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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg
Urteil verkündet am 19.10.2006
Aktenzeichen: OVG 5 B 15.03
Rechtsgebiete: VwVfG, RuStAG, StAngRegG


Vorschriften:

VwVfG § 1 Abs. 1
VwVfG § 48
VwVfG § 48 Abs. 1
VwVfG § 48 Abs. 1 Satz 1
VwVfG § 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1
RuStAG § 8
RuStAG § 9
RuStAG § 9 Abs. 1
RuStAG § 9 Abs. 1 Nr. 2
StAngRegG § 24
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OVG 5 B 15.03

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 5. Senat auf die mündliche Verhandlung vom 19. Oktober 2006 durch den Vorsitzenden Richter am Oberverwaltungsgericht, die Richterin am Oberverwaltungsgericht und den Richter am Oberverwaltungsgericht sowie den ehrenamtlichen Richter und die ehrenamtliche Richterin

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Beklagten wird zurückgewiesen.

Der Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger wendet sich gegen die Rücknahme seiner Einbürgerung durch den Beklagten.

Der Kläger stammt aus Pakistan. Er reiste erstmals im September 1981 zur Durchführung eines Asylverfahrens nach Deutschland ein. Nach erfolgloser Beendigung des Verfahrens wurde er am 29. April 1987 nach Pakistan abgeschoben. Am 18. Januar 1989 reiste er erneut in die Bundesrepublik Deutschland ein und heiratete am 25. Oktober 1989 die deutsche Staatsangehörige S_____. Im November 1992 beantragte er die Einbürgerung in den deutschen Staatsverband. Er gab im Antragsformular unter "Ehegattin" ausschließlich die Personalien seiner deutschen Ehefrau an. Im Abschnitt "Kinder" gab er als Geschlecht des ersten Kindes "männlich" an. Weitere Angaben zur Staatsangehörigkeit und zum Wohnort des ersten Kindes waren mit weiß (Tintenkiller/Tipp-Ex) unkenntlich gemacht. In seinem dem Antrag beigefügten Lebenslauf teilte er mit, er sei verheiratet. Am 13. Dezember 1993 wurde der Kläger eingebürgert. In der Folgezeit stellte sich heraus, dass er am 1. Februar 1991 in S_____Pakistan eine Zweitehe mit der pakistanischen Staatsangehörigen N_____ eingegangen und als Vater dreier pakistanischer Kinder im Geburtsregister von M_____Pakistan eingetragen war. Die Senatsverwaltung für Inneres nahm daraufhin mit Bescheid vom 20. Juni 2002 unter Anordnung der sofortigen Vollziehung die Einbürgerung mit Wirkung für die Vergangenheit zurück (Ziff. 1 und 4 des Bescheides), ordnete unter Androhung eines Zwangsgeldes i. H. v. 500 Euro die Rückgabe der Einbürgerungsurkunde an (Ziff. 2) und setzte eine Gebühr i. H. v. 255 Euro fest (Ziff. 3). Zur Begründung führte sie aus, die Einbürgerung sei rechtswidrig gewesen. Auf Grund der Zweitehe sei die gesetzliche Vermutung, durch die eheliche Gemeinschaft mit einem deutschen Staatsangehörigen werde sich die Integration in die deutschen Lebensverhältnisse schneller als sonst vollziehen, widerlegt. Der Kläger habe durch das Eingehen der Zweitehe gezeigt, dass er die Grundzüge der in Deutschland geltenden sozialen und rechtlichen Ordnung, zu denen das Prinzip der Einehe zähle, nicht hinreichend akzeptiert habe. Auf Vertrauensschutz könne er sich nicht berufen, da er die Einbürgerungsbehörde arglistig getäuscht habe. Ihm sei bewusst gewesen, dass das Verschweigen der zweiten Ehe seine Einbürgerung erleichtern oder erst ermöglichen würde. Die Rücknahme der Einbürgerung sei nach dem allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetz ohne Bindung an eine Frist möglich.

Mit Urteil vom 18. März 2003 hat das Verwaltungsgericht der dagegen gerichteten Klage stattgegeben und den Bescheid vom 20. Juni 2002 aufgehoben, weil eine Rechtsgrundlage für die Rücknahme der Einbürgerung fehle. Selbst bei einer unterstellten Anwendbarkeit des allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes dürfe im Hinblick auf die im Gesetz zur Regelung von Fragen der Staatsangehörigkeit verankerte Frist von fünf Jahren für die Rücknahme einer erschlichenen Einbürgerung zumindest zu verlangen sein, dass nach Ablauf dieses - vorliegend verstrichenen - Zeitraums von der Rücknahme abzusehen sei.

Zur Begründung der vom Verwaltungsgericht zugelassenen Berufung hat der Beklagte geltend gemacht, für die Rücknahme der Einbürgerung sei auch unter Berücksichtigung des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 24. Mai 2006 (2 BvR 669.04) kein Spezialgesetz erforderlich. Dieser Entscheidung sei nicht zu entnehmen, dass die Rücknahme auch einer längere Zeit zurückliegenden Einbürgerung einer besonderen gesetzlichen Regelung bedürfe. Es sei bereits unklar, ob für die Beurteilung der vom Bundesverfassungsgericht angeführten Zeitnähe der Zeitpunkt der Kenntnis der Behörde oder der Zeitpunkt der Einbürgerung maßgebend sei. Das Bundesverfassungsgericht habe jedenfalls eher deutlich gemacht, dass zeitliche Grenzen der Befugnis zur Rücknahme der Einbürgerung zwar wünschenswert seien, aber eben nicht bestehen würden. Auch sei die im Gesetz zur Regelung von Fragen der Staatsangehörigkeit für die Rücknahme der erschlichenen Einbürgerung verankerte fünfjährige Frist für das allgemeine Staatsangehörigkeitsrecht nicht zu beachten. Die Verwaltungspraxis habe zudem gezeigt, dass die Behörden erst geraume Zeit nach der Einbürgerung von einem Grund zur Rücknahme erfahren würden. Der Kläger habe in seinem Einbürgerungsantrag im Übrigen nicht nur die Zweitehe verschwiegen, sondern auch, dass er nicht mehr in einer ehelichen Gemeinschaft mit seiner ersten Ehefrau gelebt habe, als er die Einbürgerung beantragt habe. Der angefochtene Bescheid sei auf mögliche Folgen der Rücknahme der Einbürgerung für das am 26. Januar 1995 geborene Kind, als dessen Vater der Kläger im Geburtsregister eingetragen sei, nicht eingegangen, da diese Eintragung für die Feststellung der Vaterschaft des Klägers nicht ausreiche, zumal die pakistanische Ehefrau des Klägers nicht als Mutter des Kindes eingetragen sei.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 18. März 2003 abzuändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er meint, für die Rücknahme seiner Einbürgerung fehle eine Rechtsgrundlage, da der angefochtene Bescheid nicht zeitnah zur Einbürgerung erlassen worden sei. Es sei in diesem Zusammenhang auch zu berücksichtigen, dass sein jüngstes Kind auf Grund seiner Einbürgerung als deutscher Staatsangehöriger geboren worden sei. Ferner sei die Einbürgerung mehr als zwei Jahre nach Kenntnis des Beklagten von der Bigamie und damit nach Ablauf der regelmäßigen gesetzlichen Entschließungsfrist zurückgenommen worden. Er, der Kläger, habe bei der Einbürgerung auch nicht arglistig getäuscht. Seine Angaben seien lediglich unvollständig gewesen. Das Eingehen einer Doppelehe zeige ferner nicht, dass ein Einbürgerungsbewerber die Grundsätze der rechtlichen Ordnung in Deutschland nicht akzeptiere. Die Doppelehe sei nicht strafbar. Die in Pakistan geschlossene Doppelehe werde vielmehr in Deutschland anerkannt. Auch die "soziale Ordnung der Einehe" entspreche in Deutschland nicht der Realität. Entgegen der Annahme des Beklagten habe er seinen Aufenthalt auch nicht durch eine Scheinehe erschlichen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Streitakte, die Streitakte des Verfahrens OVG 5 S 2.03 und die den Kläger betreffenden Verwaltungsvorgänge (2 Bände) Bezug genommen, die vorgelegen haben und - soweit wesentlich - Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Beklagten ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat den angefochtenen Rücknahmebescheid vom 20. Juni 2002 im Ergebnis zu Recht aufgehoben. Der Bescheid ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

1. Die Rücknahme der Einbürgerung des Klägers (Ziff. 1 des Bescheides vom 20. Juni 2002) war rechtswidrig.

Zwar steht, wie das Bundesverfassungsgericht zwischenzeitlich grundlegend entschieden hat (Urteil vom 24. Mai 2006 - 2 BvR 669.04 -), der Rücknahme einer erschlichenen Einbürgerung weder das in Art. 16 Abs. 1 Satz 1 GG verankerte Verbot der Entziehung der Staatsangehörigkeit noch der in Art. 16 Abs. 1 Satz 2 GG verankerte Schutz vor Staatenlosigkeit grundsätzlich entgegen (BVerfG, a.a.O., unter C.I., Urteilsabdruck aus juris, Rn. 32 und 33 ff.; 52 ff.). Für eine Rücknahme der Einbürgerung des Klägers - d.h., im vorliegenden Falle - fehlt es allerdings an einer gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage; die Rücknahme verstößt damit gegen den Grundsatz vom Vorbehalt des Gesetzes (dazu nachfolgend a.); unabhängig davon wäre die Rücknahme der Einbürgerung des Klägers auch ermessensfehlerhaft und jedenfalls von daher aufzuheben (s. dazu unter b.).

a) Für die unter dem 20. Juni 2002 verfügte Rücknahme der Einbürgerung fehlt es hier bereits an einer gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage. § 1 Abs. 1 VwVfG Bln i. V. m. § 48 Abs. 1 VwVfG, wonach ein rechtswidriger Verwaltungsakt u.a. mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen werden kann, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, reicht entgegen der Sicht des Beklagten jedenfalls vorliegend nicht als Rechtsgrundlage aus. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem vorgenannten Urteil vom 24. Mai 2006 klargestellt, dass eine erschlichene Einbürgerung (dazu nachfolgend unter aa.) auf der Grundlage des § 48 VwVfG nur dann zurückgenommen werden kann, wenn die Rücknahme zeitnah erfolgt; daran fehlt es vorliegend (dazu sodann unter bb.). Hierzu im Einzelnen:

(aa) Nach Lage der Dinge ist zunächst davon auszugehen, dass der Kläger seine Einbürgerung erschlichen hat. Er wurde auf der Grundlage der §§ 8, 9 des früheren Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetzes - RuStAG - eingebürgert. Nach § 9 Abs. 1 RuStAG sollen Ehegatten Deutscher unter den Voraussetzungen des § 8 RuStAG eingebürgert werden, wenn sie ihre bisherige Staatsangehörigkeit verlieren oder aufgeben und gewährleistet ist, dass sie sich in die deutschen Lebensverhältnisse einordnen, es sei denn, der Einbürgerung stehen erhebliche Belange der Bundesrepublik Deutschland entgegen. Vom Vorliegen dieser Voraussetzungen bei dem Kläger war der Beklagte seinerzeit ausgegangen. Hätte der Kläger demgegenüber seine in Pakistan am 1. Februar 1991 geschlossene Zweitehe offenbart, hätte eine Einbürgerung auf der Grundlage von § 9 Abs. 1 RuStAG nicht erfolgen können, weil damit deutlich geworden wäre, dass der Kläger nicht die gem. § 9 Abs. 1 Nr. 2 RuStAG erforderliche Gewähr für seine Einordnung in die deutschen Lebensverhältnisse geboten hat. Diese Verhältnisse sind maßgeblich durch das - das Institut der Ehe i. S. d. Art. 6 Abs. 1 GG bestimmende - Prinzip der Einehe geprägt (vgl. nur OVG Münster, Urteil vom 2. September 1998 - 25 A 2106.94 -, StAZ 1997, 137, 139 m. w. Nachw.). Sinn und Zweck der erleichterten Einbürgerung nach § 9 Abs. 1 RuStAG ist es gerade, der durch die eheliche Lebensgemeinschaft mit einem deutschen Staatsangehörigen begründeten Erwartung Rechnung zu tragen, dass sich die Integration in die deutschen Lebensverhältnisse schneller als in anderen Fällen vollzieht. Ein Einbürgerungsbewerber, der diesem Prinzip - zumal, wie der Kläger, nach einem langjährigen Aufenthalt in Deutschland - zuwiderhandelt, lässt erkennen, dass er die Grundzüge der hier geltenden sozialen und rechtlichen Ordnung nicht hinreichend verinnerlicht hat, um die Annahme zu rechtfertigen, seine Integration werde sich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit in absehbarer Zeit vollziehen (vgl. OVG Münster, a. a. O.). Ob im Übrigen die pakistanische Ehe des Klägers in Deutschland anerkannt wird oder worden wäre bzw. Rechtswirkungen entfaltet, ist in diesem Zusammenhang nicht erheblich. Denn für die Anerkennung eines nach ausländischem Recht vorgenommenen Rechtsakts gilt mit den in Art. 6 EGBGB (ordre public) aufgestellten Voraussetzungen ein anderer rechtlicher Maßstab, als § 9 Abs. 1 RuStAG dies mit dem hier maßgeblichen Erfordernis der zu erwartenden Integration in die deutschen Lebensverhältnissen vorsieht.

Der Kläger hat über das Vorliegen der genannten Einbürgerungsvoraussetzungen auch arglistig getäuscht, weil er in seinem Einbürgerungsantrag die in Pakistan geschlossene Zweitehe nicht angegeben hat. Das Vorliegen einer arglistigen Täuschung wird noch dadurch besonders deutlich, dass der Kläger im Antragsformular für die Einbürgerung zunächst enthaltene Angaben über das erste Kind wieder unkenntlich gemacht hat. Damit liegt es auf der Hand, dass ihm jedenfalls laienhaft bewusst gewesen ist, dass es seine Einbürgerungschancen beeinträchtigt hätte, wenn er seine familiären Verhältnisse in Pakistan offen gelegt hätte.

(bb) Eine danach erschlichene Einbürgerung kann nach der vorgenannten Grundsatzentscheidung des Bundesverfassungsgerichts allerdings - auf der Grundlage derzeit geltenden Rechts, d.h. nach § 48 VwVfG - nur zurückgenommen werden, wenn die Rücknahme zeitnah vorgenommen wird. Die von dem Bundesverfassungsgericht zu entscheidende Angelegenheit war durch den Umstand geprägt, dass zwischen der Einbürgerung (dort: 9. Februar 2000) und der Rücknahme derselben (dort: 27. Februar 2002) ein Zeitraum von soeben zwei Jahren lag. Unter Bezugnahme auf diesen Umstand - nämlich den "vorliegenden Fall der zeitnahen Rücknahme einer Einbürgerung" - haben die die Entscheidung tragenden vier Richter betont, dass die Anwendung des allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes "in diesem Fall" mit dem Grundsatz vom Vorbehalt des Gesetzes in Einklang stehe (C.III.2., Urteilsabdruck aus juris, Rn. 72). Mit der Hervorhebung dieser Sonderheit beginnen sodann auch die weiteren Einzelausführungen: "Im Fall des Beschwerdeführers ist die Anwendung des § 48 LVwVfG BW unter Berücksichtigung des rechtsstaatlichen Gehalts des Vorbehalts des Gesetzes ... verfassungsgemäß" (C.III.2.a., Urteilsabdruck Rn. 73, Hervorh. durch den Senat). Die Betonung der besonderen zeitlichen Voraussetzung findet sich alsdann auch im Folgenden wieder: "Im vorliegenden Fall, da der Betroffene selbst nachweislich durch Täuschung die Einbürgerung herbeiführte und diese zeitnah zurückgenommen wird, ist der grundrechtlich geforderten Rechtssicherheit und Normenklarheit genüge getan, wenn der Betroffene anhand einer allgemeinen gesetzlichen Verwaltungsverfahrensvorschrift die Folge der Rücknahme voraussehen kann" (a.a.O., Rn. 76, Hervorh. durch den Senat). Damit hatten die die Entscheidung tragenden vier Richter einen von ihnen so bezeichneten "Regelfall der Wiederherstellung rechtmäßiger Zustände" (a.a.O., ebd.) vor Augen, der sich unter dem Gesichtspunkt der Vorhersehbarkeit und des Vertrauensschutzes sowie unter den Anforderungen der Wesentlichkeitstheorie (vgl. dazu a.a.O., Rn. 85 ff.) hinreichend und unproblematisch durch Anwendung des § 48 VwVfG lösen ließ. Unterstrichen wird dies noch durch das Bemerken der abweichenden vier Richterinnen und Richter in ihrem Sondervotum; danach hätten sich nämlich die die Entscheidung tragenden Richter "der Sache nach von der Erwägung leiten lassen, § 48 LVwVfG BW reiche als Rechtsgrundlage für die Bewältigung einfach gelagerter und eindeutiger Fälle erschlichener Einbürgerung wie des vorliegenden ... aus" (unter IV.2.c, Rn. 107).

Die Einbürgerung des Klägers ist nicht in diesem Sinne "zeitnah" zurückgenommen worden. Der in dem vorstehend erörterten Urteil des Bundesverfassungsgerichts verwendete Begriff "zeitnah" bezieht sich auf den von der Einbürgerung bis zu ihrer Rücknahme verstrichenen Zeitraum. Dieser und keinesfalls etwa die Entschließungsfrist der Behörde war im Vorfeld der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts Gegenstand der in Rechtsprechung und Literatur geführten Diskussion über die zeitliche Begrenzung der Befugnis zur Rücknahme der Einbürgerung (vgl. OVG Münster, Urteil vom 2. September 1996 - 25 A 2106.94 -, StAZ 1997, 137, 141; OVG Hamburg, Beschluss vom 29. September 1999 - 5 Bs 123.99 -, S. 4 EA; VG Hamburg, Urteil vom 15. Februar 2000 - 10 VG 98.99 - S. 9 ff. EA; Schleswig-Holsteinisches VG, Urteil vom 19. Februar 2001 - 1 A 178.98 -, Juris; auch VG Berlin in der angefochtenen Entscheidung, S. 10 EA; Nettersheim, DVBl. 2004, 1144, 1146 f.; Engst, ZAR 2005, 227, 234; auch Hailbronner, in: Sachverständigenanhörung des Innenausschusses des Deutschen Bundestages am 13. April 1999 zur Reform des Staatsangehörigkeitsrechts, Schriftenreihe "Zur Sache" 1/1999, S. 207, 213 zu § 37 des CDU/CSU - Entwurfs BT-Drucks. 14/532). Wo eine exakte zeitliche Grenze zwischen der zeitnahen und der nicht mehr zeitnahen Rücknahme der Einbürgerung verlaufen mag, bedarf dabei im vorliegenden Falle keiner Entscheidung. Bei dem zwischen der Einbürgerung des Klägers am 13. Dezember 1993 und ihrer Rücknahme am 20. Juni 2002 verstrichenen Zeitraum von achteinhalb Jahren kann jedenfalls nicht mehr davon gesprochen werden, dass die Einbürgerung noch "zeitnah" zurückgenommen worden wäre. Ein Zeitraum von achteinhalb Jahren überschreitet ebenso etwa Verjährungsfristen für Straftaten (vgl. § 78 Abs. 3 Nr. 4 und 5 StGB) wie beispielsweise auch die nach dem Bundeszentralregistergesetz zu beachtenden regelmäßigen Tilgungsfristen für strafrechtliche Verurteilungen von drei bzw. fünf Jahren (§ 34 Abs. 1 Nr. 1 und 3 BZRG) deutlich. Im Übrigen muss "zeitnah" auch vor dem Hintergrund der Bedeutung der Staatsangehörigkeit sowohl für den Einzelnen mit den sich daraus ergebenden weiteren rechtlichen Folgen, die mit zunehmendem Zeitverlauf kaum noch rückgängig gemacht werden können, als auch für die Gemeinschaft bewertet werden (s. dazu BVerfG, a.a.O., Rn. 75, ebenso das Sondervotum, Rn. 92). Auch in Anbetracht dieses Hintergrundes kann die Rücknahme einer achteinhalb Jahre zurückliegenden Einbürgerung nicht mehr als "zeitnah" bezeichnet werden.

§ 48 VwVfG bietet in den Fällen einer nicht (mehr) zeitnahen Rücknahme der Einbürgerung, so wie er hier gegeben ist, keine hinreichende Ermächtigungsgrundlage mehr; insbesondere ist dem Urteil entgegen der Ansicht des Beklagten nicht zu entnehmen, dass die Frage des Bestehens einer Ermächtigungsgrundlage bei nicht zeitnaher Rücknahme etwa offen bleiben sollte. Dies ergibt sich zwangsläufig schon aus dem vorstehend wiedergegebenen Begründungszusammenhang, wonach das Genügenlassen des § 48 VwVfG als gesetzliche Ermächtigungsgrundlage bei gegebenem zeitlichen Zusammenhang seine Rechtfertigung in den rechtsstaatlichen Grundsätzen der Vorhersehbarkeit und Normenklarheit findet. Die gebotene Rechtssicherheit sieht das Bundesverfassungsgericht bei einer zeitnahen Rücknahme einer Einbürgerung gewährleistet, weil die Folge der Rücknahme der Einbürgerung dem Gesetz, nämlich § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG in Verbindung mit Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 VwVfG analog, und der gefestigten Rechtsprechung in Täuschungsfällen zu entnehmen sei (unter III.2.a., Rn. 76). Fehlt es freilich wegen des nicht mehr gegebenen zeitlichen Zusammenhangs zwischen Einbürgerung und Rücknahme derselben an einer solchen Vorhersehbarkeit bzw. Normenklarheit, kann § 48 VwVfG denknotwendig nicht mehr als gesetzliche Ermächtigungsgrundlage herangezogen werden und muss infolgedessen (zunächst) der Gesetzgeber tätig werden. Das Bundesverfassungsgericht hat dazu das Folgende ausgeführt:

"Gleichwohl sind Fallkonstellationen möglich, die in § 48 VwVfG keine hinreichende gesetzliche Ermächtigungsgrundlage zur Wiederherstellung eines gesetzmäßigen Rechtszustandes finden, weil die grundrechtlich geschützte Erwartung eines Eingebürgerten eine am Maßstab des Gesetzes ausreichend vorhersehbare Verwaltungsentscheidung verlangt.

Dies ist denkbar in Fällen, in denen wesentliche Fragen der sachlichen und zeitlichen Reichweite der Rücknehmbarkeit von Einbürgerungen durch § 48 LVwVfG BW nicht grundrechtsspezifisch und konkret gelöst werden. Die Regelungsbedürftigkeit der Aufhebung von Einbürgerungen sowie der Nichtigkeit von Einbürgerungsakten zeigt sich insbesondere bei im vorliegenden Fall nicht einschlägigen Konstellationen, in denen die Rechtmäßigkeit der Einbürgerung von Angehörigen, insbesondere Kindern im Vordergrund steht. Hier stellen sich besondere grundrechtsbezogene Probleme, die eine hinreichend bestimmte Entscheidung des Gesetzgebers angezeigt erscheinen lassen. Die Frage, welche Auswirkungen ein Fehlverhalten im Einbürgerungsverfahren auf den Bestand der Staatsangehörigkeit Dritter haben kann, die an diesem Fehlverhalten nicht beteiligt waren, bedarf einer Antwort durch den Gesetzgeber. Der Gesetzgeber könnte darüber hinaus dem durch die Einbürgerung bewirkten Vertrauenstatbestand durch spezifische Regelungen Rechnung tragen, die die Möglichkeit, die Staatsangehörigkeit zurückzunehmen, einschränken, indem er insoweit zum Beispiel Befristungsregelungen oder Altersgrenzen einführt. Auch unter Berücksichtigung der betroffenen Grundrechtsberechtigten besteht eine Vielfalt möglicher Lösungswege bei der Rücknehmbarkeit der Einbürgerung, die dazu führt, dass der Gesetzgeber die angemessenen Lösungen selbst auszuwählen und auszugestalten hat" (unter III.3., Rd. 88 f.).

Anders, als der Beklagte in seiner Bewertung dieser Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts meint, ist aus der Wortwahl "der Gesetzgeber könnte darüber hinaus ... Befristungsregelungen ... einführ(en)" gerade nicht - wie es bei dem Beklagten heißt - "deutlich gemacht, dass diese zeitlichen Grenzen zwar wünschenswert, aber de lege lata pauschal eben nicht bestehen" (Schriftsatz vom 12. Juli 2006). Thema der vorzitierten Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts ist nicht in erster Linie das Bestehen zeitlicher Grenzen für eine Rücknehmbarkeit, sondern das Bestehen einer gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage für eine Rücknehmbarkeit. Deswegen spricht das Bundesverfassungsgericht hier von Fällen einer Regelungsbedürftigkeit durch den Gesetzgeber, und zwar nicht zuletzt auch deswegen, weil diesem - gerade auch mit Blick auf eine Schaffung von Befristungsregelungen bei nicht zeitnahen Rücknahmen von Einbürgerungen - mehrere denkbare (verfassungsgemäße) Lösungen offen stehen. Ist eine Materie allerdings in diesem Sinne regelungsbedürftig und ergibt sich eine Antwort nach der zu treffenden Lösung der interessierenden Fragen von daher in der gebotenen Eindeutigkeit gerade nicht aus dem bisher geltenden Recht, so würde der Erlass eines insoweit thematisch einschlägigen, belastenden Verwaltungsaktes gegen den Grundsatz vom Vorbehalt des Gesetzes verstoßen.

Der Senat käme im Übrigen selbst dann zu keinem anderen Ergebnis als dem vorstehend getroffenen, falls der vorerwähnten Sicht des Beklagten zu folgen wäre und es das Bundesverfassungsgericht tatsächlich hat offen lassen wollen, ob § 48 VwVfG in Fällen der vorliegenden Art noch eine hinreichende gesetzliche Ermächtigungsgrundlage sein kann. § 48 VwVfG würde hier auf Grund der zwischen der Einbürgerung des Klägers und ihrer Rücknahme verstrichenen Zeit von achteinhalb Jahren keine ausreichend vorhersehbare Verwaltungsentscheidung mehr ermöglichen und deswegen als gesetzliche Ermächtigungsgrundlage nicht in Betracht kommen. Ein noch hinreichend berechenbares rechtsstaatliches Abwägungsprogramm ist der Bestimmung insoweit nicht zu entnehmen (vgl. auch OVG Münster, Urteil vom 2. September 1996 - 25 A 2106.94 -, StAZ 1997, 137, 141; OVG Hamburg, Beschluss vom 29. September 1999 - 5 Bs 123.99 -, S. 4 EA; VG Hamburg, Urteil vom 15. Februar 2000 - 10 VG 98.99 -, S. 9 ff. EA; VG Berlin, Urteil vom 18. März 2003 - VG 2 A 123.02 -, S. 10 EA; Schleswig-Holsteinisches VG, Urteil vom 19. Februar 2001 - 1 A 178.98 -, Juris; vgl. auch OVG Hamburg, Beschluss vom 28. August 2001 - 3 Bs 102.01 -, NVwZ 2002, 885, 887). Auch der Umstand, dass § 48 VwVfG keine Frist für eine Rücknehmbarkeit enthält und es dem in § 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 VwVfG geregelten allgemeinen Rechtsgedanken entspricht, dass der arglistig Handelnde keinen Vertrauensschutz genießt, ändert nichts daran, dass eine Rücknahme der erschlichenen Einbürgerung mit zunehmendem Zeitverlauf zumindest unverhältnismäßig werden kann (vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 31. Januar 1980 - 2 C 50.78 -, BVerwGE 59, 366, 370 f.) und es deswegen entsprechend geboten sein kann, trotz fehlenden Vertrauensschutzes von einer Rücknahme abzusehen. Unabhängig davon betrifft der mit der Einbürgerung vermittelte bürgerschaftliche Status die konstituierenden Grundlagen der Rechtsordnung und des Gemeinwesens (vgl. BVerfG, a.a.O., III. 2. a., Rn. 75 im Ausdruck); das damit in Art. 16 Abs. 1 GG verbürgte Stabilitätsanliegen (vgl. BVerfG III. 2. c., Rn. 87, sowie die die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nicht tragenden Richter unter IV. 1. b.bb., Rn. 96) spricht dafür, dass das rechtsstaatliche Interesse an der rückwirkenden Wiederherstellung rechtmäßiger Zustände trotz Arglist des Betroffenen nicht ohne weiteres zeitlich unbegrenzt überwiegt. Auch § 24 des Gesetzes zur Regelung von Fragen der Staatsangehörigkeit - StAngRegG - zeigt, dass eine Arglist des Begünstigten einer Befristung der Befugnis, die Einbürgerung zurückzunehmen, nicht zwingend entgegensteht. Die Frage, ob die Rücknahme der erschlichenen Einbürgerung nach Ablauf einer längeren Zeit nicht mehr drohen soll und ggf. welcher Zeitraum insoweit maßgeblich ist, lässt sich dem allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetz jedoch nicht entnehmen. Für die insoweit erforderlichen Vorgaben hat sich auch keine gefestigte Rechtsprechung in Täuschungsfällen entwickelt. Soweit das Bundesverwaltungsgericht (Urteil vom 3. Juni 2003 - 1 C 19.02 - und Beschluss vom 13. April 1989 - 1 B 54.89 -) davon ausgeht, dass § 24 StAngRegG nicht allgemein auf rechtswidrige Einbürgerungen anwendbar ist, bleibt die Frage der zeitlichen Grenzen der Rücknehmbarkeit im hier interessierenden Fall ebenfalls offen. Das vorerwähnte Gericht hat insoweit lediglich entschieden, dass § 24 StAngRegG eine für die dort aufgeführten Einbürgerungsfälle geltende Spezialregelung ist, die § 48 VwVfG als Rechtsgrundlage für die Rücknahme der Einbürgerung nicht verdrängt. Auch im Schrifttum ist die Frage, ob die Rücknahme einer erschlichenen Einbürgerung ohne zeitliche Begrenzung zulässig ist, nicht geklärt (vgl. statt vieler: Nettersheim, DVBl. 2004, 1144, 1146 f.; Hailbronner, in: Sachverständigenanhörung des Innenausschusses des Deutschen Bundestages am 13. April 1999 zur Reform des Staatsangehörigkeitsrechts, Schriftenreihe "Zur Sache" 1/1999, S. 207, 213 zu § 37 des CDU/CSU - Entwurfs BT-Drucks. 14/532 -; Masing, in: Dreier, Grundgesetz, 2. Aufl. 2004, Art. 16 Rn. 74).

Soweit schließlich der Beklagtenvertreter in der mündlichen Verhandlung vorgetragen hat, die Behörde könne dem seit der Einbürgerung verstrichenen Zeitablauf im Rahmen der Ermessensausübung Rechnung tragen, macht dies das Erfordernis einer (spezialgesetzlichen) Ermächtigungsgrundlage nicht entbehrlich. Es ist zwar zutreffend, dass die Verwaltung bei der Ausübung des in § 48 VwVfG eröffneten Ermessens einen Spielraum für besonders schutzwürdige Ausnahmefälle hat. Es würde jedoch den grundrechtsspezifischen Anforderungen an die hinreichende Vorhersehbarkeit eines Verlusts der Staatsangehörigkeit nicht gerecht werden, die Dauer der Einbürgerung lediglich in diesem Rahmen zu berücksichtigen. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil vom 24. Mai 2006 diesbezüglich deutlich gemacht, dass die Vorhersehbarkeit eines Verlusts und damit ein ausreichendes Maß an Rechtssicherheit und Rechtsklarheit im Bereich der staatsangehörigkeitsrechtlichen Verlustregelungen zum Schutz des Art. 16 Abs. 1 Satz 1 GG und zur Verlässlichkeit des Staatsangehörigkeitsstatus gehöre (s. unter I.4., Rn. 50 im Ausdruck); Art. 16 Abs. 1 GG fordere eine der Bedeutung des Grundrechts angemessene gesetzliche Ausgestaltung für den Erwerb, die Aufhebung der Einbürgerung und den Verlust der Staatsangehörigkeit (s. unter III. 2. a., Rn. 75). Das danach erforderliche Maß an Rechtssicherheit und Rechtsklarheit würde nicht erreicht werden, falls die Behörde in Fällen der nicht zeitnahen Rücknahme der erschlichenen Einbürgerung die seit der Einbürgerung verstrichene Zeit lediglich im Rahmen ihrer Ermessensentscheidung einzustellen hätte; für den Betroffenen wäre nicht vorhersehbar, mit welchem Gewicht die Dauer seiner Einbürgerung in die Abwägung einfließen und zu welchem konkreten Ergebnis dies führen würde. Im Übrigen ist nach dem Vortrag des Beklagten nicht davon auszugehen, dass es sich bei Fällen, in denen die erschlichene Einbürgerung nicht zeitnah zurückgenommen wird, um besondere Ausnahmefälle handelt. Vielmehr sollen diese Fälle in der behördlichen Praxis häufig vorkommen, da es der Lebenswirklichkeit entspreche, dass ein Rücknahmegrund erst geraume Zeit nach der Einbürgerung zutage trete.

b) Die mit Bescheid vom 20. Juni 2002 verfügte Rücknahme der Einbürgerung wäre auch unabhängig von alledem rechtswidrig, weil sie jedenfalls ermessensfehlerhaft und zumindest von daher aufzuheben wäre.

(aa) Ein durchgreifender Ermessensfehler ist bereits darin zu sehen, dass der Beklagte die Dauer der seit der Einbürgerung des Klägers verstrichenen Zeit als solche nicht berücksichtigt und in seine Abwägung hat einfließen lassen. Der Beklagte geht in dem angefochtenen Bescheid davon aus, dass das öffentliche Interesse an der Wiederherstellung gesetzmäßiger Zustände schon deshalb überwiege, weil ein schutzwürdiges Vertrauen in den Bestand der Einbürgerung im Hinblick auf die arglistige Täuschung des Klägers nicht bestehe (S. 3 f. des Bescheides); dem verstrichenen achteinhalbjährigen Zeitraum zwischen Einbürgerung und Rücknahmeentscheidung hat der Beklagte dabei keinerlei Bedeutung beigemessen. Dies wird dem Schutz des Art. 16 Abs. 1 GG nicht gerecht. Dass ein solcher Zeitraum bei der Rücknahme einer Einbürgerung ein wesentlicher Umstand ist, der nicht unberücksichtigt bleiben kann, erklärt sich mit Blick auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 24. Mai 2006 von selbst. Würde man - entgegen den obigen Ausführungen des Senats (unter a.) - unterstellen, dass § 48 VwVfG (auch) bei einer nicht zeitnahen Rücknahme der erschlichenen Einbürgerung eine Art. 16 Abs. 1 GG genügende Rechtsgrundlage ist, würden die vom Bundesverfassungsgericht in seinem vorgenannten Urteil herausgestellte grundlegende Bedeutung des Staatsangehörigkeitsstatus für den Einzelnen, die daran anknüpfenden Folgen und sein besonderes Gewicht für den Rechtsstaat und die Demokratie (s. unter III. 2. a., Rn. 75 des Ausdrucks) es erfordern, die Dauer der Einbürgerung - wenn schon nicht im Rahmen der Frage, ob § 48 VwVfG für derartige Rücknahmen überhaupt noch hinreichende Ermächtigungsgrundlage sein kann, so doch jedenfalls - im Rahmen des Ermessens zu berücksichtigen. Gleiches ist im Übrigen im Hinblick auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit geboten, der schon für sich genommen bei der Rücknahme einer lange Zeit zurückliegenden Einbürgerung erheblich werden kann (s. BVerwG, Urteil vom 31. Januar 1980 - 2 C 50.78 -, BVerwGE 59, 366, 371) und der auch unabhängig von etwaigen Vertrauensschutzgesichtspunkten, zu denen sich der angefochtene Bescheid des Beklagten insoweit allein verhält, zu beachten ist.

(bb) Der angefochtene Bescheid dürfte schließlich auch deswegen ermessensfehlerhaft sein, weil der Beklagte auch die Dauer des Aufenthalts des Klägers in Deutschland - seit seiner erneuten Einreise im Januar 1989 bis zur verfügten Rücknahme im Juni 2002 immerhin annähernd 13 1/2 Jahre - nicht mit dem gebotenen Gewicht in seine Abwägung hat einfließen lassen. Der angefochtene Bescheid enthält dazu an sich keine Ausführungen. In einem Vermerk des Beklagten vom 5. Februar 2002 (Bl. 17 der Verwaltungsvorgänge der Senatsverwaltung) hat dieser zwar gesehen, dass der Kläger, wie es dort heißt, gut 12 Jahre in Deutschland gelebt und gewisse Integrationsleistungen erbracht habe, dem jedoch im Hinblick auf die Annahme, der Kläger habe den gefestigten Aufenthalt durch eine Scheinehe erschlichen, keine überwiegendes Gewicht beigemessen. Dies mag zwar insoweit in Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts stehen, als der langjährige Aufenthalt in Deutschland nicht zu berücksichtigen ist, wenn dieser Aufenthalt auf einem erschlichenen Aufenthaltsrecht beruht (vgl. BVerwG, Urteil vom 9. September 2003 - 1 C 6.03 -, S. 10 EA). Die auch in dem angefochtenen Bescheid zum Ausdruck gekommene Annahme des Beklagten, der Kläger habe sich den seinerzeitigen gefestigten Aufenthalt in Deutschland lediglich durch eine Scheinehe erschlichen, ist als solche - ohne eine weitere Substantiierung dieses Vorwurfs - nicht haltbar. Zunächst ist der Kläger zu einem Vorwurf der Scheinehe - insbesondere in dem Anhörungsschreiben vom 28. Februar 2002 - nicht einmal angehört worden (vgl. auch - zu einer wohl nicht möglichen Heilung in derartigen Fällen - BVerwG, Urteil vom 15. Dezember 1983 - 3 C 27.82 -, Juris Rn. 64). Unabhängig davon hätte der Beklagte das Vorliegen einer Scheinehe vor der Annahme einer solchen im Rahmen seiner Rücknahmeentscheidung zunächst einmal weiter verifizieren müssen; immerhin hat die seinerzeitige (deutsche) Ehefrau bei deren späterer Anhörung am 6. November 2003 angegeben, es habe sich für sie um eine ganz normale Ehe gehandelt. Von einer Nachermittlung der die Feststellung einer Scheinehe ggf. bestätigenden Anhaltspunkte hat der Senat im Hinblick auf seine obigen Ausführungen zur Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides im Übrigen abgesehen.

Es konnte unter den gegebenen Umständen auch offen bleiben, ob die Rücknahme der Einbürgerung des Klägers auch deshalb rechtswidrig ist, weil der Beklagte angenommen hat, das am 26. Januar 1995 geborene Kind, als dessen Vater der Kläger in einem pakistanischen Geburtsregister eingetragen ist, sei durch den angefochtenen Bescheid nicht betroffen.

2. Der streitgegenständliche Bescheid ist zu Recht vom Verwaltungsgericht auch aufgehoben worden, soweit der Kläger unter Androhung eines Zwangsgeldes aufgefordert worden ist, die Einbürgerungsurkunde zurückzugeben (Ziff. 2 des Bescheides vom 20. Juni 2002); nachdem die Einbürgerung nicht zurückgenommen werden durfte, ist auch die Aufforderung zur Rückgabe der Einbürgerungsurkunde rechtswidrig. Gleiches gilt entsprechend für die Festsetzung der Gebühr i.H.v. 255.- Euro (Ziff. 3 des Bescheids).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit und die Abwendungsbefugnis beruht auf § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Der Senat hat wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache die Revision zugelassen (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).

Ende der Entscheidung

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