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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg
Urteil verkündet am 19.11.2008
Aktenzeichen: OVG 5 B 18.06
Rechtsgebiete: DiätVO, LFGB, Verordnung (EG) Nr. 178/2002, Richtlinie 2001/83/EG


Vorschriften:

DiätVO § 1 Abs. 2
DiätVO § 4a Abs. 6
LFGB § 2 Abs. 2
Verordnung (EG) Nr. 178/2002 Art. 2 Satz 3 Buchst. d
Richtlinie 2001/83/EG in der Fassung der Änderungsrichtlinie 2004/27/EG - Humanarzneimittelkodex
Art. 1 Nr. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OBERVERWALTUNGSGERICHT BERLIN-BRANDENBURG IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

OVG 5 B 18.06

Verkündet am 19. November 2008,

hat der 5. Senat auf die mündliche Verhandlung vom 19. November 2008 durch den Vorsitzenden Richter am Oberverwaltungsgericht Wahle, die Richterin am Oberverwaltungsgericht Ehricke, den Richter am Oberverwaltungsgericht Dr. Raabe sowie die ehrenamtlichen Richter Krebs und Rittgerott

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 19. Juli 2006 geändert.

Der Bescheid des Bundesinstituts für gesundheitlichen Verbraucherschutz und Veterinärmedizin vom 19. Februar 1996 in der Fassung des Widerspruchsbescheides derselben Behörde vom 12. Februar 1997 wird aufgehoben.

Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des Vollstreckungsbetrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin stellt unter der Bezeichnung Lactrase(r) ein Erzeugnis in Kapselform her, das das Enzym Lactase enthält. Sie wendet sich gegen ein vorläufiges Verkehrsverbot der Beklagten nach der Diätverordnung.

Im Mai 1995 zeigte die Klägerin beim damaligen Bundesinstitut für gesundheitlichen Verbraucherschutz und Veterinärmedizin (BgVV) das Inverkehrbringen von Lactrase(r) als diätetisches Lebensmittel, das den besonderen Ernährungserfordernissen von Personen mit einer auf Enzymmangel beruhenden Maldigestion von Milchzucker (Lactoseintoleranz) dienen solle, an. Der Anzeige war der Abdruck der Etikettierung des Behältnisses beigefügt, in der es u.a. hieß:

"Lactase ist ein für die Verdauung von Lactose (Milchzucker) notwendiges Enzym. Die körpereigene Produktion von Lactase nimmt häufig bereits nach dem frühen Kindesalter ab. Kommt es zu einem Lactasemangel, können Schwierigkeiten bei der Verdauung lactosehaltiger Nahrung die Folge sein. Der Verzehr von Milch und Milchprodukten verursacht dann z.B. Blähungen, Bauchkrämpfe oder Durchfall."

Mit Bescheid vom 19. Februar 1996 untersagte das BgVV vorläufig das Inverkehrbringen von Lactrase(r) mit der Begründung, das Erzeugnis sei kein diätetisches Lebensmittel, sondern ein zulassungspflichtiges Arzneimittel. Es diene nicht unmittelbar der Deckung der energetischen und stofflichen Bedürfnisse des menschlichen Organismus. Die Etikettierung enthalte im Übrigen deutliche arzneiliche Aussagen.

Den hiergegen gerichteten Widerspruch der Klägerin wies das BgVV mit Widerspruchsbescheid vom 12. Februar 1997 zurück.

Mit ihrer Klage hat die Klägerin geltend gemacht, dass die Beklagte mehrere im Inland auf den Markt gebrachte Konkurrenzprodukte nicht beanstandet habe. Hierin sehe sie einen Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz. Auch in vielen anderen Staaten sei Lactase als diätetisches Lebensmittel oder als Nahrungsergänzungsmittel auf dem Markt oder könnte, wie ihre Nachfragen bei den zuständigen Behörden zahlreicher Mitgliedsstaaten ergeben hätten, als solches in den Verkehr gebracht werden. Lactrase(r) sei kein Arzneimittel, es habe keine pharmakologischen Wirkungen, weil das Enzym Lactase nicht auf den Organismus einwirke, sondern lediglich den im Speisebrei enthaltenen Milchzucker aufspalte. Die Situation sei insoweit keine andere als bei den industriell hergestellten lactosearmen Milchprodukten. Zum Beleg hat sich die Klägerin auf mehrere gutachtliche Stellungnahmen verschiedener Hochschulen aus pharmakologischer/toxikologischer Sicht berufen. Hinweise auf die gesundheitlichen Folgen des Verzehrs von Milchprodukten bei Lactoseintoleranz habe sie zwischenzeitlich aus der Etikettierung entfernt und dies der Beklagten auch angezeigt.

Die Klägerin hat beantragt, den Bescheid des Bundesinstituts für gesundheitlichen Verbraucherschutz und Veterinärmedizin vom 19. Februar 1996 in der Fassung des Widerspruchsbescheides derselben Behörde vom 12. Februar 1997 aufzuheben.

Die Beklagte, vertreten nunmehr durch das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit - BLV -, hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat dem Vorbringen der Klägerin entgegengehalten, dass die Wirkungsweise von Lactrase(r) exakt die Definition eines Arzneimittels nach dem Arzneimittelgesetz erfülle. Das Produkt enthalte einen Stoff, der dazu bestimmt sei, krankhafte Beschwerde zu lindern oder zu verhüten bzw. einen vom menschlichen Körper erzeugten Wirkstoff zu ersetzen. Auch nach der neuen gemeinschaftsrechtlichen Arzneimitteldefinition handele es sich bei Lactrase(r) um ein Arzneimittel, denn das oral zugeführte Enzym Lactase greife unmittelbar korrigierend in den Stoffwechsel ein.

Das Verwaltungsgericht hat die Klage durch Urteil vom 19. Juli 2006 mit im Wesentlichen folgender Begründung abgewiesen:

Das in der angegriffenen Verfügung ausgesprochene vorläufige Verkehrsverbot sei zeitlich nicht begrenzt und stelle einen Dauerverwaltungsakt dar. Maßgeblich für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage sei mithin der Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung. Rechtsgrundlage der Untersagungsverfügung sei § 4 Abs. 6 der Verordnung über diätetische Lebensmittel (DiätVO) in der Fassung der Bekanntmachung vom 28. April 2005. Danach könne das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit, das Rechtsnachfolger des Bundesinstituts für gesundheitlichen Verbraucherschutz und Veterinärmedizin sei, das Inverkehrbringen eines ihm als diätetisches Lebensmittel angezeigten Erzeugnisses vorläufig untersagen oder mit Auflagen versehen, wenn das Erzeugnis den Anforderungen des § 1 Abs. 2 DiätVO nicht entspreche. Die Voraussetzungen lägen vor, denn Lactrase(r) entspreche den Anforderungen des § 1 Abs. 2 DiätVO schon deswegen nicht, weil es sich bei diesem Erzeugnis um ein zulassungspflichtiges Arzneimittel handele.

Die Abgrenzung zwischen Lebensmitteln und Arzneimitteln habe von § 2 Abs. 1 AMG in richtlinienkonformer Auslegung ihren Ausgang zu nehmen. Bei so genannten "Grenzprodukten" zwischen dem Arzneimittel- und dem Lebensmittelbereich seien alle Eigenschaften des fraglichen Erzeugnisses in den Blick zu nehmen. Neben seinen pharmakologischen, immunologischen oder metabolischen Eigenschaften, wie sie sich beim jeweiligen Stand der Wissenschaften feststellen ließen, seien auch seine sonstigen Merkmale, insbesondere seine Zusammensetzung, die Modalitäten seines Gebrauchs, der Umfang seiner Verbreitung, seine Bekanntheit bei den Verbrauchern sowie die Risiken, die seine Verwendung mit sich bringen könne, zu berücksichtigen. Das Erzeugnis Lactrase(r) werde von der Klägerin mit der Bestimmung angeboten, trotz Lactoseunverträglichkeit den Verzehr von Milchprodukten, der bei dem betreffenden Personenkreis wegen der nicht verdauten Lactose Beschwerden wie Blähungen, Bauchschmerzen oder Durchfall verursache, "problemlos" zu ermöglichen. Das Produkt werde mithin präsentiert, um krankhafte Beschwerden zu verhüten oder zu lindern und entspreche damit sowohl nach nationalem als auch nach europäischem Recht der Definition eines Präsentationsarzneimittels. Lactrase(r) sei aber auch nach seiner Funktion ein Arzneimittel, weil es dazu bestimmt sei, das körpereigene Enzym Lactase zu ersetzen und damit zugleich die physiologischen Funktionen des Körpers durch eine metabolische, nämlich die Verdauung betreffende Wirkung zu korrigieren oder zu beeinflussen.

Die Arzneimitteleigenschaft von Lactrase(r) werde durch eine ergänzende Betrachtung anhand der vom Europäischen Gerichtshof zur Abgrenzung entwickelten Hilfsmerkmale nicht in Frage gestellt. Da das Mittel nach dem unwidersprochenen Vortrag der Klägerin in einer Reihe von anderen Ländern der Europäischen Union als Nahrungsergänzungsmittel im Verkehr sei, spreche zwar der Gesichtspunkt der Verbreitung eher für eine Einordnung als Lebensmittel. Verglichen mit den festgestellten metabolischen Wirkungen von Lactrase(r) komme diesem Aspekt jedoch keine ausschlaggebende Bedeutung zu. Die Würdigung von Verbraucherkenntnissen führe zu keinem anderen Ergebnis. Durchschnittlich informierte Verbraucher hätten ohne eine vertiefende Befassung mit der Angelegenheit keine konkreten Kenntnisse oder Erwartungen hinsichtlich der Lebensmittel- oder Arzneimitteleigenschaft von Lactrase(r). Das Mittel werde zudem in Kapselform präsentiert und gehöre auch nicht - wie z. B. verdauungsfördernde Naturprodukte - zum Bereich nahrungsergänzender "Hausmittel".

Gegen dieses Urteil wendet sich die Klägerin mit der - vom Verwaltungsgericht zugelassenen - Berufung, zu deren Begründung sie im Wesentlichen vorträgt:

Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts sei Lactrase(r) kein Präsentationsarzneimittel. Das Produkt werde seit der sowohl der Beklagten als auch der Vorinstanz im November 2001 angezeigten Änderung des Etiketts durch die Herausnahme der Begriffe "Blähungen, Bauchschmerzen und Durchfall" nicht mehr als Mittel zur Verhütung oder Linderung krankhafter Beschwerden präsentiert, falls es sich denn überhaupt um solche handelte.

Lactrase(r) sei aber auch kein Funktionsarzneimittel. Eine solche Einstufung setze bei richtlinienkonformer Auslegung zweierlei voraus, nämlich - erstens - die Wiederherstellung, Korrektur oder Beeinflussung einer physiologischen Körperfunktion und - zweitens - deren Eintritt aufgrund einer pharmakologischen, immunologischen oder metabolischen Wirkung. Fehle auch nur eine dieser Voraussetzungen, so sei der fragliche Stoff kein Funktionsarzneimittel. So liege der Fall hier, da der Stoff Lactase schon keine physiologischen Funktionen wiederherstelle oder korrigiere, geschweige denn im Sinne der neueren Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs und des Bundesverwaltungsgerichts erheblich beeinflusse. Sie habe durch zahlreiche pharmakologische Gutachten belegt, dass das Enzym Lactase ausschließlich auf die im Speisebrei vorhandene Lactose wirke. Durch die Gutachten sei ferner nachgewiesen, dass Lactase - da sie keine Wechselwirkung mit dem Körper eingehe - keine pharmakologische Wirkung haben könne. Die Frage, ob Lactrase(r) die menschlichen physiologischen Funktionen durch eine metabolische Wirkung wiederherstelle, korrigiere oder beeinflusse, unterliege vorrangig einer wissenschaftlichen Beurteilung, für die dem Verwaltungsgericht die notwendige Sachkunde fehle und über die es trotz der vorgelegten Fachgutachten und entsprechender Beweisanträge ohne Sachverständigengutachten nicht hätte entscheiden dürfen. Die Vorinstanz sei zwar zutreffend davon ausgegangen, dass (auch) Nahrungsmittel verstoffwechselt würden und daher grundsätzlich metabolische Wirkung entfalteten; verkannt habe sie jedoch, dass die metabolische Wirkung kein taugliches Kriterium für die Abgrenzung von Lebensmitteln und Arzneimitteln sei, weil zahlreiche Lebensmittel wie beispielsweise Alkohol, Kaffee, Traubenzucker oder bestimmte Früchte Initiatoren von Stoffwechselvorgängen seien, ohne dass ein vernünftiger Mensch auf den Gedanken käme, sie als Arzneimittel einzustufen. Das Enzym Lactase habe eine lediglich technologische Funktion, indem es ohne Einfluss auf die Körperfunktionen die Verdaulichkeit von Milch und Milchprodukten fördere. Seine Dosis-"Wirkungs"-Beziehung sei substratbezogen und richte sich ausschließlich nach der Menge der zu spaltenden Lactose. Seine Verwendung gehe auch mit keinerlei Gefahr für die Gesundheit des Verbrauchers einher. Soweit das Verwaltungsgericht Lactrase(r) als Arzneimittel eingestuft habe, weil es dazu bestimmt sei, krankhafte Beschwerden zu verhüten, könne dahingestellt bleiben, ob es sich bei den bekannten Unverträglichkeitsreaktionen überhaupt um solche oder nicht vielmehr um bloße Befindlichkeitsstörungen handele; denn jedenfalls erfüllten auch zahlreiche Lebensmittel dieses Kriterium. Schließlich weist die Klägerin darauf hin, dass Lactrase(r) gegenwärtig in insgesamt 21 Mitgliedsstaaten von den zuständigen Behörden als Lebensmittel anerkannt sei.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 19. Juli 2006 zu ändern und den Bescheid des Bundesinstituts für gesundheitlichen Verbraucherschutz und Veterinärmedizin vom 19. Februar 1996 in der Fassung des Widerspruchsbescheides derselben Behörde vom 12. Februar 1997 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angegriffene Urteil und führt ergänzend aus: Es könne offen bleiben, ob sich eine Änderung des ursprünglich angezeigten Etiketts während des Prozesses, mit der krankheitsbezogene Aussagen vermieden werden sollten, auf die Rechtmäßigkeit der Untersagungsverfügung auswirke. Denn jedenfalls handele es sich bei Lactrase(r) bei richtlinienkonformer Auslegung um ein Funktionsarzneimittel im Sinne des § 2 Abs. 1 AMG. Anders als Lebensmittel, die den Prozess der Verdauung zwar auslösten, ihn aber nicht wiederherstellten, korrigierten oder beeinflussten, stelle oral verabreichte Lactase den störungsfrei ablaufenden Verdauungsprozess wieder her. Lactrase(r) als Ersatz des körpereigenen Enzyms Lactase beeinflusse die physiologische Körperfunktion "Verdauung", die mit der Nahrungsaufnahme in den Mund beginne und mit der Ausscheidung ende. Seine Wirkung sei eine metabolische, d.h. eine den Stoffwechsel betreffende Wirkung. Dieser Begriff sei zwar sehr weit gefasst; er werde nach der Rechtsprechung jedoch sachgerecht eingegrenzt, indem nur eine nennenswerte Auswirkung auf den Stoffwechsel bzw. eine nennenswerte Beeinflussung der Funktionsbedingungen des menschlichen Körpers durch einen Stoff seine Einstufung als Arzneimittel rechtfertige. Auch dieses Kriterium sei erfüllt, denn die Wirkung von Lactrase(r) gehe deutlich über dasjenige hinaus, was physiologisch auch durch Nahrungsaufnahme, etwa durch den Verzehr probiotischer Joghurts, ausgelöst werden könne. Darüber hinaus lasse sich mit Hilfe einer Messung der Atemluft als Surrogatparameter und anhand des Blutzuckerspiegels nachweisen, dass von dem Enzym Lactase auch eine pharmakologische Wirkung ausgehe. Einen auf belastbaren wissenschaftlichen Erkenntnissen basierenden Beleg hierfür biete die erst jüngst vom Bundesinstitut für Arzneimittel erteilte Zulassung für ein mit Lactrase(r) vergleichbares Präparat (""). Unter diesen Umständen sei ohne Belang, ob lactasehaltige Erzeugnisse in anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union als Nahrungsergänzungsmittel oder als Lebensmittelzusatzstoff im Verkehr seien.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten (4 Bände) und die Verwaltungsvorgänge der Beklagten (2 Halbhefter) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Klägerin ist begründet. Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Unrecht abgewiesen. Das von der Beklagten verfügte vorläufige Verkehrsverbot ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten. Lactrase(r) ist kein Arzneimittel, sondern ein Lebensmittel.

Die angefochtene Verbotsverfügung beruht auf § 4 a Abs. 6 der Verordnung über diätetische Lebensmittel - DiätVO -. Da es sich bei dem Verkehrsverbot ungeachtet seiner Bezeichnung als "vorläufig" um einen Dauerverwaltungsakt handelt, ist diese Verordnung in der nunmehr maßgeblichen Fassung vom 28. April 2005 (BGBl. I S. 1161) anzuwenden. Nach der genannten Vorschrift kann das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BLV) das Inverkehrbringen eines als diätetisches Lebensmittel angezeigten Erzeugnisses vorläufig untersagen oder mit Auflagen versehen, wenn es feststellt, dass das Erzeugnis nicht den Anforderungen des § 1 Abs. 2 DiätVO entspricht. Es versteht sich von selbst, dass ein Erzeugnis den Anforderungen an ein diätetisches Lebensmittel schon dann nicht entsprechen kann, wenn es kein Lebensmittel ist. § 2 Abs. 2 des Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuches - LFGB - in der Fassung der Bekanntmachung vom 26. April 2006 (BGBl. I S. 941) verweist für den Begriff "Lebensmittel" auf die gemeinschaftsrechtliche Definition in Art. 2 der Verordnung (EG) Nr. 178/2002. Nach Art. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 vom 28. Januar 2002 zur Festlegung der allgemeinen Grundsätze und Anforderungen des Lebensmittelrechts, zur Errichtung der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit und zur Festlegung von Verfahren zur Lebensmittelsicherheit (ABl. Nr. L 31, S. 1) - BasisVO - sind Lebensmittel im Sinne dieser Verordnung alle Stoffe oder Erzeugnisse, die dazu bestimmt sind oder von denen nach vernünftigem Ermessen erwartet werden kann, dass sie in verarbeitetem oder unverarbeitetem Zustand von Menschen aufgenommen werden. Auf der Grundlage dieser weiten Definition kann es keinem vernünftigen Zweifel unterliegen, dass Lactrase(r) ein Lebensmittel ist, da es dazu bestimmt ist, von Menschen verzehrt zu werden.

Allerdings nimmt Art. 2 Satz 3 Buchst. d BasisVO solche Erzeugnisse von den Lebensmitteln aus, bei denen es sich um Arzneimittel im Sinne der Richtlinien 65/65/EWG und 92/73/EWG handelt. Diese Richtlinien sind zwar durch Art. 128 Satz 1 der Richtlinie 2001/83/EG vom 6. November 2001 zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel (ABl. Nr. L 311, S. 67) aufgehoben worden. Nach Satz 2 dieser Vorschrift gelten Bezugnahmen auf die aufgehobenen Richtlinien jedoch als Bezugnahmen auf die "vorliegende" Richtlinie, d.h. auf den Gemeinschaftskodex. Demzufolge verweist Art. 2 Satz 3 Buchst. d BasisVO wegen der Arzneimitteldefinition auf Art. 1 Nr. 2 der Richtlinie 2001/83/EG in der Fassung, die diese Bestimmung durch die Änderungsrichtlinie 2004/27/EG vom 31. März 2004 (ABl. Nr. L 136, S. 34), zuletzt in hier nicht erheblichen Teilen geändert durch die Richtlinie 2008/29/EG vom 11. März 2008 (ABl. Nr. L 81, S. 51), erhalten hat. Im Hinblick auf diese Normenkette ist die zwischen den Beteiligten streitige Frage, ob es sich bei Lactrase(r) um ein Arzneimittel handelt, nach Auffassung des Senats ausschließlich auf der Grundlage der gemeinschaftsrechtlichen Arzneimitteldefinition vorzunehmen (so auch Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 25. Juli 2005 - BVerwG 3 C 23/06 - "Lactobact omni FOS", PharmR 2008, S. 78, und juris Rn. 16 f.; im Ergebnis ebenso der Bundesgerichtshof in der sog. "L-Carnitin II"-Entscheidung vom 26. Juni 2008 - I ZR 61/05 -, LMuR 2008, S. 89, und juris Rn. 16, der von einem einheitlichen europäischen Begriff des Funktionsarzneimittels und damit einer Vollharmonisierung in diesem Bereich ausgeht). Unabhängig davon dürfte eine am nationalen Arzneimittelbegriff ausgerichtete Prüfung wegen der nach Ablauf der Umsetzungsfrist der Änderungsrichtlinie 2004/27/EG am 30. Oktober 2005 vorzunehmenden richtlinienkonformen Auslegung des Arzneimittelgesetzes ohnehin zu keinem abweichenden Ergebnis führen.

Art. 1 Abs. 2 des Gemeinschaftskodexes in der Fassung der Richtlinie 2004/27/EG definiert als Arzneimittel alle Stoffe oder Stoffzusammensetzungen, die

- (a) als Mittel mit Eigenschaften zur Heilung oder zur Verhütung menschlicher Krankheiten bestimmt sind oder

- (b) im oder am menschlichen Körper verwendet oder einem Menschen verabreicht werden können, um entweder die menschlichen physiologischen Funktionen durch eine pharmakologische, immunologische oder metabolische Wirkung wiederherzustellen, zu korrigieren oder zu beeinflussen oder eine medizinische Diagnose zu erstellen.

Mit dieser zweifachen Definition hält das Gemeinschaftsrecht unverändert an der Unterscheidung zwischen Präsentationsarzneimitteln einerseits und Funktionsarzneimitteln andererseits fest. Dass es in der ersten Alternative nunmehr heißt, der fragliche Stoff müsse als Mittel mit Eigenschaften zur Heilung oder zur Verhütung menschlicher Krankheiten bestimmt sein, bedeutet gegenüber der früheren Fassung "als Mittel... bezeichnet" keine inhaltliche Änderung (vgl. Bundesgerichtshof, Urteil vom 26. Juni 2008 "L-Carnitin II", a.a.O., juris Rn. 16 f., m.w.N.). Mit Art. 1 Nr. 2 a) sollen unverändert nicht nur Arzneimittel erfasst werden, die tatsächlich therapeutische oder medizinische Wirkung haben, sondern auch die Erzeugnisse, die nicht ausreichend wirksam sind oder die nicht die Wirkung haben, die der Verbraucher nach ihrer "Bezeichnung" von ihnen erwarten darf. Insofern zielt die Richtlinie auch weiterhin darauf, den Verbraucher nicht nur vor schädlichen oder "giftigen" Arzneimitteln zu schützen, sondern auch vor verschiedenen Erzeugnissen, die anstelle geeigneter Heilmittel verwendet werden (so schon das Urteil "van Bennekom" des Europäischen Gerichtshofs vom 30. November 1983 - Rs. 227/82 -, Slg. 1983, 3883, Rn. 17; vgl. auch dessen Urteil in dem Vertragsverletzungsverfahren Kommission gegen die Bundesrepublik Deutschland vom 15. November 2007 - Rs. C-319/05 - "Knoblauch-Kapseln", Nr. 43, veröffentlicht in juris,). Mit der zweiten Definition sind unbeschadet der Aufnahme zusätzlicher Tatbestandsmerkmale unverändert die Arzneimittel nach der Funktion gemeint. Nach der 7. Begründungserwägung sind die Begriffe "pharmakologisch, immunologisch oder metabolisch" lediglich deshalb in die Definition aufgenommen worden, um die Art der Wirkung, die das Arzneimittel auf die physiologischen Funktionen haben kann, zu spezifizieren und dadurch zu vermeiden, dass angesichts der steigenden Zahl sogenannter "Grenzprodukte" zwischen dem Arzneimittelbereich und anderen Bereichen Zweifel an den anzuwendenden Rechtsvorschriften auftreten. Eine inhaltliche Änderung des Begriffs des Funktionsarzneimittels war danach mit der Neufassung der Definition nicht beabsichtigt (vgl. hierzu auch Nr. 85 bis 92 der Schlussanträge der Generalanwältin Trstenjak in der Rechtssache C 140/07 - "Red Rice" - vom 19. Juni 2008, PharmR 2008, 435).

Lactrase(r) ist entgegen der vom Verwaltungsgericht geteilten Auffassung der Beklagten kein Präsentationsarzneimittel.

Die Einstufung eines Erzeugnisses als Präsentationsarzneimittel setzt voraus, dass es - erstens - ggf. auf dem Etikett, dem Beipackzettel oder in der Werbung, ausdrücklich als Mittel zur Heilung oder Verhütung von Krankheiten bezeichnet ist. Ob das Erzeugnis Lactrase(r) danach in der 1995 angezeigten Aufmachung trotz der Deklaration als Diätetikum allein wegen des Hinweises auf seine Eignung zur Beseitigung krankhafter Beschwerden wie Blähungen, Bauchschmerzen und Durchfall nach dem Verzehr von Milch und Milchprodukten bei bestehender Lactoseintoleranz auf dem Etikett zu Recht als Arzneimittel nach der Präsentation hätte eingestuft werden können, bedarf keiner Entscheidung (mehr). Denn die Klägerin hat diese Aufmachung in Konsequenz ihres Unterliegens in einem wettbewerbsrechtlichen Verfahren (Urteil des Oberlandesgerichts Frankfurt/Main vom 27. April 2000 - 6 U 17/99 -, LRE 38, 368) und damit noch während des erstinstanzlichen Verfahrens maßgeblich verändert. Insbesondere hat sie - wie der Beklagten und dem Verwaltungsgericht (vgl. den Schriftsatz vom 12. November 2001) auch angezeigt - die krankheitsbezogenen Angaben aus der Etikettierung entfernt und stattdessen den Ernährungszweck in den Vordergrund gestellt. Mit dieser Änderung jedenfalls ist die arzneiliche Zweckbestimmung als eine der Voraussetzungen für die Einstufung als Präsentationsarzneimittel entfallen. Dass sie von der Beklagten als bloßer Versuch angesehen wird, ihre Untersagungsverfügung zu unterlaufen, ändert am Ergebnis nichts. Denn wenn es - wie hier - für die Entscheidung auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung ankommt und das Erzeugnis in diesem Zeitpunkt allein wegen des geänderten Etiketts verkehrsfähig (geworden) wäre, hätte die Beklagte einem Unterliegen (nur) durch die Abgabe einer Erledigungserklärung entgehen können.

Als Präsentationsarzneimittel wäre Lactrase(r) - zweitens - allerdings auch dann anzusehen, falls bei einem durchschnittlich informierten Verbraucher wenn auch nur schlüssig, so doch mit Gewissheit der Eindruck entstünde, dass dieses Erzeugnis in Anbetracht seiner Aufmachung arzneiliche Eigenschaften haben müsse. Auch das ist nicht der Fall. Da Lactrase(r) ursprünglich als Diätetikum, nunmehr als "Lebensmittelzusatz zum Spalten von Mich und Milchprodukten" und nicht als Arzneimittel bezeichnet (worden) ist, blieben lediglich die äußere Form und die Ähnlichkeit mit einem Arzneimittel als Anknüpfungspunkte für eine entsprechende Verbrauchererwartung. Die Kapselform, in der Lactrase(r) angeboten wird, ist jedoch, wie die Generalanwältin Trstenjak unter Nr. 51 ihrer Schlussanträge in dem Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik Deutschland (Rs. C-319/05, "Knoblauch-Kapseln") ausgeführt hat, zumindest heute nicht mehr spezifisch für Arzneimittel, da zahlreiche Lebensmittel ebenfalls in dieser Form angeboten werden, um ihren Verzehr bequemer zu machen. Dieser Einschätzung hat sich der Europäische Gerichtshof in seinem Urteil vom 15. November 2007 unter Hinweis auf Art. 2 Buchst. a der Richtlinie 2002/46 (Nahrungsergänzungsmittel) angeschlossen (a.a.O. Nr. 53). Auch dürfte sich die Verkehrsanschauung in Bezug auf Produkte für Lactoseintolerante zwischenzeitlich aufgrund des vielfältigen Lebensmittelangebots in den Supermärkten nachhaltig geändert haben.

Lactrase(r) ist aber auch kein Funktionsarzneimittel im Sinne der zweiten Definition der Richtlinie 2001/83/EG neuer Fassung. Es spricht bereits viel dafür, dass das Enzym Lactase, aus dem das Erzeugnis der Klägerin im wesentlichen besteht, die menschlichen physiologischen Funktionen nicht beeinflusst (so Oberlandesgericht Stuttgart, Urteil vom 14. Februar 2008 - 2 U 81/07 - PharmR 2008, 386 und juris Rn. 54 ff.; in der Tendenz ebenso Oberlandesgericht Frankfurt am Main, Beschluss vom 2. Juni 2008 - 6 W 34/08 - juris Rn. 10 ff.; vgl. auch Landgericht Saarbrücken, Urteil vom 27. November 2007 - 7II O 87/07 -, bestätigt durch Beschluss des Saarländischen Oberlandesgerichts vom 16. Juli 2008 - 1 U 45/08-14 -). In diesem Fall käme es auf die weitere zwischen den Beteiligten umstrittene Frage, ob die Beeinflussung durch eine pharmakologische oder metabolische Wirkung erzielt wird - immunologische Wirkungen stehen nicht zur Diskussion -, nicht mehr entscheidend an (vgl. Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 25. Juli 2007 - BVerwG 3 C 23/06 - "Lactobact omni FOS", juris Rn. 21).

Die menschlichen physiologischen Funktionen sind die normalen Lebensvorgänge, die im menschlichen Körper ablaufen (Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, 261. Auflage, 2007, Stichwort "Physiologie"). Sie müssen nach der Richtliniendefinition durch die Anwendung des betreffenden Stoffes wiederhergestellt, korrigiert oder beeinflusst werden. Das Verwaltungsgericht hat diese Voraussetzung mit der Begründung bejaht, Lactrase(r) solle die Verdauung von Milchzucker im Darmtrakt ermöglichen, betreffe also die physiologische Funktion "Verdauung"; indem das Mittel nach der Einnahme die Aufspaltung von Lactose im Darm bewirke, stelle es die normale Darmfunktion wieder her oder beeinflusse sie zumindest. Dieses Verständnis dürfte zu kurz gegriffen sein.

Enzyme sind Proteine, die eine chemische Reaktion katalysieren können. Sie spielen eine tragende Rolle im Stoffwechsel aller lebenden Organismen, weil sie den überwiegenden Teil der biochemischen Reaktionen steuern - von der Verdauung bis hin zum Kopieren der Erbinformationen. Das Enzym Lactase ist ein sog. integrales Membranprotein; es ist in der Bürstenmembran der säulenförmig angeordneten Hauptzellen des Zottenepithels des Dünndarms lokalisiert (Wikipedia, Stichwort Lactase). Seine einzige Aufgabe besteht darin, in der Nahrung enthaltenen Milchzucker (Lactose) in die Monosaccharide Galactose und Glucose (Traubenzucker) aufzuspalten, weil Disaccharide wie die Lactose wegen ihrer Größe von den Zellen des Dünndarms nicht aufgenommen werden können, um von dort an das zur Leber fließende Blut abgegeben zu werden. Es ist unbestritten, dass ein Lactasemangel - sei er genetisch bedingt, sei er auf eine altersbedingt abnehmende enzymatische Aktivität zurückzuführen - nicht heilbar ist. Wird das Enzym oral aufgenommen, so erfüllt es seine Aufgabe, die dem Körper mit der Nahrung zugeführte Lactose zu spalten, ausschließlich im Lumen von Magen und Darm, wird jedoch aus dem Verdauungstrakt nicht in die Blutbahn resorbiert. Das Enzym geht also keine Wechselwirkung mit dem Organismus ein (vgl. hierzu die gutachtlichen Stellungnahmen von Prof. Dr. Biesalski, Universität Hohenheim, vom 17. Mai 2006, GA II Bl. 156 <160>, sowie von Prof. Dr. Hartmann, Universitätsklinikum Bonn, vom 15. Mai 2006, GA II Bl. 180 <181>). Nach der Spaltung der im Speisebrei enthaltenen Lactose fällt die Lactase genau wie alle anderen exogen zugeführten Eiweißstoffe den Pepsidasen aus Magen und Pankreas anheim und wird im Magen-Darm-Trakt zu einzelnen Aminosäuren abgebaut (vgl. gutachtliche Stellungnahme Prof. Dr. Läer, Universität Düsseldorf, vom 7. Juni 2006, GA II Bl. 185 <190>). Nichts anderes geschieht, wenn Lactase mit der Nahrung verzehrt wird, obwohl in Wahrheit gar kein Lactasemangel besteht. Umgekehrt setzt die "Wirkung" des Enzyms dessen orale Aufnahme nicht voraus, weil die in Nahrungsmitteln enthaltene Lactose auch außerhalb des Körpers durch die vorherige Beigabe von Lactase gespalten werden kann (vgl. hierzu die gutachtliche Stellungnahmen von Prof. Dr. Hilgenfeldt, Universität Heidelberg, vom 6. April 2006, GA II Bl. 174 <176>, Prof. Dr. Hartmann, Universitätsklinikum Bonn, vom 15. Mai 2006, GA II Bl. 180 <182>, sowie Prof. Dr. Läer, Universität Düsseldorf, vom 7. Juni 2006, GA II Bl. 185 <188>). Damit aber entsprechen die Wirkungen, die durch die Einnahme von Lactrase(r) ausgelöst werden können, denjenigen, die auch durch den Verzehr lactosefreier oder -armer Lebensmittel, die heute zahlreich angeboten werden, erreicht werden.

Letztlich kann die Frage, ob Lactrase(r) die physiologischen Körperfunktionen überhaupt beeinflusst, obwohl das in ihm enthaltene Enzym wie dargelegt seiner alleinigen Aufgabe entsprechend und unabhängig vom Ort des Aufeinandertreffens mit der Nahrung lediglich auf die in ihr enthaltene Lactose einwirkt, jedoch auf sich beruhen. Denn jedenfalls ist die Beeinflussung keine nennenswerte im Sinne der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs.

Der Gerichtshof hat in seinem Urteil vom 15. November 2007 ("Knoblauch-Kapseln", a.a.O., Nr. 59 ff.) festgestellt, dass es die pharmakologischen Eigenschaften eines Erzeugnisses sind, die den entscheidenden Faktor für die Beurteilung darstellen, ob es zur Wiederherstellung, Besserung oder Beeinflussung der physiologischen Funktionen angewandt werden kann. Denn - und darauf hatte die Generalanwältin in Nr. 58 ihrer Schlussanträge hingewiesen - die Formulierung "Wiederherstellung, Besserung oder Beeinflussung der menschlichen physiologischen Funktionen" ist so weit gefasst, dass sie auch auf solche Erzeugnisse erstreckt werden kann, die sich ihrer Art nach zwar mit Gewissheit auf die Körperfunktionen auswirken, im wesentlichen aber einem anderen, insbesondere einem Ernährungszweck dienen. Das sei, so die Generalanwältin, weder dem Gesundheitsschutz noch der Freiheit des Warenverkehrs förderlich, weshalb unter die Definition des Funktionsarzneimittels nur Erzeugnisse mit wissenschaftlich feststellbaren pharmakologischen und nicht lediglich ernährungsphysiologischen Eigenschaften fallen dürften. Diese Sichtweise hat sich der Gerichtshof im Hinblick auf die Notwendigkeit einer praktikablen Abgrenzung zu den Nahrungsergänzungsmitteln zu eigen gemacht und ausgesprochen, dass die Einstufung als Arzneimittel nach der Funktion unangemessen ist, wenn ein Erzeugnis zwar die physiologischen Körperfunktionen beeinflusst und auch objektiv für therapeutische Zwecke verwendet werden kann, sich aber nicht "nennenswert" auf den Stoffwechsel auswirkt und somit dessen Funktionsbedingungen nicht "wirklich" beeinflusst (so auch bereits Urteil vom 16. April 1991 - Rs. C-112/89 - "Upjohn" Nr. 22, veröffentlicht in juris). Es muss mit anderen Worten Wirkungen hervorrufen, die außerhalb der normalen im menschlichen Körper ablaufenden Lebensvorgänge liegen; daran fehlt es, wenn das Erzeugnis nicht über das hinausgeht, was auch mit der normalen Nahrungsaufnahme an Einwirkungen auf den Körper erzielt werden kann (vgl. Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 25. Juli 2007, "Lactobact omni FOS", juris Rn. 28). Dabei bedarf es, um von einer erheblichen oder nennenswerten Beeinflussung der Funktionsbedingungen des menschlichen Körpers ausgehen zu können, belastbarer wissenschaftlicher Erkenntnisse (vgl. Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 25. Juli 2007 "Lactobact omni FOS", juris Rn. 22).

Die Beklagte vertritt hierzu den Standpunkt, dass die pharmakologische Wirkung von Lactrase(r) schon dadurch erwiesen sei, dass es das körpereigene Enzym Lactase substituiere, damit unmittelbar korrigierend in den Stoffwechsel eingreife und durch die Förderung der Verdaulichkeit des Milchzuckers im Magen-Darm-Trakt gesundheitliche Beschwerden verhindere. Mit der zwischenzeitlich vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) erteilten arzneimittelrechtlichen Zulassung für das mit Lactrase(r) vergleichbare Präparat " " (Kautabletten) sei hierfür ein "weiterer" auf belastbaren wissenschaftlichen Erkenntnissen basierender Beleg für eine die physiologischen Funktionen beeinflussende Wirkung des Enzyms Lactase erbracht. Ferner zieht sie die Parallele zu Pankreasenzympräparaten, die sämtlich als Arzneimittel zugelassen seien.

Mit diesem Vorbringen tritt die Beklagte der durch sachverständige Äußerungen untermauerten Behauptung der Klägerin, Lactase habe weder pharmakologische noch metabolische Wirkungen, schon nicht mit der erforderlichen wissenschaftlichen Substanz entgegen. Unabhängig davon ist ihre Annahme, Lactrase(r) sei ein Arzneimittel, unter keinem der angeführten Gesichtspunkte gerechtfertigt.

Die Frage, ob ein Erzeugnis als Arzneimittel oder als (diätetisches) Lebensmittel einzustufen ist, wird allein durch die Erteilung einer arzneimittelrechtliche Zulassung für ein analoges Präparat schon deshalb nicht entschieden, weil es in der Hand des Herstellers liegt, es als Arzneimittel zu bezeichnen und mit therapeutischen Aussagen in den Verkehr zu bringen. Im Übrigen vermitteln weder die Packungsbeilage noch die Gebrauchsinformation für " " belastbare wissenschaftliche Erkenntnisse, die den Ausführungen im Zusammenhang mit der Frage, ob Lactase die physiologischen Funktionen überhaupt beeinflusst, entgegenstünden, geschweige denn sie widerlegten. Es ist unbestritten, dass Lactrase(r) die Funktion des körpereigenen Enzyms Lactase, den in der Nahrung enthaltenen Milchzucker zu spalten, übernimmt. Darin erschöpft sich seine pharmakologische "Wirkung" allerdings auch. Dementsprechend werden die "Pharmakologischen/Pharmakodynamischen Eigenschaften" in der Fachinformation des vom BfArM als Arzneimittel zugelassenen Präparats T. auch nur mit "Lactase hydrolysiert die alpha-1,4-Bindung von Lactose zwischen den beiden Monosacchariden Glucose und Galactose" beschrieben. Dass Lactase keinen über die bloße Substitution des Enzyms hinausgehenden Einfluss auf den menschlichen Organismus nimmt, wird auch durch die Aussage, die pharmakologische Wirksamkeit der substituierten Lactase lasse sich anhand des Verlaufs der Blutzuckerwerte oder über den Wasserstoffgehalt der Atemluft nach einer Lactose-Testmahlzeit dokumentieren und quantifizieren, entgegen der Auffassung der Beklagten nicht in Frage gestellt. Damit ist lediglich die Feststellung verbunden, dass das körpereigene Enzym durch exogen zugeführte Lactase wirksam ersetzt werden kann.

Was schließlich die zu pankreatinhaltigen Arzneimitteln gezogene Parallele angeht, so stellt sich schon die - von der Klägerin aufgeworfene, von der Beklagten allerdings nicht beantwortete - Frage, ob und inwieweit die Einstufung derartiger Präparate als Arzneimittel nicht lediglich auf die Art ihrer Präsentation zurückzuführen ist. Unabhängig davon ist sie jedoch nicht geeignet, die Ansicht der Beklagten, Lactrase(r) sei als Arzneimittel einzustufen, zu stützen. Es ist richtig, dass es sich bei diesen Mitteln ebenfalls um Enzympräparate handelt, die dem Ersatz körpereigener Enzyme bei Erkrankungen der Bauchspeicheldrüse dienen. Ihr wichtigster therapeutischer Bestandteil sind die Lipasen, welche die Aufspaltung der Nahrungsfette bewirken und damit die Begleiterscheinungen einer mangelnden Fettverdauung vermeiden sollen. Gleichwohl unterscheiden sie sich von lactasehaltigen Produkten zum einen in Bezug auf ihren therapeutischen Zweck, zum anderen aber auch wegen ihres Nebenwirkungspotentials (wie etwa allergische Reaktionen des Verdauungstrakts oder Schleimhautreizungen im Magen-Darm-Trakt), der bei ihrer Anwendung zu beachtenden Vorsichtsmaßnahmen (z.B. keine Anwendung bei akuter Pankreatitis, Schleimhautschäden bei vorzeitiger Freisetzung der aktiven Enzyme) und möglicher Wechselwirkungen (z.B. verminderte Resorption von Folsäure).

Erwägungen des Gesundheitsschutzes als eigenständiges Kriterium bei der Beurteilung der Arzneimitteleigenschaft (vgl. hierzu Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 9. Juni 2005 - Rs. C-211 u.a. -, "HLH Warenvertrieb und Orthica", Nr. 53), wie sie bei den vorerwähnten Pankreasenzympräparaten angebracht erscheinen, vermögen das von der Beklagten verfügte Verkehrsverbot ebenfalls nicht zu tragen. Lactase hat selbst in höchster Dosierung keine toxischen, mutagenen oder kanzerogenen Wirkungen. Dass mit der Einnahme von Lactrase(r) auch keine sonstigen gesundheitlichen Risiken verbunden sind, wird von der Beklagten eingeräumt und hat sich während seines nunmehr 13-jährigen Vertriebs auch erwiesen. Im übrigen böte, falls ein Gesundheitsrisiko tatsächlich bestünde, das in Art. 7 der BasisVO festgelegte Vorsorgeprinzip eine geeignete Handhabe, ihm bei Einordnung als Lebensmittel durch Auflagen (hier etwa durch einen Hinweis auf das mögliche allergene Potential von Aspergillus) effektiv zu begegnen (vgl. Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 25. Juli 2007, "Lactobact omni FOS", juris Rn. 27).

Schließlich lassen die nach Auffassung der Generalanwältin auch nach der Neufassung der Definition des Arzneimittels durch die Richtlinie 2004/27/EG neben den pharmakologischen Eigenschaften zu berücksichtigenden Merkmale "Umfang seiner Verbreitung und Bekanntheit bei den Verbrauchern" (vgl. Nr. 92 der Schlussanträge vom 19. Juni 2008 - Rs. C-140/07 -, "Red Rice") für die Annahme, bei dem Erzeugnis Lactrase(r) handele es sich um ein Arzneimittel, keinen Raum. Die Klägerin hat unwidersprochen vorgetragen, dass Lactrase(r) gegenwärtig in insgesamt 21 Mitgliedsstaaten von den zuständigen Behörden als Lebensmittel anerkannt ist. In Deutschland vertreibt sie ihr Erzeugnis als diätetisches Lebensmittel bereits seit mehr als zehn Jahren; daneben befindet sich eine Reihe von Konkurrenzprodukten auf dem Markt, so dass davon auszugehen ist, dass die Eigenschaften und die Modalitäten des Gebrauchs lactasehaltiger Produkte bei den Verbrauchern hinlänglich bekannt sind. Und schließlich haben sich die Beurteilungsgrundlagen aufgrund der immer umfangreicher werdenden Vermarktung von lactosefreien bzw. -armen Milch- und Joghurterzeugnissen entscheidend verändert.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr. 10, § 711 der Zivilprozessordnung.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil keiner der in § 132 Abs. 2 VwGO genannten Gründe vorliegt.

Ende der Entscheidung

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