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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg
Beschluss verkündet am 23.02.2007
Aktenzeichen: OVG 3 S 10.07
Rechtsgebiete: VwGO, ZPO, GG, FreizügG/EU, AsylVfG, AufenthG


Vorschriften:

VwGO § 60 Abs. 1
VwGO § 146 Abs. 4 Satz 1
ZPO § 85 Abs. 2
ZPO § 189
GG Art. 6 Abs. 1
FreizügG/EU § 1
AsylVfG § 43 Abs. 2 Satz 2
AufenthG § 3 Abs. 1
AufenthG § 5 Abs. 1
AufenthG § 36
AufenthG § 81
1. Ein nach Erlass einer asylverfahrensrechtlichen Abschiebungsandrohung (erstmals) gestellter Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis hat gemäß § 43 Abs. 2 Satz 2 AsylVfG keine Fiktionswirkung gemäß § 81 Abs. 3 oder 4 AufenthG.

2. Der (Auffang)Streitwert für ein Verfahren auf Erteilung eines Aufenthaltstitels ist nicht deshalb zu erhöhen, weil mehrere Anspruchsgrundlagen für ein Aufenthaltsrecht in Betracht kommen bzw. geltend gemacht werden (hier: FreizügG/EU und AufenthG)


OVG 3 S 10.07 OVG 3 M 7.07

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 3. Senat durch die Vorsitzende Richterin am Oberverwaltungsgericht Fitzner-Steinmann sowie die Richter am Oberverwaltungsgericht Burchards und Dr. Peters am 23. Februar 2007 beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Frankfurt (Oder) vom 28. Dezember 2006 wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für beide Rechtsstufen auf 3 750 EUR festgesetzt.

Gründe:

1. Die Beschwerde ist unzulässig, soweit sie sich gegen die erstinstanzliche Versagung vorläufigen Rechtsschutzes richtet. Insoweit hat der Antragsteller die einmonatige Begründungsfrist gemäß § 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO versäumt.

a) Der Lauf der Begründungsfrist begann am 5. Januar 2007. Der angefochtene Beschluss ist am 4. Januar 2007 mit Empfangsbekenntnis an die Verfahrensbevollmächtigte des Antragstellers abgesandt worden. Diese hat allerdings das Empfangsbekenntnis nicht zurückgesandt, so dass sich die formgerechte Zustellung des Beschlusses (§ 56 Abs. 1 und 2 VwGO i.V.m. § 174 Abs. 1 ZPO) nicht nachweisen lässt. Das ist jedoch unerheblich, weil gemäß § 189 ZPO der Beschluss in dem Zeitpunkt als zugestellt gilt, in dem er der Verfahrensbevollmächtigten des Antragstellers tatsächlich zugegangen ist. Das war nach dem Inhalt der Beschwerdeschrift vom 19. Januar 2007 am 5. Januar 2007 der Fall. Darin heißt es u.a., die Begründung der Beschwerde erfolge "innerhalb der Frist (5.2.2007)". Aus dem angegebenen Datum, das - wie sich auch aus dem Wiedereinsetzungsgesuch vom 6. Februar 2007 ergibt - den Tag des Ablaufs der einmonatigen Begründungsfrist bezeichnet, folgt zwanglos, dass der Beschluss der Verfahrensbevollmächtigten des Antragstellers am 5. Januar 2007 zugegangen ist. Aus ihm ergibt sich ferner, dass die Verfahrensbevollmächtigte an diesem Tag auch Kenntnis von dem Inhalt des Beschlusses erlangt hat (vgl. hierzu OVG Hamburg, Beschluss vom 29. Oktober 2004, DÖV 2005, 216). Andernfalls hätte sie als Rechtsanwältin danach nicht die Beschwerdefrist (Ablauf: 19. Januar 2007; an diesem Tag ist die Beschwerde auch per Fax beim Verwaltungsgericht eingegangen) und die Begründungsfrist (Ablauf: 5. Februar 2007) errechnet. Die an das "Oberverwaltungsgericht Berlin, Kirchstrasse 6, 10557 Berlin" adressierte Beschwerdebegründung ist am 5. Februar 2007 beim Verwaltungsgericht Berlin eingegangen und von dort am 7. Februar 2007 und damit verspätet zum Oberverwaltungsgericht gelangt.

b) Dem Antragsteller kann keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden, weil er die Begründungsfrist nicht unverschuldet versäumt hat (§ 60 Abs. 1 VwGO).

Dazu trägt er vor, seine Verfahrensbevollmächtigte habe aus Versehen und alter Gewohnheit die Beschwerdebegründung in den (Nacht)Briefkasten des Verwaltungsgerichts eingeworfen. Sie habe völlig vergessen, dass das Oberverwaltungsgericht seinen Sitz nicht mehr gemeinsam mit dem Verwaltungsgericht in der Kirchstraße habe, sondern in die Hardenbergstraße verzogen sei. Der Irrtum beruhe darauf, dass sie seit dem Umzug des Oberverwaltungsgerichts noch nie in dem Gebäude in der Hardenbergstraße gewesen sei. Unglücklicherweise habe sie darauf verzichtet, die Begründung per Fax vorab an das Oberverwaltungsgericht zu übermitteln. Davon habe sie abgesehen, weil auch der Einwurf in den Briefkasten des Gerichts noch rechtzeitig habe erfolgen können. Die "Schusseligkeit" seiner Verfahrensbevollmächtigten könne ihm nicht angelastet werden.

Letzteres trifft nicht zu, wie sich aus § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 85 Abs. 2 ZPO ergibt. Danach steht das Verschulden des Bevollmächtigten dem Verschulden der Partei gleich. Die Verfahrensbevollmächtigte des Antragstellers hat die Fristversäumnis verschuldet. Die Anschrift des Oberverwaltungsgerichts in der Hardenbergstraße ergibt sich aus der Rechtsmittelbelehrung des angefochtenen Beschlusses. Die (aus welchen Gründen auch immer) unterbliebene Kenntnisnahme seiner Verfahrensbevollmächtigten von der richtigen Adresse muss sich der Antragsteller zurechnen lassen.

2. Die Beschwerde gegen die Versagung von Prozesskostenhilfe ist unbegründet.

Dies gilt für die beantragte Prozesskostenhilfe für das Klageverfahren schon deshalb, weil das Verwaltungsgericht darüber noch nicht entschieden hat. Der angefochtene Beschluss betrifft nur die Versagung von Prozesskostenhilfe für das Verfahren auf vorläufigen Rechtsschutz.

Die letztgenannte Entscheidung begegnet im Ergebnis keinen Bedenken. Das Verwaltungsgericht hat dem Antragsteller gemäß § 166 VwGO i.V.m. § 114 ZPO mit Recht mangels Erfolgsaussicht der Rechtsverfolgung keine Prozesskostenhilfe bewilligt. a) Es kann dahinstehen, welcher vorläufige Rechtsschutz gegen die Versagung einer Aufenthaltserlaubnis-EU in Betracht kommt, weil das dafür maßgebliche Freizügigkeitsgesetz/EU - FreizügG/EU - auf den Antragsteller keine Anwendung findet. Das Gesetz regelt die Einreise und den Aufenthalt von Staatsangehörigen anderer Mitgliedstaaten der Europäischen Union (Unionsbürger) und ihrer Familienangehörigen (§ 1 FreizügG/EU). Der Antragsteller ist als Staatsangehöriger von Kamerun kein Unionsbürger und er ist auch kein Familienangehöriger eines Unionsbürgers. Zwar ist die Mutter seines nichtehelichen Kindes als litauische Staatsangehörige Unionsbürgerin. Der Antragsteller ist aber nicht deren Familienangehöriger, weil er mit ihr nicht verheiratet ist. Er ist auch nicht ihr Lebenspartner, weil das FreizügigkeitsG/EU darunter nur (gleichgeschlechtliche) Lebenspartner im Sinne des Lebenspartnerschaftsgesetzes versteht (vgl. Nrn. 4. 2 und 3.6 der Vorläufigen Anwendungshinweise des Bundesministeriums des Innern zum Freizügigkeitsgesetz/EU, Stand: 22. Dezember 2004; Renner, Ausländerrecht, 8. Aufl. 2005, § 3 FreizügG/EU, Rz. 13). Der Antragsteller kann eine Aufenthaltserlaubnis-EU auch nicht im Hinblick auf sein nichteheliches Kind beanspruchen. Dies gilt ungeachtet fehlender sonstiger Voraussetzungen gemäß § 4 Abs. 2 Nr. 2 FreizügG/EU schon deshalb, weil nach dem eigenen Vorbringen des Antragstellers die litauische Staatsangehörigkeit des Kindes bisher nicht festgestellt ist. Im Hinblick darauf ist auch die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 19. Oktober 2004 (InfAuslR 2004, 413) hier nicht einschlägig.

b) Es kann ferner offen bleiben, ob die am 4. August 2005 beantragte Aufenthaltserlaubnis-EU entgegen dem ausdrücklichen Klagevorbringen zugleich einen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach dem Aufenthaltsgesetz beinhaltete. Dies ist im Hinblick auf § 81 Abs. 1 AufenthG jedenfalls zweifelhaft. Es kann weiter offen bleiben, ob der Antragsgegner einen solchen Antrag beschieden hat. Sollte dies der Fall sein, kann der Antragsteller dagegen vorläufigen Rechtsschutz nicht - wie von ihm beantragt - gemäß § 80 Abs. 5 VwGO erlangen. Dagegen spricht § 43 Abs. 2 Satz 2 AsylVfG, wonach § 81 AufenthG der Durchsetzung der Abschiebung aufgrund einer nach dem Asylverfahrensgesetz ergangenen Abschiebungsandrohung nicht entgegensteht. Die Voraussetzungen von § 43 Abs. 2 Satz 2 AsylVfG liegen bei dem Antragsteller vor. Er hat nach Erlass einer Abschiebungsandrohung durch Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (Bundesamt) vom 15. April 2003 am 4. August 2005 (erstmals) um eine Aufenthaltserlaubnis nachgesucht. Dieser Antrag hat gemäß § 43 Abs. 2 Satz 2 AsylVfG keine Fiktionswirkung gemäß § 81 Abs. 3 oder 4 AufenthG (ebenso Funke-Kaiser in GK-AsylVfG, Stand: Oktober 2006, § 43 Rzn. 9-11). Vorläufiger Rechtsschutz gegen aufenthaltsbeendende Maßnahmen kann nach der Rechtsprechung des Senats (u.a. Beschluss vom 8. Mai 2006 - OVG 3 S 14.06 -) bei Unanwendbarkeit von § 81 Abs. 3 und 4 AufenthG nur im Wege einstweiliger Anordnung gemäß § 123 Abs. 1 VwGO erlangt werden. Derartigen Rechtsschutz hat der Antragsteller nicht beantragt.

Unabhängig davon wäre aber auch die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Versagung der Aufenthaltserlaubnis nicht möglich, weil dem Antragsteller kein Aufenthaltsrecht zusteht. Insoweit kommt allein ein Familiennachzug zu seinem minderjährigen Kind in Betracht. Rechtsgrundlage dafür wäre § 36 AufenthG. Die Norm setzt aber - wie die sonstigen den Familiennachzug regelnden Vorschriften - voraus, dass der Ausländer, zu dem der Nachzug stattfinden soll, im Besitz einer Aufenthalts- oder Niederlassungserlaubnis ist (vgl. § 29 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG; Renner, a.a.O., § 36 AufenthG, Rz. 4). Daran fehlt es hier. Das Kind des Antragstellers, dessen Staatsangehörigkeit - wie vorstehend unter a) ausgeführt - bisher nicht festgestellt ist, ist nicht im Besitz eines Aufenthaltstitels, sondern wird nach dem Beschwerdevorbringen nur geduldet. Ein Aufenthaltsrecht könnte es im Übrigen nur gemäß § 4 FreizügG/EU von seiner Mutter ableiten. Mutter und Kind erfüllen aber nicht die Voraussetzungen der genannten Vorschrift, weil ihre Existenz nicht hinreichend gesichert ist. Die Kindesmutter verfügt nach dem Antragsvorbringen über Erziehungsgeld von 600 € monatlich (die Höhe ist nicht belegt) und Kindergeld von 154 € monatlich, insgesamt also über 754 € monatlich. Der Unterhaltsbedarf von Mutter und Kind sowie die Aufwendungen für die Krankenversicherung belaufen sich dagegen ausweislich der Berechnung des Amtes für Grundsicherung und Beschäftigung des Antragsgegners vom 22. Juni 2006 auf monatlich 810,15 € (Regelbedarf von Mutter und Kind sowie Miete in Höhe von insgesamt 678 € und Krankenversicherung in Höhe von 132,15 €).

Ein allein aus Art. 6 Abs. 1 GG hergeleitetes Aufenthaltsrecht steht dem Antragsteller nicht zu. Die Norm verleiht, wie die Beschwerde nicht verkennt, keinen unmittelbaren Anspruch auf einen Aufenthaltstitel. Die Erteilung einer Duldung, von der in der Beschwerde ebenfalls die Rede ist, ist nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens. Sie ist nach Aktenlage bisher noch nicht einmal außergerichtlich beantragt.

Der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis steht schließlich auch entgegen, dass der Antragsteller nicht über einen anerkannten Pass verfügt (vgl. § 5 Abs. 1 i.V.m. § 3 Abs. 1 AufenthG). Der von ihm vorgelegte, am 20. Juni 2000 in Douala/Kamerun ausgestellte Pass, dessen Existenz er in dem im April 2002 eingeleiteten Asylverfahren auf Befragen nicht erwähnt hatte, ist mangels Echtheitsnach-weis nicht visierfähig.

c) Schließlich war dem Antragsteller auch kein vorläufiger Rechtsschutz gegen die Abschiebungsandrohung vom 4. Oktober 2006 zu gewähren. Zwar ist die Androhung als Maßnahme in der Verwaltungsvollstreckung gemäß § 39 VwVGBbg auch ohne besondere Anordnung vollziehbar. Gegen ihre Rechtmäßigkeit könnten auch Bedenken bestehen, weil der Antragsgegner angesichts der weder aufgehobenen noch in sonstiger Weise erledigten Abschiebungsandrohung des Bundesamtes vom 15. April 2003 zum Erlass einer (weiteren) Abschiebungsandrohung nicht befugt gewesen sein könnte (vgl. dazu Hailbronner, Ausländerrecht, Stand: Dezember 2006, § 59 AufenthG, Rz. 3 f.; VG Braunschweig, Urteil vom 23. Januar 2001 - 5 A 263/99 - , juris, Rz. 24 f. m.w.N.). Dies bedarf hier indes keiner Entscheidung. Denn selbst wenn die Abschiebungsandrohung vom 4. Oktober 2006 aus vorstehenden Gründen im Hauptsacheverfahren als rechtswidrig aufzuheben wäre, fehlt dem Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage das Rechtsschutzbedürfnis, weil der Antragsteller aufgrund der bestandskräftigen Abschiebungsandrohung des Bundesamtes vom 15. April 2003 abgeschoben werden kann. Daran könnte auch die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gegen den Bescheid vom 4. Oktober 2006 nichts ändern.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Für das Beschwerdeverfahren gegen die Versagung von Prozesskostenhilfe werden außergerichtliche Kosten nicht erstattet (§ 166 VwGO i.V.m. § 127 Abs. 4 ZPO).

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 3 Nr. 2, § 52 Abs. 2, 63 Abs. 3 Satz 1 GKG. Die Wertfestsetzung des Verwaltungsgerichts war von Amts wegen zu ändern, weil sie hinsichtlich der aufenthaltsrechtlichen Entscheidung zu hoch bemessen ist. Der Antragsteller begehrt die Erteilung eines Aufenthaltstitels. Hierfür setzt der Senat in ständiger Rechtsprechung den Auffangwert gemäß § 52 Abs. 2 GKG von 5 000 € an. Dies entspricht Nr. 8.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit, Fassung 7/2004 (NVwZ 2004, 1327). Es besteht kein Anlass, diesen Wert wegen mehrerer in Betracht kommender Anspruchsgrundlagen für den begehrten Aufenthaltstitel, der nur einmal erteilt werden kann, zu erhöhen. Der danach berechnete Streitwert für das Klageverfahren von 7 500 € einschließlich der isolierten Abschiebungsandrohung war im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes zu halbieren.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

Ende der Entscheidung

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