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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg
Beschluss verkündet am 16.05.2006
Aktenzeichen: OVG 60 PV 16.05
Rechtsgebiete: PersVG Bln, BPersVG


Vorschriften:

PersVG Bln § 22 Abs. 1
PersVG Bln § 43 Abs. 1 Satz 3
BPersVG § 46 Abs. 3 Satz 2
1. Der bei Personalratswahlen geltende § 22 PersVG Bln (Anfechtungsfrist von zwei Wochen) ist auf die Geltendmachung der Unwirksamkeit einer Freistellungsentscheidung des Personalrats nicht entsprechend anwendbar.

2. Für die Frage, in welcher Weise bei einer Freistellungsentscheidung des Personalrats die Gruppen i.S.v. § 43 Abs. 1 Satz 3 PersVG Bln "angemessen" zu berücksichtigen sind, kann auf § 46 Abs. 3 Satz 2 BPersVG zurückgegriffen werden; danach sollen bei Freistellungen zunächst Vorstandsmitglieder zum Zuge kommen.


OVG 60 PV 16.05

In der Personalvertretungssache

hat der 60. Senat des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg - Fachsenat für Personalvertretungssachen des Landes Berlin - auf Grund der Sitzung vom 16. Mai 2006 durch den Vorsitzenden Richter am Oberverwaltungsgericht Wolnicki, die ehrenamtliche Richterin Treskow sowie die ehrenamtlichen Richter Sievert, Ludwig und Haendschke beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Der Gegenstandswert wird auf 4 000 € festgesetzt.

Gründe:

I.

Der Antragsteller, der Angehöriger und Vorstandsmitglied des Beteiligten zu 1) ist, begehrt die Feststellung, dass bei der Freistellung von Mitgliedern des Beteiligten zu 1) die Gruppe der Angestellten zu Unrecht nicht berücksichtigt worden sei.

Von den 645 bzw. - nach Auskunft des Beteiligten zu 2) - 632 Beschäftigten der Dienststelle gehören 543 bzw. 536 Angehörige zur Gruppe der Beamten, 72 bzw. 66 Angehörige zur Gruppe der Angestellten und 30 Angehörige zur Gruppe der Arbeiter. Der Beteiligte zu 1) besteht aus elf Mitgliedern, der sich aus acht Angehörigen der Gruppe der Beamten, zwei Angehörigen der Gruppe der Angestellten und einem Angehörigen der Gruppe der Arbeiter zusammensetzt. Auf Grund der Wahl vom 8. Dezember 2004 gehörten zunächst drei Mitglieder dem Vorstand des Beteiligten zu 1) an, und zwar je ein Angehöriger aus jeder Gruppe, darunter - wie erwähnt - der Antragsteller. Neben der Wahl der Vorstandsmitglieder beschloss der Beteiligte zu 1) am 8. Dezember 2004, zwei Freistellungen auszusprechen; davon entfiel eine auf den Vorsitzenden des Personalrats, den zur Gruppe der Beamten zählenden Herrn K_____, die zweite Freistellung entfiel auf das weitere (einfache) Mitglied des Beteiligten zu 1), den ebenfalls zur Gruppe der Beamten zählenden Herrn N_____. Der Antrag des Antragstellers, die zweite Freistellung einem Personalratsmitglied der Gruppe der Angestellten zugute kommen zu lassen, wurde mit sieben Nein-Stimmen bei vier Ja-Stimmen abgelehnt.

Am 9. Dezember 2004 beschloss der Beteiligte zu 1), den Vorstand auf fünf Personen zu erweitern. Nachgewählt wurden insoweit der bereits erwähnte, der Gruppe der Beamten zugehörige Herr N_____ sowie die der Gruppe der Angestellten zugehörige Frau M_____.

Am 13. Januar 2005 hat der Antragsteller das personalvertretungsrechtliche Beschlussverfahren eingeleitet und die Feststellung begehrt, dass der Beschluss des Beteiligten zu 1) vom 8. Dezember 2004 insoweit unwirksam sei, als bei der Freistellung die Gruppe der Angestellten nicht berücksichtigt worden sei. Die Beteiligten sind dem Antrag entgegengetreten. Der Beteiligte zu 1) hat insbesondere geltend gemacht, dass der Antrag bereits verfristet sei, weil vorliegend die sich aus § 22 Personalvertretungsgesetz Berlin (PersVG Bln) für Wahlanfechtungen ergebende Anfechtungsfrist von zwei Wochen verstrichen sei.

Das Verwaltungsgericht hat dem Antrag mit Beschluss vom 9. Mai 2005 entsprochen; der Beschluss des Beteiligten zu 1) vom 8. Dezember 2004 sei insoweit unwirksam, als bei der Freistellung die Gruppe der Angestellten nicht berücksichtigt worden sei. Zur Begründung hat es ausgeführt: Der Antrag sei zulässig. Eine Anfechtungsfrist von zwei Wochen nach § 22 PersVG Bln gelte vorliegend nicht, weil es sich bei einem Personalratsbeschluss über eine Freistellung nicht um eine Wahl, sondern um eine gerichtlich überprüfbare Ermessensentscheidung handele. Der Antrag sei auch begründet, weil die zweite, ebenfalls auf einen Angehörigen der Gruppe der Beamten entfallende Freistellung gegen § 43 Abs. 1 Satz 3 PersVG Bln verstoße, wonach bei der Freistellung die Gruppen angemessen zu berücksichtigen seien. Das Protokoll vom 8. Dezember 2004 enthalte keine sachlichen Erwägungen, warum die Gruppe der Angestellten insoweit nicht berücksichtigt worden sei. Durch den genannten § 43 Abs. 1 Satz 3 PersVG Bln solle freilich das das Personalvertretungsrecht beherrschende Gruppenprinzip gefestigt werden. Danach solle im Rahmen einer Freistellungsentscheidung möglichst jede Gruppe vertreten sein, zumal dann, wenn wie vorliegend das entsprechende Mitglied der nicht berücksichtigten Gruppe zugleich Vorstandsmitglied sei.

Gegen den erstinstanzlichen Beschluss hat der Beteiligte zu 1) rechtzeitig Beschwerde eingelegt. Er macht im Wesentlichen geltend, das Verwaltungsgericht habe verkannt, dass vorliegend die für Wahlanfechtungen geltende Zwei-Wochen-Frist des § 22 PersVG Bln greife. Dies zeige eine Parallele zum Betriebsverfassungsrecht, wo sich das Bundesarbeitsgericht für eine analoge Anwendung der entsprechenden Bestimmung für dortige Freistellungen ausgesprochen habe. Der Beteiligte zu 2) führt u.a. bekräftigend aus, entgegen der Auffassung des Antragstellers bestehe kein allgemeines Gebot, wonach Fristen aus Gründen der Rechtsklarheit ausdrücklich im Gesetzestext ausgewiesen sein müssten. In der Sache sei die Gruppe der Angestellten durch die Freistellungsentscheidung des Beteiligten zu 1) noch hinreichend angemessen berücksichtigt.

Der Beteiligte zu 1) beantragt,

den Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin vom 9. Mai 2005 zu ändern und den Antrag zurückzuweisen.

Der Antragsteller beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Er tritt der Beschwerde entgegen. Insbesondere könne § 22 PersVG Bln vorliegend nicht greifen. Dies mache der Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 4. Oktober 2005 (6 P 12/04) deutlich, wonach der für die Anfechtung der Personalratswahl geltende § 18 MitbestG SH auf die Wahl des Personalratsvorstandes nicht entsprechend anzuwenden sei.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

II.

Die Beschwerde des Beteiligten zu 1) bleibt ohne Erfolg.

Der Feststellungsantrag ist zulässig. Entgegen der Ansicht der Beteiligten zu 1) und 2) ist § 22 Abs. 1 PersVG Bln vorliegend nicht anwendbar. Nach dieser die Wahlanfechtung betreffenden Bestimmung kann die Wahl des Personalrats oder einer Gruppe von mindestens drei Wahlberechtigten, jeder in der Dienststelle vertretenen Gewerkschaft oder dem Leiter der Dienststelle binnen einer Frist von zwei Wochen, vom Tage der Bekanntgabe des Wahlergebnisses an gerechnet, beim Verwaltungsgericht angefochten werden, wenn gegen wesentliche Vorschriften über das Wahlrecht, die Wählbarkeit oder das Wahlverfahren verstoßen worden und eine Berichtigung nicht erfolgt ist, es sei denn, dass durch den Verstoß das Wahlergebnis nicht geändert oder beeinflusst werden konnte. Wie das Verwaltungsgericht zutreffend festgestellt hat, ist § 22 PersVG Bln auf die Geltendmachung der Unwirksamkeit eines Beschlusses des Personalrats, in dem festgelegt wurde, für welche seiner Mitglieder eine Freistellung gemäß § 43 Abs. 1 PersVG Bln beantragt werden solle, weder unmittelbar noch entsprechend anwendbar, weil es sich bei einem solchen Beschluss nicht um einen Wahlakt handelt, sondern um eine gerichtlich überprüfbare Ermessensentscheidung. Dazu hat das Verwaltungsgericht zu Recht bereits auf die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 15. Mai 1991 (6 P 15.89, PersR 1991, 411) hingewiesen, wonach bereits die Geltendmachung der Unwirksamkeit der Wahl eines Vorstandsmitglieds nicht der Ausübung eines regelmäßig zeitlich begrenzten Anfechtungsrechts entspreche (BVerwG, a.a.O., S. 412). Wie das Bundesverwaltungsgericht jüngst in seinem Beschluss vom 4. Oktober 2005 (6 P 12/04, in juris) entschieden hat, ist die die Wahlanfechtung betreffende Bestimmung des § 18 MitbestG SH (auch) auf die Wahl des Vorstands des Personalrats nicht entsprechend anwendbar. Dazu hat das Bundesverwaltungsgericht auf seine entsprechende langjährige Rechtsprechung hingewiesen und ausgeführt, es sei davon auszugehen, dass dem Schleswig-Holsteinischen Landesgesetzgeber diese langjährige und gefestigte Rechtsprechung bekannt gewesen sei und er sie in seinen Regelungswillen aufgenommen habe; schon von daher verbiete es sich, für den Bereich des Schleswig-Holsteinischen Mitbestimmungsgesetzes von einer planwidrigen Lücke auszugehen, wie sie das Bundesarbeitsgericht für den Bereich des Betriebsverfassungsgesetzes zu betriebsratsinternen Wahlen angenommen habe (BVerwG, a.a.O., juris, RdNr. 15 des Ausdrucks). Dies gilt freilich entsprechend - und zwar erst recht - für eine bloße Freistellungsentscheidung des Personalrats, die sich, wie erwähnt, noch nicht einmal als Wahl darstellt. Wie der Antragsteller im Anhörungstermin vor dem Senat zutreffend ausgeführt hat, war auch das Berliner Personalvertretungsgesetz in der Vergangenheit einer Vielzahl von Änderungen unterworfen, ohne dass der Landesgesetzgeber Veranlassung gesehen hätte, § 22 PersVG Bln auf den hier inmitten stehenden Sachverhalt für anwendbar zu erklären. Schon von daher kann entgegen der Sicht des Beteiligten zu 1) nicht von einer diesbezüglichen Regelungslücke ausgegangen werden. Soweit der Beteiligte zu 2) in diesem Zusammenhang geltend macht, es bestehe kein allgemeines Gebot, wonach Fristen aus Gründen der Rechtsklarheit ausdrücklich im Gesetzestext ausgewiesen sein müssten, verkennt er, dass eine entsprechende Anwendung des § 22 Abs. 1 PersVG Bln im vorliegenden Falle zu einer Einschränkung des gerichtlichen Rechtsschutzes aus Art. 19 Abs. 4 GG führen würde, die nach dem allgemeinen Grundsatz vom Vorbehalt des Gesetzes freilich nur auf Grund einer (dafür geschaffenen) gesetzlichen Regelung zulässig wäre. Im Übrigen besteht für die entsprechende Anwendung der Ausschlussfrist aus § 22 Abs. 1 PersVG Bln auch kein Bedürfnis, wie es entsprechend für Wahlen des Personalrats gegeben ist, so dass es auch an einer Vergleichbarkeit der betreffenden Sachverhalte und damit an einer weiteren Voraussetzung für die von dem Beteiligten zu 1) geltend gemachte Analogie fehlt. Bei einer Personalratswahl soll baldmöglichst über das ordnungsgemäße Zustandekommen des Personalrats Klarheit bestehen, weil dessen Bestand und Arbeitsfähigkeit durch die Wahlanfechtung insgesamt in Frage gestellt werden. Geht es wie hier freilich um die Rechtmäßigkeit einer bloßen Freistellungsentscheidung, sind Arbeitsfähigkeit oder gar Bestand des Personalrats nicht in Frage gestellt.

Der Feststellungsantrag ist auch begründet. Der Beschluss des Beteiligten zu 1) vom 8. Dezember 2004 verstößt hinsichtlich der Auswahl eines (weiteren) Zugehörigen der Gruppe der Beamten auch für die zweite Freistellung gegen § 43 Abs. 1 Satz 3 PersVG Bln, wonach bei der Freistellung die Gruppen angemessen zu berücksichtigen sind. Insoweit folgt der Senat den Gründen der angefochtenen Entscheidung (vgl. § 91 Abs. 2 PersVG Bln, § 87 Abs. 2 und 69 Abs. 2 ArbGG) und weist nur ergänzend auf Folgendes hin: Soweit § 43 Abs. 1 Satz 3 PersVG Bln für die Frage, in welcher Weise die Gruppen "angemessen" zu berücksichtigen sind, keine weitere Regelung enthält, spricht nichts dagegen, vor dem Hintergrund des in dem erstinstanzlichen Beschluss zu Recht hervorgehobenen Minderheitenschutzes und des Gruppenprinzips auf den Gedanken des § 46 Abs. 3 Satz 2 Bundespersonalvertretungsgesetz (BPersVG) zurückzugreifen. Nach dieser Bestimmung hat der Personalrat bei der Auswahl der freizustellenden Mitglieder zunächst die nach § 32 Abs. 1 BPersVG gewählten Vorstandsmitglieder, sodann die nach § 33 BPersVG gewählten Ergänzungsmitglieder und schließlich weitere Mitglieder zu berücksichtigen; der Regelung ist also zu entnehmen, dass bei Freistellungen zunächst Vorstandsmitglieder zum Zuge kommen sollen. Das ergibt sich im Übrigen auch aus dem sachlichen Gesichtspunkt, dass ein Vorstandsmitglied stärker in die Geschäfte des Personalrats eingebunden ist und insoweit stärker belastet ist als ein einfaches Mitglied; das lässt es gerechtfertigt erscheinen, zunächst diesem und erst dann dem einfachen Personalratsmitglied die fragliche Freistellung zukommen zu lassen. Hiergegen hat der Beteiligte zu 1) verstoßen, denn im Zeitpunkt der Freistellungsentscheidung vom 8. Dezember 2004 war der zur Gruppe der Beamten zählende Herr N_____, auf den die zweite Freistellung entfallen war, lediglich einfaches Mitglied des Beteiligten zu 1), während der Antragsteller selbst Vorstandsmitglied war. An dem Verstoß gegen § 43 Abs. 1 Satz 3 PersVG Bln hat sich auch im Nachhinein nichts dadurch geändert, dass einen Tag nach der angegriffenen Freistellungsentscheidung - am 9. Dezember 2004 - der vorerwähnte Herr N_____ in den Vorstand des Beteiligten zu 1) nachgewählt worden ist. Denn zugleich ist auch eine weitere Angehörige aus der Gruppe der Angestellten, Frau M_____, in den Vorstand nachgewählt worden. Obwohl seither also zwei Angehörige der Gruppe der Angestellten im Vorstand tätig waren, ist es dabei geblieben, dass beide ausgesprochenen Freistellungen ausschließlich den beiden Mitgliedern der Gruppe der Beamten und damit unter Verstoß gegen § 43 Abs. 1 Satz 3 PersVG Bln nur dieser Gruppe zugute gekommen sind.

Einen Ausspruch über die Zulassung bzw. Nichtzulassung der Rechtsbeschwerde, der im Tenor versehentlich unterblieben ist, haben die Beteiligten innerhalb der dafür vorgesehenen Frist von zwei Wochen ab Verkündung (vgl. § 91 Abs. 2 PersVG Bln i.V.m. § 64 Abs. 3 a Satz 2 ArbGG entspr.) trotz entsprechenden Hinweises nicht beantragt; ein entsprechendes Rechtsmittel wäre hiernach unzulässig (vgl. Gk-ArbGG/Leinemann/Senne, Bd. 3, Std. Februar 2004, § 92 ArbGG RdNr. 12).

Der Gegenstandwert ergibt sich aus § 22 Abs. 3 Satz 2 RVG.

Ende der Entscheidung

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