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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg
Beschluss verkündet am 28.07.2006
Aktenzeichen: OVG 5 M 24.06
Rechtsgebiete: ZPO, VwGO, StAG, HAG, AuslG, StGB, BZRG


Vorschriften:

ZPO § 114
VwGO § 166
StAG § 12 a Abs. 1
StAG § 12 a Abs. 1 Satz 2
HAG § 21
AuslG § 88 Abs. 1
AuslG § 88 Abs. 1 Satz 2
StGB § 56 Abs. 2
BZRG § 45 Abs. 1
BZRG § 45 Abs. 3 Nr. 1
BZRG § 51 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OVG 5 M 24.06

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 5. Senat durch den Vorsitzenden Richter am Oberverwaltungsgericht Wolnicki und die Richter am Oberverwaltungsgericht Dahm und Dr. Raabe am 28. Juli 2006 beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin vom 20. April 2006 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

Gründe:

Die Beschwerde hat keinen Erfolg.

Das Verwaltungsgericht hat die Bewilligung von Prozesskostenhilfe zu Recht versagt. Die Klage, für die der Kläger Prozesskostenhilfe begehrt, bietet nicht die nach § 114 ZPO in Verbindung mit § 166 VwGO erforderliche hinreichende Aussicht auf Erfolg. Die Klage zielt auf die Verpflichtung des Beklagten, den Antrag des Klägers auf Einbürgerung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu bescheiden. Einen solchen Anspruch hat das Verwaltungsgericht in Anwendung von § 12 a Abs. 1 Staatsangehörigkeitsgesetz - StAG - und von § 21 des Gesetzes über die Rechtsstellung heimatloser Ausländer im Bundesgebiet - HAG - verneint, weil der Kläger zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt worden war.

Mit der Beschwerde greift der Kläger nur noch die Anwendung des § 12 a StAG durch das Verwaltungsgericht an und führt aus: Für Prozesskostenhilfe reichten offene Erfolgsaussichten der Klage aus. Diese lägen vor. Denn streitentscheidend sei die nach wie vor ungeklärte Grundsatzfrage, ob es die Vorschrift des § 12 a Abs. 1 Satz 2 StAG = § 88 Abs. 1 Satz 2 AuslG a.F. erlaube, im Rahmen einer umfassenden Ermessensentscheidung die allgemeine Voraussetzung der Nichtverurteilung wegen einer Straftat auch im Falle schwerer Straftaten außer Acht zu lassen. Auch das Bundesministerium des Innern vertrete die Rechtsauffassung, der Einbürgerungsbehörde stehe im Einzelfall immer die Möglichkeit einer positiven Ermessensentscheidung offen. Nach dem Beschluss der Innenministerkonferenz vom 5. Mai 2006 solle eine gesetzliche Änderung eingebracht werden, wonach bei höheren Strafen weiterhin Ausnahmen möglich sein sollten, wenn die Tat - wie im vorliegenden Fall - lange zurückliege. In dem angefochtenen Beschluss berufe sich das Verwaltungsgericht zu Unrecht auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 17. März 2004 - BVerwG 1 C 5.03 -, denn diese Entscheidung betreffe ausschließlich die inzwischen entfallene Vorschrift zur Jugendstrafe (§ 88 Abs. 2 AuslG a.F.). Schließlich widerspreche die dauerhafte Versagung der Einbürgerung dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz.

Das Beschwerdevorbringen ergibt für die Klage nach geltendem Recht keine Erfolgsaussicht. Entgegen der Auffassung des Klägers ist die Auslegung des § 12 a Abs. 1 Satz 2 StAG bereits anhand der im gleichen Kontext stehenden und gleichlautenden Vorschrift des § 88 Abs. 1 Satz 2 AuslG 1990 höchstrichterlich geklärt. Beide Vorschriften sind Teil von Bestimmungen, die den Anspruch auf Einbürgerung regeln. Nach der grundlegenden Vorschrift (§ 85 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 AuslG 1990 bzw. § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 StAG) setzt der Anspruch auf Einbürgerung u.a. voraus, dass der betreffende Ausländer "nicht wegen einer Straftat verurteilt worden ist". Als Ausnahme hierzu hat der Gesetzgeber in § 88 Abs. 1 AuslG bzw. § 12 a Abs. 1 StAG festgelegt:

"Nach § 85 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 [bzw. § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5] bleiben außer Betracht

1. die Verhängung von Erziehungsmaßregeln oder Zuchtmitteln nach dem Jugendgerichtsgesetz,

2. Verurteilungen zu Geldstrafe bis zu 180 Tagessätzen und

3. Verurteilungen zu Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten, die zur Bewährung ausgesetzt und nach Ablauf der Bewährungszeit erlassen worden ist [sind].

Ist der Ausländer zu einer höheren Strafe verurteilt worden, [so] wird im Einzelfall entschieden, ob die Straftat außer Betracht bleiben kann."

Aus Satz 1 ist zu ersehen, dass in Ausnahme von der Grundregel bestimmte jugendbezogene und andere Straftaten geringeren Gewichts einer Einbürgerung nicht entgegenstehen. Erziehungsmaßregeln und Zuchtmittel sind - verglichen mit der Jugendstrafe - die milderen Folgen einer Jugendstraftat und setzen deren geringere Schuld voraus (vgl. § 5 Abs. 1 und 2, § 17 Jugendgerichtsgesetz). Bei den in Nr. 2 und 3 benannten Strafen zeigt die obere Grenze der Geld- bzw. Freiheitsstrafe ebenfalls auf, dass eine Straftat mit geringerer Schuld vorangegangen ist, da Grundlage für die Zumessung der Strafe die Schuld des Täters ist (§ 46 Abs. 1 Satz 1 StGB). Bei den in Nr. 3 bezeichneten Freiheitsstrafen muss es sich zusätzlich um solche handeln, die zur Bewährung ausgesetzt und nach Ablauf der Bewährungszeit erlassen worden sind. Die Aussetzung zur Bewährung setzt die Erwartung voraus, dass der Verurteilte sich schon die Verurteilung zur Warnung dienen lassen und künftig auch ohne die Einwirkung des Strafvollzugs keine Straftaten mehr begehen wird (§ 56 Abs. 1 Satz 1 StGB). Soweit § 88 Abs. 1 Satz 2 AuslG und § 12 a Abs. 1 Satz 2 StAG über die bisher genannten Ausnahmen hinaus die Möglichkeit einer Einzelfallentscheidung selbst bei Verurteilung zu einer höheren Strafe eröffnen, sind für Freiheitsstrafen die Erfordernisse einer Strafaussetzung zur Bewährung und des - vollständigen - Erlasses der Strafe verblieben. Die Strafaussetzung zur Bewährung ist gemäß § 56 Abs. 2 StGB bei Freiheitsstrafen bis zu zwei Jahren möglich. Daraus folgt zugleich, dass für Freiheitsstrafen von mehr als zwei Jahren, sofern nicht die Rechtswirkungen der Tilgung gemäß § 51 Abs. 1 des Bundeszentralregistergesetzes - BZRG - eingreifen, eine Einzelfallentscheidung zu Gunsten einer Einbürgerung nicht in Betracht kommt.

Dementsprechend hat bereits der VGH Mannheim durch Urteil vom 12. September 2002 - 13 S 880/00 - <juris> entschieden, dass eine Ermessenseinbürgerung nach § 88 Abs. 1 Satz 2 AuslG 1990 ausgeschlossen ist, wenn der Einbürgerungsbewerber zu einer Freiheitsstrafe verurteilt worden ist, die nicht zur Bewährung ausgesetzt worden ist (Leitsatz 3 sowie RdNrn. 26, 35 - 41 m.w.N. und Auseinandersetzung mit Gegenstimmen). Das Bundesverwaltungsgericht ist dem in der Revisionsinstanz gefolgt (Urteil vom 17. März 2004 - 1 C 5.03 - NVwZ 2004, 997 [998]): "Zutreffend ist das Berufungsgericht zu dem Ergebnis gelangt, dass für eine Ermessensentscheidung nach § 88 Abs. 1 Satz 2 AuslG jedenfalls dann kein Raum ist - und zwar auch nicht im Wege der entsprechenden Anwendung -, wenn der Einbürgerungsbewerber zu einer Jugendstrafe ohne Bewährung verurteilt worden ist."

Die Auffassung des Klägers, die in Rede stehende Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts betreffe nur Jugendstrafen, lässt den Kontext der Entscheidung außer Acht, wie er vorstehend dargelegt ist. Die dauerhafte Versagung der Einbürgerung steht auch nicht im Widerspruch zum Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, den der Staat bei Eingriffen in Bürgerrechte zu beachten hat, während es sich bei der Ablehnung der Einbürgerung um die Nichtgewährung eines rechtlichen Vorteils handelt. Da der Kläger rechtskräftig zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt worden ist, kommt auch eine Nichtberücksichtigung der Freiheitsstrafe wegen Tilgung nicht in Betracht. Lebenslange Freiheitsstrafen werden gemäß § 45 Abs. 1 und 3 Nr. 1 BZRG nicht getilgt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, § 127 Abs. 4 ZPO. Einer Streitwertfestsetzung bedarf es wegen der gesetzlich bestimmten Festgebühr nicht.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Ende der Entscheidung

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