des Klägers entschieden und dabei wiederholt "eklatant" gegen Grundrechte verstoßen. Vor Erlass des Beschlusses vom 24. April 2007 - über den ohne Beiziehung der Verfahrensakten entschieden worden sei - sei dem Kläger kein rechtliches Gehör zur Beschwerde des Antragsgegners gewährt worden und so eine "Direktabschiebung" des Klägers rechtlich ermöglicht worden. Auch der Beschluss vom 28. Juni 2007 sei geeignet, Misstrauen gegen die unparteiliche und unvoreingenommene Amtsführung der abgelehnten Richter zu rechtfertigen. Der Beschluss verstoße gegen das Grundrecht auf Gewährung effektiven Rechtsschutzes aus Art. 15 Abs. 4 der Verfassung von Berlin (VvB). Das Gericht habe im Verfahren nach § 80 Abs. 7 VwGO nach Ergehen der erstinstanzlichen Hauptsacheentscheidung seine eingeschränkte Prüfungskompetenz verkannt und den Ausgang des Hauptsacheverfahrens vorweggenommen. Die abgelehnten Richter seien noch nicht einmal ansatzweise bereit, rechtsstaatliche Grundsätze und Verfahrensregeln im Falle des Antragstellers einzuhalten

bb. In der Rechtsprechung ist geklärt (vgl. u.a. BFH, Beschluss vom 29. August 2001, BFH/NV 2002, 64; OVG Berlin, MDR 1996, 1069; KG Berlin, Beschluss vom 15. Juni 2001, MDR 2001, 1435; BayOblGR Beschluss vom 20 Juli 2000, NJW-RR 2001, 642; Sodan/Ziekow, 2. Aufl. VwGO, § 54 Rdnr. 68 m.w.N.), dass Verfahrensverstöße oder sonstige Rechtsfehler der Richter eines Spruchkörpers grundsätzlich keinen Ablehnungsgrund bilden. Das Ablehnungsverfahren schützt die Beteiligten nicht vor Rechts- und Verfahrensfehlern, denn in solchen Fällen stehen den Beteiligten die allgemeinen ordentlichen Rechtsbehelfe zur Verfügung. Anders verhält es sich nur, wenn bei objektiver Betrachtung Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Fehlerhaftigkeit des Verfahrens auf eine unsachliche oder unvoreingenommene Einstellung des Richters oder auf Willkür beruht. Dieser Maßstab gilt grundsätzlich auch in Fällen, in denen sich die Verfahrensverstöße nicht in der Verletzung des einfachen Rechts erschöpfen, sondern zu einer Verletzung von Verfahrensgrundrechten, insbesondere aus Art. 103 Abs. 1 GG (Art. 15 Abs. 1 VvB) und Art. 19 Abs. 4 GG (Art. 15 Abs. 4 VvB) führen. Der Umstand, dass die Richter in einem vorhergehenden Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes auch Verfahrensgrundrechte verletzt haben, führt daher nicht notwendigerweise dazu, dass vom Standpunkt der Beteiligten ein hinreichend objektiver Anlass dafür besteht, die Richter würden etwa im nachfolgenden Hauptsacheverfahren voreingenommen oder parteiisch sein. Hierauf deutet insbesondere die - auch im Verfassungsbeschwerdeverfahren nach § 49 ff. des Gesetzes über den Berliner Verfassungsgerichtshof (VerfGHG) entsprechend anwendbare - Regelung nach § 95 Abs. 2 BVerfGG hin. Wird der Verfassungsbeschwerde gegen eine (Gerichts-) Entscheidung stattgegeben, hebt das Verfassungsgericht die Entscheidung auf und weist die Sache an ein zuständiges Gericht zurück. Insbesondere bei der Verletzung von Verfahrensgrundrechten erfolgt danach die Zurückverweisung grundsätzlich an das örtlich und sachlich zuständige Gericht, das die Grundrechtsverletzung vorgenommen hat (vgl. Sachs, GG, 2. Aufl., Art. 93 Rdnr. 88; Umbach/Clemens, BVerfGG, 2. Aufl., § 95 Rdnr. 51, 54). Diese gesetzliche Regelung hat zur Folge, dass - vorbehaltlich einer besonderen Geschäftsverteilungsregelung - im Ausgangsverfahren der Spruchkörper, der die Verletzung des Verfahrensgrundrechts vorgenommen hat, mit der Sache wieder befasst wird. Nur in Ausnahmefällen, in denen eine sachgerechte Behandlung der Sache durch den eigentlich zuständigen Spruchkörper nicht zu erwarten ist, verweist das Verfassungsgericht an einen anderen Spruchkörper des Gerichts (vgl. z.B. BVerfGE 86, 59 [65]; 90, 255). Vor diesem Hintergrund kann auch aus § 95 Abs. 2 BVerfGG gefolgert werden, dass die Verletzung von Verfahrensrechten durch den Richter in einem vorausgegangenen Verfahren bei objektiver Betrachtung grundsätzlich keinen hinreichenden Grund darstellt, der bei vernünftiger Würdigung der Umstände Anlass gib, der Richter werde in einem späteren Verfahren des Beteiligten seiner Pflicht zur unbefangenen unvoreingenommenen und unparteiischen Entscheidung nicht genügen. Etwas anderes gilt ausnahmsweise dann, wenn besondere Umstände hinzutreten, die die Schlussfolgerung rechtfertigen, dass die Verletzung der Verfahrensgrundrechte auf unsachlicher oder voreingenommener Einstellung des Richters beruht.

cc. Gemessen an diesen Anforderungen besteht für das Hauptsacheverfahren bei vernünftiger und objektiver Würdigung aller Umstände vom Standpunkt der Beteiligten aus gesehen kein hinreichender Anlass, an der Unparteilichkeit und Unvoreingenommenheit der abgelehnten Richter zu zweifeln.

(1) Allerdings rügt der Kläger zu Recht, dass in dem vorangegangenen, die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis und seine Ausweisung betreffenden Beschwerdeverfahren des vorläufigen Rechtsschutzes seine Verfahrensgrundrechte verletzt wurden.

Der Beschluss des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg vom 24. April 2007 - OVG 3 S 33.03 - (AuAS 2007 S. 144) verletzt das Grundrecht des Klägers aus Art. 103 Abs. 1 GG (Art. 15 Abs. 1 VvB).

Der Anspruch aus Art. 103 Abs. 1 GG ist eine Folgerung aus dem Rechtsstaatsgedanken für das Gebiet des gerichtlichen Verfahrens. Der Einzelne soll nicht bloßes Objekt des gerichtlichen Verfahrens sein, sondern er soll vor einer Entscheidung, die seine Rechte betrifft, zu Wort kommen können, um Einfluss auf das Verfahren und sein Ergebnis nehmen zu können. Art. 103 Abs. 1 GG garantiert den Beteiligten an einem gerichtlichen Verfahren daher, dass sie hinreichende Gelegenheit erhalten, sich zumindest schriftlich in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht zur Sache vor Erlass der Entscheidung zu äußern und dadurch die Willensbildung des Gerichts zu beeinflussen. Für das Gericht - und damit für alle an einer Entscheidung beteiligten Richter - erwächst aus Artikel 103 Abs. 1 GG die Pflicht, vor Erlass einer Entscheidung zu prüfen, ob den Verfahrensbeteiligten das rechtliche Gehör gewährt wurde (vgl. u.a. BVerfG, Beschluss vom 5. Februar 2003, NVwZ 2003, 859, S. 103; BVerfGE 86, 133 [144]). Dies gilt auch in (Beschwerde-) Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes (vgl. BVerfGE 65, 227 [233]; Jarass/Pieroth, GG, 8. Aufl., Art. 103 Rdnr. 22).

Das Oberverwaltungsgericht hat auf die Beschwerde des Beklagten (Antragsgegners) mit Beschluss vom 24. April 2007 den Beschluss des Verwaltungsgerichts vom gleichen Tage über eine Zwischenverfügung (sog. Hängebeschluss), in der vorläufig untersagt wurde, Abschiebemaßnahmen gegen den Kläger einzuleiten und durchzuführen, aufgehoben. Vor Erlass dieser Entscheidung hatte der Kläger, wie die abgelehnten Richter in ihrer dienstlichen Äußerung selbst eingeräumt haben, keine Gelegenheit, sich zu äußern und so die Willensbildung des Gerichts zu beeinflussen. Den Bevollmächtigten des Klägers wurde die am 24. April 2007 um 13.53 Uhr beim Oberverwaltungsgericht eingegangene Beschwerdeschrift des Beklagten erst zusammen mit der bereits erlassenen Entscheidung um 15.19 Uhr per Telefax übersandt. Der Einwand, der Kläger sei hierdurch nicht "benachteiligt" worden, weil das Gericht nur auf Grund des Vorbringens des Klägers im erstinstanzlichen Verfahren und dem angegriffenen Beschluss des Verwaltungsgerichts entschieden hätte, rechtfertigt keine andere Beurteilung. Infolge der fehlenden Bekanntgabe der Beschwerdeschrift des Beklagten vor Erlass der Beschwerdeentscheidung hatte der Kläger keine Kenntnis vom Beschwerdeverfahren und konnte daher die Willensbildung des Gerichts weder zur Verfahrensweise noch zum Ergebnis beeinflussen. Überdies konnte er nicht zur Beschwerdebegründung des Beklagten in tatsächlicher wie rechtlicher Hinsicht Stellung nehmen. Auch der Einwand, die Sache sei "erheblich eilbedürftig", rechtfertigt trotz des Hintergrunds, dass der Beklagte die Abschiebung des Klägers am 24. April 2007 um 15.30 Uhr auf dem Luftwege vorbereitet hatte, keine andere Beurteilung. Ausnahmen von dem Recht, sich vor Erlass der Entscheidung zu äußern, sind nur unter strengen Voraussetzungen gerechtfertigt, vor allem wenn der Schutz gewichtiger Interessen die Überraschung eines Beteiligten unabweisbar erfordert (vgl. BVerfGE 65, 227 [233]; 49, 329 [342] m.w.N.). Eine derartige Konstellation lag bei dem in Abschiebehaft befindlichen Kläger nicht vor. Die abgelehnten Richter haben auch nicht dargetan, noch ist sonst ersichtlich, dass der Fall so eilig war, dass dem anwaltlich vertretenen Kläger - zu dessen Lasten später entschieden wurde - nicht einmal eine kurze Frist zur Stellungnahme gegeben werden konnte. Bei eilbedürftigen Verfahren ist eine kurze Frist ausreichend (vgl. BVerfG, Beschluss vom 5. Februar 2003, NVwZ 2003, S. 859). Der Beschluss des Oberwaltungsgerichts beruht auch auf dem Fehler des rechtlichen Gehörs, denn es kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Anhörung des Klägers zu einer anderen, für ihn günstigeren Entscheidung geführt hätte.

Zudem verletzt der Beschluss des Oberverwaltungsgerichts vom 28. Juni 2007 - 3 S 36.07 - das Grundrecht des Klägers auf Gewährung effektiven Rechtsschutzes aus Artikel 15 Abs. 4 VvB (Art. 19 Abs. 4 GG). Nachdem das Verwaltungsgericht im erstinstanzlichen Verfahren mit Urteil vom 26. April 2007 die Verpflichtung des Beklagten zum Erlass einer Aufenthaltserlaubnis ausgesprochen hatte, hat das Oberverwaltungsgericht auf die Beschwerde des Beklagten mit Beschluss vom 28. Juni 2007 den Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin vom 26. April 2007 aufgehoben. In letzterer Entscheidung hatte das Verwaltungsgericht im Hinblick auf die im Hauptsacheverfahren erfolgte, für den Kläger günstige Beurteilung der Sach- und Rechtslage die aufschiebende Wirkung der Klage hinsichtlich der Versagung der Aufenthaltserlaubnis und der Abschiebungsandrohung angeordnet.

Das Oberverwaltungsgericht hat durch den Beschluss vom 28. Juni 2007 dem Kläger verwaltungsgerichtlichen Eilrechtsschutz unter Verletzung des Grundrechts auf Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes aus Artikel 15 Abs. 4 VvB (Art. 19 Abs. 4 GG) versagt. Der erkennende Senat macht sich die überzeugenden Erwägungen in dem hierzu ergangenen Beschluss des Verfassungsgerichtshofs des Landes Berlin vom 1. November 2007 - VerfGH 103/07 - (EA S. 11 ff.) zu Eigen und nimmt zur näheren Begründung hierauf Bezug. Überdies ist das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, welches bei diesem Beschluss über das Ablehnungsgesuch als öffentliche Gewalt des Landes Berlin handelt und insoweit ein Gericht des Landes Berlin im Sinne von § 30 Abs. 1 VerfGHG ist, an die Feststellung des Verfassungsgerichtshofs, dass der Beschluss vom 28. Juni 2007 Artikel 15 Abs. 4 VvB verletzt, gebunden.

(2) Gleichwohl vermag die Bewertung, dass die unter Mitwirkung der abgelehnten Richter im vorläufigen Rechtsschutzverfahren ergangenen Beschlüsse vom 24. April und 28. Juni 2007 die Verfahrensgrundrechte des Klägers verletzen, nach dem vorgenannten Maßstab (vgl. S.6 f.) nicht die Besorgnis der Befangenheit der Richter zu begründen. Vielmehr ist die geltend gemacht subjektive Besorgnis des Klägers, die Richter seien im Hinblick auf die Verfahrensverstöße im vorläufigen Rechtsschutzverfahren in diesem Verfahren über die Zulassung der Berufung voreingenommen und parteiisch, objektiv nicht ausreichend gerechtfertigt.

Weder hat der Kläger substantiiert vorgebracht noch ist sonst ersichtlich, dass zu den genannten Verfahrensfehlern solche besonderen Umstände hinzutreten, die objektiv die Schlussfolgerung rechtfertigen, dass die Verletzung der Verfahrensgrundrechte auf einer unsachlichen oder unvoreingenommenen Einstellung der Richter oder gar auf Willkür beruht.

In qualitativer Hinsicht behauptet der Kläger zwar, dass eine "eklatante" Grundrechtsverletzung vorliege. Näher begründet er seine Bewertung aber nicht. Hinsichtlich der Verletzung des Artikel 103 Abs. 1 GG ist zu berücksichtigen, dass die abgelehnten Richter, verursacht durch die Entscheidung des Beklagten, die Abschiebung des Klägers auf dem Luftwege am 24. April 2007 um 15.30 Uhr - und damit zwei Tage vor dem vom Verwaltungsgericht anberaumten Termin zur mündlichen Verhandlung im Hauptsacheverfahren - vorzubereiten, sich in einer zeitlichen atypischen "engen" Entscheidungssituation befanden. Der Beklagte hat mit der am 24. April 2007 um 13.53 Uhr bei Gericht eingegangenen Beschwerdeschrift zudem mitgeteilt, dass er keine Zusicherung abgebe, die Anwesenheit des Klägers in der mündlichen Verhandlung zu ermöglichen. Die Richter hatten damit - von ihrem Rechtsstandpunkt aus - vor dem geplanten Abschiebungstermin maximal eine Stunde und 37 Minuten Zeit zur Gestaltung des Verfahrens sowie ggf. zur Entscheidung einschließlich deren textlichen Abfassung und organisatorischen Umsetzung. Angesichts dessen spricht vieles dafür, dass die fehlerhaft unterlassene Zustellung der Beschwerdeschrift und die Nichtgewährung einer (kurzen) Äußerungsfrist ein durch Zeitdruck bedingtes Versehen und damit kein Indiz für eine unsachliche und unvoreingenommene Einstellung des Richters ist.

Hinzu kommt, dass die abgelehnten Richter in ihrer dienstlichen Äußerung die Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör der Sache nach eingeräumt haben und ausführen, dass sie heute nicht mehr wüssten, weshalb dem Kläger damals vor der Entscheidung keine Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben worden sei. Dieses Verhalten zeigt, dass die Richter unvoreingenommen bereit sind, die vorgenommene Verfahrensweise kritisch zu überprüfen.

Auch der von den abgelehnten Richtern in ihrem Beschluss vom 28. Juni 2007 zugrunde gelegte Prüfungsmaßstab sowie die vorgenommene Prüfungsintensität in dem Verfahren nach § 80 Abs. 7 Satz 1 und 2 VwGO stellt keine auf willkürlichen Erwägungen beruhende Rechtsanwendung dar. Der Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin hat zwar zwischenzeitlich im Beschluss vom 1. November 2007 überzeugend herausgearbeitet, dass in der hier aufgetretenen atypischen Fallkonstellation, in der im Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung im vorläufigen Rechtsschutz bereits eine erstinstanzliche Hauptsacheentscheidung vorliegt, eine das Ergebnis des Hauptsacheverfahrens widersprechende Eilentscheidung nur ausnahmsweise, etwa bei schwer wiegenden und offensichtlichen Mängeln im Hauptsacheverfahren verfassungsrechtlich tragfähig sein kann. Auch zuvor konnte aus der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. Beschluss vom 21. Juli 1994 - BVerwGE 96, 239) abgeleitet werden, dass das Urteil des Verwaltungsgerichts ein veränderter Umstand sein kann. Es lag aus der Sicht dieses Gerichts eine endgültige Beurteilung der Sach- und Rechtslage vor. Dabei hat das Gericht eine umfassende Sachprüfung vorgenommen, die im Ergebnis zu Gunsten des Klägers ausgefallen ist. Ob die von den abgelehnten Richtern damals der Sache nach zugrunde gelegte abweichende Rechtsauffassung rechtsfehlerhaft war, bedarf hier keiner Entscheidung. Eine "krasse" Fehlentscheidung, die unter keinem denkbaren Aspekt rechtlich vertretbar war, liegt jedenfalls nicht vor, weshalb nicht der Schluss gerechtfertigt ist, dass sie auf sachfremden und parteiischen Erwägungen beruht.

Im Übrigen hat offenbar auch der Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin keine Bedenken gegen die sachgerechte Behandlung der Sache unter Mitwirkung der abgelehnten Richter des 3. Senats. Es hat nämlich mit Beschluss vom 1. November 2007 den Beschluss des Oberverwaltungsgerichts vom 28. Juni 2007 aufgehoben und die Sache in entsprechender Anwendung von § 95 Abs. 2 BVerfGG an das Oberverwaltungsgericht zurückgewiesen und damit von seiner in Ausnahmefällen bestehenden Kompetenz zu einer Verweisung der Sache an einen anderen Senat des Oberverwaltungsgerichts keinen Gebrauch gemacht.

Auch das vom Kläger vorgetragene quantitative Element, dass eine "wiederholte" Grundrechtsverletzung vorliege, gibt keinen Anlass an der Unparteilichkeit der Richter zu zweifeln. Zwar wird die Häufung von Verfahrensfehlern in der Rechtsprechung teilweise als Anhaltspunkt für die Besorgnis der Befangenheit angeführt (vgl. BFH, Beschluss vom 29. August 2001, BFH/NV 2002, S. 65). Die beiden hier aufgetretenen Verfahrensverletzungen in unterschiedlichen Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes geben aber bei vernünftiger Gesamtwürdigung der soeben dargestellten atypischen qualitativen Umstände keinen Anlass, an der Unparteilichkeit der Richter zu zweifeln.

Gegen die Annahme der Besorgnis der Befangenheit spricht überdies, dass das Ablehnungsgesuch des Klägers in einem Interessenkonflikt zwischen zwei durch Artikel 101 Abs. 1 Satz 2 GG geschützten Rechtspositionen steht. Auf der einen Seite soll diese Norm sichern, dass der Rechtsschutzsuchende im Einzelfall vor einem Richter "steht", der unabhängig und unparteiisch ist und die Gewähr für Neutralität und Distanz gegenüber den Verfahrensbeteiligten bietet. Auf der anderen Seite darf nicht verkannt werden, dass eine zu weitgehende Annahme der Besorgnis der Befangenheit das ebenfalls verfassungsrechtlich abgesicherte Prinzip des gesetzlichen Richters tangieren würde (vgl. Sodan/Ziekow, VwGO, 2. Aufl., § 54 Rdnr. 47). Die in den Ablehnungsgesuchen genannten Richter sind (grundsätzlich) die nach der abstrakt-generellen Regelung zu Beginn des Geschäftsjahres nach objektiven Kriterien im Geschäftverteilungsplan bestimmten gesetzlichen Richter.

Unabhängig von vorgenannten - die Entscheidung selbständig tragenden - Erwägungen spricht gegen die Besorgnis der Befangenheit, dass es sich bei den hier unter Mitwirkung der abgelehnten Richter aufgetretenen Verfahrensfehlern um solche handelt, die spezifisch für das vorläufige Rechtsschutzverfahren sind. Die im Verfahren nach § 80 Abs. 7 VwGO im Hinblick auf Artikel 19 Abs. 4 GG geforderte Prüfungsintensität stellt sich in dieser Weise im Hauptsacheverfahren nicht. Auch für die Einräumung und Bemessung von Äußerungsfristen steht im Hauptsacheverfahren typischerweise erheblich mehr Zeit zur Verfügung, zumal im Fall der Zulassung der Berufung der Kläger in der mündlichen Verhandlung ausreichend Gelegenheit hätte, seinen Standpunkt zu vertreten. Auch vor diesem Hintergrund ist die vom Kläger vorgenommene Schlussfolgerung von der Verletzung von Verfahrensgrundrechten im vorläufigen Rechtsschutzverfahren auf die Besorgnis der Befangenheit im Hauptsacheverfahren bei vernünftiger Würdigung aller Umstände objektiv nicht gerechtfertigt.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Ende der Entscheidung

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