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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg
Urteil verkündet am 07.09.2006
Aktenzeichen: OVG 4 B 12.05
Rechtsgebiete: BeamtVG


Vorschriften:

BeamtVG § 31
1. Nach Sinn und Zweck des § 31 BeamtVG besteht Dienstunfallschutz bei Unfällen eines Beamten während der Rettung eines Dritten (Rettungsunfälle), die sich während der Dienstzeit und im Dienstgebäude ereignen, wenn die Rettungshandlung öffentlich-rechtliche oder strafrechtlich sanktionierte Pflicht des Beamten ist.

2. Der Dienstunfallschutz entfällt dabei nicht, wenn sich der Unfall des Beamten bereits im Vorfeld der Rettungshandlung ereignet, zu der der Beamte verpflichtet ist, insbesondere auf dem Weg zum Unglücksort.

3. Der Beamte verliert den Dienstunfallschutz auch dann nicht, wenn zwar objektiv keine öffentlich-rechtliche oder strafrechtlich sanktionierte Pflicht zur Rettungshandlung bestand, der Beamte jedoch bei verständiger Würdigung der ihm im Zeitpunkt seines Unfalls bekannten Tatsachen davon ausgehen konnte, dass ihn eine solche Pflicht treffen könnte.


OVG 4 B 12.05

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 4. Senat auf die mündliche Verhandlung vom 7. September 2006 durch

den Vizepräsidenten des Oberverwaltungsgerichts ------, den Richter am Oberverwaltungsgericht --------, den Richter am Verwaltungsgericht ------------------sowie die ehrenamtlichen Richter ----------- und -------------

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 12. August 2004 geändert.

Der Bescheid der Oberfinanzdirektion Cottbus vom 24. Mai 2002 in Gestalt des Widerspruchsbescheides derselben Behörde vom 16. Oktober 2002 wird aufgehoben.

Die Beklagte wird verpflichtet, den Unfall vom 10. Januar 2002 als Dienstunfall mit der Folge: schwere Prellung rechte Schulter und rechte Hand mit deutlicher Hämatombildung, insbesondere Verletzung der rechten Hand (Anschwellung und bläuliche Verfärbung) und Überdehnung des rechten Schultergelenkes anzuerkennen.

Die Beklagte trägt die Kosten beider Rechtszüge.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 v.H. des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 v.H. des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Anerkennung eines Unfalles als Dienstunfall.

Der 1950 geborene Kläger steht im Dienst der Beklagten als Zollhauptsekretär. Am 10. Januar 2002 gegen 9.30 Uhr nahm er an seinem Dienstschreibtisch von der Straße kommende Schmerzensschreie wahr und wollte zur Hilfe eilen. Dabei blieb er mit der rechten Hand an der Klinke der Durchgangstür zwischen seinem und dem benachbarten Dienstzimmer hängen und verletzte sich an Hand sowie Schultergelenk. Als der Kläger aus dem Dienstgebäude gelaufen war, bemerkte er eine Passantin, die auf dem vereisten Bürgersteig gestürzt war und sich verletzt hatte, und der ein Dritter Erste Hilfe leistete. Der Kläger rief einen Notarztwagen herbei. Die Unfallkasse Berlin erkannte den Unfall des Klägers als Arbeitsunfall im Sinne der gesetzlichen Unfallversicherung an. Auf die Dienstunfallanzeige des Klägers lehnte die Oberfinanzdirektion Cottbus mit Bescheid vom 24. Mai 2002 die Anerkennung des Unfalles als Dienstunfall ab und wies den hiergegen erhobenen Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 16. Oktober 2002, dem Kläger zugestellt am 28. Oktober 2002, zurück. Die Beklagte führte zur Begründung im Wesentlichen aus, der Unfall sei nicht in Ausübung oder infolge des Dienstes erfolgt. Die Erste-Hilfe-Handlung stehe in keinem (rechtlichen) Zusammenhang mit dem Dienst und seinen Aufgaben.

Die hiergegen am 25. November 2002 erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht Berlin mit Urteil vom 12. August 2004 zurückgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, es fehle an dem erforderlichen inneren Zusammenhang zwischen der Diensttätigkeit und dem unfallauslösenden Ereignis. Beamte ohne spezifischen dienstlichen Rettungsauftrag genügten mit der Rettungsmaßnahme einer allen Staatsbürgern obliegenden Pflicht. Es gebe keinen Grund, die jedermann obliegende Pflicht und das damit für alle gleichermaßen typische Unfallrisiko den besonderen Garantien der Unfallfürsorge für Beamte zu unterwerfen.

Gegen dieses Urteil richtet sich die vom Oberverwaltungsgericht Berlin mit Beschluss vom 3. Juni 2005 zugelassene Berufung des Klägers.

Der Kläger macht zur Begründung seines Rechtsbehelfs im Wesentlichen geltend, er habe sich nur deshalb verletzt, weil er sich im Dienstgebäude befunden habe und an der Tür im Dienstgebäude hängen geblieben sei. Zudem übe er eine Funktion mit Polizeigewalt aus und sei in besonderer Weise zur Hilfeleistung verpflichtet gewesen. Das Unterlassen der Hilfe wäre ein schweres Dienstvergehen gewesen. Er dürfe auch nicht schlechter gestellt werden, als wenn er einem Dienstkollegen zu Hilfe geeilt wäre und deswegen Dienstunfallschutz erhalten hätte.

Der Kläger beantragt,

unter Änderung des Urteils des Verwaltungsgerichts Berlin vom 12. August 2004 den Bescheid der Oberfinanzdirektion Cottbus vom 24. Mai 2002 in Gestalt des Widerspruchsbescheides derselben Behörde vom 16. Oktober 2002 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, den Unfall vom 10. Januar 2002 als Dienstunfall mit der Folge: schwere Prellung rechte Schulter und rechte Hand mit deutlicher Hämatombildung, insbesondere Verletzung der rechten Hand (Anschwellung und bläuliche Verfärbung) und Überdehnung des rechten Schultergelenkes anzuerkennen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie tritt der Berufung unter Vertiefung ihres bisherigen Vorbringens entgegen.

Wegen des Ergebnisses der Anhörung des Klägers in der mündlichen Verhandlung wird auf das Terminsprotokoll verwiesen. Im Übrigen wird wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten (ein Schnellhefter Unfallvorgang, ein Band Personalakte) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die vom Oberverwaltungsgericht Berlin zugelassene und rechtzeitig begründete Berufung hat Erfolg. Das angefochtene Urteil kann keinen Bestand haben, denn die Klage ist begründet. Die angefochtenen Bescheide sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten; er hat einen Anspruch darauf, dass die Beklagte seinen Unfall vom 10. Januar 2002 als Dienstunfall anerkennt (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Rechtliche Grundlage für das Begehren des Klägers ist § 31 Abs. 1 Satz 1 BeamtVG in der zum Zeitpunkt des Unfalles maßgeblichen geltenden Fassung vom 18. Dezember 1995 (BGBl. I S. 1942), zuletzt geändert mit Gesetz vom 20. Dezember 2001 (BGBl. I S. 3926). Hiernach ist ein Dienstunfall ein auf äußerer Einwirkung beruhendes, plötzliches, örtlich und zeitlich bestimmbares, einen Körperschaden verursachendes Ereignis, das in Ausübung oder infolge des Dienstes eingetreten ist. Diese Voraussetzungen liegen vor.

Die vom Kläger beim Hängenbleiben an der Türklinke erlittene Verletzung (schwere Prellung rechte Schulter und rechte Hand) stellt einen durch plötzliche Einwirkung von außen herbeigeführten Körperschaden dar, der auf einem Unfall beruht.

Der Unfall ist auch in Ausübung des Dienstes eingetreten.

Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 3. November 1976 - BVerwG VI C 203.73 - BVerwGE 51, 220, 221 f.) ist für die Abgrenzung, ob ein Unfall in Ausübung oder infolge des Dienstes eingetreten ist oder nicht, der Sinn und Zweck der beamtenrechtlichen Unfallfürsorgeregelung entscheidend. Dieser liegt in einem über die allgemeine Fürsorge hinausgehenden besonderen Schutz des Beamten bei Unfällen, die außerhalb seiner privaten (eigenwirtschaftlichen) Sphäre im Bereich der in der dienstlichen Sphäre liegenden Risiken eintreten, also in dem Gefahrenbereich, in dem der Beamte entscheidend aufgrund der Anforderungen des Dienstes tätig wird. Der erforderliche Zusammenhang des Unfalls mit dem Dienst ist im Regelfall gegeben, wenn sich der Unfall während der Dienstzeit am Dienstort ereignet hat. In diesen Fällen sind die dienstliche Sphäre und der dienstliche Gefahrenbereich im Hinblick auf die objektiven und regelmäßig leicht feststellbaren Umstände Dienstzeit und Dienstort eindeutig von der privaten (eigenwirtschaftlichen) Sphäre des Beamten abgegrenzt. Nur solche Verhaltensweisen, die mit der Dienstausübung schlechthin nicht in Zusammenhang gebracht werden können, werden ausgeklammert und dabei eintretende Unfälle von der Unfallfürsorge ausgeschlossen. Dabei ist insbesondere an Verhaltensweisen zu denken, die den wohlverstandenen Interessen des Dienstherrn erkennbar zuwiderlaufen oder von diesem sogar ausdrücklich verboten sind (BVerwG, Urteil vom 24. Oktober 1963 - BVerwG II C 10.62 -, BVerwGE 17, 59, 67).

Nach diesen Maßstäben hat sich der Unfall in Ausübung des Dienstes ereignet. Der Unfall ist am Dienstort und zur üblichen Dienstzeit eingetreten. Er beruht auch nicht auf einem Verhalten, das mit der Dienstausübung "schlechthin nicht in Zusammenhang" gebracht werden kann.

Inwieweit Unfällen eines Beamten bei der Rettung eines Dritten (Rettungsunfälle), die sich während der Dienstzeit und im Dienstgebäude ereignen, dieser Zusammenhang (schlechthin) fehlt, lässt sich weder dem Wortlaut des § 31 Abs. 1 Satz 1 BeamtVG noch der systematischen Stellung der Vorschrift entnehmen. Indessen fehlt nach Sinn und Zweck der Vorschrift der Zusammenhang mit der Dienstausübung jedenfalls dann nicht (schlechthin), wenn die Rettungshandlung öffentlich-rechtliche oder strafrechtlich sanktionierte Pflicht des Beamten ist (1.). Darüber hinaus ist der erforderliche Zusammenhang auch dann nicht gelöst, wenn sich der Unfall des Beamten bereits im Vorfeld der Rettungshandlung, zu der der Beamte verpflichtet ist, ereignet, insbesondere auf dem Weg zum Unglücksort (2.). Schließlich ist der erforderliche Zusammenhang selbst dann nicht aufgehoben, wenn zwar objektiv keine öffentlich-rechtliche oder strafrechtlich begründete Pflicht zur Rettungshandlung bestand, der Beamte jedoch bei verständiger Würdigung der ihm im Zeitpunkt seines Unfalls bekannten Tatsachen davon ausgehen konnte, dass ihn eine solche Pflicht treffen könnte (3.).

1. Erfolgt der Unfall des Beamten bei der Rettungshandlung im Dienstgebäude und während der Dienstzeit und ist die Rettungshandlung öffentlich-rechtliche oder strafrechtlich sanktionierte Pflicht des Beamten, so tritt der Unfall im Bereich "der in der dienstlichen Sphäre liegenden Risiken ein, also in dem Gefahrenbereich, in dem der Beamte entscheidend aufgrund der Anforderungen des Dienstes tätig wird" (vgl. BVerwG, Urteil vom 3. November 1976 - BVerwG VI C 203.73 - BVerwGE 51, 220, 221). Denn zum einen führt in derartigen Fällen gerade der Aufenthalt im Dienstgebäude den Beamten in diese (nicht private) Verpflichtung zur Rettungshandlung. Zum anderen ist der Zusammenhang mit der Dienstausübung auch deswegen nicht gelöst, weil die Rettungshandlung in solchen Fällen dienstliche Pflicht des Beamten ist. Dies folgt daraus, dass entweder die Rettung Dritter zu den dienstlichen Aufgaben des Beamten gehört, z.B. beim Polizeivollzugsdienst und Einsatzdienst der Feuerwehr (vgl. hierzu Wilhelm in: GKÖD, BeamtR, Stand: Juli 2006, Teil 3 b, O § 31 Rdnr. 134 f., und Bayer in: Plog/Wiedow/Lemhöfer/Bayer, BBG, Stand: Juli 2006, BeamtVG § 31 Rdnr. 219 f.), oder der Beamte zur Rettung disziplinarrechtlich verpflichtet ist (vgl. §§ 54 Satz 3, 77 Abs. 1 Satz 2 BBG, ggf. i.V.m. § 323 c StGB). Die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zum Wegeunfall bestätigt diese Auslegung. Sie ist zwar nicht ohne Weiteres übertragbar, weil der Weg zum Dienst nicht Dienst im Sinne von § 31 Abs. 1 Satz 1 BeamtVG ist, sondern nur auf Grund der besonderen gesetzlichen Bestimmung in Absatz 2 Satz 1 der Vorschrift diesem gleichgestellt wird. Aber ihr können allgemeine, auch hier anwendbare Wertungsmaßstäbe für die Frage, wann das Verhalten eines Beamten als dienstlich "gilt" bzw. dienstlich "geprägt" ist, entnommen werden. Nach dieser Rechtsprechung (Urteil vom 29. Januar 1976 - BVerwG II C 47.73 -, BVerwGE 50, 99, 101 f.; dem folgend: Bayerischer VGH, Urteil vom 17. März 1987 - 3 B 86.01106 - in: Schütz/Maiwald, BeamtR, Entscheidungssammlung, Juli 2005, Bd. 4, C II 3.1 Nr. 18; Brockhaus in: Schütz/Maiwald, BeamtR, Stand: Juni 2006, Bd. 3, BeamtVG § 31 Rdnr. 130; Schnellenbach, Beamtenrecht in der Praxis, 6. Aufl. 2005, Rdnr. 655; Bayer, a.a.O., Rdnr. 142; Wilhelm, a.a.O., Rdnr. 92; a.A. wohl Bauer in: Stegmüller/Schmalhofer/Bauer, BeamtVG, Stand: Januar 2006, Hauptband I, Erl. 11, 6.6 zu § 31, wonach jeder Staatsbürger der Verpflichtung zur Hilfeleistung unterliegt und ein Grund für einen besonderen Unfallschutz für Beamte bei Hilfeleistungen nicht erkennbar ist) ist bei einer Heimfahrt vom Dienst der wesentliche Zusammenhang mit dem Dienst dann nicht unterbrochen, wenn der Beamte auf Grund einer mit Sanktionen verknüpften öffentlich-rechtlichen Verpflichtung gehalten gewesen wäre, die von ihm erbrachte Hilfeleistung vorzunehmen. In solchen Fällen hänge auch der durch die Hilfeleistung bedingte Zwischenaufenthalt innerlich mit dem Dienst zusammen, weil gerade der - unmittelbare - Heimweg vom Dienst den Beamten in diese (nicht private) Verpflichtung zum Zwischenaufenthalt führe. Eine zeitlich nicht geringfügige Unterbrechung des Heimweges zum Zwecke einer Hilfsleistung aus menschlich durchaus "anerkennenswerten Gründen" - also ohne öffentlich-rechtliche Verpflichtung - sei dagegen nicht geeignet, den wesentlichen Zusammenhang des Heimweges mit dem Dienst aufrechtzuerhalten; dieser Grund allein könne es schon aus rechtssystematischen Gründen nicht rechtfertigen, den während der Unterbrechung eintretenden Unfall der dienstlichen Sphäre zuzuordnen (BVerwG, a.a.O.).

2. Der erforderliche Zusammenhang des Rettungsunfalles mit der Dienstausübung liegt - anknüpfend an die oben dargelegten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zum Wegeunfall - auch dann noch vor, wenn sich der Unfall des Beamten im Vorfeld der Rettungshandlung ereignet hat, zu der der Beamte verpflichtet ist, insbesondere auf dem Weg zum Unglücksort. Denn zur Rettung eines Verunglückten gehören naturgemäß nicht nur die Rettungstätigkeiten als solche, wie Erste-Hilfe-Maßnahmen, Bergung des Verunglückten, Verständigung von Polizei, Feuerwehr u.a., sondern auch - bei hinreichend engem örtlichen und zeitlichen Zusammenhang - alle vorbereitenden Maßnahmen, wie der Weg zum Unglücksort, die Besorgung von Verbandzeug aus dem eigenen Pkw, das Herbeischaffen einer Trage zur Bergung des Verunglückten u.a. Eine Aufspaltung in eine dienstunfallrechtlich geschützte Rettungstätigkeit als solche und eine dienstunfallrechtlich nicht geschützte vorbereitende Tätigkeit wäre willkürlich, da beide Tätigkeiten zu einem einheitlichen Vorgang - der Rettung des Unglücksopfers - gehören.

3. Schließlich bleibt der erforderliche Zusammenhang des Rettungsunfalles mit der Dienstausübung selbst dann noch erhalten, wenn zwar objektiv keine öffentlich-rechtliche oder strafrechtlich sanktionierte Pflicht zur Rettungshandlung bestand, der Beamte jedoch bei verständiger Würdigung der ihm im Zeitpunkt seines Unfalls bekannten Tatsachen davon ausgehen konnte, dass ihn eine solche Pflicht treffen könnte. Auch in solchen Fällen ist es nicht gerechtfertigt, dem Beamten den über die allgemeine Fürsorge hinausgehenden besonderen Schutz ungeachtet des Umstandes, dass der Unfall ihm während der Dienstzeit und am Dienstort zugestoßen ist, zu entziehen. Es wäre unbillig, dem Beamten - dienstunfallrechtlich - das Risiko aufzubürden, dass sich im Laufe der Rettungsaktion herausstellt, dass der Dritte gar keiner Hilfe oder jedenfalls keiner Hilfe gerade des Beamten bedurfte oder mehr bedarf, wenn bei verständiger Würdigung der dem Beamten im Zeitpunkt seines Unfalles bekannten Umstände eine Hilfspflicht bestanden hätte oder haben könnte. Es wäre nicht im Interesse des Dienstherrn, wenn der Beamte, der sich zur Dienstzeit im Dienstgebäude aufhält, bei Hilferufen oder Schmerzensschreien Dritter untätig bliebe, nur weil er den Unglücksort (noch) nicht einsehen und damit nicht überblicken kann, ob die (objektiven) Voraussetzungen für eine Hilfspflicht tatsächlich vorliegen, nach der ihm bekannten Sachlage aber eine Hilfspflicht bestehen könnte. Der Beamte soll, nicht zuletzt aus Gründen des Ansehens in der Öffentlichkeit, bei Unglücksfällen nicht wegschauen, sondern rasch einschreiten, wenn nach der ihm bekannten Sachlage nicht auszuschließen ist, dass gerade seine Hilfe nötig sein könnte.

Nach diesen Maßstäben fehlte hier der erforderliche Zusammenhang des Rettungsunfalles mit der Dienstausübung nicht (schlechthin).

Der Kläger konnte bei verständiger Würdigung der ihm im Zeitpunkt seines eigenen Unfalls bekannten Tatsachen davon ausgehen, dass ihn eine - öffentlich-rechtliche oder strafrechtlich sanktionierte - Pflicht zur Rettung treffen könnte. Nach seinen glaubhaften Angaben hörte er am Schreibtisch seines im Erdgeschoss befindlichen Dienstzimmers plötzlich gellende Schreie, bei denen er wegen des hohen Tons vermutete, sie stammten von einem Kind, das sich möglicherweise eingeklemmt habe. Er sprang auf, ohne aus dem Fenster seines Dienstzimmers zu schauen, um sofort Hilfe zu leisten. Dabei wollte er den in unmittelbarer Nähe befindlichen Notausgang benutzen, der wie sein Dienstzimmer auf die Mansfelder Straße ging, von der aus die Schmerzensschreie gekommen waren. Bei dieser Sachlage konnte ein verständiger Dritter davon ausgehen, dass ein Unglücksfall vorliegt, der die Hilfe (gerade) des Klägers erforderte, und somit eine - sogar strafrechtlich sanktionierte - Pflicht zur Hilfeleistung bestand. Nach § 323 c StGB wird bestraft, wer bei Unglücksfällen nicht Hilfe leistet, obwohl dies erforderlich und ihm den Umständen nach zuzumuten, insbesondere ohne erhebliche eigene Gefahr und ohne Verletzung anderer wichtiger Pflichten möglich ist. Von einem Unglücksfall im Sinne der Vorschrift war bei verständiger Würdigung auszugehen. Ein solcher ist ein plötzlich eintretendes Ereignis, das eine erhebliche Gefahr für Personen oder Sachen mit sich bringt oder zu bringen droht (Tröndle/Fischer, StGB, 53. Aufl. 2006, § 323 c Rdnr. 2 a). Dies war angesichts der vom Kläger vernommenen, gellenden Schmerzensschreie anzunehmen. Bei verständiger Würdigung durfte der Kläger auch annehmen, dass (gerade) seine Hilfe erforderlich war bzw. sein könnte. Die Mansfelder Straße ist eine ruhige Nebenstraße, auf der reger Autoverkehr oder Fußgängerverkehr, der möglicherweise die Annahme einer rechtzeitigen Hilfeleistung durch Dritte rechtfertigt, nicht stattfindet. Dagegen befand sich der Kläger dicht am Geschehen, weil sein im Erdgeschoss gelegenes Dienstzimmer in unmittelbarer Nähe zum Notausgang lag, der auf die Mansfelder Straße hinausgeht. Es war daher auch nachvollziehbar, dass der Kläger, ohne vorher aus dem Fenster seines Dienstzimmers zu schauen, losgeeilt ist, um ohne Zeitverlust den Unglücksort über den Notausgang zu erreichen und auf der Straße die (etwaigen) erforderlichen Hilfsmaßnahmen zu ergreifen. Hinzu kommt, dass die auf der Mansfelder Straße parkenden Autos die Sicht aus dem Fenster des Dienstzimmers auf das Unglücksopfer möglicherweise ohnehin versperrt hätten; wie sich später herausgestellt hat, lag das Unglücksopfer in der Tat auf der dem Dienstgebäude gegenüberliegenden Straßenseite auf dem Bürgersteig und somit hinter den beiden auf jeder Straßenseite befindlichen Reihen parkender Autos.

Der erforderliche Zusammenhang des Rettungsunfalles mit der Dienstausübung entfällt - wie oben dargelegt - auch nicht dadurch, dass sich der Unfall des Klägers nicht während einer Hilfeleistung, sondern auf dem Weg zum Unglücksort und damit im Vorfeld der beabsichtigten Hilfeleistung ereignet hat. Der Weg zum Unglücksort stand auch in einem hinreichend engen örtlichen und zeitlichen Zusammenhang mit der (beabsichtigten) Hilfeleistung. In unmittelbarer Nähe des im Erdgeschoss befindlichen Dienstzimmers des Klägers befand sich der Notausgang des Dienstgebäudes, über den die Mansfelder Straße und damit der vor dem Dienstgebäude gelegene Unglücksort zu erreichen war.

Bei dieser Sachlage kann dahinstehen, ob die Voraussetzungen für eine öffentlich-rechtliche oder strafrechtlich sanktionierte Pflicht zur Hilfeleistung auch objektiv vorgelegen haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Revision wird gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Frage zugelassen, inwieweit während der Dienstzeit und im Dienstgebäude erfolgte Rettungsunfälle des Beamten vom Dienstunfallschutz auch dann erfasst sind, wenn zwar objektiv keine öffentlich-rechtliche oder strafrechtlich sanktionierte Pflicht zur Rettungshandlung bestand, der Beamte jedoch bei verständiger Würdigung der ihm im Zeitpunkt seines Unfalls bekannten Tatsachen davon ausgehen konnte, dass ihn eine solche Pflicht treffen könnte.

Ende der Entscheidung

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