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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg
Beschluss verkündet am 02.10.2007
Aktenzeichen: OVG 3 S 71.07
Rechtsgebiete: SchulG Bln


Vorschriften:

SchulG Bln § 8 Abs. 3 Satz 3 Nr. 1 a.F.
SchulG Bln § 55 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1
SchulG Bln § 55 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OVG 3 S 71.07

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 3. Senat am 2. Oktober 2007 beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde der Antragsteller gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin vom 24. Juli 2007 wird zurückgewiesen.

Die Antragsteller tragen die Kosten der Beschwerde.

Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 2.500 EUR festgesetzt.

Gründe:

Die zulässige Beschwerde ist nicht begründet

Das Beschwerdevorbringen, das Inhalt und Umfang der Überprüfung des angefochtenen Beschlusses durch das Oberverwaltungsgericht bestimmt (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), rechtfertigt nicht dessen begehrte Änderung.

Auch unter Berücksichtigung des Beschwerdevorbringens haben die Antragsteller nicht mit der für eine Vorwegnahme der Hauptsache erforderlichen hohen Wahrscheinlichkeit die Voraussetzungen eines im Wege der einstweiligen Anordnung zu sichernden Anspruchs auf - vorläufige - Aufnahme ihrer Tochter E_____ T_____zum Schuljahr 2007/2008 in eine 1. Klasse der C_____-Schule glaubhaft gemacht (§ 123 Abs. 1 und 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2, § 294 ZPO).

Die Antragsteller und ihre Tochter erfüllen nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts nur das Kriterium des § 55 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 SchulG Bln (Profilwunsch), so dass sie lediglich - ohne Erfolg - an einem Losverfahren um einen Schulplatz (§ 55 Abs. 3 Satz 3 SchulG Bln) teilnehmen konnten (S. 6 des Beschlussabdrucks). Das Gericht geht im Übrigen davon aus, dass "gewachsene Bindungen zu anderen Kindern" i. S. v. § 55 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 SchulG Bln bei der Tochter der Antragsteller nicht vorliegen. Dies greift die Beschwerde ohne Erfolg an. Der 8. Senat des Oberverwaltungsgerichts hat zu dem Kriterium der "gewachsene(n) Bindungen" bereits entschieden, dies seien solche Bindungen, die sich über einen längeren Zeitraum entwickelt und zu einer inneren Verbundenheit der Kinder geführt hätten (Beschluss vom 20. September 2005 - OVG 8 S 84.05 -, juris, Rdnr. 10). Hierbei hat der 8. Senat an die insoweit gleich lautende Vorgängerregelung des § 8 Abs. 3 Satz 3 Nr. 1 SchulG Bln a.F. angeknüpft (vgl. dazu OVG Berlin, Beschluss vom 26. November 2004 - OVG 8 S 109.04 -, juris). Dieser Rechtsprechung schließt sich der erkennende Senat an.

Die Auslegung des Merkmals "gewachsene Bindungen zu anderen Kindern" ergibt sich aus dem Wortlaut und dem Sinn und Zweck der Vorschrift. Mit dem Begriff "Bindungen" macht der Gesetzgeber deutlich, dass nicht jedwede Beziehung zwischen Kindern ausreicht, sondern eine innere Verbundenheit erforderlich ist. Das Merkmal "gewachsen" erfordert, dass sich die Bindung über einen längeren Zeitraum entwickelt hat. Dies entspricht auch dem Zweck der Vorschrift, den Besuch einer anderen als der zuständigen Grundschule nur ausnahmsweise, d.h. bei Vorliegen besonderer Umstände zuzulassen. Der Gesetzgeber geht von dem Regelfall aus, dass Kinder im vorschulischen Alter ihre Bindungen zu Geschwisterkindern oder Kindern in (wohnortnahen) Kindergärten oder anderen Einrichtungen der Jugendhilfe entwickeln. Für den (Ausnahme-) Fall, dass durch den Besuch einer nicht im Einschulungsbereich liegenden vorschulischen Einrichtung oder durch Umzug der Eltern eine gewachsene Bindung zwischen Kindern beeinträchtigt würde, soll eine Ausnahme vom Grundsatz der Einschulung in der zuständigen Grundschule möglich sein.

Ausgehend hiervon gehören zu den "gewachsenen Bindungen" neben den Bindungen zwischen Geschwistern, auch solche Bindungen zwischen Kindern, die aus dem gemeinsamen Besuch von Einrichtungen der Jugendhilfe und aus sonstiger organisierter Betreuung im vorschulischen Bereich entstanden sind (vgl. zu letzterem: Amtliche Begründung zum 14. Gesetz zur Änderung des Schulgesetzes für Berlin - 14. ÄndG - Abgh.-Drs. 7/1297 zu § 8, S. 19). Dabei genügt es allerdings nicht, dass Kinder gemeinsam dieselbe vorschulische Einrichtung besucht haben; erforderlich ist vielmehr, dass daraus Bindungen erwachsen sind.

Erziehungsberechtigte, die ihre Kinder in eine andere als die zuständige Grundschule einschulen möchten, müssen bereits bei Antragstellung (vgl. zum maßgeblichen Zeitpunkt: OVG Berlin, Beschluss vom 4. November 2004 - OVG 8 S 111.04 -, juris, Rdnr. 19 ff.) konkret und nachvollziehbar die gewachsenen Bindungen zu anderen Kindern und deren mögliche Beeinträchtigung darlegen. Dabei dürfen die Anforderungen an die Darlegung einerseits nicht zu hoch gesteckt werden, andererseits muss der Vortrag aber so konkret sein, dass ohne weitere Nachfrage für die Schule erkennbar ist, was die "gewachsenen Bindungen" im Einzelnen ausmacht. Die Angabe, die Kinder hätten gemeinsam eine vorschulische Einrichtung besucht, reicht nicht aus; denn daraus ergibt sich nicht automatisch, dass aus diesem gemeinsamen Besuch auch gewachsene Bindungen entstanden sind, die beeinträchtigt werden können. Ebenso wenig genügt die pauschale Behauptung, es bestünden gewachsene Bindungen zu anderen namentlich benannten Kindern, oder der Vortrag, die Kinder seien eng miteinander befreundet. Denn der Begriff der (engen) Freundschaft wird von den Erziehungsberechtigten fünf- bzw. sechsjähriger Kinder völlig unterschiedlich genutzt und gibt daher keinen Aufschluss über die Bindung eines Kindes zu anderen Kindern. Lediglich bei Geschwisterkindern liegt es nahe, ohne weitere Ausführungen des Erziehungsberechtigten gewachsene Bindungen anzunehmen, die durch den Besuch von unterschiedlichen (Grund-) Schulen beeinträchtigt werden können (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 20. September 2005, a. a. O., Rdnr. 13).

Das Verwaltungsgericht hat in seinem Beschluss im Einklang mit dieser Rechtsprechung festgestellt, dass die Antragsteller nicht in ausreichender Weise gewachsene Bindungen ihrer Tochter zu anderen Kindern und deren mögliche Beeinträchtigung dargelegt haben. Der Umstand, dass die Tochter der Antragsteller mit mehreren Kindern aus dem Kinderladen "F_____" seit Jahren befreundet sei und diverse Kontakte durch gemeinsame Reisen, gegenseitige Übernachtungen sowie Nachmittagsbetreuungen bestünden, habe nicht den Schluss zugelassen, dass besondere Bindungen oder geschwisterähnliche Beziehungen entstanden sein könnten (S. 4/5 des Beschlussabdrucks). Mit ihrer Beschwerde wiederholen die Antragsteller hierzu lediglich ihr erstinstanzliches Vorbringen, dessen Richtigkeit im Übrigen nicht - etwa durch Versicherung an Eides Statt - glaubhaft gemacht ist. Sie gehen jedoch nicht auf die - zutreffende - Feststellung des Verwaltungsgerichts ein, dass die besonderen Bindungen zu einzelnen Kindern substantiiert darzulegen seien. Allein die Schilderung eines sozialen Beziehungsgeflechts, das aus einer Reihe von Kindern besteht und innerhalb dessen die Tochter der Antragsteller freundschaftliche Beziehungen pflegt, reicht nicht aus, intensive Bindungen darzutun.

Soweit das Verwaltungsgericht darüber hinaus festgestellt hat, die Bindungen der Tochter der Antragsteller zu verschiedenen Kindern, die bereits die 1. oder 2. Klassenstufe der C_____-Schule besuchen, seien durch deren frühere Einschulung ohnehin gelockert (S. 5 des Beschlussabdrucks), steht dies mit der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts gleichfalls im Einklang. Durch diese vom Verwaltungsgericht festgestellten Trennungen sind die Voraussetzungen für die kontinuierliche Weiterentwicklung der Bindungen grundsätzlich entfallen und hierauf basiert maßgeblich die nachfolgende Bindungsbeeinträchtigung (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 20. September 2005 - OVG 8 S 84.05 -, juris, Rdnr. 4). Es entspricht der Lebenserfahrung, dass mit dem Übergang eines Kindes vom Kindergarten zur Grundschule bestehende Bindungen zu jüngeren Kindern, die im Kindergarten verbleiben, gelockert werden und sich häufig durch Zeitablauf sukzessive auflösen. Die dauerhafte Aufrechterhaltung solcher Bindungen ist eher atypisch. Das Vorliegen einer solchen Atypik hätte hier eingehender Darlegung seitens der Antragsteller bedurft, woran es jedoch fehlt. Allein die Schilderung eines allgemeinen sozialen Beziehungsgeflechts reicht insofern nicht aus.

Die weitere Feststellung des Verwaltungsgerichts, dass von den Antragstellern das Merkmal der "wesentlichen Betreuungserleichterung" (§ 55 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 SchulG Bln) nicht glaubhaft gemacht worden sei, ist mit der Beschwerde nicht angegriffen worden. Infolgedessen ist vorliegend davon auszugehen, dass der Antragsgegner zutreffend bei der Tochter der Antragsteller lediglich die Erfüllung des Kriteriums "Profilwunsch" (§ 55 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 SchulG Bln) angenommen hat. Ob - wie die Antragsteller meinen - der Antragsgegner bei anderen Kindern zu Unrecht lediglich die Erfüllung des Kriteriums "Profilwunsch" angenommen hat, ist vorliegend ohne Entscheidungserheblichkeit, weil aus diesem Umstand kein Nachteil für die Antragsteller und ihre Tochter erwachsen würde.

Ohne Substanz ist schließlich der Einwand der Antragsteller, bei den Geschwisterkindern sei das Vorliegen eines Profilwunsches teilweise "zweifelhaft". Es fehlt insofern an der Darlegung, woraus diese Zweifel erwachsen sollen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 3 Nr. 1, § 52 Abs. 2 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

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