Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg
Beschluss verkündet am 29.03.2007
Aktenzeichen: OVG 4 S 16.06
Rechtsgebiete: VwGO, ZPO


Vorschriften:

VwGO § 74
VwGO § 146 Abs. 4 Satz 3
VwGO § 172
ZPO § 926
ZPO § 929 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OVG 4 S 16.06

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 4. Senat durch den Vorsitzenden Richter am Oberverwaltungsgericht Buchheister, den Richter am Oberverwaltungsgericht Lehmkuhl und den Richter am Verwaltungsgericht Schaefer am 29. März 2007 beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin vom 27. März 2006 wird zurückgewiesen.

Die Kosten der Beschwerde trägt die Antragsgegnerin mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst trägt.

Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 5.000 Euro festgesetzt.

Gründe:

Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Gemäß § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO muss die Beschwerdebegründung die Gründe darlegen, aus denen die Entscheidung abzuändern oder aufzuheben ist, und sich mit der angefochtenen Entscheidung auseinandersetzen. Das Oberverwaltungsgericht prüft nur die dargelegten Gründe (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO). Auf der hiernach für den Senat allein maßgeblichen Grundlage der Beschwerdebegründung besteht kein Anlass für eine Abänderung oder Aufhebung der angefochtenen Entscheidung, mit der das Verwaltungsgericht der Antragsgegnerin untersagt hat, eine ausgeschrieben Stelle einer Universitätsprofessur für Lateinamerikanistik bis zu einer erneuten Auswahlentscheidung mit der Beigeladenen zu besetzen oder ihr die Professur vorübergehend zu übertragen.

Das Verwaltungsgericht hat bei seiner Entscheidung hinsichtlich des Anordnungsanspruchs tragend darauf abgestellt, dass in dem durchgeführten Auswahlverfahren der dem Antragsteller zur Verwirklichung seiner Rechte aus Art. 33 Abs. 2 GG zur Seite stehende Bewerbungsverfahrensanspruch verletzt worden sei, weil die Antragsgegnerin bei der Erstellung des Berufungsvorschlags für den Senator für Wissenschaft, Forschung und Kultur (in dem der Antragsteller auf Platz eins und die Beigeladene auf Platz zwei gesetzt waren) von einer unvollständigen Tatsachengrundlage ausgegangen sei, indem sie angenommen habe, die Habilitationsschrift der Beigeladenen sei bereits eingereicht worden und das Verfahren stehe unmittelbar vor dem Abschluss. Tatsächlich sei die Habilitationsschrift indes bereits im April 2005 wegen Mängeln zur Überarbeitung zurückgegeben worden und das Verfahren seitdem unterbrochen. Das Verwaltungsgericht hat hierzu im Einzelnen ausgeführt, warum nicht nur die Qualität der Habilitationsschriften der Bewerber im Auswahlverfahren eine Rolle gespielt habe, sondern auch der Abschluss, die Einreichung und - im Falle der Beigeladenen - die voraussichtliche Akzeptanz der Habilitationsschrift. Das Verwaltungsgericht hat es deshalb als jedenfalls möglich angesehen, dass die Antragsgegnerin der Beigeladenen bei Kenntnis von dem tatsächlichen Stand des Habilitationsverfahrens überhaupt keinen Listenplatz erteilt hätte und es in der Folge nicht zu einer Berufung der an zweiter Stelle vorgeschlagenen Beigeladenen durch den Senator gekommen wäre, der zwar nicht an die Reihenfolge des Berufungsvorschlags gebunden sei, aber nur unter besonderen Voraussetzungen eine Person berufen könne, die von der Hochschule überhaupt nicht vorgeschlagen worden sei.

Mit dieser Argumentation des Verwaltungsgerichts setzt sich die Antragsgegnerin in der Beschwerdebegründung nicht hinreichend auseinander, sondern wiederholt im Kern ihren bereits erstinstanzlich vertretenen Standpunkt, dass es den im Auswahlverfahren beauftragten Gutachtern nicht entscheidend auf den Abschluss des Habilitationsverfahrens, sondern auf die wissenschaftliche Qualität der Arbeiten der Bewerber angekommen sei. Außerdem sei die Habilitation keine Voraussetzung mehr für die Berufung (Nr. 2 Buchst. a bis c der Beschwerdebegründung). Durch diese Ausführungen wird der im Einzelnen unter Hinweis auf Sitzungsprotokolle der mit der Vorbereitung der Auswahlentscheidung betrauten Unterkommission, auf die eingeholten Gutachten und auf die Sitzung des Fachbereichsrats vom 13. Juli 2005 begründete Standpunkt des Verwaltungsgerichts nicht in Zweifel gezogen. Es spricht auch sonst nichts dafür, dass der Stand des Habilitationsverfahrens der Beigeladenen für den Berufungsvorschlag der Antragsgegnerin gleichsam unbedeutend gewesen ist oder hätte sein dürfen. Die Stellenausschreibung verlangte als Einstellungsvoraussetzung eine Habilitation oder gleichwertige Qualifikation. Der Antragsteller ist habilitiert. In einer solchen Konkurrenzsituation kommt der Frage, ob auch ein Mitbewerber (hier: die Beigeladene) habilitiert ist oder das Verfahren wenigstens vor dem baldigen (positiven) Abschluss steht, durchaus Bedeutung zu. Demgemäß ist die Beigeladene im September 2005 von Seiten des Fachbereiches auch zum Stand ihres Habilitationsverfahrens befragt worden, worauf sie unter dem 14. September 2005 mitgeteilt hat, dass das Verfahren voraussichtlich Ende 2005 abgeschlossen sein werde. Zu diesem Zeitpunkt war das Verfahren nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts indes bereits unterbrochen und die Habilitationsschrift zur Überarbeitung zurückgegeben worden. Die Antragsgegnerin selbst hat insoweit noch mit Schreiben ihres Ersten Vizepräsidenten an den damaligen Senator für Wissenschaft, Forschung und Kultur vom 4. Januar 2006 zum Ausdruck gebracht, dass der Beschluss des Fachbereichsrates anders ausgefallen wäre, wenn die tatsächlichen Fakten bei Beschlussfassung bekannt gewesen wären. Vor diesem Hintergrund besteht für eine von dem erstinstanzlichen Beschluss abweichende Bewertung des Anordnungsanspruchs kein Anlass.

Soweit die Antragsgegnerin in der Beschwerdebegründung (wohl um eine fehlende Ursächlichkeit des vom Verwaltungsgericht aufgezeigten Mangels belegen zu wollen) geltend macht, dass sämtliche im Auswahlverfahren eingeholten Gutachten davon ausgingen, dass die Beigeladene dem Anforderungsprofil der Stelle besser entspräche als der Antragsteller, trifft dies nicht zu. Vielmehr sind zwei der drei eingeholten Gutachten zu dem Ergebnis gelangt, dass der Antragsteller besser qualifiziert sei und er deshalb vor der Beigeladenen zu platzieren sei. Dieser Ansicht war auch die Antragsgegnerin; denn sie ist dem Mehrheitsvotum der Gutachter gefolgt und hat den Antragsteller auf Platz eins ihres Bewerbungsvorschlags gesetzt.

Die Einwände der Antragsgegnerin gegen den vom Verwaltungsgericht angelegten Prüfungsmaßstab greifen ebenfalls nicht durch (Nr. 2 Buchst. d der Beschwerdebegründung). Das Verwaltungsgericht ist davon ausgegangen, dass sich aus Art. 5 Abs. 3 GG im konkreten Fall schon deshalb keine besonderen Anforderungen an den Anordnungsgrund und den Anordnungsanspruch ergäben, weil sich die Antragsgegnerin in ihrem Berufungsvorschlag für den Antragsteller als Erstplatzierten ausgesprochen habe, eine neue Auswahlentscheidung also auch der Beurteilungskompetenz der Hochschule im Verhältnis zum Senator Rechnung trage, und dass jenseits dieser Besonderheiten des Falles Art. 5 Abs. 3 GG ebenfalls kein abweichendes Ergebnis gebiete. Der hiergegen vorgebrachte Einwand der Antragsgegnerin, die Argumentation des Verwaltungsgerichts leide an einem "logischen Bruch", ihr werde eine einstweilige Anordnung aufgezwungen und dies auch noch mit der Wahrung ihrer Grundrechte begründet, bei richtiger Betrachtung handele der Senator vielmehr wie ein Organ der Hochschule, zielt auf das (sinngemäße) Argument das Verwaltungsgerichts, die einstweilige Anordnung diene gerade auch den Interessen der Antragsgegnerin. Ob dieses Argument zutrifft, bedarf hier keiner Vertiefung. Auch wenn man die Besonderheiten des Falles beiseite lässt, gebietet die Freiheit von Wissenschaft, Forschung und Lehre nach Art. 5 Abs. 3 GG, wie bereits das Verwaltungsgericht betont hat, keine strengeren Anforderungen an die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung zur Sicherung eines Bewerbungsverfahrensanspruchs als in anderen Bereichen des öffentlichen Dienstes. Die These der Antragsgegnerin, im Bereich der Hochschulen könne nur eine "offensichtlich rechtswidrige, letztlich nicht haltbare und schlechterdings willkürliche" Auswahlentscheidung zum Erlass einer einstweiligen Anordnung zugunsten eines unterlegenen Mitbewerbers führen, ist in dieser Form nicht richtig. Das Prinzip der Bestenauslese und die hierzu am Maßstab des Art. 33 Abs. 2 GG entwickelten Grundsätze gelten auch bei der mit der Ernennung zum Professor verbundenen Besetzung von Lehrstühlen an Universitäten (vgl. nur BVerfG, Beschluss vom 1. August 2006 - 2 BvR 2364/06 - juris Rn. 17; VGH München, Beschluss vom 4. November 2002 - 7 CE 02.1902 - juris Rn. 27 m.w.N.; VGH Mannheim, Beschluss vom 7. Juni 2005 - 4 S 838/05 - juris Rn. 3). Auch ein Bewerber um eine Professur kann deshalb verlangen, dass über seine Bewerbung ermessens- und beurteilungsfehlerfrei nach Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung entschieden wird und dass die Verwaltungsgerichte die Auswahlentscheidung darauf überprüfen, ob die anzuwendenden Maßstäbe verkannt, ein unrichtiger Sachverhalt zugrunde gelegt, allgemeingültige Wertmaßstäbe nicht beachtet oder sachwidrige Erwägungen angestellt worden sind (vgl. nur VGH München, a.a.O.). Die verfassungsrechtlich geschützte Beurteilungskompetenz der Hochschule gegenüber der staatlichen Hochschulverwaltung hinsichtlich der Qualifikation eines Bewerbers für eine Hochschullehrerstelle (s. dazu etwa BVerwG, Urteil vom 9. Mai 1985 - 2 C 16.83 - juris Rn. 29) gerät damit nicht in Konflikt und mindert nicht die verfahrensmäßigen Absicherungen, die ein Bewerber um eine Hochschullehrerstelle beanspruchen kann. Die Antragsgegnerin kann - mit anderen Worten - aus Art. 5 Abs. 3 GG nicht die Befugnis ableiten, bei der Bewerberauswahl von den Bindungen des Art. 33 Abs. 2 GG weitgehend befreit und gleichsam bis an die Grenze der Willkür verfahren zu dürfen.

Die Beschwerde hat auch nicht wegen der geltend gemachten mangelnden Vollziehung der vom Verwaltungsgericht erlassenen einstweiligen Anordnung Erfolg (Nr. 3 der Beschwerdebegründung). Auf die Frage einer entsprechenden Anwendbarkeit des § 929 Abs. 2 ZPO auf einstweilige Anordnungen im Allgemeinen und die damit zusammenhängenden Aspekte, etwa den Beginn der Vollziehungsfrist oder die Art einer notwendigen Vollziehungshandlung, kommt es für diesen Fall nicht an (vgl. zu dem Meinungsspektrum etwa VGH Kassel, Beschluss vom 7. September 2004 - 10 TG 1498/04 - juris Rd. 3 ff; VGH München, Beschluss vom 7. April 2004 - 12 CE 04.619 - juris Rn. 10 m.w.N.; OVG Lüneburg, Beschluss vom 19. November 2002 - 12 OB 676/02 - juris Rn. 4; OVG Bremen, Beschluss vom 6. November 1998 - 1 BB 395/98 - juris Rn. 22 f.; OVG Berlin, Beschluss vom 19. Juli 1977 - V S 776.77 - juris Rn. 2 f.; Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 123 Rn. 172 f.). Die hier vom Verwaltungsgericht ausgesprochene Verpflichtung, die in Streit stehende Stelle bis zu einer erneuten Auswahlentscheidung nicht zu besetzen, bindet die Antragsgegnerin unmittelbar und bedarf keiner weiteren "Vollziehung". Der Dienstherr ist von Verfassungs wegen nach Art. 19 Abs. 4 und Art. 33 Abs. 2 GG gehindert, sich über die einstweilige Anordnung hinwegzusetzen (vgl. nur BVerwG, Urteil vom 21. August 2003 - 2 C 14.02 - DVBl 2004, 317). Es gäbe keinen Sinn, von dem in einem Auswahlverfahren unterlegenen Bewerber, der eine einstweilige Anordnung erstritten hat, zu verlangen, zusätzlich gegen seinen Dienstherrn sogleich (innerhalb einer Vollziehungsfrist von einem Monat ab Zustellung der einstweiligen Anordnung) Vollstreckungsmaßnahmen zu beantragen, etwa nach § 172 VwGO die Androhung eines Zwangsgeldes. Einem solchen Antrag würde vielmehr regelmäßig das Rechtsschutzbedürfnis fehlen, weil erwartet werden kann, dass sich der Dienstherr - wie auch hier - nicht über die gerichtliche Entscheidung hinwegsetzt. Der mit § 929 Abs. 2 ZPO für den Zivilprozess bezweckte Schutz des Vollstreckungsschuldners, der nicht im Ungewissen gelassen werden soll, ob er noch aus dem Titel (wegen einer Geldforderung) in Anspruch genommen wird, und mit dem sichergestellt werden soll, dass der Arrestgrund im Zeitpunkt der Vollziehung noch fortwirkt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 27. April 1988 - 1 BvR 549/87 - NJW 1988, 3141), kommt in einem beamtenrechtlichen Konkurrentenstreit ersichtlich nicht zum Tragen.

Soweit die Antragsgegnerin schließlich noch rügt, dass das Verwaltungsgericht von ihr gestellte prozessuale Anträge auf Anordnung der Klageerhebung nach § 926 ZPO (bislang) nicht beschieden oder übersehen habe, greift dieser Einwand im Rahmen der Beschwerde gegen die ergangene einstweilige Anordnung nicht durch, sondern wäre gegenüber dem Verwaltungsgericht geltend zu machen. Unabhängig davon können die in Rede stehenden Anträge der Antragsgegnerin keinen Erfolg haben. Sie hatte hilfsweise neben der Zurückweisung des Antrags erstinstanzlich beantragt, für den Fall des Obsiegens des Antragstellers diesem aufzugeben, innerhalb einer Frist Hauptsacheklage zu erheben, andernfalls die einstweiligen Anordnung wieder aufzuheben. Diesen Anträgen fehlte ersichtlich das Rechtsschutzbedürfnis. Die Antragsgegnerin hatte es in der Hand, durch den Erlass eines mit einer Rechtsmittelbelehrung versehenen Bescheides die Klagefrist des § 74 VwGO in Gang zu setzen und so entweder eine gerichtliche Klärung oder die Bestandskraft der Auswahlentscheidung herbeizuführen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 3, § 52 Abs. 2 GKG. Der Senat bewertet nach Überprüfung seiner Spruchpraxis eine auf Freihaltung der Stelle oder eines Beförderungsdienstpostens gerichtete Konkurrentenstreitigkeit mit dem (vollen) Auffangwert, weil sie einen dem Beförderungsbegehren vorgelagerten und davon abgehobenen Streitgegenstand betrifft, nämlich den geltend gemachten Bewerbungsverfahrensanspruch, über dessen Bestehen oder Nichtbestehen im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes regelmäßig mit der Wirkung einer Vorwegnahme der Hauptsache entschieden wird.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

Ende der Entscheidung

Zurück