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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg
Beschluss verkündet am 15.06.2006
Aktenzeichen: OVG 8 S 39.06
Rechtsgebiete: VwVfG, deutsch-vietnamesisches Rückübernahmeabkommen, GG, UN-Konvention für Sondermissionen


Vorschriften:

VwVfG § 14 Abs. 1
VwVfG § 14 Abs. 4
deutsch-vietnamesisches Rückübernahmeabkommen Art. 6 Abs. 3
GG Art. 25
UN-Konvention für Sondermissionen Art. 1 lit. a
UN-Konvention für Sondermissionen Art. 29
UN-Konvention für Sondermissionen Art. 31
UN-Konvention für Sondermissionen Art. 41
Bei der Identitätsprüfung zur Feststellung der vietnamesischen Staatsangehörigkeit gemäß Art. 6 des deutsch-vietnamesischen Rückübernahmeabkommens hat der betroffene Ausländer keinen Anspruch nach § 14 Abs. 1 und 4 VwVfG auf Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten.
OVG 8 S 39.06

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 8. Senat durch ... am 15. Juni 2006 beschlossen:

Tenor:

Der Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin vom 9. Mai 2006 wird mit Ausnahme der Streitwertfestsetzung geändert.

Der Antrag des Antragstellers, die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid des Antragsgegners vom30. März 2006wiederherzustellen und anzuordnen, wird insgesamt abgelehnt.

Der Antragssteller trägt die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge.

Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 2 500 € festgesetzt.

Gründe:

I.

Der im Jahre 1988 zur Berufsausübung in die DDR eingereiste vietnamesische Antragsteller wurde wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln durch unanfechtbar gewordenen Bescheid vom 20. August 1993 gemäß § 47 Abs. 2 Nr. 2 AuslG ausgewiesen und ist deshalb ausreisepflichtig. Die Ausreisepflicht konnte nicht durchgesetzt werden, weil er seit Januar 1996 unbekannten Aufenthaltes und das bei den vietnamesischen Behörden gestellte Rücknahmeersuchen erfolglos war. Gegen Ende des Jahres 2003 tauchte der Antragsteller in Steinfurt auf. Daraufhin erneut angestellte Bemühungen, für ihn Passersatzpapiere zu beschaffen, blieben erfolglos. Sein Aufenthalt wurde anschließend ab 3. Januar 2005 unter wiederholter Verlängerung geduldet. Gleichzeitig wurde der Antragsteller vergeblich aufgefordert, bei der Botschaft einen Pass zu beantragen und darauf hingewiesen, dass eine Vorführung dort auch zwangsweise erfolgen könne. Zur Ausstellung von Passersatzpapieren kam es bisher nicht, da die vom Antragsteller angegebenen Personalien von den vietnamesischen Behörden nicht bestätigt wurden. Bemühungen um die Ausstellung eines Passes hat der Antragsteller nicht nachgewiesen.

Mit Bescheid vom 30. März 2006, in der Fassung der Antragserwiderung vom 8. Mai 2006, wurde der Antragsteller unter Androhung unmittelbaren Zwanges aufgefordert, am 11. Mai 2006, 7.30 Uhr, ohne den von ihm bevollmächtigten Anwalt und einen für dessen Verständnis erforderlichen Dolmetscher zu einer Identitätsprüfung im Dienstgebäude der Ausländerbehörde persönlich zu erscheinen. Von dort sollte er zum Dienstgebäude der Bundespolizeiabteilung Blumberg in Ahrensfelde gebracht, um von Vertretern seiner Heimatbehörde angehört zu werden. Hinsichtlich des persönlichen Erscheinens des Antragstellers wurde die sofortige Vollziehung angeordnet.

Der Antragsteller hat dieser Anordnung nicht entsprochen, sondern Klage erhoben und Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO gestellt.

Das Verwaltungsgericht hat dem Antrag teilweise entsprochen, nämlich die aufschiebende Wirkung der Klage insoweit wiederhergestellt und angeordnet, als für die vorgesehene Identitätsprüfung die Anwesenheit eines Rechtsanwalts und Dolmetschers ausgeschlossen und zur Durchsetzung der Teilnahmepflicht an einem derart gestalteten Termin unmittelbarer Zwang angedroht wird. Es hat seine Entscheidung im Wesentlichen darauf gestützt, dass diese Beschränkung gegen die das Anwesenheitsrecht des Bevollmächtigten bei Anhörungen gewährleistende Vorschrift des § 14 Abs. 1 und 4 VwVfG verstoße. Deren Anwendbarkeit könne nicht deshalb verneint werden, weil die Identitätsprüfung durch vietnamesische Staatsbedienstete vorgenommen werde. Die Befragung bleibe auch dann Teil eines von deutschen Behörden durchgeführten Verwaltungsverfahrens, wenn ausländische Staatsbedienstete wegen ihrer Sachkunde für die Identitätsprüfung herangezogen würden. - Im Übrigen sei der Antrag unbegründet.

Dagegen hat der Antragsgegner insoweit Beschwerde eingelegt, als das Verwaltungsgericht dem Begehren des Antragstellers auf Wiederherstellung und Anordnung der aufschiebende Wirkung stattgegeben hat.

II.

Die Beschwerde des Antragsgegners ist zulässig.

Das Rechtsschutzbedürfnis für die Beschwerde ist nicht etwa deshalb entfallen, weil der Antragsteller nicht die Gelegenheit wahrgenommen hat, freiwillig an dem Identitätsprüfungstermin vom 11. Mai 2006, 7.30 Uhr, teilzunehmen. Dies hat lediglich zur Folge, dass gegen ihn nunmehr bei einem entsprechenden künftigen Termin, der nach den Angaben des Antragsgegners, an denen zu zweifeln kein Anlass besteht, in naher Zukunft stattfinden soll, alsbald unmittelbarer Zwang ausgeübt werden kann, um seine Vorführung zur Identitätsprüfung zu gewährleisten.

Die Beschwerde ist auch begründet.

Prüfungsgegenstand im Beschwerdeverfahrens ist, da nur der Antragsgegner das Rechtsmittel eingelegt hat, der Ausschluss der Teilnahme des Verfahrensbevollmächtigten des Antragstellers und eines für diesen erforderlichen Dolmetschers an der Identitätsprüfung durch vietnamesische Staatsbedienstete und die Androhung unmittelbaren Zwangs zur Durchsetzung der Teilnahme an einem derart ausgestalteten Identitätsprüfungsverfahren.

Der Senat teilt nicht die Auffassung des Verwaltungsgerichts, die vorgenannte Prüfung sei Teil eines von den deutschen Behörden durchgeführten Verwaltungsverfahrens zur Durchsetzung der Ausreisepflicht des Antragstellers mit der Folge, dass sie sich nach dem deutschen Verwaltungsverfahrensgesetz (§ 1 Abs. 1 BlnVwVfG, § 1 Abs. 3 VwVfG) richtet, so dass § 14 Abs. 1 und 4 VwVfG anwendbar wäre.

Dagegen spricht namentlich Art. 6 Abs. 1 des deutsch-vietnamesischen Rückübernahmeabkommens vom 21. Juli 1995 - BGBl. II 1995, S. 744 - (Abkommen). Danach dient die Anhörung der rückzuführenden Personen, deren vietnamesische Staatsangehörigkeit nicht durch die in Art. 5 Abs. 1 des Abkommens genannten Dokumente nachgewiesen oder durch die in Abs. 2 dieser Vorschrift aufgezählten Urkunden glaubhaft gemacht werden kann, der Feststellung der vietnamesischen Staatsangehörigkeit der betroffenen Person. Als Anhaltspunkte bei der Feststellung der Staatsangehörigkeit können Zeugenaussagen, eigene Angaben des Betroffenen und dessen Sprache in Betracht kommen (Art. 6 Abs. 3 Satz 1 des Abkommens). Auf Grund dieser Angaben werden die vietnamesischen Behörden das Vorliegen der vietnamesischen Staatsangehörigkeit überprüfen und den zuständigen Behörden das Ergebnis mitteilen (Art. 6 Abs. 3 Satz 2 des Abkommens). Es fehlt an jeglichen Anhaltspunkten dafür, dass die vietnamesischen Behörden bei der Feststellung der vietnamesischen Staatsangehörigkeit sich deutschen, ihnen unbekannten verfahrensrechtlichen Vorschriften unterwerfen wollten, auch wenn sie Ausfluss des Rechtsstaatsprinzips sind.

Diese Wertung wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass die der Feststellung der vietnamesischen Staatsangehörigkeit dienende Anhörung aus organisatorischen Zweckmäßigkeitsgründen nicht in einer diplomatischen Vertretung, sondern hier in Räumen einer deutschen Behörde stattfindet. Auch in diesen Fällen handelt es sich, wie die Bundesregierung in ihrer Antwort auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Volker Beck und anderer ausgeführt hat (BT-Drs. 16/339 vom 4. Januar 2006, S. 4 unter Nr. 12) bei einer Anhörung zur Feststellung der vietnamesischen Staatsangehörigkeit um ein ausländisches Verwaltungsverfahren, das naturgemäß nicht deutschem Verwaltungsverfahrensrecht unterliegen kann. Durch die Anwesenheit eines Beamten der Bundespolizei, der sich der Hilfe eines Dolmetschers bedienen kann, wird gewährleistet, dass bei solchen Anhörungen die nach deutschem Recht gebotenen Mindeststandards eingehalten werden.

Die Auffassung, dass es sich bei der durch vietnamesische Staatsbedienstete durchgeführten Identitätsprüfung zur Feststellung der vietnamesischen Staatsangehörigkeit nicht um ein den deutschen verwaltungsverfahrensrechtlichen Vorschriften unterliegendes Verfahren handelt, wird schließlich durch den völkerrechtlichen Status der vietnamesischen Beamten, die in Deutschland dieses Verfahren durchführen, bestätigt. Ihr Aufenthalt wird von der Bundesregierung (vgl. BT-Drs., a. a. O, S 3, letzter Absatz) als von der deutschen Seite (mit-)veranlasste zwischenstaatliche Sondermission mit zeitlich begrenztem Auftrag betrachtet, auf den die UN-Konvention für Sondermissionen (vgl. Art. 1 lit. a) der Convention on Special Missions vom 8. Dezember 1969) anwendbar ist. Diese Konvention, die Deutschland bisher nicht unterzeichnet hat, wird ihrem wesentlichen Inhalt nach von der Bundesregierung als Völkergewohnheitsrecht anerkannt und angewendet (vgl. dazu Herdegen in Maunz/Dürig/Herzog, Grundgesetz, Komm, Stand August 2000, Art 25 Rn. 23 ff.; Rojahn in von Münch/Kunig, Grundgesetz, Komm., 5. Aufl. 2001, Art 25 Rn. 6 ff.). Als solches ist sie Bestandteil des Bundesrechts und geht einfachen Gesetzen im Range vor. Den an der Sondermission beteiligten vietnamesischen Beamten steht danach zumindest Amtshandlungsimmunität und persönliche Unverletzlichkeit zu (Art. 29, 31 und 41 der Konvention). Dass sie die Gesetze des aufnehmenden Staates zu respektieren haben (Art. 47 der Konvention) bedeutet im vorliegenden Fall nicht, dass sie ihr Verfahren zur Feststellung der vietnamesischen Staatsangehörigkeit nach den Vorschriften des deutschen Verwaltungsverfahrensgesetzes durchführen müssen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 3 Nr. 2 i.V.m. § 52 Abs.2, § 47 Abs. 1 des Gerichtskostengesetzes - GKG - .

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

Ende der Entscheidung

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