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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg
Beschluss verkündet am 26.02.2008
Aktenzeichen: OVG 6 L 40.07
Rechtsgebiete: SGB VIII, VwGO


Vorschriften:

SGB VIII § 71 Abs. 1 Nr. 2
SGB VIII § 75
SGB VIII § 75 Abs. 1 Nr. 3
SGB VIII § 75 Abs. 3
VwGO § 172 Satz 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OVG 6 L 40.07

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 6. Senat durch den Vorsitzenden Richter am Oberverwaltungsgericht Schultz-Ewert, die Richterin am Oberverwaltungsgericht Scheerhorn und den Richter am Oberverwaltungsgericht Dr. Oerke am 26. Februar 2008 beschlossen:

Tenor:

Auf die Beschwerde des Vollstreckungsschuldners wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin vom 23. August 2007 geändert.

Der Antrag des Vollstreckungsgläubigers vom 21. Februar 2007 wird abgelehnt.

Der Vollstreckungsgläubiger hat die Verfahrenskosten beider Rechtszüge zu tragen.

Gründe:

Das Verwaltungsgericht Berlin verpflichtete den Vollstreckungsschuldner mit rechtskräftigem Urteil vom 7. November 2003 - VG 17 A 467.00 -, den Vollstreckungsgläubiger als Träger der freien Jugendhilfe anzuerkennen. Mit Bescheid des (damals noch zuständigen) Landesjugendamts Berlin vom 9. Januar 2004 wurde der Gläubiger "als überbezirklich tätiger Träger der freien Jugendhilfe im Sinne von § 75 SGB VIII (Sozialgesetzbuch - Achtes Buch - Kinder- und Jugendhilfe -) anerkannt". Mit Schreiben vom 10. Dezember 2006 trat der Gläubiger an die Senatsverwaltung für Bildung, Wissenschaft und Forschung mit der Bitte um Klarstellung heran, dass seine Anerkennung in ihren Rechtswirkungen räumlich nicht beschränkt sei; es habe Schwierigkeiten bei der Erlangung von Fördermitteln für in Brandenburg wohnende Vereinsmitglieder und bei der dortigen Anerkennung als Träger der freien Jugendhilfe gegeben. Hierauf teilte ihm die Senatsverwaltung mit, dass die Anerkennung - wie in Berlin grundsätzlich üblich - auf das Gebiet des Landes beschränkt sei. Auf den Antrag des Vollstreckungsgläubigers vom 24. Februar 2007 hat das Verwaltungsgericht dem Vollstreckungsschuldner ein Zwangsgeld in Höhe von 2.000,- Euro für den Fall angedroht, dass dieser seiner Verpflichtung aus dem Urteil vom 7. November 2003 zur räumlich unbeschränkten Anerkennung des Gläubigers als Träger der freien Jugendhilfe nicht bis zum 31. Oktober 2007 nachkomme. Hiergegen wendet sich der Schuldner mit seiner Beschwerde.

Die Beschwerde hat Erfolg. Es bestehen bereits Bedenken gegen die Zulässigkeit des sinngemäß nach § 172 Satz 1 VwGO gestellten Vollstreckungsantrages. Der Gläubiger hat den Anerkennungsbescheid vom 9. Januar 2004 bestandskräftig werden lassen (vgl. § 58 Abs. 2 Satz 1 VwGO) und erst nach Ablauf von nahezu 3 Jahren Einwände gegen die örtliche Reichweite des Anerkennungsbescheids und insoweit im Hinblick auf eine nicht ausreichende Befolgung des Urteilsausspruchs vom 7. November 2003 erhoben. Dem war jedoch nicht weiter nachzugehen, denn der Vollstreckungsantrag ist jedenfalls unbegründet, weil der Vollstreckungsschuldner seiner Verpflichtung aus dem vorgenannten Urteil mit seinem Bescheid vom 9. Januar 2004 vollumfänglich nachgekommen ist.

Die aus einem Urteil folgende Verpflichtung ergibt sich aus dessen Tenor. Dieser enthält vorliegend lediglich die Verpflichtung, den Vollstreckungsschuldner "als Träger der freien Jugendhilfe" anzuerkennen. Bestehen Zweifel an Inhalt und Reichweite des Ausspruchs sind Tatbestand und tragende Entscheidungsgründe des Urteils heranzuziehen (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 15. Aufl., 2007, § 121 Rn. 18 und 21 a). Auch hieraus folgt hier jedoch nichts für die Bestimmung der konkreten Reichweite der Verpflichtung, denn Gegenstand des Klageverfahrens waren allein die umstrittenen fachlichen und personellen Voraussetzungen des Vollstreckungsgläubigers gemäß § 75 Abs. 1 Nr. 3 SGB VIII. Für das Gericht bestand folglich kein Anlass, Überlegungen zur räumlichen Reichweite der begehrten Anerkennung anzustellen und im Urteil hierzu Ausführungen zu machen.

Die räumlich beschränkte Reichweite der streitgegenständlichen Verpflichtung folgt indes aus Sinn und Zweck der Anerkennung als Träger der freien Jugendhilfe. Entgegen der Annahme im angefochtenen Beschluss ergibt die Auslegung des Gesetzes, dass sich die Rechtswirkungen einer Anerkennung nach § 75 SGB VIII grundsätzlich auf das Bundesland beziehen, dessen Behörde die Anerkennung ausgesprochen hat; denn - abgesehen von der gesetzlichen Anerkennung nach § 75 Abs. 3 SGB VIII - folgt die rechtlich beschränkte Wirkung der Anerkennung aus deren Bezug zum örtlichen Wirkungskreis des anzuerkennenden Trägers. So sind etwa bei einem nur örtlich begrenzt tätigen Träger geringere Anforderungen an dessen Beitrag zur Erfüllung von Aufgaben der Jugendhilfe zu stellen als bei einem überregional tätigen, der eine landesweite Anerkennung begehrt (vgl. Jans/Happe/Saurbier/Maas, Kinder- und Jugendhilferecht, 3. Aufl., Bd. 4, KJHG Erl. § 75 Rn. 16). Ein freier Träger, der nur auf örtlicher Ebene einen wesentlichen Beitrag zur Jugendhilfe leistet, kann demzufolge nicht beanspruchen, überörtlich anerkannt zu werden.

Entsprechendes gilt für die weiteren, der Anerkennung verbliebenen Rechtswirkungen (vgl. dazu Wiesner, SGB VIII, 3. Aufl., § 75 Rn. 1 und 3 ff.; Jans/Happe/Saurbier/ Maas, a.a.O., § 75 Rn. 2), die sich im Wesentlichen darauf beschränken, den Zugang zu einer bevorzugten partnerschaftlichen Zusammenarbeit mit den öffentlichen Jugendhilfeträgern (§ 4 Abs. 2, § 78, § 85 Abs. 2 Nr. 2 SGB VIII) und zu einer auf Dauer angelegten Förderung (§ 74 Abs. 1 Satz 2 SGB VIII) zu eröffnen sowie Mitwirkungs- und Beteiligungsrechte (vgl. § 71 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 4 Satz 1, § 76 Abs. 1, § 80 Abs. 3 SGB VIII) zu vermitteln. Auch im Bereich der institutionellen Förderung (§ 74 SGB VIII) wird die Anerkennung zwar in der Regel noch vorausgesetzt, diese vermittelt dem einzelnen Träger jedoch keinen unmittelbaren Anspruch auf Förderung (vgl. Wiesner, a.a.O., § 74 Rn. 3 und 24; Schellhorn, in: Schellhorn/Fischer/Mann, SGB VIII, 3. Aufl., § 75 Rn. 2, jeweils m.w.N.; vgl. zur früheren Rechtslage § 9 Abs. 1 des Gesetzes für Jugendwohlfahrt - JWG -, wonach die Anerkennung unabdingbare Voraussetzung einer Förderung war). Ein anerkannter Träger der freien Jugendhilfe kann demnach weder verlangen, in Landesteilen, in denen er nicht wirkt, an der Jugendhilfeplanung beteiligt noch institutionell gefördert zu werden. Für die Besetzung des Jugendhilfeausschusses folgt dies ausdrücklich aus § 71 Abs. 1 Nr. 2 SGB VIII. Diese im Recht der Kinder- und Jugendhilfe angelegte Verknüpfung zwischen örtlichem Wirkungskreis der Träger und Rechtswirkung der Anerkennung unterscheidet letztere von anderen, im angefochtenen Beschluss vergleichsweise herangezogenen begünstigenden Verwaltungsakten (asylrechtliche Anerkennung, Aufenthaltserlaubnis, Fahrerlaubnis, etc.), die sowohl bei den tatbestandlichen Voraussetzungen als auch in ihren Rechtswirkungen keinen vergleichbaren räumlichen Bezug aufweisen.

Soweit der angefochtene Beschluss zum Beleg der regelmäßig unbeschränkten (bundesweiten) Reichweite der Anerkennung nach § 75 SGB VIII auf Nr. 4.3 Satz 1 der "Grundsätze für die Anerkennung von Trägern der freien Jugendhilfe nach § 75 SGB VIII der Arbeitsgemeinschaft der Obersten Landesjugendbehörden vom 14.04.1994" verweist, wonach die "Rechtswirkungen einer Anerkennung grundsätzlich nicht räumlich begrenzt" seien, kann daraus mangels Rechtsnormqualität nichts abgeleitet werden, denn die Grundsätze können wegen der fehlenden Rechtssetzungskompetenz der vorerwähnten Arbeitsgemeinschaft lediglich Empfehlungen zur Herstellung einer einheitlichen Verwaltungspraxis sein und Anhaltspunkte für die Verwaltungspraxis geben (vgl. Jans/Happe/Saurbier/ Maas, a.a.O., § 75 Rn. 8). Die ständige Praxis des Beklagten besteht nach dessen Angaben jedoch darin, Anerkennungen nach § 75 SGB VIII auf das Gebiet des Landes Berlin zu beschränken, was der Gesetzeslage entspricht.

Der unter dem Briefkopf "Anerkannter Jugendhilfeträger nach § 75 SGB VIII" auftretende Vollstreckungsgläubiger hat auch keinen Anspruch darauf, ohne den Zusatz "als überbezirklich tätiger Träger" anerkannt zu werden, denn diese Formulierung enthält ihrem eindeutigen Wortlaut und ihrem rechtlichen Gehalt nach lediglich die tatsächlich und rechtlich zutreffende Feststellung, dass der Vollstreckungsgläubiger in mehreren Bezirken Berlins Leistungen der freien Kinder- und Jugendhilfe erbringt. Ob der Gläubiger mit Blick auf die eingeschränkte Reichweite und Bedeutung der Anerkennung die Voraussetzungen dafür in einem anderen Bundesland oder für eine außerhalb Berlins beantragte Förderung erfüllt, ist von der dort zuständigen Behörde zu beurteilen und nicht von der Anerkennungsentscheidung des Beklagten abhängig.

Die Kostenentscheidung für das gemäß § 188 Satz 2 VwGO gerichtskostenfreie Beschwerdeverfahren folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Ende der Entscheidung

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