Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg
Beschluss verkündet am 11.02.2008
Aktenzeichen: OVG 9 S 38.07
Rechtsgebiete: VwGO, AO 1977, AO 1977, EStG, VwVGBbg


Vorschriften:

VwGO § 123
VwGO § 146
VwGO § 147
AO 1977 § 163
AO 1977 § 184 Abs. 3
AO 1977 § 227
AO 1977 § 258
EStG a.F. § 3 Nr. 66
VwVGBbg
1. Die Vollstreckung einer Gewerbesteuerforderung ist u.a. dann unbillig im Sinne von § 258 AO, wenn ihr Erlass im Rahmen einer endgültigen gerichtlichen oder behördlichen Entscheidung wahrscheinlich ist .

2. Für die Entscheidung, Gewerbesteuer gem. § 163 AO niedriger festzusetzen oder bereits festgesetzte Gewerbesteuer gem. § 227 AO zu erlassen, weil der als Gewerbeertrag zugrunde liegende Gewinn ganz oder teilweise als Sanierungsgewinn zu qualifizieren ist, ist in Flächenstaaten die Gemeinde zuständig.

3. Die pauschale Entscheidung im Sinne von 2. im summarischen Verfahren nach §§ 123 VwGO, 258 AO, 5 VwVGBbg setzt im Rahmen des Anordnungsanspruchs mindestens voraus, dass eine analog § 184 Abs. 3 AO zu fertigende Mitteilung des Finanzamts an die Gemeinde über das Vorliegen eines Sanierungsgewinns dem Grunde und der Höhe nach vorliegt.

4. Auch wenn die Steuer wahrscheinlich aus sachlichen Billigkeitsgründen gem. §§ 163 bzw. 227 AO zu erlassen ist, ist für den Vollstreckungsschutz gem. § 258 AO im Wege einer einstweiligen Anordnung gem. § 123 VwGO die Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrundes erforderlich.


OVG 9 S 38.07

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 9. Senat durch den Präsidenten des Oberverwaltungsgerichts Kipp, die Richterin am Finanzgericht Sander-Hellwig und den Richter am Oberverwaltungsgericht Dr. Riese am 11. Februar 2008 beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Frankfurt (Oder) vom 16. Juli 2007 wird zurückgewiesen.

Die Kosten der Beschwerde trägt die Beschwerdeführerin.

Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird wie im erstinstanzlichen Verfahren auf 45.650,00 EUR festgesetzt.

Gründe:

Die nach §§ 146 Abs. 1 und 4, 147 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) zulässige Beschwerde der Antragstellerin ist unbegründet.

Die Prüfung des Oberverwaltungsgerichts beschränkt sich gem. § 146 Abs. 4 S. 6 VwGO zunächst in einer ersten Stufe darauf, ob die Beschwerde geeignet ist, die Begründung des angefochtenen Beschlusses zu erschüttern. Wenn dies der Fall ist, ist auf einer zweiten Stufe von Amts wegen darüber hinaus zu prüfen, ob sich der Beschluss auf der Grundlage der Erkenntnisse des Beschwerdeverfahrens im Ergebnis als richtig erweist oder geändert werden muss (vgl. dazu Beschlüsse des Senats vom 1. August 2005 - OVG 9 S 2.05 - u. vom 1. Januar 2006 - OVG 9 S 92.05 -, Juris).

Unter Beachtung dieser Grundsätze ist eine Änderung der angefochtenen Entscheidung nicht gerechtfertigt. Nach den Darlegungen der Beschwerde lässt sich eine Fehlerhaftigkeit des Beschlusses des Verwaltungsgerichts im Ergebnis nicht feststellen. Zu Recht hat das Verwaltungsgericht den begehrten Vollstreckungsschutz versagt.

Die Beschwerdeführerin hat die Gründe des mit der Beschwerde angefochtenen Beschlusses des Verwaltungsgerichts zwar mit ihrer Einlassung erschüttert, sie habe sich für den begehrten Erlass der streitbefangenen Gewerbesteuer entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts nicht vorrangig auf persönliche, sondern auf sachliche Billigkeitsgründe berufen. Die Voraussetzungen für einen Billigkeitserlass wegen sachlicher Billigkeitsgründe sind nicht identisch mit denen, die bei einem Erlass aus persönlichen Billigkeitsgründen vorliegen müssen.

Nachdem der Gesetzgeber die ertragssteuerliche Steuerfreiheit von Sanierungs-gewinnen gem. § 3 Nr. 66 EStG a.F. durch Streichung dieser Vorschrift durch das Gesetz zur Unternehmenssteuerreform von 29. Oktober 1997 (BGBl 1997, 2590) abgeschafft hatte, hat die Finanzverwaltung mit dem BMF-Schreiben vom 27. März 2003 (IV A 6 - S. 2140 - 8/03, BStBl I 2003, 240) die Steuerfreiheit im Billigkeitswege faktisch wieder eingeführt. Mit dieser Verwaltungsanweisung weist das BMF die Finanzverwaltung an, Steuern im Wege der Ermessens-reduzierung auf Null (Textziffern 12 und 13 des BMF-Schreibens) aus sachlichen Gründen (Textziffer 8 des BMF-Schreibens) zu erlassen (§§ 163, 227 AO) bzw. zu stunden (§ 222 AO), soweit sie auf Sanierungsgewinne entfallen, die nicht mit Verlustvorträgen verrechnet werden können. Danach liegt eine Selbstbindung der Verwaltung vor, die bereits festgesetzte, auf den verbleibenden zu ver-steuernden Sanierungsgewinn entfallende Steuer nach abschließender Prüfung gem. § 227 AO zu erlassen.

Voraussetzung für diesen Billigkeitserlass aus sachlichen Gründen ist das Vor-liegen eines Sanierungsgewinns, andere Gewinne sind nicht begünstigt. Dessen Merkmale sind dieselben wie diejenigen, die seinerzeit bei § 3 Nr. 66 Ein-kommensteuergesetz (EStG) a.F. vorliegen mussten. Die Qualifizierung eines Gewinns als Sanierungsgewinn setzt danach Sanierungsbedürftigkeit, Sanie-rungsfähigkeit, Sanierungseignung des Unternehmens sowie Sanierungsabsicht der Gläubiger voraus. Wie die umfangreiche Rechtsprechung (vgl. statt aller: BFH,Urteil vom 17. November 2004 - I R 11/04 -, BFH/NV 2005, 984 m. zahl-reichen weiteren Rechtsprechungsnachweisen) und einschlägige Literatur (vgl. Janssen, Erlass von Steuern auf Sanierungsgewinne, DStR 2003, 1055 m.w.N.) zeigen und wie auch der Streitfall dokumentiert, wirft aber die Entscheidung, ob ein Sanierungsgewinn vorliegt oder nicht, regelmäßig erhebliche Probleme auf.

In diesem Zusammenhang hat die Antragstellerin mit Recht im Beschwerde-verfahren die Auffassung vertreten, dass für die Entscheidung über den begehr-ten Billigkeitserlass nicht das Finanzamt bei der Festsetzung des Gewerbe-steuermessbetrags, sondern die Gemeinde im Rahmen der Festsetzung der Ge-werbesteuer zuständig ist. Denn im Land Brandenburg steht - wie in allen anderen Flächenstaaten der Bundesrepublik Deutschland - mit dem Erhebungs-recht (BStBl I 91,502) auch die Entscheidung zu, Gewerbesteuer im Billi-keitswege niedriger festzusetzen (§ 163 Abs. 1 S. 1 AO) bzw. gem. § 227 AO ganz oder teilweise zu erlassen (vgl. hierzu auch: BVerwG vom 21. Oktober 1983 - 8 C 162/81 -, BVerwGE 68, 121). Dementsprechend verfährt auch die Finanzverwaltung (vgl. BMF-Schreiben vom 27. März 2003 a.a.O.; z.B. statt aller: Oberfinanzdirektion Hannover vom 26. August 2006 - G 1498 - 16 StO 252, DStR 2006, 2128). Jede Gemeinde muss deshalb für Zwecke der Festsetzung und Erhebung der Gewerbesteuer in eigener Zuständigkeit prüfen, ob ein Sanie-rungsgewinn vorliegt und inwieweit eine sachliche oder persönliche Unbilligkeit für den Gewerbetreibenden anzunehmen ist (vgl. BVerwG vom 21. Oktober 1983, a.a.O.; a.A. aber z.B. Tipke/Kruse, Abgabenordnung - Finanzge-richtsordnung, Kommentar, 16. Auflage, § 184 AO, Rdnr. 11 m.w.N.). Der Antragsgegner kann sich folglich diesbezüglich nicht mit Erfolg auf eine Zuständigkeit des Finanzamts berufen. Das Finanzamt hat bei der Festsetzung der Gewerbesteuermessbeträge über Billigkeitsmaßnahmen bei der Festsetzung der Gewerbesteuer nicht zu entscheiden.

Diese zu Recht erhobenen Einwendungen der Beschwerdeführerin erschüttern indes zwar die Gründe des Beschlusses des Verwaltungsgerichts, führen aber nicht zum Erfolg der Beschwerde. Denn die angefochtene Entscheidung des Verwaltungsgerichts ist aus anderen Gründen im Ergebnis richtig.

Die von der Beschwerdeführerin begehrte einstweilige Einstellung der Vollstreckung ist nach den allgemeinen Regeln für den einstweiligen Rechtsschutz zu beurteilen (§§ 146 Abs. 4 Satz 6, 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO, § 5 Verwaltungsvollstreckungsgesetz Brandenburg - VwVGBbg, § 258 Abgabenordnung 1977 -AO-). Die Antragstellerin müsste danach sowohl einen Anordnungsanspruch wie auch einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht haben. Das ist nicht der Fall.

Nach der einschlägigen ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechung des Bun-desfinanzhofs (vgl. BFH, Beschluss vom 19. Januar 1993 - VII B 202/92 -, BFH/NV 1994, 38 m.w.N.) kommt in Fällen, in denen im Hauptsacheverfahren ein Antrag auf Erlass von Steuerforderungen aus Billigkeitsgründen streitig ist, als Anordnungsanspruch für eine einstweilige Einstellung der Vollstreckung im Weg der einstweiligen Anordnung nur die Vorschrift des § 258 AO in Betracht. Das gilt auch im Streitfall, denn § 5 VwVGBbg schreibt insoweit die Anwendung der Vorschriften der Abgabenordung vor. Danach kann die Vollstreckungs-behörde die Vollstreckung einstweilen einstellen oder beschränken und dadurch Vollstreckungsschutz gewähren, wenn und soweit im Einzelfall die Vollstreckung unbillig ist. Hierzu kann die Vollstreckungsbehörde je nach der geltend ge-machten Rechtsverletzung auch durch eine einstweilige Anordnung des Gerichts (§ 123 Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO - bzw. § 114 Finanzgerichtsordnung -FGO-) verpflichtet werden (vgl. BFH-Beschluss vom 26. Juni 1990 - VII B 161/89 -, BFH/NV 1991, 393).

Vollstreckungsmaßnahmen sind vor der rechtskräftigen Entscheidung über einen beantragten Billigkeitserlass nur dann unbillig im Sinne des § 258 AO, wenn mit überwiegender Wahrscheinlichkeit mit einem solchen Erlass zu rechnen ist (vgl. BFH Beschlüsse vom 11. April 1989 - VII B 208/88 -, BFH/NV 1989, 766 und vom 4. November 1986 - VII B 106/86 -, BFH/NV 1987, 555). Ob diese Voraus-setzungen vorliegen, hat das Gericht in einer lediglich summarischen Prüfung der Erfolgsaussichten des Billigkeitsverfahrens abzuschätzen. Nur wenn glaub-haft gemacht wird, dass die Ablehnung des Erlasses ermessensfehlerhaft ist und das im Klageverfahren weiter verfolgte Erlassbegehren mit überwiegender Wahr-scheinlichkeit Erfolg haben wird, kann ein Anspruch auf einstweilige Einstellung der Vollstreckung bejaht werden.

Diese Voraussetzung hat das Verwaltungsgericht im Streitfall entgegen der Auffassung der Antragstellerin zutreffend verneint. Denn der Ausgang des beim Verwaltungsgericht noch anhängigen Klageverfahrens wegen des Erlasses der streitbefangenen Gewerbesteuer ist nach derzeitiger Aktenlage offen. Es ist ebenso wahrscheinlich, dass die Klägerin diese Klage gewinnt, wie dass sie sie verliert. Es konnte der Antragstellerin aber auch nicht gelingen, die erforderlichen sachlichen Billigkeitsgründe für den begehrten Erlass darzutun, die an das Vorliegen eines Sanierungsgewinns gebunden sind. Das erklärt sich aus folgenden Erwägungen:

Das Finanzamt ist entgegen der Auffassung der Antragstellerin bei der Beurteilung, ob ein Gewinn als Sanierungsgewinn zu qualifizieren ist oder nicht, keinesfalls "außen vor". Denn die regelmäßig - meist wie im Streitfall auf der Grundlage einer durchgeführten Betriebsprüfung - gebildete Auffassung des für die Festsetzung des Gewerbesteuermessbetrags zuständigen Finanzamts ist in dem vorliegenden Zusammenhang keinesfalls rechtlich ohne Belang. Sie ist vielmehr die notwendige Entscheidungsgrundlage für die Gemeinde bei der Prüfung, ob Gewerbesteuer niedriger festzusetzen oder zu erlassen ist, weil sie auf einen Sanierungsgewinn entfällt.

Das ergibt sich aus der entsprechenden Anwendung von § 184 Abs. 3 AO wie auch aus der Natur der Sache. Denn den Gemeinden fehlen in der Regel die für eine sachgerechte Billigkeitsentscheidung in dem vorliegenden Zusammenhang erforderlichen Kenntnisse des materiellen Steuerrechts (vgl. Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 184 AO Rdnr. 11 m.w.N.). Der fehlenden Kompetenz der Kommunen für die häufig sehr schwierige Prüfung der Voraussetzungen eines Sanierungsgewinns kann aber im Rahmen der rechtlichen Möglichkeiten nur begegnet werden, indem die Finanzverwaltung auf diesen Fall § 184 Abs. 3 AO entsprechend anwendet, was sie zu Recht auch tut (vgl. z.B. u.a. OFD Magdeburg vom 14.Oktober 2005 - 3 -St 213, BeckVerw 070 unter 2.).

Nach § 184 Abs. 3 AO obliegt den Finanzbehörden eine Mitteilungspflicht gegenüber den hebeberechtigten Gemeinden nicht nur über den Inhalt des Steuermessbescheides, sondern damit verbunden auch über "getroffene Billigkeitsmaßnahmen". In den vorliegenden Fällen hat die Finanzbehörde mangels Zuständigkeit zwar gerade keine Billigkeitsmaßnahmen getroffen. Aus dem Sinn und Zweck der Vorschrift des § 184 Abs. 3 AO wird aber im Hinblick auf das Erfordernis zutreffender Sachentscheidungen durch die Gemeinde zu Recht hergeleitet, dass diese vom Finanzamt informiert werden muss, ob und in welchem Umfang ein Sanierungsgewinn vorliegt, der eine Billigkeitsmaßnahmen nach §§ 163, 227 AO erforderlich machen könnte. Insofern ist die entsprechende Mitteilung, die auch im vorliegenden Fall nach dem Wortlaut der Ankündigung im Schreiben des Finanzamts G_____ vom 06. September 2005 an die Prozessbevollmächtigten der Antragstellerin noch ergehen wird, für die Beurteilung der Wahrscheinlichkeit des Vorliegens sachlicher Billigkeitsgründe für die Gemeinde und auch für die Gerichte in dem vorliegenden Verfahren von erheblicher Bedeutung.

Der Grundsatz, dass bei der Entscheidung über die Annahme von Erlassvoraussetzungen infolge sachlicher Unbilligkeit der Besteuerung eine Bindung der Gemeinden an die Auffassung der Finanzämter nicht gegeben ist, steht dem nicht entgegen und bleibt von den vorstehenden Erwägungen unberührt. Das eigene Prüfungsrecht der Gemeinden ist diesen unbenommen, sie sind aber bei dessen Ausübung unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Recht- und Gesetzmäßigkeit der Verwaltung auf die Amtshilfe des Finanzamts gemäß § 184 Abs. 3 AO angewiesen. Solange die entsprechende Information durch das Finanzamt noch aussteht, kann im Rahmen einer summarischen Beurteilung von einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit dafür, dass ein Sanierungsgewinn gegeben ist, nicht ausgegangen werden. So lange muss dann aber auch der einstweilige Rechtsschutz, der nur über § 123 VwGO zu erreichen wäre, an der fehlenden Feststellbarkeit überwiegender Erfolgsaussichten einer Klage auf Erlass der Gewerbesteuerschuld scheitern. Es bleibt bei der sofortigen Vollziehbarkeit des streitigen Gewerbesteuerbescheids.

Entsprechendes ist auch bei der Prüfung des Streitfalls durch das Beschwerdegericht zu beachten. Eine überschlägige Beurteilung der schwierigen Voraussetzungen eines Sanierungsgewinns im Rahmen des gebotenen summarischen Verfahrens würde notwendigerweise mindestens voraussetzen, dass das Finanzamt sich zum Vorliegen der materiellen Voraussetzungen eines Sanierungsgewinns bereits geäußert hätte. Denn nach der ständigen Rechtsprechung des Senats findet im Verfahren vorläufigen Rechtsschutzes die Überprüfung durch das Gericht dort ihre Grenze, wo es um die Klärung schwieriger Rechts- und Tatsachenfragen geht (vgl. hierzu nur den Beschluss des Senats vom 30. Januar 2006 - 9 S 92.05 -, juris).

Das gilt umso mehr, als im Streitfall die Antragstellerin auch versäumt hat, einen Anordnungsgrund im Sinne von §§ 258 AO, 123 VwGO für die begehrte einst-weilige Anordnung glaubhaft zu machen und die beantragte einstweilige Anordnung schon deshalb nicht ergehen kann.

Die in § 258 AO ausdrücklich genannten Gründe ("wesentliche Nachteile" und "drohende Gewalt") setzen Maßstäbe für die Beurteilung der Frage, ob ein "anderer" Anordnungsgrund vorliegt. Dieser muss so schwerwiegend sein, dass er die einstweilige Anordnung unabweisbar macht. Diese kommt danach grundsätzlich nur dann in Betracht, wenn die wirtschaftliche oder persönliche Existenz des Betroffenen durch die Ablehnung der beantragten Maßnahme unmittelbar bedroht ist. Die den Anordnungsgrund rechtfertigenden Umstände müssen über die Nachteile hinausgehen, die im Regelfall bei einer Vollstreckung zu erwarten sind. Deshalb sind Umstände, wie die Bezahlung von Steuern, auch wenn sie möglicherweise nach einem Obsiegen im Hauptsacheverfahren zu erstatten wären, eine zur Bezahlung von Steuern notwendige Kreditaufnahme, ein Zurückstellen betrieblicher Investitionen oder eine Einschränkung des gewohnten Lebensstandards für sich allein keine Anordnungsgründe (ständige Rechtsprechung des BFH, vgl. Beschluss vom 19. Januar 1993 VII B 202/92, BFH/NV 1994, 38 m. zahlreichen w.N.).

Die Antragstellerin hat solche existenzbedrohenden wesentlichen Nachteile nicht glaubhaft gemacht. Sie hat z.B. nicht dargelegt, dass sie nicht in der Lage wäre, z.B. durch Aufnahme eines Kredits oder mit monatlich zu leistenden Ratenzahlungen die Abgaben zu tilgen. Die Einlassung der Antragstellerin, bei Zahlung der streitigen Steuern würden ihr Zahlungsunfähigkeit und Insolvenz drohen, stellt eine bloße Behauptung dar, die jegliche Glaubhaftmachung vermissen lässt. Das Beschwerdegericht brauchte auch deshalb der Frage, wie weit die Prüfung des Anordnungsanspruchs im vorliegenden Beschwerdeverfahren grundsätzlich zu gehen hätte, nicht weiter nachzugehen.

In Ermangelung eines Anordnungsgrundes konnte das Beschwerdegericht auch dahinstehen lassen, ob persönliche Gründe einen Erlass der streitigen Gewerbe-steuer erforderlich gemacht haben könnten. Anordnungsanspruch im Sinne des § 123 VwGO kann zwar auch ein Anspruch auf fehlerfreie Ermessensausübung im Rahmen der letzten Verwaltungsentscheidung sein, z.B. im Hinblick auf einen Erlassantrag nach § 227 AO mit der Folge einer entsprechenden Ermessensreduzierung in Richtung auf einen Erlass (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, Kommentar, 14. Aufl. 2005, RdNr. 4 ff. zu § 114). Dass die Antragstellerin solche persönlichen Erlassgründe nicht glaubhaft gemacht hat, die sie zuerst explizit dem Antragsgegner unter Vorlage aktueller Nachweise zu ihren finanziellen Verhältnissen hätte unterbreitet haben müssen, ist im Hinblick auf den fehlenden Anordnungsgrund (s.o.) für die vorliegende Entscheidung ohne Belang.

Nach allem ist der vorliegenden Beschwerde der Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 3 Nr.2, § 52 Abs. 1 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

Ende der Entscheidung

Zurück