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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg
Beschluss verkündet am 22.12.2006
Aktenzeichen: OVG 6 M 125.05
Rechtsgebiete: AsylbLG, VwGO, ZPO


Vorschriften:

AsylbLG § 1 Abs. 1 Nr. 4
AsylbLG § 1 a
AsylbLG § 1 a Nr. 1
VwGO § 87 a Abs. 2
VwGO § 87 a Abs. 3
VwGO § 166
ZPO § 114
ZPO § 118 Abs. 1 Satz 1
ZPO § 121
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OVG 6 M 125.05

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 6. Senat durch den Richter am Oberverwaltungsgericht Dr. Jobs am 22. Dezember 2006 beschlossen:

Tenor:

Der Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin vom 11. Oktober 2005 wird geändert. Dem Kläger wird Prozesskostenhilfe für den ersten Rechtszug bewilligt und ihm Rechtsanwalt J_____ beigeordnet.

Gründe:

I. Der Kläger ist ein jordanischer Staatsangehöriger, dessen Asylantrag rechtskräftig abgelehnt wurde (vgl. VG Berlin, Urteil vom 22. November 2002 - VG 34 X 72.02 -, OVG Berlin, Beschluss vom 2. April 2003 - OVG 3 N 52.03 -). Er hält sich im Bundesgebiet auf, weil seine Abschiebung vorübergehend ausgesetzt ist (Duldung). Aufgrund eines Bescheides vom 7. Oktober 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. Oktober 2004 gewährte der Beklagte dem Kläger nur noch reduzierte Leistungen nach § 1 a Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG), weil er der Ansicht ist, dass der Kläger sich ins Bundesgebiet begeben habe, um Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz zu erlangen. Das Verwaltungsgericht hat mit dem angegriffenen Beschluss den Antrag abgelehnt, dem Kläger Prozesskostenhilfe für seine Klage auf uneingeschränkte Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz zu gewähren. Der Kläger wendet sich mit der Beschwerde gegen diese Entscheidung des Verwaltungsgerichts.

II. Die Beschwerde des Klägers ist begründet. Der Kläger hat nach § 166 VwGO i.V.m. § 114 und 121 ZPO einen Anspruch auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung eines Rechtsanwalts für das erstinstanzliche Verfahren.

Die beabsichtigte Rechtsverfolgung im Verfahren der ersten Instanz bietet hinreichende Aussicht auf Erfolg (vgl. § 114 ZPO) und erscheint nicht mutwillig. Die gegenteilige Bewertung und Würdigung des Verwaltungsgerichts überspannt in diesem konkreten Einzelfall die Anforderung, welche an die Erfolgsaussicht der beabsichtigten Rechtsverfolgung zu stellen sind.

Die Prozesskostenhilfe soll das Gebot der Rechtsschutzgleichheit, das für das verwaltungsgerichtliche Verfahren aus Art. 3 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 19 Abs. 4 GG folgt, verwirklichen, indem sie Bemittelte und Unbemittelte in den Chancen ihrer Rechtsverfolgung gleichstellt. Da dieses Verfahren den grundgesetzlichen gebotenen Rechtsschutz nicht selbst bietet, sondern erst zugänglich macht, dürfen die Anforderungen insbesondere an die Erfolgsaussichten der beabsichtigten Rechtsverfolgung und den Vortrag der Beteiligten nicht überspannt werden. Insbesondere sollen im Prozesskostenhilfeverfahren keine strittigen Rechts- oder Tatsachenfragen geklärt werden. Die Prüfung der Erfolgsaussichten soll nicht dazu dienen, die Rechtsverfolgung selbst in das summarische Prozesskostenhilfeverfahren zu verlagern und dieses an Stelle des Hauptsacheverfahrens treten zu lassen (vgl. u.a. BVerfG, Beschlüsse vom 14. Juni 2006 - BvR 626/06 - und vom 14. Oktober 2003 - 1 BvR 901/03 -, http://www.bverfg.de m.w.N.).

Im Lichte dieser Anforderungen ist hier ein Erfolg in der Hauptsache ebenso wahrscheinlich wie ein Unterliegen. Die Anspruchseinschränkung des § 1 a AsylbLG setzt in der hier einschlägigen Alternative der Nr. 1 voraus, dass der nach § 1 Abs. 1 Nr. 4 AsylbLG unstreitig leistungsberechtigte Kläger sich in den Geltungsbereich des Asylbewerberleistungsgesetzes begeben hat, um Leistungen nach diesem Gesetz zu erlangen. Diese, auf den Fall eines Leistungsmissbrauchs abstellende Regelung verlangt, einen (finalen) Zusammenhang zwischen dem Einreiseentschluss und der Inanspruchnahme der Sozialleistungen im Sinne eines ziel- und zweckgerichteten Handelns, in der die Einreise das Mittel und die Inanspruchnahme der Sozialhilfe der damit verfolgte Zweck ist (vgl. u.a. VG Berlin, Beschluss vom 30. August 2000 - 6 A 377.00 -; Hailbronner, Ausländerrecht, B 12 Rdnr. 52 m.w.N der Rspr.). Das Erfordernis des Zusammenhangs zwischen dem Einreiseentschluss und der Inanspruchnahme der Sozialleistungen ist auch dann erfüllt, wenn die Einreise auf verschiedenen Motiven beruht, das Motiv der Inanspruchnahme der Sozialleistungen aber prägender Einreisegrund war (vgl. OVG Berlin, Beschluss vom 23. Juli 1999 - 6 SN 146.99/ 6 M 45.99 -). Daher bedarf es zur Klärung der Frage, ob von einer leistungsmissbräuchlichen Einreise des Ausländers auszugehen ist, einer umfassenden Prüfung der Umstände der Einreise. Dabei sind alle für und gegen eine leistungsmissbräuchliche Einreiseabsicht sprechenden Umstände des konkreten Einzelfalles zu würdigen, wobei der Kläger für die nur in sein Wissen gestellten Gründe für die Ausreise darlegungspflichtig ist. Er muss diese benennen und widerspruchsfrei sowie substantiiert darlegen, um dem Gericht die Möglichkeit zu geben, zu prüfen, ob etwa der Tatbestand des § 1 a Nr. 1 AsylbLG erfüllt ist. Bei einem non liquet geht der Beweisnachteil wegen des Ausnahmecharakters der Vorschrift des § 1 a AsylbLG zu Lasten des Beklagten (vgl. OVG Berlin, Beschluss vom 12. November 1999 - 6 SN 203.99 - FEVS 51, 267 m.w.N.).

Angesichts dessen bedarf es zur Klärung der Frage, ob von einer leistungsmissbräuchlichen Einreise im Fall des Klägers auszugehen ist, im gerichtlichen Verfahren einer näheren Sachverhaltsaufklärung, bei dem die persönliche Anhörung des Klägers zu den Gründen seiner Einreise sachgerecht erscheint. Vor dem Hintergrund, dass dieser im Verwaltungsverfahren angegeben hat, dass er nach Deutschland gekommen sei, um sein Leben zu schützen, erscheint die Richtigkeit seines Beschwerdevorbringens, wonach er bei seiner Einreise davon ausgegangen sei, dass er als Asylberechtigter anerkannt werde, also sein Einreisemotiv von der Vorstellung geprägt war, ihm sei aus humanitären Gründen Schutz zu gewähren, nicht ganz unwahrscheinlich. Der vom Verwaltungsgericht im Kern aufgeführte Umstand, dass die Asylklage des Klägers abgewiesen wurde, im Wesentlichen, weil der Kläger dort nicht glaubhaft gemacht hat, dass ihm in Jordanien mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung droht, reicht für sich genommen nicht aus, um positiv zu begründen, dass die Inanspruchnahme von Sozialleistungen Ziel und prägendes Motiv seiner Einreise gewesen sein soll. Auch die in das summarische Prozesskostenhilfeverfahren vorverlagerte und nicht näher begründete Einschätzung des Verwaltungsgerichts, wonach der Kläger "offenbar keine plausiblen Gründe für seine Ausreise aus Jordanien und seine Einreise in die Bundesrepublik Deutschland darlegen" könne, erscheint im Fall des Klägers ohne eine unzulässige Vorwegnahme der Beweiswürdigung und ohne Ausschöpfung der Erkenntnismöglichkeiten eines Hauptsacheverfahrens, in dem dem Kläger die Gelegenheit gegeben wird, die prägenden Gründe seiner Ausreise näher darzulegen, nicht mit hinreichender Sicherheit gewinnbar. Überdies hat das Verwaltungsgericht im angegriffenen Beschluss die für und gegen eine leistungsmissbräuchliche Einreiseabsicht sprechenden Umstände des konkreten Einzelfalls nicht näher gewürdigt und infolge dessen sich auch nicht mit dem Vorbringen des Klägers auseinandergesetzt, dass dieser bei seiner Einreise nicht mittellos war, sondern 500,00 DM bei sich gehabt habe. Auch vor dem Hintergrund, dass der Kläger vorgetragen hat, er habe vor seiner Ausreise im Herkunftsland ein Lebensmittelgeschäft betrieben, konnte das Verwaltungsgericht nicht ohne Weiteres davon ausgehen, dass die soziale Absicherung des Aufenthalts in der Bundesrepublik Deutschland prägendes Motiv für die Einreise des Klägers war. Auch der Vortrag des Klägers, wonach er am 22. Juni 1990 "besuchsweise" zu einem Freund nach Deutschland gereist sei und erst am 20. August 1990 einen Asylantrag gestellt habe, wird im Hinblick darauf, ob ein finaler Zusammenhang zwischen dem Einreiseentschluss und der Inanspruchnahme der Sozialleistungen besteht, zu würdigen sein. In diesem Zusammenhang könnte zu klären sein, ob im Rahmen des § 1 a Nr. 1 AsylbLG auf die Einreisemotivlage zum Zeitpunkt des "Begebens" in das Bundesgebiet oder in der hier gegebenen Fallkonstellation auf den Zeitpunkt "Bleibebeschlusses" i.S. einer Einreise auf Dauer abzustellen ist.

Der Kläger hat nach den eingereichten Unterlagen - bestätigt durch die aktuelle Mitteilung seines Bevollmächtigten vom 21. Dezember 2006 - auch glaubhaft gemacht, dass er nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen nicht in der Lage ist, die Kosten der Prozessführung aufzubringen.

III. Vorstehende Entscheidung konnte der Berichterstatter gemäß § 87 a Abs. 2 und 3 VwGO anstelle des Senats treffen, da der Kläger hierzu sein Einverständnis erklärt hat. Ein Einverständnis des Gegners des erstinstanzlichen Hauptsache- verfahrens bedurfte es nicht, da dieser nicht Beteiligter des Prozesskostenhilfebeschwerdeverfahrens ist. Bei dem Verfahren handelt es sich nämlich um ein der staatlichen Daseinsfürsorge zuzurechnendes nichtstreitiges Antragsverfahren, in dem sich - ungeachtet der Anhörung des Gegners zu den sachlichen Voraussetzungen für die Prozeßkostenhilfebewilligung gemäß § 166 i.V.m. § 118 Abs. 1 Satz 1 ZPO - als Beteiligte nur der um Prozeßkostenhilfe nachsuchende Antragsteller und das Gericht als Bewilligungsstelle gegenüberstehen (VGH Kassel, Beschluss vom 14. März 1991 - 13 TP 1571/90 - SVGH 41, 220, Stein/Jonas, ZPO, 22. Aufl., § 118 Rdnr. 7 m.w.N).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Ende der Entscheidung

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