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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg
Beschluss verkündet am 08.09.2005
Aktenzeichen: OVG 9 S 17.05
Rechtsgebiete: VwGO, BbgWG, VwVfGBbg


Vorschriften:

VwGO § 80 Abs. 1
VwGO § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4
VwGO § 80 Abs. 5
VwGO § 80 Abs. 7 Satz 2
VwGO § 146
VwGO § 147
BbgWG § 116
BbgWG § 116 Abs. 1
BbgWG § 116 Abs. 1 Satz 1
BbgWG § 116 Abs. 2
BbgWG § 120
VwVfGBbg § 75 Abs. 1 Satz 2
VwVfGBbg § 75 Abs. 2 Satz 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OVG 9 S 17.05

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 9. Senat des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg durch den Vorsitzenden Richter am Oberverwaltungsgericht Schmidt und den Richter am Oberverwaltungsgericht Lehmkuhl und die Richterin am Oberverwaltungsgericht Gaube am 8. September 2005 beschlossen:

Tenor:

Der Beschluss des Verwaltungsgerichts Frankfurt (Oder) vom 24. November 2004 wird mit Ausnahme der Streitwertfestsetzung geändert.

Die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragsteller vom 4. September 2003 - 7 K 1646.03 - gegen die Bescheide des Antragsgegners vom 1. und 4. August 2003 wird wiederhergestellt .

Der Antragsgegner und die Beigeladene tragen die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge je zur Hälfte.

Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 2.500,00 EUR festgesetzt.

Gründe:

Die nach §§ 146, 147 VwGO zulässige Beschwerde ist begründet.

Die Antragsteller haben dargelegt, dass die Begründung des Verwaltungsgerichts - es fehle an dem für ein Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes erforderlichen Rechtsschutzbedürfnis - die Ablehnung ihres Antrages auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage nach § 80 Abs. 5 VwGO nicht trägt (§ 146 Abs. 4 Satz 3 und 6 VwGO). Insoweit gilt in Bezug auf die hier den Streitgegenstand in der Hauptsache bildenden auf der Grundlage von § 116 BbgWG erlassenen Duldungsverfügungen nichts anderes, als der Senat im Zusammenhang mit der "Plangenehmigung" ausgeführt hat (vgl. Beschluss vom heutigen Tage in dem Verfahren OVG 9 S 19.05).

Wird die Begründung des angefochtenen Beschlusses demnach entscheidungserheblich erschüttert, ist eine von der Beschwerdebegründung unabhängige Prüfung des Rechtschutzantrages auf der Grundlage der Interessenslage im Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung durchzuführen (Beschluss des Senats vom 1. August 2005 - 9 S 2.05). Hiernach hat der auf die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage gerichtete Antrag Erfolg.

Die im Rahmen dieses Begehrens durch das angerufene Gericht vorzunehmende, entgegen der Ansicht der Beteiligten von der behördlichen Interessenabwägung i.S.d. § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO unabhängige Interessenabwägung geht zu Lasten des Antragsgegners aus.

Es ist bereits nicht unzweifelhaft, ob die auf § 116 BbgWG gestützten Duldungsverfügungen rechtmäßig sind. Nach § 116 Abs. 1 BgbWG können zugunsten eines Unternehmens der Be- oder Entwässerung, der Wasserversorgung oder der Abführung von Abwasser u.a. die Eigentümer und Nutzungsberechtigten der zur Durchführung des Unternehmens erforderlichen Grundstücke verpflichtet werden, das ober- und unterirdische Durchleiten von Wasser und Abwasser (sowie damit in Verbindung stehende weiter aufgezählte Maßnahmen) zu dulden. Ungeachtet der Tatsache, dass insoweit nach § 120 BbgWG eine Schadensausgleichspflicht besteht, ist die Ausübung des Zwangsrechts nach § 116 Abs. 1 BbgWG nach den näheren Maßgaben des § 116 Abs. 2 BgbWG daran gebunden, dass die betreffende Duldung wasserwirtschaftlich erforderlich ist (vgl. Breuer, Öffentliches und privates Wasserrecht, 2. Aufl. 1987, S. 368 mit Nachweisen zur Rechtsprechung in verschiedenen Bundesländern). Käme es für den Fortbestand der Rechtmäßigkeit einer solchen Duldungsverfügung auch auf ein Fortbestehen dieser wasserwirtschaftlichen Erforderlichkeit an, könnte nach dem Scheitern des Projekts "Chipfabrik" zweifelhaft sein, ob die Voraussetzungen des § 116 Abs. 2 BbgWG und damit die Rechtmäßigkeit der Duldungsverfügungen im Zeitpunkt der hier zu treffenden Gerichtsentscheidung noch zu bejahen sind. Dies gilt vorbehaltlich der Frage, ob es wegen der hier vorliegenden Drittanfechtung der "Plangenehmigung", der möglicherweise rechtsgestaltenden Wirkung der Duldungsverfügungen und des Umstandes, dass § 116 Abs. 1 Satz 1 BbgWG der Behörde Ermessen einräumt, für die materiell-rechtliche Beurteilung nur auf den Zeitpunkt des Erlasses der Verfügungen ankommt. Die Duldungsverfügungen könnten unverhältnismäßig geworden sein, weil die Wasserfernleitungen nach dem Scheitern der Chipfabrik in absehbarer Zeit nicht in Betrieb genommen werden (vgl. § 116 Abs. 2 BbgWG). Hierbei wäre zu klären, in welchem Verhältnis die "Plangenehmigung" und die Duldungsverfügungen stehen. Denn der "Plangenehmigung" kommen nach § 75 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Satz 1 VwVfGBbg (i.V.m. § 74 Abs. 6 Satz 2 HS 1 VwVfGBbg, sofern es sich trotz des von dem Antragsgegner gewählten Verfahrens um eine Plangenehmigung i.S.d. § 75 Abs. 6 VwVfGBbg handeln sollte) Gestaltungs- und Duldungswirkung zu, mit der Folge, dass öffentlich- und privatrechtliche Abwehransprüche ausgeschlossen sind (Kopp/Ramsauer, VwVfG, Kommentar, 8. Auflage 2003, § 75 RN 9 und 10; zu § 31 WHG: Sieder-Zeitler-Dahme, Wasserhaushaltsgesetz und Abwasserabgabengesetz, Kommentar, 29. EL Dezember 2004, § 31 RN 358 c).

Sollte die sofortige Vollziehbarkeit der Duldungsverfügungen von der sofortigen Vollziehbarkeit der Plangenehmigung abhängig sein, so könnte im Übrigen schon deshalb die Anordnung der sofortigen Vollziehung der Duldungsverfügungen rechtswidrig geworden sein, weil aufgrund der stattgebenden Entscheidung des Senats vom heutigen Tage in dem Verfahren OVG 9 S 19.05 die "Plangenehmigung" nicht sofort vollziehbar ist.

All dies ist jedoch der Prüfung im Hauptsacheverfahren vorzubehalten. Es kann letztendlich offen bleiben, ob die Duldungsverfügungen trotz der bestehenden Bedenken rechtmäßig sind. Denn auch wenn die Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes bei der Interessenabwägung zu berücksichtigen ist, so vermag sie das davon zu trennende besondere Interesse gerade an der sofortigen Vollziehung des betreffenden Verwaltungsaktes nicht ohne weiteres zu ersetzen, weil die nach § 80 Abs. 1 VwGO eintretende aufschiebende Wirkung von der Frage der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes nicht abhängig ist. Erschöpft sich das öffentliche oder das Interesse eines Beteiligten im sogenannten Erlassinteresse, d. h. dem Interesse an der Befolgung des betreffenden Verwaltungsaktes, ist regelmäßig für die Anordnung der sofortigen Vollziehung kein Raum. Eine Deckung eines anzuerkennenden Vollzugsinteresses mit dem Erlassinteresse kommt nur in Betracht, wenn bereits das Erlassinteresse eine besondere Dringlichkeit aufweist, die ein Abwarten der Entscheidung über die Klage unzumutbar macht. Dies ist hier weder dargetan noch sonst ersichtlich. Das vom Antragsgegner für die Anordnung des Sofortvollzuges als maßgeblich bezeichnete besondere Interesse, auch soweit es dabei um ein öffentliches Interesse i.S.d. § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO geht, wurde allein in der für Februar 2004 geplanten Produktionsaufnahme der Chipfabrik, den vertraglichen Bindungen der Beigeladenen und der sich daraus ergebenden "Terminkette" gesehen. Indes scheiterte das von der Chipfabrik verfolgte Projekt nach Erlass der "Plangenehmigung" und der Duldungsverfügungen. Seitdem wird nach einem neuen Investor gesucht, was bislang aber erfolglos geblieben ist. Damit ist, wie die Antragsteller zu Recht meint, das bei Erlass der "Plangenehmigung" und der Duldungsverfügungen etwa bestehende überwiegende Vollzugsinteresse entfallen.

Entgegen der Ansicht des Antragsgegners und der Beigeladenen begründet der Umstand, dass die "plangenehmigte" Wasserfernleitung das gesamte Gebiet des Bebauungsplanes "Am Großen Dreieck" mit Brauchwasser versorgen soll und neue Investoren gesucht werden, kein über das bloße Interesse am Erlass der "Plangenehmigung" und der Duldungsverfügungen hinausgehendes Vollzugsinteresse. Auch wenn die Suche nach neuen Investoren erschwert sein könnte, wenn Klagen gegen die "Plangenehmigung" und die Duldungsverfügungen aufschiebende Wirkung zukommt und deshalb die Leitungen nicht genutzt werden dürfen, so reicht dies für die Anerkennung eines Vollzugsinteresses nicht aus. Insoweit ist zunächst zu berücksichtigen, dass für einen Investor das finanzielle Risiko weniger in der aufschiebenden Wirkung der Klage als eher in dem Umstand liegen wird, dass überhaupt Klage erhoben worden ist und damit der Bestand der Plangenehmigung in Frage steht. Zudem fällt ins Gewicht, dass eine besondere Dringlichkeit des Erlassinteresses in der vorliegenden Situation auch ein bestimmtes Maß einer - hier zurzeit nicht erkennbaren - Konkretisierung einer Umsetzung der Planungen voraussetzt; Hoffnungen und Erwartungen allein genügen nicht. Mit der vorliegenden Interessenbewertung werden auch nicht etwa die Interessen der Beigeladenen und ein öffentliches Interesse an der wirtschaftlichen Stärkung der Region unterlaufen. Die Investorensuche als solche ist von einem Sofortvollzug der Plangenehmigung nicht abhängig. Zudem steht es dem Antragsgegner unter den Voraussetzungen des § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO frei, die Aufhebung eines stattgebenden Beschlusses zu beantragen, sobald ein neuer Investor gefunden ist oder mit hinreichender Ernsthaftigkeit Interesse bekundet und dies - etwa wegen einer kurz bevorstehenden Produktionsaufnahme - die erforderliche Dringlichkeit begründet. Dass aber in Ansehung des ohnehin anhängigen Klageverfahrens allein das Erfordernis eines solchen Antragsverfahrens Investoren davon abhalten könnte, Interesse an einer Ansiedlung auf dem Gebiet des Bebauungsplanes "Am Großen Dreieck" zu zeigen, ist nicht erkennbar.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 und 3 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 3 Nr. 2 i.V.m. § 52 Abs. 2, § 47 Abs. 1 des Gerichtskostengesetzes - GKG -.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

Ende der Entscheidung

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