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Gericht: Oberverwaltungsgericht Berlin
Beschluss verkündet am 30.09.2002
Aktenzeichen: 8 S 88.02
Rechtsgebiete: Verord. ü. d. sonderpädagogische Förd. v. 13. Jul. 2000


Vorschriften:

Verord. ü. d. sonderpädagogische Förd. v. 13. Jul. 2000 (GVBl. S. 371)
Zur Frage, ob und ggf. in welchem zeitlichen Umfang ein behinderter Schüler Anspruch darauf hat, dass ihm ein Schulhelfers als Einzelbetreuer zur Verfügung gestellt wird.
OBERVERWALTUNGSGERICHT BERLIN BESCHLUSS

Aktenzeichen OVG 8 S 88.02

Berlin, den 30. September 2002

Tenor:

wird die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin vom 2. April 2002 zurückgewiesen. Sie ist unbegründet.

Gründe:

Das Verwaltungsgericht hat den Antrag des Antragstellers, den Antragsgegner im Wege einstweiliger Anordnung zu verpflichten, ihm einen Einzelbetreuer für die gesamte Schulzeit von 35 Wochenstunden zur Seite zu stellen, mit Recht abgelehnt und seine Entscheidung rechtlich zutreffend begründet.

Die vom Antragsteller mit seinem auf vollständige Erfüllung seines Anliegens bereits im vorläufigen Rechtsschutzverfahren gemäß § 123 Abs. 1 VwGO gerichteten Begehren der Sache nach angestrebte Vorwegnahme der günstigstenfalls im Hauptsacheverfahren zu erstreitenden Entscheidung kommt regelmäßig nicht, sondern ausnahmsweise nur dann in Betracht, wenn die bestimmte Regelung zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) schlechterdings notwendig ist, weil die sonst zu erwartenden Nachteile für ihn unzumutbar und im Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären, und ein hoher Grad an Wahrscheinlichkeit für einen Erfolg auch in der Hauptsache spricht (Kopp/Schenke, VwGO 12. Aufl. 2000, § 123 Rdnr. 14 m.w.N. zu Rspr. und Lehre). An beiden Erfordernissen fehlt es.

Schon die vom Verwaltungsgericht offen gelassene Frage, ob dem Antragsteller ein subjektives öffentliches Recht zustehen kann, dass ihm ein Schulhelfer i.S.v. § 5 der Verordnung über die sonderpädagogische Förderung (VO Sonderpädagogik) vom 13. Juli 2000 (GVBl. S. 371) als Einzelbetreuer zur Seite gestellt wird, ist jedenfalls nicht mit solcher Gewissheit positiv zu beantworten, wie dies erforderlich wäre, um dem erhobenen prozessualen Anspruch auf Grund summarischer Prüfung entsprechen zu können und insoweit vollendete Tatsachen zu schaffen.

Die Auffassung des Antragsgegners, die Zuteilung eines Schulhelfers sei eine rein schulorganisatorische Maßnahme, auf die kein subjektives, für den Antragsteller einklagbares Recht bestehe, lässt sich nicht als offensichtlich unzutreffend von der Hand weisen. Im Gegenteil: Für sie sprechen die einschlägigen Regelungen in § 5 VO Sonderpädagogik. Antragsbefugt ist nach Absatz 4 der Vorschrift der jeweilige Schulleiter im Benehmen mit der Entsendestelle, nicht hingegen der betroffene Schüler oder sein gesetzlicher Vertreter. Das steht im Einklang damit, dass Schulhelfer nach Nr. 3 der Grundsätze des Rundschreibens III Nr. 34/1996 der Senatsverwaltung für Schule, Jugend und Sport vom 27. August 1996 vorrangig gruppenbezogen und nur in besonders gelagerten Einzelfällen auf gesonderten Antrag ausnahmsweise ausschließlich für nur einen behinderten Schüler/eine behinderte Schülerin zur ergänzenden Pflege und Hilfe eingesetzt werden können. Der Einsatz ist zudem subsidiär, denn Schulhelfer dürfen nur angefordert werden, wenn die besonderen Maßnahmen der ergänzenden Pflege und Hilfe nicht innerhalb des festgelegten Stellenrahmens der Schule leistbar sind (§ 5 Abs. 1 Satz 3 VO Sonderpädagogik). Ob und ggf. in welchem Maße das der Fall ist, kann der Schüler kaum feststellen. Es handelt sich zudem ersichtlich um eine Maßnahme zur wirkungsvollen Beschulung behinderter Schüler, deren zweckgerechte Gestaltung im Einzelfall deshalb dem Schulträger vorbehalten ist, obwohl ihre Auswirkungen den betroffenen Schülern zugute kommen. Diese Beurteilung bestätigt neben der ausdrücklichen Anordnung einer engen Zusammenarbeit der Schulhelfer mit den Lehrkräften in § 5 Abs. 1 Satz 1, Hs. 2 VO Sonderpädagogik nicht zuletzt die amtliche Überschrift, derzufolge es sich um "schulergänzende Maßnahmen" handelt.

Die damit am Bestehen eines Individualanspruchs auf Zuteilung eines Schulhelfers prinzipiell aufgeworfenen Zweifel werden durch den Hinweis auf das Recht auf Bildung (Art. 20 VvB) und das Gleichstellungsgebot für Behinderte (Art. 11 VvB) nicht ausgeräumt. Beide Bestimmungen vermitteln im Ansatz nur Teilhaberechte am vorhandenen Bestand, nicht hingegen unmittelbare Leistungsansprüche (Pfennig/Neumann, VvB, Art. 11 Rdnr. 3 m.w.N. und Art. 20 Rdnr. 2 sowie Driehaus/Michaelis-Merzbach, VvB, 2001, Art. 11 Rdnr. 4 und Art. 20 Rdnr. 2). Deshalb mögen schulfähige behinderte Schüler nach Landesverfassungsrecht einen Anspruch sowohl auf gleichen Zugang zu den vorhandenen öffentlichen sonderpädagogischen Bildungseinrichtungen haben als auch darauf, dass die Verwaltung ihr Handeln so ausrichtet, dass ihnen insoweit gleichwertige Lebensbedingungen entstehen. Allgemein berechtigen die so umschriebenen Rechtspositionen dazu, bei der Verteilung der verfügbaren Leistungen schulischer Bildung nicht ohne vertretbaren Grund schlechter behandelt zu werden als andere Schüler. Ansprüche auf Erfüllung individueller Interessen, namentlich auf Schaffung neuer oder Erweiterung vorhandener Bestände ergeben sich daraus indes grundsätzlich nicht (vgl. insgesamt Niehues, Schul- und Prüfungsrecht, Bd. 1, 3. Aufl. 2000, Rdnrn. 361, 364). Das öffentliche Schulwesen kann nicht sämtlichen individuellen Begabungen oder Schwächen voll Rechnung tragen. Kompromisse zur Gewährleistung eines Mindeststandards an Bildung und Erziehung für alle jungen Menschen sind mit Blick auf anderweitige Gemeinwohlbelange, etwa auch die Haushaltslage des Landes, unausweichlich. Deshalb hängt die Gestaltung der besonders aufwändigen Förderung lernbehinderter Schüler von den bestehenden organisatorischen, personellen und sachlichen Möglichkeiten ab, nicht kann umgekehrt Optimierung dieser Möglichkeiten verlangt werden. Wenn sich nach alledem aus dem allgemeinen Recht auf Bildung und Gleichstellung des Antragstellers ein Anspruch auf Zugang zu der für ihn geeigneten konkreten Sonderschule ergibt, lässt sich daraus im Grundsatz nicht zugleich ein unmittelbarer Anspruch auch darauf herleiten, dass ihm zusätzlich die besonderen Maßnahmen der ergänzenden Pflege und Hilfe durch einen Schulhelfer zu leisten sind. Das gilt umso mehr für den vom Antragsteller verfolgten Anspruch auf Bereitstellung eines Schulhelfers ausschließlich für ihn und im Maximalumfang der gesamten Schulzeit von 35 Wochenstunden. Die aufgezeigten Bedenken gegen einen solchen Anspruch könnten dadurch, dass der Antragsteller auf Grund seines Wegzugs aus Berlin nurmehr Gastschüler aus Brandenburg ist, ungeachtet der Vereinbarung über Gegenseitigkeit beim Besuch von Schulen in öffentlicher Trägerschaft zwischen den Regierungen der Länder Berlin und Brandenburg vom 17. April 1998 (ABl. S. 1810) und des Rundschreibens der Senatsverwaltung für Schule, Jugend und Sport II N. 8/1998 vom 25. März 1998 (dort IV), die jeweils nur den Schulbesuch, nicht auch ergänzende Maßnahmen betreffen, noch verstärkt werden.

Ebenso wenig wird der Antragsteller durch das Ansinnen, sein Begehren im Hauptsacheverfahren zu verfolgen, schlechthin unzumutbar schweren Nachteilen ausgesetzt, die deshalb durch Anspruchserfüllung bereits im vorläufigen Verfahren abgewendet werden müssten (vgl. zu den Anforderungen Finkelnburg/Jank, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 4. Aufl. 1998, Rdnrn. 217, 220, 222). Seine Teilhabe an dem für ihn geeigneten sonderpädagogischen Bildungsangebot ist ungeschmälert gewährleistet. Auch ohne die erstrebte Bereitstellung des Schulhelfers über die 30 Unterrichtsstunden pro Woche hinaus, in denen dieser ausschließlich den Antragsteller bereits betreut, erhält der Antragsteller nach Plan diejenigen weiteren 5 Stunden sonderpädagogischen Unterricht, die in § 28 Abs. 2 VO Sonderpädagogik mit einer Gesamtheit von 35 Zeitstunden pro Woche vorgesehen sind. Dabei ist die von ihm verlangte und auch von der Schule für notwendig gehaltene "1:1-Betreuung" sichergestellt. Nach dem für den Antragsteller erarbeiteten Stundenplan wird dieser außerhalb der Anwesenheitszeiten des Schulhelfers montags in der letzten Schulstunde von 14.00 bis 15.00 Uhr und mittwochs im Laufe der ersten beiden Schulstunden von 8.40 bis 9.25 Uhr jeweils einzeln therapiert. Während der Einzeltherapien ist für die Betätigung eines Schulhelfers naturgemäß ohnehin kein Raum. Im Zuge der therapeutischen Behandlung findet die Betreuung zwangsläufig durch die Therapeuten statt, die den Antragsteller auch auf seinem Weg begleiten und ihm beim An- und Auskleiden helfen.

In den verbleibenden 3 % Schulstunden wird die Einzelbetreuung montags und freitags jeweils während der ersten Stunde von der pädagogischen Unterrichtshilfe sowie mittwochs während der ersten beiden Stunden vor und nach der dazwischen stattfindenden 3/4-stündigen Einzeltherapie von der Lehrerin geleistet. Ihm daraus entstehende Nachteile hat der Antragsteller nicht aufgezeigt, sie sind auch sonst nicht ersichtlich. Er beruft sich vielmehr nur darauf, dass die beiden Pädagogen den übrigen 7 Mitschülern seiner Klasse durch die ihm zuteil werdende Einzelbetreuung in ihren Rechten beeinträchtigt würden. Das verhilft ihm nicht zum Erfolg. Abgesehen davon, dass eine Schmälerung solch fremder Rechte Dritter schwerlich Nachteile bewirken kann, die ihm nicht zuzumuten sind, ist bei der Gewichtung dieser Beeinträchtigung zu berücksichtigen, dass sie keinen Sachunterricht betrifft, sondern sich auf den Morgenkreis und die Einnahme des Frühstücks beschränkt, dass ferner beide Pädagogen überwiegend weiterhin in der Klasse anwesend bleiben und dass die ausnahmsweise vorübergehende Entfernung aus der Klassengruppe im Falle von Störungen nicht zuletzt auch der Gewährleistung des Bildungsanspruchs seiner Mitschüler zugute kommt.

Dass die Klassenlehrerin des Antragstellers diese Gestaltung seiner Unterrichtsbetreuung ursprünglich als "Notlösung bis zum Ende des (vergangenen) Schuljahres" bezeichnet hat, rechtfertigt keine andere Beurteilung. Die Entscheidung, ob und ggf. in welchem Umfang die besonderen Maßnahmen der ergänzenden Pflege und Hilfe innerhalb des festgelegten Stellenrahmens der Schule leistbar sind oder die Anforderung von Schulhelfern erforderlich ist, obliegt nicht den Lehrkräften, sondern der Schulleiterin, denn nur sie kann dann den entsprechenden Antrag stellen (§ 5 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 4 Satz 1 VO Sonderpädagogik). Diese hat aber in dem jüngsten Antrag für das Schuljahr 2002/03 den Einsatz des Schulhelfers übereinstimmend mit der Lehrerin des Antragstellers im Umfang von "ca. 30 Stunden" für notwendig gehalten. Im Übrigen schließt die Bezeichnung einer Maßnahme als "Notlösung" nicht deren Eignung aus, etwaige Nachteile bis zur endgültigen gerichtlichen Klärung auf ein so erträgliches Maß zu reduzieren, dass eine sonst ausnahmsweise gebotene Durchbrechung des grundsätzlichen Verbots, die Hauptsache vorwegzunehmen, nicht in Betracht kommt.

Die Kosten der Beschwerde werden dem Antragsteller auferlegt (§ 154 Abs. 2 VwGO).

Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 2 000 € festgesetzt (§ 20 Abs. 3, § 13 Abs. 1 GKG).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Ende der Entscheidung

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