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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg
Beschluss verkündet am 03.11.2009
Aktenzeichen: OVG 3 S 79.09
Rechtsgebiete: AufenthG, AsylVfG


Vorschriften:

AufenthG § 59
AsylVfG § 13 Abs. 1
AsylVfG § 14
AsylVfG § 67 Abs. 1 Nr. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OBERVERWALTUNGSGERICHT BERLIN-BRANDENBURG BESCHLUSS

OVG 3 S 79.09

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 3. Senat durch die Richter am Oberverwaltungsgericht Fieting, Burchards und Maresch am 3. November 2009 beschlossen:

Tenor:

Dem Antragsteller wird für den Rechtszug vor dem Oberverwaltungsgericht Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwältin Beate Böhler beigeordnet.

Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin vom 3. August 2009 mit Ausnahme der Streitwertfestsetzung geändert und der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes abgelehnt.

Die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge trägt der Antragsteller.

Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 2500,- EUR festgesetzt.

Gründe:

I.

Der kenianische Antragsteller reiste am 13. April 2008 mit einem Touristenvisum in die Bundesrepublik ein und beantragte mit anwaltlichem Schriftsatz vom 3. Juli 2008 für die Dauer eines Jahres die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 4 AufenthG. Zur Begründung führte er unter Bezugnahme auf eine beigefügte ärztliche Stellungnahme vom 25. Juni 2008 im Wesentlichen aus, er sei aufgrund von Erlebnissen in Kampfhandlungen im Bürgerkrieg in Kenia traumatisiert, befürchte bei einer Rückkehr nach Kenia umgebracht zu werden und bedürfe einer voraussichtlich ein Jahr dauernden psychotherapeutischen Behandlung. Trotz der schwierigen Situation in seinem Heimatland wolle er jedoch keinen Asylantrag stellen, sondern, soweit es ihm gesundheitlich möglich sei, in sein Heimatland zurückkehren. Mit Schriftsatz vom 5. August 2008 wies der Antragsteller den Antragsgegner "nochmals mit Nachdruck" darauf hin, dass es sich nicht um ein Asylbegehren handele und eine Umdeutung in einen Asylantrag "weder gewünscht noch zulässig" sei. Daraufhin lehnte der Antragsgegner mit Bescheid vom 8. August 2008 den Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis ab und drohte dem Antragsteller unter Gewährung einer Ausreisefrist bis zum 28. August 2008 die Abschiebung in seinen Herkunftsstaat Kenia oder einen anderen Staat an, in den er einreisen dürfe oder der zu seiner Rückübernahme verpflichtet sei. Mit Beschluss vom 3. August 2009 hat das Verwaltungsgericht die aufschiebende Wirkung der vom Antragsteller gegen den Bescheid vom 8. August 2008 erhobenen Klage hinsichtlich der Abschiebungsandrohung mit der Begründung angeordnet, der Antragsgegner sei zum Erlass der Abschiebungsandrohung nicht befugt gewesen, weil materiell ein schriftlicher Asylantrag vorliege, den er gemäß § 14 Abs. 2 Satz 2 AsylVfG zwingend dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zuleiten müsse.

II.

Die gegen diesen Beschluss gerichtete Beschwerde des Antragsgegners ist zulässig und begründet. Der Antragsgegner macht im Wesentlichen geltend: Auch wenn der Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis vom 3. Juli 2008 als Asylgesuch im Sinne von § 13 Abs. 1 AsylVfG zu werten sein sollte, stehe er der Zuständigkeit der Ausländerbehörde zum Erlass der Abschiebungsandrohung gem. § 59 Abs. 3 AufenthG nicht entgegen, weil das Asylbegehren jedenfalls nicht in einen förmlichen Asylantrag nach § 14 Abs. 1 AsylVfG gemündet sei. § 14 Abs. 2 Satz 2 AsylVfG gelte nur für die Weiterleitung des förmlichen Asylantrags, nicht für die Weiterleitung eines Asylgesuchs nach § 13 Abs. 1 AsylVfG. Da zwischen dem Asylgesuch und dem Erlass der Abschiebungsandrohung mehr als zwei Wochen vergangen seien, sei die gesetzlich begründete Aufenthaltsge-stattung nach § 55 Abs. 1 AsylVfG gemäß § 67 Abs. 1 AsylVfG bereits erloschen gewesen und die Zuständigkeit des Bundesamtes nicht mehr gegeben gewesen. Folglich sei der Antragsgegner für den Erlass der Abschiebungsandrohung zuständig gewesen.

Dem ist bei summarischer Prüfung zu folgen. Gemäß § 13 Abs. 1 AsylVfG liegt ein Asylantrag vor, wenn sich dem schriftlich, mündlich oder auf andere Weise geäußerten Willen des Ausländers entnehmen lässt, dass er im Bundesgebiet Schutz vor politischer Verfolgung sucht oder dass er Schutz vor Abschiebung oder einer sonstigen Rückführung in einen Staat begehrt, in dem ihm die in § 60 Abs. 1 AufenthG bezeichneten Gefahren drohen. Das Vorliegen eines Asylantrags in diesem Sinne (Asylgesuch) bewirkt, dass allein das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge über den geltend gemachten Schutzanspruch zu entscheiden hat. Ferner ist einem Ausländer, der um Asyl nachsucht, der Aufenthalt im Bundesgebiet zur Durchführung des Asylverfahrens gestattet (§ 55 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG). Von dem Asylgesuch zu unterscheiden ist der förmliche Asylantrag im Sinne von § 14 AsylVfG, mit dessen Stellung das Verfahren beim Bundesamt beginnt (§§ 23 ff. AsylVfG). Gemäß § 67 Abs. 1 Nr. 2 AsylVfG erlischt die Aufenthaltsgestattung, wenn der Ausländer innerhalb von zwei Wochen, nachdem er um Asyl nachgesucht hat, noch keinen Asylantrag gestellt hat. Das Asylgesuch steht einer Abschiebung des Ausländers und deren Androhung durch die Ausländerbehörde vor Stellung eines Asylantrags zwar materiellrechtlich entgegen, soweit der Aufenthalt des Ausländers gemäß § 55 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG gestattet ist und daher keine Ausreisepflicht besteht. Entfällt jedoch die Aufenthaltsgestattung gemäß § 67 Abs. 1 Nr. 2 AsylVfG, kann die Ausländerbehörde die Ausreisepflicht nach den allgemeinen Vorschriften des Aufenthaltsgesetzes durchsetzen. Dies gilt namentlich, wenn sich der Ausländer, wie hier, nicht darauf beruft, dass die Ausländerbehörde ihrer aus § 14 Abs. 2 Satz 2 AsylVfG folgenden Pflicht zur unverzüglichen Weiterleitung eines bei ihr eingereichten schriftlichen Asylantrags nicht genügt habe, sondern es im Gegenteil ausdrücklich ablehnt, einen Asylantrag zu stellen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 3. Dezember 1997 - 1 B 219/97 -, NVwZ-RR 1998, 264; hessischer VGH, Beschluss vom 20. März 1998 - 7 TZ 413/98 -, DÖV 1999, 127 sowie bei Juris; Funke-Kaiser in GK-AufenthG, Stand Februar 2008, § 59 AufenthG, Rn. 14).

Aus dem vom Verwaltungsgericht zitierten Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 3. März 2006 - 1 B 126/05 - (NVwZ 2006, 830, sowie bei Juris, mit weiteren Fundstellen) folgt nichts Gegenteiliges. Gegenstand dieser Entscheidung war die Erteilung einer Duldung wegen eines zielstaatsbezogenen Abschiebungshindernisses. Insoweit hat das Bundesverwaltungsgericht unter Bezugnahme auf seinen oben genannten Beschluss vom 3. Dezember 1997 (a.a.O.) ausgeführt, dass die Ausländerbehörde zwar im Rahmen der Durchsetzung der Ausreisepflicht gegebenenfalls nach Stellung eines (materiellen) Asylgesuchs und bis zur Stellung eines (formellen) Asylantrags beim Bundesamt nach § 14 AsylVfG über auslandsbezogenen Abschiebungsschutz befinden könne, nicht jedoch auch im Rahmen eines Duldungsantrags zur Erlangung eines humanitären Bleiberechts, dem in Wahrheit materiell ein Asylbegehren zu Grunde liege. Da es gerade Sinn des § 13 Abs. 1 AsylVfG sei, denjenigen Schutzsuchenden, der sich materiell auf Asylgründe berufe, zwingend auf das - alle Schutzersuchen und Schutzformen erfassende - Asylverfahren zu verweisen und hiermit ausschließlich das besonders sachkundige Bundesamt zu befassen, bestehe kein Wahlrecht des Ausländers zwischen asylrechtlichem und ausländerrechtlichem Schutz vor Verfolgung im Heimatland. Abschließend hat das BVerwG ausgeführt, dass zwar ein als solches bisher nicht beachtetes Asylgesuch an das Bundesamt weiterzuleiten und dem Ausländer Gelegenheit zur Stellung eines Asylantrags und Abschiebungsschutzantrags nach § 60 AufenthG zu geben sei. Würde er die Stellung eines Asylantrags beim Bundesamt nach § 14 AsylVfG hingegen unterlassen, könne er sich jedoch auch gegenüber der Ausländerbehörde nicht (mehr) auf zielstaatsbezogenen Abschiebungsschutz nach § 60 AufenthG berufen. Dem entspricht der vorliegende Fall, in dem der Antragsteller die Stellung eines förmlichen Asylantrags ausdrücklich ablehnt.

Die Abschiebungsandrohung ist auch sonst rechtlich nicht zu beanstanden. Der Antragsteller ist gemäß § 58 Abs. 1 AufenthG vollziehbar ausreisepflichtig, weil seine gegen die Versagung der Aufenthaltserlaubnis gerichtete Klage, auf die sich der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nicht bezieht, gemäß § 84 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG keine aufschiebende Wirkung entfaltet. Den formellen Anforderungen nach § 59 Abs. 1 und 2 AufenthG ist entsprochen. Das Vorliegen von eventuellen Abschiebungsverboten steht dem Erlass der Androhung gemäß § 59 Abs. 3 Satz 1 AufenthG nicht entgegen. Damit sind auch Duldungsgründe nach § 60 a Aufenthaltsgesetz nicht zu prüfen (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 6. Januar 2005 - 18 B 2801/04 -, InfAuslR 2005, 146, zit. nach Juris).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 2 GKG.

III.

Dem Antragsteller war gemäß § 166 VwGO, §§ 114 ff. ZPO für das zweitinstanzliche Verfahren Prozesskostenhilfe zu gewähren, weil er nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung weder durch einmalige Zahlung noch ratenweise aufbringen kann. Da der Antragsgegner die Beschwerde eingelegt hat, war gemäß § 119 Abs. 1 Satz 2 ZPO nicht zu prüfen, ob die Rechtsverteidigung des Antragstellers hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet oder mutwillig erscheint. Die Beiordnung der Rechtsanwältin beruht auf § 121 Abs. 1 ZPO.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO; § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

Ende der Entscheidung

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