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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg
Beschluss verkündet am 08.09.2005
Aktenzeichen: OVG 9 S 19.05
Rechtsgebiete: VwGO, BbgWG, BGB


Vorschriften:

VwGO § 80 Abs. 1
VwGO § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4
VwGO § 80 Abs. 5
VwGO § 80 Abs. 5 Satz 1
VwGO § 80 Abs. 5 Satz 3
VwGO § 80 Abs. 7 Satz 2
VwGO § 80 a Abs. 1 Nr. 2, 2. Alt.
VwGO § 92 Abs. 2
VwGO § 146
VwGO § 147
BbgWG § 116
BGB § 2038 Abs. 1 Satz 2 HS 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OVG 9 S 19.05

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 9. Senat des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg durch den Vorsitzenden Richter am Oberverwaltungsgericht Schmidt und den Richter am Oberverwaltungsgericht Lehmkuhl und die Richterin am Oberverwaltungsgericht Gaube am 8. September 2005 beschlossen:

Tenor:

Der Beschluss des Verwaltungsgerichts Frankfurt (Oder) vom 24. November 2004 wird mit Ausnahme der Streitwertfestsetzung geändert.

Die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragstellerin vom 4. September 2003 - 7 K 1645.03 - gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 28. Juli 2003 wird wiederhergestellt .

Der Antragsgegner und die Beigeladene tragen die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge je zur Hälfte.

Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 2.500,00 EUR festgesetzt.

Gründe:

Die nach §§ 146, 147 VwGO zulässige Beschwerde ist begründet.

1. Die Antragstellerin hat dargelegt, dass die Begründung des Verwaltungsgerichts - es fehle an dem für ein Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes erforderlichen Rechtsschutzbedürfnis - die Ablehnung ihres Antrages auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage nach § 80 Abs. 5 VwGO nicht trägt (§ 146 Abs. 4 Satz 3 und 6 VwGO).

Das Verwaltungsgericht hat das Rechtsschutzbedürfnis zunächst mit der Begründung verneint, dass die Antragstellerin das seinerzeit ungenehmigte Verlegen von zwei, u.a. über ihr Grundstück verlaufenden Wasserfernleitungen zur Brauchwasserversorgung im Oktober 2001 hingenommen habe, ohne hiergegen verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutz, "beispielsweise in Form eines Verpflichtungsbegehrens gegen die Bauaufsichtsbehörde auf Einschreiten", in Anspruch genommen oder das Zivilgericht wegen einer Eigentumsbeeinträchtigung angerufen zu haben. Die verwaltungsgerichtliche Klage gegen die nachträgliche "Plangenehmigung" durch Bescheid vom 28. Juli 2003, deren Bescheidung die ordentlichen Gerichte im Falle ihrer Anrufung jedenfalls bei summarischer Prüfung abwarten würden, habe die Antragstellerin erst nach Ablauf von 14 Monaten und nach Erlass einer Betreibensaufforderung begründet. Soweit dies dahin zu verstehen ist, dass das Verwaltungsgericht mit dieser Begründung die Ansicht vertritt, dass die Antragstellerin ihr Recht, gegen die mit einer Anordnung der sofortigen Vollziehung versehenen "Plangenehmigung" verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutz in Anspruch zu nehmen, verwirkt habe (prozessuale Verwirkung), hat die Antragstellerin diese Bewertung mit der Beschwerdebegründung erschüttert. Dies gilt auch dann, wenn die Begründung des Verwaltungsgerichts - trotz der auf das Hauptsacheverfahren hindeutenden Ausführungen - dahingehend zu verstehen ist, dass es nicht allein von einer Verwirkung des Klagerechts ausgegangen ist, sondern auch von einer Verwirkung des Rechts, nach § 80 Abs. 5 VwGO vorläufigen Rechtsschutz zu beantragen.

Zutreffend führt die Antragstellerin mit dem Beschwerdevorbringen aus, dass sie ihr Recht, gegen die "Plangenehmigung" (sei es in gesetzlicher Prozeßstandschaft gemäß §§ 2038 Abs. 1 Satz 2 HS 2 oder § 2039 Satz 1 BGB, sei es auch im Namen des Miterben, sei es nach (ggf. Teil-) Auseinandersetzung) Anfechtungsklage zu erheben, nicht verwirkt habe.

Sie hebt zu Recht hervor, dass allein der Umstand, die Klage erst nach Ablauf von 14 Monaten und Erlaß einer Betreibensaufforderung begründet zu haben, wegen § 92 Abs. 2 VwGO nicht ausreiche.

Vor Erlaß der umstrittenen "Plangenehmigung" konnte die Klage nicht erhoben werden, da es davor an einem Verwaltungsakt mit den Rechtswirkungen der Genehmigung, der hätte angefochten werden können, fehlte. Grundsätzlich kann prozessuale Verwirkung der Anfechtungsklage nicht in Gang kommen, solange es noch am Erlass des angefochtenen Verwaltungsaktes fehlt, da die prozessuale Verwirkung an die fehlende Ausübung eines bestimmten bestehenden Rechts anknüpft (vgl. hierzu: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Kommentar, 10. EL September 2004, Vorb § 40 RN 104; vgl. auch zur Notwendigkeit eines Bestehens des Rechts Kopp/Ramsauer, VwVfG, 8. Aufl. 2003, § 53 RN m.w.N.). Vor einer Umgestaltung der Rechtslage durch den Verwaltungsakt fehlt es an einem auf seine Aufhebung gerichteten Klagerecht. Soweit andere, vor dem Erlass des Verwaltungsaktes bestehende und auf einen anderen Streitgegenstand gerichtete prozessuale Rechtspositionen nicht ausgeschöpft worden sind, berührt dies grundsätzlich nicht die Zulässigkeit einer Anfechtungsklage, die zu jener Zeit noch nicht erhoben werden konnte und einen anderen prozessualen Gegenstand hat. Ob in besonderen Ausnahmefällen für eine Verwirkung des Anfechtungsrechts an Umstände vor Erlass des Verwaltungsaktes angeknüpft werden (kann) und ggf. unter welchen Voraussetzungen das geschehen könnte, bedarf hier keiner Klärung, da ein solcher Sachverhalt nach dem zutreffenden Beschwerdevorbringen hier nicht gegeben ist.

Die Antragstellerin legt zu Recht dar, dass sie keine Grundlage für eine (etwaige) Annahme des Antragsgegners geschaffen hatte, sie, die Antragstellerin, werde von ihrem Recht, gegen die "Plangenehmigung" Anfechtungsklage zu erheben, keinen Gebrauch machen. Dies gilt schon für die Zeit vor Durchführung des Anhörungsverfahrens zur "Plangenehmigung", das im März 2003 begann. Die Antragstellerin hatte nämlich schon zuvor hinreichend zum Ausdruck gebracht, gegen das Verlegen der Leitungen und deren Belassen in dem Boden im Klagewege vorzugehen, wenn ihrem Begehren, eine höhere Entschädigung für die in Anspruch genommene Fläche zu erlangen, nicht entsprochen werde. Dies folgt aus ihrem an die Beigeladene gerichteten Schreiben vom 22. Januar 2002, mit dem die Antragstellerin die Beigeladene aufforderte, "die eingebrachten Gegenstände und Baulichkeiten zu entfernen". Ebensowenig vermochten die jedenfalls bis zum Schreiben der Beigeladenen vom 25. Juli 2002 andauernden Vergleichsverhandlungen die erforderliche Vertrauensgrundlage zu schaffen. Dies zeigt gerade dieses Schreiben der Beigeladenen, in dem diese die Antragstellerin auf "Rechtsmittel" gegen die angekündigten, auf der "Plangenehmigung" aufbauenden Duldungsverfügungen nach § 116 BbgWG verwies. Mit Rechtsmitteln mußten die Beigeladene und der Antragsgegner in Ansehung der Tatsache, dass die Antragstellerin auch im Anhörungsverfahren zur "Plangenehmigung" Einwendungen erhoben hatte, rechnen und taten dies auch, wie aus der Begründung der Anordnung des Sofortvollzuges folgt.

Schließlich kann prozessuale Verwirkung nicht damit begründet werden, dass die Antragstellerin ihr Recht, im Klagewege gegen die Leitungen vorzugehen, nach dem Inhalt der Vergleichsverhandlungen möglicherweise nur als Druckmittel verstand, um eine höhere Entschädigung zu erzielen. Das ist legitim und schafft für den Antragsgegner keinen Vertrauenstatbestand in dem erforderlichen Umfang, sondern müßte eher als Indiz bewertet werden, dass die Antragstellerin, wenn erforderlich, ihre prozessualen Rechte auch wahrnehmen würde.

Entsprechend den Darlegungen der Antragstellerin scheidet auch eine Verwirkung des Rechts, nach § 80 Abs. 5 VwGO die Wiederherstellung der aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage gegen die für sofort vollziehbar erklärte "Plangenehmigung" zu beantragen, aus. Insoweit gilt grundsätzlich auch hier, dass die Verwirkung der Antragsmöglichkeit nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO nicht auf Umstände einer Zeit vor Erlaß des betreffenden Verwaltungsaktes gestützt werden kann, weil auch dieses verfahrensmäßige Recht an das Vorhandensein des angefochtenen Verwaltungsaktes gebunden und in seinen Voraussetzungen sowohl vom Regelungsgehalt des Verwaltungsaktes abhängig ist als auch von der aktuellen Sachlage im Zeitpunkt der eigenständigen - nicht nur auf eine Überprüfung der behördlichen Interessenabwägung nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO beschränkten - gerichtlichen Interessenabwägung. Insoweit fällt hier insbesondere ins Gewicht, dass der Regelungsgehalt der "Plangenehmigung" und die Anordnung der sofortigen Vollziehung dieser Genehmigung in ihrem rechtlichen Gehalt etwas anderes als die Rechtslage betrifft, die durch die rein tatsächliche Verlegung der Rohrleitungen über das Grundstück der Antragstellerin im Oktober 2001 geschaffen worden ist. Aber selbst dann, wenn auch im vorliegenden Zusammenhang nicht allein auf die Umstände seit der behördlichen Anordnung des Sofortvollzuges abzustellen ist, sondern das Vorverhalten der Beteiligten einbezogen würde, wäre für die Feststellung einer prozessualen Verwirkung des Antragsrechtes aus § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kein Raum. Insoweit greifen dieselben Erwägungen ein wie bei der Frage nach einer Verwirkung des Klagerechts.

Nach dem Beschwerdevorbringen trägt auch die zweite, selbständig tragende Begründung des Verwaltungsgerichts seine Entscheidung nicht.

Die Antragstellerin hat zu Recht geltend gemacht, dass die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Anfechtungsklage gegen die "Plangenehmigung" ihr - entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts - einen Vorteil brächte. Zwar könnte sie eine Beseitigung der Leitungen nicht im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes erreichen. Denn einem Begehren nach § 80 Abs. 5 Satz 3 bzw. § 80 a Abs. 1 Nr. 2, 2. Alt. VwGO stünde das Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache entgegen. Von diesem Verbot ist nämlich gemäß Art. 19 Abs. 4 GG nur dann eine Ausnahme zu machen, wenn dies zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes schlechterdings notwendig ist (s. nur Kopp/Schenke, VwGO, Kommentar, 13. Auflage 2003, § 80 RN 176 a.E.). Diese Voraussetzung liegt hier indes nicht vor, da das Ausmaß der Eigentumsbeeinträchtigung nach dem unbestrittenen Vorbringen der Beigeladenen gering ist. Die 2,30 m tief in den Erdboden verlegten Leitungen beeinträchtigen als solche die Bewirtschaftung des gesamten als Ackerland genutzten Grundstücks nicht. Dementsprechend hat die Antragstellerin ihren erstinstanzlichen Antrag, "die aufschiebende Wirkung der Hauptsacheklage ... wiederherzustellen und die Anordnung des sofortigen Vollzuges der Plangenehmigung ... aufzuheben" trotz der Hinweise des Antragsgegners und der Beigeladenen in ihren Schriftsätzen vom 20. Oktober 2004 und 18. Februar 2005, dass es an einem auf Beseitigung der Leitungen gerichteten Antrag fehle, mit Recht auch nicht ergänzt. Kann die Antragstellerin somit die Beseitigung der verlegten Rohrleitungen im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO nicht erreichen, so hat sie aber hinreichend dargelegt, dass sie schon die "schlichte" Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung besserstellen würde. Sie hätte zur Folge, dass von der auch den Betrieb der Anlage umfassenden "Plangenehmigung" - sei es durch die Beigeladene, sei es durch einen privaten Dritten - kein Gebrauch gemacht werden dürfte. Nach dem Vorbringen der Antragstellerin könnte die Inbetriebnahme der Leitungen zu einer Beeinträchtigung führen, die über das bloße Vorhandensein der Leitungen hinausginge. Denn die Antragstellerin hat mit Schriftsatz vom 3. Januar 2005 sowie - vertiefend - mit Schriftsätzen vom 21. und 31. März 2005 geltend gemacht, dass die Inbetriebnahme zu Unterhaltungs- und Kontrollmaßnahmen führen könne, die "z.B. ... Grabungsarbeiten" erfordern könnten. Angesichts dessen, dass es der Antragstellerin - wie diese zu Recht hervorhebt - nicht obliegt, diese in der von ihr gesondert angegriffenen Duldungsverfügung vom 1. August 2003 ausdrücklich aufgeführten Maßnahmen näher zu umschreiben, genügt die bloße Behauptung der Beigeladenen, dass Unterhaltungsmaßnahmen in nächster Zeit nicht bevorstünden, nicht, um das Rechtsschutzbedürfnis der Antragstellerin entfallen zu lassen. Zudem ist unter dem Gesichtspunkt der Verhinderung einer weitergehenden Eigentumsbeeinträchtigung, als sie vorhanden ist, die erst beabsichtigte Nutzung einer verlegten Rohrleitung ein Mehr im Verhältnis zum Vorhandensein der Leitungen. Diese Eigentumsbeeinträchtigungen sind ein Belang, der für eine im Rahmen des § 80 Abs. 5 VwGO durchzuführenden Interessenabwägung von Bedeutung ist.

2. Wird die Begründung des angefochtenen Beschlusses - wie hier - entscheidungserheblich erschüttert, ist nach Auffassung des Senats eine von der Beschwerdebegründung unabhängige Prüfung des Rechtschutzantrages auf der Grundlage der Interessenslage im Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung durchzuführen (Beschluss des erkennenden Senats vom 1. August 2005 - 9 S 2.05). Hiernach hat der auf die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage gerichtete Antrag Erfolg.

Der Antrag ist zulässig. Insbesondere ist die Antragstellerin jedenfalls nach § 2038 Abs. 1 Satz 2 HS 2 BGB prozeßführungsbefugt, da der Antrag notwendig i.S. dieser Vorschrift ist. Er dient vom Standpunkt eines vernünftigen und wirtschaftlich denkenden Beurteilers der ordnungsgemäßen Verwaltung des gesamten Nachlasses (s. zu dieser Voraussetzung: BVerwG, Urteil vom 7. Mai 1965 - IV C 24.65 -, zitiert nach juris). Ob die Zustimmung des anderen Miterben, der in N lebt, rechtzeitig hätte erlangt werden können (s. hierzu BVerwG, Urteil vom 20. Mai 1998 - 11 C 7.97 -, zitiert nach juris), kann dahinstehen. Denn selbst wenn der Miterbe für die Antragstellerin - sei es per Telefon, sei es per Telefax oder e-mail - grundsätzlich erreichbar gewesen wäre, so hätte der Antrag nicht bis zur Zustimmung des Miterben aufgeschoben werden müssen. Denn das vorläufige Rechtsschutzverfahren begründete keine erheblichen Verpflichtungen für den Nachlass und den anderen Miterben, so dass dessen Zustimmung wegen der geringen Bedeutung der Notgeschäftsführungsmaßnahme entbehrlich war (s. hierzu: BGH, Urteil vom 8. Mai 1952 - IV ZR 208.51 -, BGHZ 6, 76; Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, 63. Auflage 2004, § 2038 RN 14).

Der Antrag ist auch begründet. Die durch das angerufene Gericht vorzunehmende, entgegen der Ansicht der Beteiligten von der behördlichen Interessenabwägung i.S.d. § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO unabhängige Interessenabwägung geht zu Lasten des Antragsgegners aus. Hierbei kann offen bleiben, ob die "Plangenehmigung" bei summarischer Prüfung rechtmäßig ist. Auch wenn die Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes bei der Interessenabwägung zu berücksichtigen ist, so vermag sie das davon zu trennende besondere Interesse gerade an der sofortigen Vollziehung des betreffenden Verwaltungsaktes nicht ohne weiteres zu ersetzen, weil die nach § 80 Abs. 1 VwGO eintretende aufschiebende Wirkung von der Frage der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes nicht abhängig ist. Erschöpft sich das öffentliche oder das Interesse eines Beteiligten im sogenannten Erlassinteresse, d. h. dem Interesse an der Befolgung des betreffenden Verwaltungsaktes, ist regelmäßig für die Anordnung der sofortigen Vollziehung kein Raum. Eine Deckung eines anzuerkennenden Vollzugsinteresses mit dem Erlassinteresse kommt nur in Betracht, wenn bereits das Erlassinteresse eine besondere Dringlichkeit aufweist, die ein Abwarten der Entscheidung über die Klage unzumutbar macht. Dies ist hier weder dargetan noch sonst ersichtlich. Das vom Antragsgegner für die Anordnung des Sofortvollzuges als maßgeblich bezeichnete besondere Interesse, auch soweit es um das von ihm angeführte öffentliche Interesse i.S.d. § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO geht, wurde allein in der für Februar 2004 geplanten Produktionsaufnahme der Chipfabrik, den vertraglichen Bindungen der Beigeladenen und der sich daraus ergebenden "Terminkette" gesehen. Indes scheiterte das von der Chipfabrik verfolgte Projekt nach Erlass der "Plangenehmigung". Seitdem wird nach einem neuen Investor gesucht, was bislang aber erfolglos geblieben ist. Damit ist, wie die Antragstellerin zu Recht meint, das bei Erlass der "Plangenehmigung" etwa bestehende überwiegende Vollzugsinteresse entfallen. Entgegen der Ansicht des Antragsgegners und der Beigeladenen begründet der Umstand, dass die "plangenehmigte" Wasserfernleitung das gesamte Gebiet des Bebauungsplanes "Am Großen Dreieck" mit Brauchwasser versorgen soll, und neue Investoren gesucht werden, kein über das bloße Interesse am Erlass der "Plangenehmigung" hinausgehendes Vollzugsinteresse. Auch wenn die Suche nach neuen Investoren erschwert sein könnte, wenn Klagen gegen die "Plangenehmigung" aufschiebende Wirkung zukommt und deshalb die Leitungen nicht genutzt werden dürfen, so reicht dies für die Anerkennung eines Vollzugsinteresses nicht aus. Insoweit ist zunächst zu berücksichtigen, dass für einen Investor das finanzielle Risiko weniger in der aufschiebenden Wirkung der Klage als eher in dem Umstand liegen wird, dass überhaupt Klage erhoben worden ist und damit der Bestand der Plangenehmigung in Frage steht. Zudem fällt ins Gewicht, dass eine besondere Dringlichkeit des Erlassinteresses in der vorliegenden Situation auch ein bestimmtes Maß einer - hier zurzeit nicht erkennbaren - Konkretisierung einer Umsetzung der Planungen voraussetzt; Hoffnungen und Erwartungen allein genügen nicht. Mit der vorliegenden Interessenbewertung werden auch nicht etwa die Interessen der Beigeladenen und ein öffentliches Interesse an der wirtschaftlichen Stärkung der Region unterlaufen. Die Investorensuche als solche ist von einem Sofortvollzug der Plangenehmigung nicht abhängig. Zudem steht es dem Antragsgegner unter den Voraussetzungen des § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO frei, die Aufhebung eines stattgebenden Beschlusses zu beantragen, sobald ein neuer Investor gefunden ist oder mit hinreichender Ernsthaftigkeit Interesse bekundet und dies - etwa wegen einer kurz bevorstehenden Produktionsaufnahme - die erforderliche Dringlichkeit begründet. Dass aber in Ansehung des ohnehin anhängigen Klageverfahrens allein das Erfordernis eines solchen Antragsverfahrens Investoren davon abhalten könnte, Interesse an einer Ansiedlung auf dem Gebiet des Bebauungsplanes "Am Großen Dreieck" zu zeigen, ist nicht erkennbar.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 und 3 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 3 Nr. 2 i.V.m. § 52 Abs. 2, § 47 Abs. 1 des Gerichtskostengesetzes - GKG -.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

Ende der Entscheidung

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