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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg
Beschluss verkündet am 23.08.2005
Aktenzeichen: OVG 3 N 346.03
Rechtsgebiete: AuslG, VwGO


Vorschriften:

AuslG § 47 Abs. 3 Satz 1
AuslG § 48 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4
AuslG § 48 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5
AuslG §104
VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 1
VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 3
VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 5
VwGO § 124 a Abs. 4 Satz 4
Kann ein Ausländer aus verschiedenen, voneinander unabhängigen Gründen besonderen Ausweisungsschutz im Sinne von § 48 Abs. 1 Satz1 AuslG für sich herleiten, so führt dies nicht dazu, dass eine dem Grunde nach gegebene Ist-Ausweisung zu einer Ermessensausweisung herabgestuft wird; vielmehr sind die den besonderen Ausweisungsschutz vermittelnden Umstände in die Prüfung, ob ein Ausnahmefall vorliegt, einzubeziehen.
OBERVERWALTUNGSGERICHT BERLIN-BRANDENBURG BESCHLUSS

OVG 3 N 346.03

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 3. Senat des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg durch die Richter am Oberverwaltungsgericht , und am 23. August 2005 beschlossen:

Tenor:

Der Antrag des Klägers, die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 30. Oktober 2003 zuzulassen, wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Antragsverfahrens.

Der Wert des Antragsgegenstandes wird auf 4 000 € festgesetzt.

Gründe:

Der Antrag bleibt ohne Erfolg.

1. Die Berufung ist nicht wegen der geltend gemachten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) zuzulassen. Der Kläger zeigt keine gewichtigen Gesichtspunkte auf, die für den Erfolg einer Berufung sprechen.

a) Der Kläger, der die Aufhebung der gegen ihn verfügten, von einer Ist-Ausweisung herab gestuften Regelausweisung erstrebt, beanstandet die Auffassung des Verwaltungsgerichts, ein Ausnahmefall sei nicht gegeben, als rechtlich unhaltbar. Zur Begründung nimmt er Bezug auf den von ihm im vollen Wortlaut wiedergegebenen Hinweis des ehemaligen Berichterstatters der Kammer des Verwaltungsgerichts vom 27. Juni 2002. Dies führt nicht zur Zulassung der Berufung.

Es ist bereits zweifelhaft, ob das Vorbringen des Klägers insoweit den Darlegungsanforderungen des § 124 a Abs. 4 Satz 4 VwGO genügt. Nach dieser Vorschrift sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Dies erfordert eine Auseinandersetzung mit der angegriffenen Entscheidung unter Sichtung und rechtlicher Prüfung des Streitstoffes (vgl. Bader, VwGO, 3. Aufl. 2005, Rz. 79 zu § 124 a; Meyer-Ladewig/Rudisile in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Stand: September 2004, Rzn. 91, 93 zu § 124 a; Seibert, NVwZ 1999, 113, 115, jew. m.w.N.; zum Revisionsrecht: BVerwG, Beschluss vom 19. August 1997, NJW 1997, 3328). Dem genügt die ohne eigene rechtliche Würdigung erfolgte inhaltliche Wiedergabe eines vor der mündlichen Verhandlung gegebenen richterlichen Hinweises schon mangels Auseinandersetzung mit der erst später ergangenen Entscheidung ersichtlich nicht.

Aus dem Hinweis des ehemaligen Berichterstatters der Kammer ergeben sich im Übrigen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils.

Soweit sich der Hinweis in seinem ersten Absatz mit der Rechtmäßigkeit der im Ausweisungsbescheid enthaltenen Abschiebungsandrohung befasst, steht dies in keinem erkennbaren Zusammenhang mit der vom Kläger beanstandeten Feststellung des Verwaltungsgerichts, ein der Regelausweisung entgegenstehender Ausnahmefall sei nicht gegeben; etwas anderes legt der Kläger auch nicht dar.

Der Umstand, dass der Kläger sich in zweifacher Hinsicht auf besonderen Ausweisungsschutz - nämlich aus § 48 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 und Nr. 5 AuslG - berufen kann, führt weder für sich noch im Hinblick darauf, dass "damit gleichzeitig einer Ausweisung höherrangiges Recht entgegenstellen könnte, hier Artikel 6 Abs. 1 GG", zur Annahme eines Ausnahmefalles. Nach der gesetzlichen Konzeption der Ausweisungsvorschriften des Ausländergesetzes 1990 ist der in § 48 Abs. 1 Satz 1 AuslG normierte besondere Ausweisungsschutz nicht steigerungsfähig; wird er - wie hier - aus verschiedenen, unabhängig voneinander jeweils für sich zur Zubilligung besonderen Ausweisungsschutzes führenden Umständen hergeleitet, so hat dies nicht die Herabstufung der - hier an sich nach § 47 Abs. 1 Nr. 1 AuslG gegebenen - Ist-Ausweisung zu einer reinen Ermessensausweisung zur Folge. Vielmehr führt besonderer Ausweisungsschutz lediglich zur Herabstufung der Ist-Ausweisung zu einer Regel-Ausweisung (§ 47 Abs. 3 Satz 1 AuslG). Dem Ausländer kommt der "doppelte Ausweisungsschutz" lediglich bei der Prüfung, ob ein die Regelausweisung hindernder Ausnahmefall vorliegt, zu Gute. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (u.a. Beschluss vom 27. Juni 1997, Buchholz 402.240 § 47 AuslG 1990 Nr. 15) ist im Rahmen dieser Prüfung der Umstand, der zu dem erhöhten Ausweisungsschutz geführt hat, erneut in den Blick zu nehmen. Kann der Ausländer aus mehreren, voneinander unabhängigen Umständen besonderen Ausweisungsschutz für sich in Anspruch nehmen, so sind diese Umstände auch jeweils in die Prüfung einzubeziehen, ob ein Ausnahmefall vorliegt. Auch der Umstand, dass die Ausweisung den Schutzbereich des Artikel 6 Abs. 1 GG berührt, führt dabei nicht - gewissermaßen automatisch - auf einen Ausnahmefall (vgl. BVerwG, a.a.O.).

Soweit schließlich ein Ausnahmefall deswegen in Betracht kommen soll, weil (bei dem als asylberechtigt anerkannten Kläger) von vornherein illusorisch sei, dass die Grundannahme des Gesetzes, auf eine Ausweisung folge die Abschiebung, eintreten könne, sodass die Ausweisung spezialpräventiven Gründe nicht dienen könne, wird übersehen, dass die Ausweisung - auch - auf generalpräventive Zwecke gestützt ist. Im Übrigen schließt der Umstand, dass der Ausgewiesene als Asylberechtigter anerkannt ist und deshalb voraussichtlich nicht in sein Heimatland abgeschoben werden kann, eine Ausweisung nicht aus (BVerwG, Urteil vom 31. August 2004, NVwZ 2005, 229, 230; Beschluss vom 18. August 1995, Buchholz 402.240 § 48 AuslG 1990 Nr. 7). Sollte das Verwaltungsgericht, wie sich dem Hinweis vom 27. Juni 2002 entnehmen lässt, in ständiger Rechtsprechung eine andere Praxis geübt haben, so hätte es diese zu Recht jedenfalls mit dem angefochtenen Urteil aufgegeben.

b) Soweit der Kläger ergänzend zu dem richterlichen Hinweis hervorhebt, er lebe mit einem am 17. März 2002 geborenen asylberechtigten Kind in familiärer Lebensgemeinschaft, ist dieser erst nach Erlass der Ausweisungsverfügung im Dezember 2001 eingetretene Umstand nicht geeignet, ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Urteils zu begründen. Maßgeblich für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer Ausweisung ist die Sach- und Rechtslage, wie sie im Zeitpunkt der letzten behördlichen Entscheidung bestanden hat (BVerwG, Beschluss vom 27. Juni 1997, a.a.O.); dass und inwiefern die erst später erfolgte Geburt und Asylanerkennung des Kindes gleichwohl zu berücksichtigen wären, legt der Kläger nicht dar.

c) Ernstliche Richtigkeitszweifel ergeben sich auch nicht daraus, dass das Verwaltungsgericht dem Kläger vorgehalten hat, die der Ausweisung zu Grunde liegende Straftat sei "im Bereich der organisierten Kriminalität anzusiedeln" (UA S. 6). Der Kläger meint zu Unrecht, das Verwaltungsgericht hätte dies angesichts der Tatsache, dass er die Strafe im offenen Vollzug verbüßt habe, hinterfragen müssen. Mit der beanstandeten Formulierung hat das Verwaltungsgericht entsprechende Erwägungen aus den Strafzumessungsgründen des Urteils des Landgerichts Berlin vom 11. Februar 1999 aufgegriffen, deren Richtigkeit durch die Modalitäten der Strafvollstreckung nicht in Zweifel gezogen werden; weitere Darlegungen, inwieweit sich hier ernstliche Richtigkeitszweifel ergeben sollen, enthält der Zulassungsantrag nicht.

d) Der - inhaltlich richtige - Hinweis des Klägers, in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils (UA S. 4) sei eine unzutreffende Vorschrift - § 48 Abs. 3 Satz 1 AuslG - angeführt (anstelle von § 47 Abs. 3 Satz 1 AuslG nach dem gegebenen Zusammenhang), ist nicht geeignet, die Ergebnisrichtigkeit der Entscheidung in Zweifel zu ziehen.

f) Der Kläger macht schließlich ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils auch insoweit geltend, als das Verwaltungsgericht die Auffassung vertreten habe, ein Verbrauch von Ausweisungsgründen komme in Fällen der Regelausweisung nicht in Betracht. Der Kläger gibt in diesem Zusammenhang die amtlichen Leitsätze des Urteils des VGH Kassel vom 4. März 2002 (AuAS 2002, 172 ff.) wieder und erinnert zugleich daran, dass das den Ausweisungsanlass bildende Strafurteil am 11. Februar 1999 ergangen ist. Damit ist der in Anspruch genommene Zulassungsgrund nicht hinreichend dargelegt.

Das Verwaltungsgericht hat ausgeführt (UA S. 6/7), für den Fall einer im Ermessen der Ausländerbehörde stehenden Ausweisung sei anerkannt, dass die Ermessensfreiheit aus Gründen von Treu und Glauben oder durch den verfassungsrechtlichen Grundsatz des Vertrauensschutzes eingeschränkt sein könne, wenn seit der strafgerichtlichen Verurteilung längere Zeit verstrichen sei und die Behörde dem Ausländer Anlass zu der Annahme gegeben habe, er dürfe sich trotz der Schwere seiner Verfehlung weiter im Bundesgebiet aufhalten. Bei einer Ist- oder Regelausweisung bestehe indes kein Ermessen, welches durch Treu und Glauben oder den verfassungsrechtlichen Grundsatz des Vertrauensschutzes begrenzt sein könne; die Ausweisung sei in diesen Fällen vielmehr zwingend oder in der Regel zu verfügen. Im Übrigen sei es auch bei einer Ermessensausweisung nicht zu beanstanden, dass sie erst mehrere Jahre nach der Verurteilung verfügt worden sei, wenn der Ausländer - wie der Kläger - im Anschluss an die Verurteilung eine mehrere Jahre dauernde Freiheitsstrafe antreten müsse, sodass kein dringender Anlass bestanden habe, die Ausweisung sofort anzuordnen. Hiermit setzt sich der Kläger nicht in der nach § 124 a Abs. 4 Satz 4 VwGO gebotenen Weise auseinander. Sein Hinweis auf das Urteil des VGH Kassel vom 4. März 2002 ist, was den Verbrauch von Ausweisungsgründen auch im Falle einer Regel- (und Ist-) Ausweisung angeht, unergiebig, da dieser Entscheidung der Fall einer Ermessensausweisung zu Grunde lag.

Ob dem VGH Kassel in dem genannten Urteil überhaupt zu folgen wäre, lässt der Senat offen. Der VGH Kassel hat sich hierin allerdings nicht mit der noch zu § 10 Abs. 1 Nr. 2 AuslG 1965 ergangenen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts auseinander gesetzt. Hiernach führte allein die zwischen Rechtskraft eines Strafurteils und der Ausweisungsverfügung verstrichene Zeit nicht zur Verwirkung der ordnungsbehördlichen Ausweisungsbefugnis, vielmehr konnte erst die Zweckverfehlung einer Ausweisung infolge vorangegangener behördlicher Untätigkeit zu einem möglichen Ausweisungshindernis führen (Beschluss vom 4. Oktober 1974, DÖV 1975, 286 [LS]). Dass eine Ausweisung erst drei Jahre nach einer strafrechtlichen Verurteilung verfügt wurde, wurde mit dem auch vom Verwaltungsgericht hervorgehobenen Hinweis darauf nicht beanstandet, dass der Betreffende im Anschluss an die Verurteilung eine mehrjährige Freiheitsstrafe zu verbüßen hatte, sodass kein dringender Anlass zu einer sofortigen Ausweisung bestand (Urteil vom 19. Oktober 1982, InfAuslR 1983, 34, 36). Auch den Umstand, dass zwischen der Straftat und der Ausweisung längere Zeit lag, sah das Bundesverwaltungsgericht nicht als geeignet an, die Rechtswidrigkeit dieser Maßnahme zu begründen; insbesondere hielt es die Einleitung des Ausweisungsverfahrens erst nach Entlassung des Ausländers aus der Strafhaft für zulässig (Beschluss vom 2. März 1987, InfAuslR 1987, 145, 146). Der Senat sieht keinen durchgreifenden Grund für die Annahme, dass die genannten Erwägungen nach In-Kraft-Treten des Ausländergesetzes 1990 gegenstandslos geworden wären. Sie dürften vielmehr auch für Ausweisungen nach §§ 45 ff. AuslG Geltung beanspruchen. Die vom VGH Kassel seinem rechtlichen Ausgangspunkt, über die Ausweisung eines Ausländers sei unmittelbar nach Bekanntwerden eines Ausweisungsgrundes zu entscheiden, zu Grunde gelegten Regelungen der allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Ausländergesetz vom 5. Juni 2000 (GMBl. S. 618) stellen rein innerdienstliche Richtlinien dar (BVerwG, Beschluss vom 9. Juli 1987, InfAuslR 1987, 274, zur Rechtsnatur der Verwaltungsvorschrift vom 10. Mai 1977 zur Ausführung des Ausländergesetzes; Hailbronner, Ausländerrecht, Stand: Oktober 2003, Rz. 1 zu § 104 AuslG; Welte in: Jakober u.a., Aktuelles Ausländerrecht, Stand: März 2003, Rz. 3 zu § 104 AuslG). Als untergesetzliche Regularien sind sie nicht geeignet, die gesetzlich normierten Ausweisungsgründe aufzuheben oder für die Gerichte bindend zu interpretieren; Außen- und Bindungswirkung kommt ihnen allein vermittels des Gleichbehandlungsgebotes im - hier nicht gegebenen - Fall einer Ermessensausweisung zu (Hailbronner, a.a.O., Rzn. 2 f.; Welte, a.a.O.) .

Aber auch wenn dem VGH Kassel zu folgen wäre, würde dem hier eingetretenen Zeitablauf zwischen dem Bekanntwerden der Verurteilung und der Einleitung des Ausweisungsverfahrens keine den Ausweisungsgrund verbrauchende Wirkung zukommen. Dies ist nach dem Urteil des VGH Kassel dann der Fall, wenn die Ausländerbehörde nach Kenntnisnahme von einem Strafurteil untätig bleibt und erst nach Ablauf von mehr als zwei Jahren ein Ausweisungsverfahren einleitet, ohne dass zwischenzeitlich weitere Straftaten und andere Ausweisungsgründe bekannt geworden sind. Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt. Das Strafurteil des Landgerichts Berlin vom 11. Februar 1999 ist dem Landeseinwohneramt Berlin am 14. Mai 1999 zur Kenntnis gelangt und dieses hat den Kläger am 14. März 2001 - mithin deutlich vor Ablauf von zwei Jahren seit Kenntnis der strafrichterlichen Verurteilung - zur beabsichtigten Ausweisung angehört.

2. Die Berufung ist auch nicht wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) zuzulassen.

Der Kläger hat diesen Zulassungsgrund nicht den Anforderungen des § 124 a Abs. 4 Satz 4 VwGO entsprechend dargetan. Wird die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend gemacht, so ist hierfür erforderlich, dass eine bisher weder höchstrichterlich noch obergerichtlich beantwortete konkrete und zugleich entscheidungserhebliche Rechts- oder Tatsachenfrage aufgeworfen und erläutert wird, warum sie über den Einzelfall hinaus bedeutsam ist und im Interesse der Rechtseinheit oder Rechtsfortbildung der Klärung in einem Berufungsverfahren bedarf (OVG Berlin, Beschluss vom 28. Juni 2005 - OVG 3 N 248.03 -; zu § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylVfG: Beschluss des Senats vom 3. August 2005 - OVG 3 N 56.04 -).

Der Kläger hält es für klärungsbedürftig, ob und unter welchen Umständen ein Verbrauch der Ausweisungsgründe in Betracht komme und gegebenenfalls ob man sich auch im Falle der Regelausweisung darauf berufen könne. Über die Behauptung hinaus, die Rechtssache habe grundsätzliche Bedeutung, weist der Zulassungsantrag keinerlei Darlegungen im eingangs erwähnten Sinne mit der Folge auf, dass die Zulassung der Berufung nicht in Betracht kommt.

Im Übrigen hängt es von den Umständen des Einzelfalles, insbesondere der Dauer der behördlichen Untätigkeit sowie der Art und Schwere des Ausweisungsgrundes ab, wann dieser als verbraucht angesehen werden kann. Die von dem Kläger aufgeworfene Frage entzieht sich damit einer allgemeinverbindlichen Klärung in einem Berufungsverfahren; dies gilt auch für die nach gelagerte Frage, ob man sich darauf auch im Falle der Regelausweisung berufen könne.

3. Schließlich führt auch die vom Kläger behauptete Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör als Verfahrensmangel (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO) nicht zur Zulassung der Berufung.

Der Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO) verpflichtet das Gericht dazu, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen (st. Rspr. des BVerfG, u.a. Beschluss vom 30. Oktober 1990, BVerfGE 83, 24, 35). Dabei soll das Gebot des rechtlichen Gehörs als Prozessgrundrecht sicherstellen, dass die gerichtliche Entscheidung frei von Verfahrensfehlern ergeht, die ihren Grund in der Außerachtlassung von wesentlichem Vorbringen der Beteiligten haben (vgl. u.a. BVerfG, Be- schluss vom 30. Januar 1985, BVerfGE 69, 141, 143; Beschluss vom 22. Januar 2001, NJW-RR 2001, 1006, 1007).

Mit den in der Zulassungsschrift aufgezeigten Umständen ist eine Gehörsverletzung nicht dargetan.

a) Der Kläger bemängelt, das Verwaltungsgericht habe den Umstand, dass er mit seinem asylberechtigten Sohn in familiärer Lebensgemeinschaft lebe, weder erwähnt noch in irgendeiner Weise rechtlich gewertet. Dies verstößt nicht gegen das Gebot rechtlichen Gehörs. Bei dem genannten Umstand handelt es sich aus den oben unter 1. b) genannten Gründen um einen nicht entscheidungserheblichen Aspekt des Vorbringens, der weder erwähnt noch gewürdigt werden musste.

b) Dass das Verwaltungsgericht sich in dem angefochtenen Urteil nicht ausdrücklich mit dem Urteil des VGH Kassel vom 4. März 2002 auseinander gesetzt hat, rechtfertigt ebenfalls die Annahme eines Gehörsverstoßes nicht. Mit seinem diesbezüglichen Vorbringen verkennt der Kläger die Reichweite seines Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs. Dass das Verwaltungsgericht seinen Vortrag nicht zur Kenntnis genommen hätte, ist nicht anzunehmen - wird vom Kläger auch nicht dargelegt - und eine nähere Auseinandersetzung mit der Entscheidung konnte vor dem Hintergrund der maßgeblichen Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts, ein Verbrauch von Ausweisungsgründen komme nur im Rahmen einer - hier nicht gegebenen - Ermessensausweisung in Betracht, unterbleiben; den Fall einer Regelausweisung betraf die Entscheidung des VGH Kassel nicht.

c) Ohne Erfolg macht der Kläger schließlich geltend, das Verwaltungsgericht hätte sich im Urteil dazu äußern müssen, warum es den Sachverhalt plötzlich anders bewerte, als es in dem Hinweis des ehemaligen Berichterstatters der Kammer der Fall gewesen sei. Die damit der Sache nach angesprochene Überraschungsentscheidung liegt nicht vor. Von einer gehörswidrigen Überraschungsentscheidung ist auszugehen, wenn das Gericht seiner Entscheidung ohne vorherigen Hinweis Tatsachen oder rechtliche Gesichtspunkte zu Grunde legt, mit denen auch ein gewissenhafter und sachkundiger Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Prozessverlauf nicht zu rechnen brauchte (BVerwG, Beschluss vom 29. Mai 1991, BVerwGE 84, 188, 190; Beschluss vom 13. Oktober 1994, InfAuslR 1995, 69, 70; BVerwG, Beschluss vom 25. Mai 2001, Buchholz 310 § 108 Abs. 2 Nr. 34). Dies trifft hier nicht zu. Bereits der Umstand, dass der Rechtsstreit nicht dem Berichterstatter als Einzelrichter zur Entscheidung übertragen worden war, die mündliche Verhandlung vielmehr vor der Kammer stattfand, musste dem Kläger die Annahme nahe legen, die Kammer halte die Sache für tatsächlich oder rechtlich besonders schwierig oder für grundsätzlich bedeutsam (vgl. § 6 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Damit lag für einen gewissenhaften Beteiligten zugleich die Annahme nicht fern, es werde möglicherweise nicht bei der rechtlichen Würdigung in dem Hinweisschreiben des Berichterstatters bleiben, zumal dessen Verfasser zwischenzeitlich aus der Kammer ausgeschieden war und an der mündlichen Verhandlung nicht teilnahm. Vor diesem Hintergrund wäre es Sache des Klägers gewesen, im Zuge der Erörterung der Streitsache nachzufragen, ob es bei der Auffassung des richterlichen Hinweises bleiben werde; sollte er dies unterlassen haben, müsste er sich den Verlust des Rügerechts entgegenhalten lassen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 72 Nr. 1 GKG i.V.m. §§ 13 Abs. 1 Satz 2, 14 Abs. 1 und 3 GKG a.F.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 72 Nr. 1 GKG i.V.m. § 25 Abs. 3 Satz 2 GKG a.F.).

Ende der Entscheidung

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