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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg
Beschluss verkündet am 02.12.2009
Aktenzeichen: OVG 9 S 20.09
Rechtsgebiete: VwGO, BauGB, KAG


Vorschriften:

VwGO § 80 Abs. 4 Satz 3
VwGO § 80 Abs. 5 Satz 1
VwGO § 146 Abs. 4 Satz 6
BauGB § 34 Abs. 1
KAG § 8 Abs. 2 Satz 2
KAG § 9 Abs. 6 Satz 1
KAG § 9 Abs. 6 Satz 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OBERVERWALTUNGSGERICHT BERLIN-BRANDENBURG BESCHLUSS

OVG 9 S 20.09

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 9. Senat durch den Vorsitzenden Richter am Oberverwaltungsgericht Leithoff und den Richtern am Oberverwaltungsgericht Dr. Marenbach und Dr. Beck am 2. Dezember 2009 beschlossen:

Tenor:

Der Beschluss des Verwaltungsgerichts Potsdam vom 6. Januar 2009 wird aufgehoben. Gerichtskosten werden insoweit weder für das erstinstanzliche Verfahren vor dem Verwaltungsgericht noch für das Beschwerdeverfahren erhoben; außergerichtliche Kosten sind nicht erstattungsfähig.

Der Antrag der Antragsteller, die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 31. Juli 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. Mai 2007 anzuordnen, wird abgelehnt.

Die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens vor dem Oberverwaltungsgericht tragen die Antragsteller.

Der Streitwert wird für das erstinstanzliche Verfahren vor dem Oberverwaltungsgericht auf 1 174,50 EUR festgesetzt.

Gründe:

I.

Die Antragsteller wenden sich gegen einen Beitragsbescheid, mit dem sie zu einem Schmutzwasseranschlussbeitrag herangezogen worden sind. Die gegen den Beitragsbescheid gerichtete Klage hatte erstinstanzlich Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat den Beitragsbescheid mit Urteil vom 8. September 2008 - 9 K 1198/07 - aufgehoben und die Berufung zugelassen. Der Antragsgegner hat gegen das ihm 3. Dezember 2008 zugestellte Urteil am 23. Dezember 2008 Berufung eingelegt, über die noch nicht entschieden ist.

Mit Beschluss vom 6. Januar 2009 hat das Verwaltungsgericht die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Beitragsbescheid angeordnet. Das Verwaltungsgericht hat für die bei einer Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage nach § 80 Abs. 5 i.V.m. Abs. 4 Satz 3 VwGO maßgeblichen ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides darauf abgestellt, dass keine der von dem Zweckverband seit 1993 erlassenen Satzungen als Rechtsgrundlage für den streitgegenständlichen Bescheid in Betracht komme. Die Schmutzwasseranschlussbeitragssatzung vom 15. Juni 2004 (SWABS-2004) sei nichtig, weil der in § 6 geregelte Beitragssatz unwirksam sei. Dies folge schon daraus, dass bei der Überarbeitung der diesem zu Grunde liegenden Beitragskalkulation die Maßstabseinheiten fehlerhaft ermittelt worden seien. Zudem habe es der Zweckverband versäumt, dem bei der technischen Auslegung des Schmutzwasserkanals berücksichtigten und nicht beitragsfähigen Sicherheitszuschlag für Fremdwasser in Höhe von 100 % durch eine Reduzierung des kalkulierten Gesamtaufwandes um einen so genannten Gemeindeanteil in Höhe von 50 % in der Beitragskalkulation Rechnung zu tragen. Soweit es um das Verbot der Doppelbelastung gehe, sei nicht erkennbar, inwieweit der Zweckverband die im Jahr 1993 getroffene Systementscheidung zur Mischfinanzierung der Anlage aus Beiträgen und Gebühren, an die er grundsätzlich gebunden sei, beachtet habe. Auch die Schmutzwasseranschlussbeitragssatzung vom 20. Juni 2002 (SWABS-2002) bilde keine taugliche satzungsrechtliche Grundlage für den angefochtenen Bescheid, weil die Maßstabsregelung in § 6 Abs. 2 für die Ermittlung des Nutzungsfaktors auf Grundstücken im unbeplanten Innenbereich auf die Zahl der in der näheren Umgebung überwiegend vorhandenen Vollgeschosse abstelle; für Grundstücke im unbeplanten Innenbereich sei aber allein eine Maßstabsregelung i.S.d. § 8 Abs. 2 Satz 2, Abs. 6 Satz 1 und 2 KAG vorteilsgerecht, die das Maß der baulichen Nutzung in Übereinstimmung mit § 34 Abs. 1 BauGB danach bemesse, inwieweit sich die Geschossigkeit in die Eigenart der näheren Umgebung einfüge.

Der Beschluss ist dem Antragsgegner am 8. Januar 2009 zugestellt worden. Der Antragsgegner hat am 21. Januar 2009 Beschwerde erhoben und diese am 9. Februar 2009 (Montag) begründet.

II.

Die zulässige Beschwerde hat Erfolg.

Dabei kann offen bleiben, ob der angefochtene Beschluss schon deshalb von Amts wegen aufzuheben ist, weil das Verwaltungsgericht nach Eingang der Berufungsschrift am 23. Dezember 2008 zur Entscheidung über den Antrag nicht mehr zuständig war (vgl. zum Streitstand einerseits Redeker/v. Oertzen, VwGO, 14. Auflage 2004, § 146 Rdnr. 24, andererseits VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 19. November 2007 - 13 S 2355/07 -, juris, Kopp/Schenke, a.a.O., § 146 Rdnr. 43 für die Zulässigkeit des Rechtsweges). Denn jedenfalls ist der Beschluss mit Blick auf § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO deshalb aufzuheben, weil die Beschwerderügen greifen, mit der Folge, dass der Senat danach eine umfassende Prüfungskompetenz hat.

1. Das Verwaltungsgericht hat bei seiner Eilentscheidung zu Recht darauf abgestellt, dass vorläufiger Rechtsschutz gegen die Anforderung öffentlicher Abgaben gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 i.V.m. § 80 Abs. 4 Satz 3 VwGO nur angeordnet werden kann, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Abgabenpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende persönliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts bestehen aber nicht bereits dann, wenn der Erfolg des Rechtsbehelfs in der Hauptsache ebenso wahrscheinlich ist wie sein Misserfolg, sondern nur, wenn der Erfolg des Rechtsmittels in der Hauptsache wahrscheinlicher ist als sein Misserfolg.

Das Beschwerdevorbringen macht deutlich, dass solche Zweifel nicht aus den vom Verwaltungsgericht angenommenen Gründen bestehen.

Der Rechtsstandpunkt des Verwaltungsgerichts, dass auch die SWABS-2002 keine taugliche satzungsrechtliche Grundlage darstelle, wird durch die Beschwerde hinreichend erschüttert. Zu Recht weist die Beschwerde darauf hin, dass die satzungsrechtliche Maßstabsregelung (§ 6 Abs. 2) zur Bestimmung der Vollgeschosse bei Grundstücken im unbeplanten Innenbereich, die auf die Zahl der in der näheren Umgebung überwiegend vorhandenen Vollgeschosse und damit nicht auf das nach § 34 BauGB höchstzulässige Maß der baulichen Nutzung abstellt, nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit rechtswidrig ist und daher keine Aussetzung der sofortigen Vollziehung wegen ernstlicher Zweifel rechtfertigt. Es handelt sich dabei um eine offene Rechtsfrage, die im Übrigen in der erstinstanzlichen Rechtsprechung unterschiedlich beantwortet wird (vgl. im Gegensatz zur Vorinstanz VG Frankfurt (Oder), Urteil vom 18. Juli 2008 - 5 K 1078/04 -) und einer abschließenden Beantwortung im Berufungsverfahren bedarf. Bei vorläufiger Betrachtung erscheint es zumindest nicht ausgeschlossen, dass der Satzungsgeber bei der Ausgestaltung des Vollgeschossmaßstabes für den unbeplanten Innenbereich die bauliche Ausnutzbarkeit des Grundstücks aus Praktikabilitätsgründen pauschalierend festlegen darf.

Erfolgreich stellt die Beschwerde auch die Auffassung des Verwaltungsgerichts in Frage, wonach wegen des bei der technischen Auslegung des Schmutzwasserkanals zu berücksichtigenden Sicherheitszuschlages für Fremdwasser von 100 % eine Reduzierung des kalkulierten Gesamtaufwandes um einen Gemeindeanteil in Höhe von 50 % in der Beitragskalkulation vorzunehmen sei. Dieser Einschätzung des Verwaltungsgerichts, die der Sache nach nicht nur die Beitragskalkulation für die SWABS-2004, sondern auch die für die SWABS 2002 betrifft, setzt die Beschwerde in beachtlicher Weise entgegen, dass der Sicherheitszuschlag (auch) zur Gewährleistung der Betriebssicherheit der Schmutzwasserentsorgungsanlage erforderlich und der darauf entfallende Aufwand dementsprechend beitragsfähig sein könnte. Diese Frage wird im Berufungsverfahren ebenso zu klären sein wie die Auswirkung des Sicherheitszuschlags auf den Gesamtaufwand für die Herstellung der Schmutzwasseranlage. Hier beanstandet die Beschwerde in beachtlicher Weise, dass die Unterstellung des Verwaltungsgerichts, dass der Sicherheitszuschlag zu einer Verdoppelung des Gesamtaufwands führe, in keiner Weise unterlegt sei. Vielmehr erscheint es nach dem Beschwerdevorbringen nicht ausgeschlossen, dass der größte Kostenanteil bei der Herstellung des Leitungssystems nicht auf die Leitung selbst, sondern auf die Ausschachtungsarbeiten entfällt und die auf Grund des Sicherheitszuschlages erforderlichen Mehraufwendungen sich lediglich in höheren Materialkosten niederschlagen und nur zu einer marginalen Steigerung des Herstellungsaufwandes führen.

Das Beschwerdevorbringen erschüttert auch die These des Verwaltungsgerichts, dass im Hinblick auf das Verbot der Doppelbelastung die Plausibilität der Kalkulation daran scheitere, dass in keiner Weise erkennbar sei, inwieweit der Zweckverband die im Jahr 1993 getroffene Systementscheidung zur Mischfinanzierung der Anlage aus Beiträgen und Gebühren, an die er grundsätzlich gebunden sei, beachtet habe. Zutreffend weist die Beschwerde darauf hin, dass die von dem Verwaltungsgericht festgestellte Erhöhung der beitragsrechtlichen Deckungsquote am Gesamtaufwand die Systementscheidung des Antragsgegners, den Gesamtaufwand durch eine Mischfinanzierung aus Beiträgen und Gebühren zu decken, nicht in Frage stellt und dass die Zulässigkeit einer Erhöhung der Deckungsquote eine Vielzahl von Einzelfragen aufwirft, die im Eilverfahren nicht geklärt werden können. Insbesondere zeigen auch die Erwägungen des Verwaltungsgerichts insoweit keine überzeugende Lösung auf. So ist bereits fraglich, ob die Grundsätze der Entscheidung des Senats vom 6. Juni 2007 - OVG 9 A 77.05 -, juris, der ein Systemwechsel von einer Mischfinanzierung des Gesamtaufwandes aus Beiträgen und Gebühren zu einer reinen Gebührenfinanzierung zu Grunde lag, in allen Einzelheiten gleichermaßen auch für den Fall der Erhöhung der beitragsrechtlichen Deckungsquote im Rahmen einer Mischfinanzierung gelten.

2. Nachdem das Beschwerdevorbringen die verwaltungsgerichtliche Entscheidung erschüttert, ist der Senat nicht gehindert, diese nach allgemeinem Maßstab weiter zu überprüfen. Danach ist die erstinstanzliche Entscheidung aufzuheben. Nach Eingang der Berufung ist das Verwaltungsgericht nicht mehr Gericht der Hauptsache i.S.d. § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO und damit nicht mehr für die Entscheidung über den Eilantrag zuständig gewesen; es hätte die Eilsache an das Oberverwaltungsgericht abgeben müssen.

3. Nach dem Vorstehenden ist das Oberverwaltungsgericht originär für die Entscheidung über den Eilantrag zuständig. Dieser ist abzulehnen, weil bei summarischer Prüfung keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Bescheides bestehen. Dass die diesbezüglichen Überlegungen nicht greifen, wurde schon ausgeführt. Eine Rechtswidrigkeit des Beitragsbescheides folgt entgegen dem Vorbringen der Antragsteller auch nicht daraus, dass hinsichtlich des Nutzungsfaktors nicht von der tatsächlich eingeschossigen Bebauung ihres im unbeplanten Innenbereich belegenen Grundstücks ausgegangen worden sei. Für die abgabenrechtliche Bewertung ist geklärt, dass bei der Anwendung des Vollgeschossmaßstabes zur Vermeidung einer unzulässigen Privilegierung von Eigentümern bebauter Grundstücke im unbeplanten Innenbereich gegenüber Eigentümern bebauter Grundstücke im Gebiet eines qualifizierten Bebauungsplans nicht an die tatsächliche, sondern an die mögliche Bebauung anzuknüpfen ist, wobei die Frage, ob das Mögliche durch eine pauschalierende Betrachtung erweitert werden kann, wie ausgeführt, klärungsbedürftig ist. Ob der Antragsgegner, wie von den Antragstellern behauptet, die satzungsrechtliche Maßstabsregelung im übrigen Satzungsgebiet anders handhabt und dort nur nach der tatsächlichen Bebauung veranlagt, kann dahingestellt bleiben, da es keine Anspruch auf Gleichbehandlung im Unrecht gibt. Eine überwiegende Wahrscheinlichkeit der Rechtswidrigkeit des Beitragsbescheides ergibt sich auch nicht aus der Andeutung auf Seite 15 des erstinstanzlichen Urteils vom 8. September 2008, wonach in die Beitragskalkulation möglicherweise nicht beitragsfähige Kosten eingestellt worden sind. Auch dieser Frage wird im Hauptsacheverfahren nachzugehen sein.

Schließlich ist nicht erkennbar, dass die Vollziehung für die Antragsteller eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 21 GKG, § 154 Abs. 2 VwGO. Die außergerichtlichen Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens vor dem Verwaltungsgericht sowie des Beschwerdeverfahrens sind nicht erstattungsfähig. Es gibt keine gesetzliche Vorschrift, die es ermöglichen würde, im Fall unrichtiger Sachbehandlung durch das Gericht entstandene außergerichtliche Kosten der Staatskasse zu überbürden (BVerwG, Beschluss vom 4. Juni 1991 - BVerwG 4 B 189.90 -, juris).

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 3 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG. Begehren mehrere Personen mit einem gemeinsamen Antrag vorläufigen Rechtsschutz gegen eine Heranziehung zu Anschlussbeiträgen, die sie als Gesamtschuldner betreffen, so ist als Streitwert grundsätzlich nur ein Viertel des einfachen Heranziehungsbetrages festzusetzen.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

Ende der Entscheidung

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