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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Berlin
Beschluss verkündet am 11.06.2002
Aktenzeichen: OVG 2 S 12.02
Rechtsgebiete: VwGO, BauNVO, BauGB, BImSchG


Vorschriften:

VwGO § 46 Abs. 4 Satz 3
VwGO § 146 Abs. 4 Satz 3
BauNVO § 4 Abs. 2
BauNVO § 4 Abs. 2 Nr. 2
BauNVO § 15 Abs. 1 Satz 2
BauGB § 34
BauGB § 34 Abs. 2
BImSchG § 5 Abs. 1 Nr. 1
BImSchG § 22 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OVG 2 S 12.02

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 2. Senat des Oberverwaltungsgerichts Berlin durch den Vorsitzenden Richter am Oberverwaltungsgericht Freitag den Richter am Oberverwaltungsgericht Liermann und die Richterin am Oberverwaltungsgericht Dr. Broy-Bülow am 11. Juni 2002 beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde der Beigeladenen wird zurückgewiesen.

Die Beigeladene trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Wert des Verfahrensgegenstandes wird für die zweite Rechtsstufe auf 2 045,17 EUR (= 4 000 DM) festgesetzt.

Gründe:

I.

Die Antragstellerin ist Eigentümerin des Grundstücks B. 9 in Berlin, auf dem sich hinter dem an der Straße gelegenen einstöckigen Gebäude "in zweiter Reihe" auch ihr Wohnhaus befindet. Dieses ist - ebenso wie die nachfolgenden zwei Wohnhäuser auf dem Grundstück - grenzständig mit der Rückwand an das benachbarte Wohngebäude B. 8 angebaut und dem Innenhof zugewandt. Auf dem Nachbargrundstück B. 10 betreibt die Beigeladene auf etwa gleicher Höhe mit dem Wohnhaus der Antragstellerin in einem denkmalgeschützten, über 100 Jahre alten Haus die Gaststätte "K." mit afrikanischer Küche. Diese grenzt wiederum an eine Freifläche, die sich auf dem Grundstück B. 11 zwischen zwei in die Grundstückstiefe grenzständig versetzt gebauten viergeschossigen Wohngebäuden befindet.

Der Antragsgegner hat dem Vorgänger der Beigeladenen mit Bescheid vom 26. September 1995 eine Umbau- und Nutzungsänderungsgenehmigung für ein Café erteilt und durch Nachtragsgenehmigung vom 10. Juni 1997 die Einbeziehung der im Hof gelegenen Terrasse mit vier Tischen und sechzehn Sitzplätzen in der Zeit von Montag bis Sonnabend 10.00 Uhr bis 20.00 Uhr gestattet. Diese Betriebszeiten beruhten auf einer Immissionsprognose der Firma B. GmbH vom 12. Februar 1997, die in ihrem schalltechnischen Gutachten die Einhaltung des für allgemeine Wohngebiete geltenden Richtwerts der TA-Lärm von 55 dB(A) tags zu Grunde legte. Die Genehmigung erfolgte unter dem Vorbehalt nachträglicher Auflagen, falls entgegen der schalltechnischen Vorabeinschätzung erhebliche Belästigungen oder Beeinträchtigungen der Nachbarschaft durch Lärmeinwirkungen eintreten sollten. Hiermit hat sich die Antragstellerin nach anfänglichem Widerspruch mit Schreiben vom 11. März 1997 einverstanden erklärt.

Im Jahr 1999 kam es zu zahlreichen Beschwerden der Antragstellerin wegen Überschreitung der genehmigten Nutzungszeiten und Lärmbelästigungen, die zur Einleitung eines Ordnungswidrigkeitenverfahrens gegen den Vorgänger der Beigeladenen führte. Im September 2000 beantragte dieser aus wirtschaftlichen Gründen die Aufhebung der zeitlichen Nutzungsbeschränkungen für den Gartenausschank und eine Ausdehnung der Betriebszeiten bis 22.00 Uhr einschließlich der Sonn- und Feiertage. Im Rahmen des nachfolgenden Anhörungsverfahrens sprachen sich die Eigentümer der Grundstücke B. 11 und B. 9 gegen jegliche Erweiterung der Betriebszeiten aus, weil schon von dem gegenwärtigen Betrieb starke Geräuschbelästigungen ausgingen. Der Hof wirke wie ein Schalltrichter und die Gäste würden sich bis in die Nacht in dem Garten aufhalten, auch wenn nicht mehr bedient würde. Dies führte zu dem Kompromissvorschlag des Antragsgegners, die Betriebszeiten statt von 10.00 Uhr bis 20.00 Uhr erst ab 16.00 Uhr, dann aber bis 22.00 Uhr einschließlich der Sonn- und Feiertage unter Beibehaltung der genehmigten Tischplatzzahl (16) zu genehmigen. Auch dieser Vorschlag stieß auf den Widerstand beider Grundstücksnachbarn. Während des Verwaltungsverfahrens hatte die Beigeladene die Gaststätte übernommen und hierfür vom Wirtschaftsamt Treptow-Köpenick mit Schreiben vom 8. Januar 2001 eine gaststättenrechtliche Erlaubnis erhalten. Sie trat in das Verfahren ein und wurde mit Schreiben vom 2. März 2001 auf die zahlreichen Anwohnerbeschwerden und die vom Antragsgegner erwogenen Möglichkeiten der Betriebsbeschränkung zur Einhaltung der Immissionsrichtwerte hingewiesen.

Mit Schreiben vom 31. Mai 2001 teilte die Antragstellerin dem Antragsgegner mit, dass am 23. und 24. Mai 2001 (gesetzlicher Feiertag) wiederum Terrassenbetrieb bis 23.00 Uhr bzw. 23.15 Uhr mit 28 bzw. 37 Gästen im Innenhof stattgefunden habe und die Auflagen zur Lärmminderung nicht eingehalten würden. Am 17. Juni 2001 erstattete sie ebenfalls Anzeige bei der Polizei wegen ruhestörenden Lärms bis 3.00 Uhr nachts. Mit Schreiben vom 22. Juli 2001 forderte sie schließlich den Antragsgegner nach weiteren polizeilichen Anzeigen auf, sich durch entsprechende Messungen selbst einen Eindruck von den Lärmbelästigungen an den Wochenenden zu verschaffen. Der Antragsgegner genehmigte daraufhin mit Bescheid vom 2. August 2001 die erweiterte Terrassennutzung täglich von 16.00 Uhr bis 22.00 Uhr einschließlich der Sonn- und Feiertage unter Beibehaltung der Tischplatzzahl (16) im Freien und führte erst danach, am 17. August 2001, erstmals Immissionsmessungen bei der Antragstellerin ab 21.00 Uhr durch. Der Betrieb im Innenhof lief an diesem Tag bis 0.00 Uhr. Auf das Messprotokoll, die Immissionsberechnung sowie den Vermerk des Umweltamtes Köpenick vom 20. August 2001 wird Bezug genommen.

Gegen die Baugenehmigung vom 2. August 2001 hat die Antragstellerin Widerspruch eingelegt und beim Verwaltungsgericht die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs beantragt. Dieser Antrag hatte Erfolg. In dem stattgebenden Beschluss vom 7. März 2002 hat das Verwaltungsgericht zur Begründung ausgeführt, dass schon Zweifel daran bestünden, ob das Restaurant der Beigeladenen lediglich auf die Versorgung des Gebietes ausgerichtet und damit als Schank- und Speisewirtschaft überhaupt in einem allgemeinen Wohngebiet zulässig sei. Dies könne jedoch dahinstehen, weil dem vorläufigen Rechtsschutzantrag bereits wegen Unvereinbarkeit der genehmigten Nutzungserweiterung der Terrasse mit nachbarschützenden Vorschriften stattzugeben sei, da sich diese konkret rücksichtslos auf das Grundstück der Antragstellerin auswirke (§ 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO). Von dem Betrieb der Antragstellerin gingen Belästigungen und Störungen aus, die nach der Eigenart des Baugebiets nicht zumutbar seien und Nachbarrechte verletzten. Die Bebauung dort sei sehr eng und der Wohn- und Schlafbereich der Antragstellerin durch die bauliche Situation ausschließlich der Gaststätte der Beigeladenen zugewandt. Die Antragstellerin könne sich den Immissionen, die von der Terrassennutzung ausgingen, nicht entziehen. Auch passiver Lärmschutz sei auf Grund der denkmalschutzrechtlichen Vorgaben nicht möglich. Insoweit komme es auf die einzelnen Lärmwerte nicht an, weil die konkrete Wohnsituation ergebe, dass die Gaststättennutzung mit der dazugehörigen Terrasse handgreiflich rücksichtslos sei.

Hiergegen richtet sich die vorliegende Beschwerde der Beigeladenen.

Diese trägt vor, dass der Gaststättenbetrieb der Versorgung des Ortsteils Friedrichshagen diene, selbst wenn das Lokal von Personen aus anderen Orts- und Stadtteilen besucht werde. Darüber hinaus stelle die B. als Hauptstraße von Friedrichshagen ein örtliches Zentrum der Geschäftstätigkeit mit zahlreichen Gewerbebetrieben, Dienstleistern und Handwerksbetrieben dar. Hierzu gehörten zwölf weitere Restaurants bzw. Cafés. Der Ortsteil Friedrichshagen sei daher kein ruhiges, abgeschiedenes Gebiet. Die Beeinträchtigungen, die eventuell von dem Gaststättenbetrieb ausgingen, seien deshalb von den Anwohnern hinzunehmen. Mit der Betriebszeitenverkürzung erst ab 16.00 Uhr gewinne die Antragstellerin täglich sechs Stunden völlig störungsfreier Nutzung insbesondere in der Mittagszeit. Demgegenüber falle die Erweiterung der Nutzungsbefugnis für die Terrasse in der Zeit von 20.00 Uhr bis 22.00 Uhr nicht wesentlich ins Gewicht. Der Antragstellerin blieben per Saldo vier störungsfreie Stunden. Die Baugenehmigung stelle sich daher bei einer gebotenen Gesamtbetrachtung eher als ein Gewinn als ein Verlust für sie dar.

Die Beigeladene beantragt,

den Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin vom 7. März 2002 aufzuheben.

Die Antragstellerin beantragt,

die Beschwerde der Beigeladenen zu verwerfen,

hilfsweise,

die Beschwerde der Beigeladenen zurückzuweisen.

Sie äußert Zweifel, ob die Beigeladene mit ihrem Beschwerdevorbingen den erhöhten Anforderungen des § 46 Abs. 4 Satz 3 VwGO genüge. Es fehle an einer Auseinandersetzung mit den tragenden Gründen der angefochtenen Entscheidung.

Der Hinweis auf die übrigen Gewerbetreibenden entlang der B. greife nicht durch, weil es auf die konkrete bauliche Situation im Bereich der Gaststätte ankomme. Die Anforderungen, die das Gebot der Rücksichtnahme an ein Bauvorhaben stelle, richteten sich im Wesentlichen nach den Umständen des Einzelfalles. Hier wirke sich der erweiterte Terrassenbetrieb des Restaurants der Beigeladenen auf das Grundstück der Antragstellerin konkret rücksichtslos aus. Wegen der notwendigerweise ausschließlich zum Nachbargrundstück hin ausgerichteten Wohn- und Schlafbereiche gebe es kein Entrinnen vor den erheblichen Lärmimmissionen des Terrassenbetriebs der Beigeladenen. Diese missachte sogar den stattgebenden Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 7. März 2001, indem der Gartenausschank nach wie vor bis in die Nachtstunden andauere. Zum Nachweis hat die Antragstellerin entsprechende polizeiliche Anzeigen und eine Auflistung von Zeugen beigefügt, die sich auf Karfreitag, den 29. März 2002, Ostermontag, den 1. April 2002, Donnerstag, den 4. April 2002, Sonnabend, den 20. April 2002, Sonntag, den 21. April 2002, Freitag, den 26. April 2002 sowie den 1. und 2. Mai 2002 beziehen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Streitakten und der Verwaltungsvorgänge (1 Leitzordner, 3 Hefter - Bände I-IV) Bezug genommen, die vorgelegen haben und Gegenstand der Entscheidung sind.

II.

Die Beschwerde der Beigeladenen ist zulässig. Sie genügt den Anforderungen des § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO, denn die von der Beigeladenen mit dem Hinweis auf die zahlreichen Restaurants und Handwerksbetriebe entlang der B. angeschnittene Frage des Gebietscharakters könnte sowohl für die bauplanungsrechtlich zulässige Art der Schank- und Speisewirtschaft (vgl. § 4 Abs. 2 Nr. 2 / § 6 Abs. 2 Nr. 3 BauNVO) von Bedeutung sein als auch für den Grad der Zumutbarkeit der von dem Restaurant der Beigeladenen ausgehenden Lärmimmissionen (vgl. Nr. 6.1 c) / d) TA-Lärm). Die Beschwerdebegründung bezieht sich damit auf rechtliche Voraussetzungen, die tragende rechtliche Erwägungen des Beschlusses vom 7. März 2002 (sowohl die letztlich dahinstehen gelassene Frage des funktionalen Ortsbezugs des Restaurantbetriebs der Beigeladenen im Sinne des § 4 Abs. 2 Nr. 2 BauNVO als auch die Frage der Zumutbarkeit der Lärmimmissionen gegenüber der Antragstellerin) berühren (vgl. Seibert, Änderung der VwGO durch das Gesetz zur Bereinigung des Rechtsmittelrechts im Verwaltungsprozess, NVwZ 2002, S. 265, 269).

Die Beschwerde hat jedoch keinen Erfolg.

Bauplanungsrechtlich beurteilt sich das Vorhaben zur Erweiterung der Terrassennutzung durch das Restaurant der Beigeladenen auf dem Grundstück B. 10 nach § 34 BauGB. Der Senat folgt insoweit der Beurteilung des Verwaltungsgerichts, dass die nähere Umgebung, in der sich das Restaurant der Beigeladenen und das Wohnhaus der Antragstellerin befinden, gemäß § 34 Abs. 2 BauGB in Verbindung mit § 4 Abs. 2 BauNVO faktisch als allgemeines Wohngebiet einzustufen ist. Diese bauplanungsrechtliche Einordnung wird durch die in dem Verwaltungsvorgang enthaltenen Lagepläne zu der Baugenehmigung vom 15. September 1995, zu dem ersten Nachtrag vom 10. Juni 1997 und zu der Baugenehmigung vom 2. August 2001 bestätigt, wonach die Umgebung vorwiegend durch Wohngebäude geprägt ist, sodass der Senat von einer Ortsbesichtigung absieht.

Danach befinden sich auf den sehr schmalen und über 80 m tiefen Grundstücken B. 9, 10 und 11 teilweise bis in eine Tiefe von 70 m hinein gestaffelt ein- bis viergeschossige Wohngebäude und ein Bürogebäude. Das Beschwerdevorbringen der Beigeladenen vermag diesen bauplanungsrechtlichen Ausgangspunkt nicht zu erschüttern. Sie kann sich nicht mit Erfolg darauf berufen, dass es entlang der B. noch zahlreichere andere Restaurants "gibt". Die von ihr aufgezählten Gewerbebetriebe sind zum einen nicht gebietsuntypisch (vgl. § 4 Abs. 2 BauNVO), zum anderen konzentrieren sie sich entlang der Hauptgeschäftsstraße. Sie sind dadurch für die Feststellung der prägenden näheren Umgebung des Vorhabens im Sinne des § 34 BauGB nicht maßstabbildend, denn bei einer historisch bedingten, kleinteiligen Bau- und Nutzungsstruktur, wie sie hier gegeben ist, gilt auch nur ein kleinräumlicher Bezugsrahmen, sodass auf einen vergleichsweise geringen Umkreis abzustellen ist. Maßgebend ist die städtebauliche Situation, soweit sich eine Nutzung auf die jeweilige Umgebung auswirken kann (vgl. BVerwG, Beschluss vom 20. August 1998, NVwZ-RR 1999, S. 105; Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, Stand: 1. September 2001, § 34 Rdnr. 36). Dies sind im vorliegenden Fall nur die durch Wohnbebauung geprägten benachbarten Grundstücke.

Ob der Restaurantbetrieb der Beigeladenen auf Grund der teilweise überörtlichen Zielgruppe der Gäste zu den Schank- und Speisewirtschaften gezählt werden kann, die der Versorgung des Gebiets dienen und damit in einem allgemeinen Wohngebiet gemäß § 4 Abs. 2 Nr. 2 BauNVO zulässig sind (vgl. hierzu Urteil des Senats vom 29. April 1994 - OVG 2 B 18.92 - OVGE 21, 89 = BRS 56 Nr. 55), kann dahinstehen, denn die angefochtene Baugenehmigung vom 2. August 2001 verstößt bei summarischer Prüfung jedenfalls gegen das in § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO zum Ausdruck kommende Rücksichtnahmegebot. Diese Vorschrift ist auch im Rahmen des § 34 Abs. 2 BauGB in faktischen Baugebieten zu beachten (BVerwG, Beschluss vom 12. Februar 1990, NVwZ 1990, S. 557, 558 = BauR 1990, S. 326, 327). Sie soll gewährleisten, dass durch unterschiedliche Nutzungen hervorgerufene Konflikte möglichst vermieden werden. Eine Verletzung des Rücksichtnahmegebots setzt voraus, dass von einer baulichen Anlage oder Nutzung Belästigungen oder Störungen ausgehen, die nach der Eigenart des Baugebiets im Baugebiet selbst oder in dessen Umgebung unzumutbar sind. Daraus folgen nachbarrechtliche Abwehr- und Schutzansprüche soweit in besonders qualifizierter und zugleich individualisierter Weise auf schutzwürdige Interessen eines erkennbar abgegrenzten Kreises Dritter Rücksicht zu nehmen ist (vgl. BVerwGE 52,122,129 ff; Urteil des Senats vom 24. April 1987 - OVG 2 B 22.86 -). Bei der Interessengewichtung zur Bestimmung des Inhalts der im Einzelfall gebotenen Rücksichtnahme ist darauf abzustellen, was dem Rücksichtnahmebegünstigten und dem Rücksichtnahmeverpflichteten nach Lage der Dinge zuzumuten ist, wobei es bei Wohngebäuden typischerweise um eine Bewertung der Veränderung der Wohnqualität - etwa wie hier - durch Immissionen geht (vgl. OVG Hbg., Beschluss vom 29. Mai 2001, NVwZ 2002, 494, 495).

Nach dieser Wertung spricht alles dafür, dass der Antragsgegner mit der angefochtenen Baugenehmigung vom 2. August 2001 für den auf die Zeit von 20.00 Uhr bis 22.00 Uhr sowie auf die Sonn- und Feiertage ausgedehnten Gartenausschank auf der Terrasse des Restaurants der Beigeladenen eine Nutzung zugelassen hat, die sich nicht mit dem Gebot der Rücksichtnahme vereinbaren lässt. Die dadurch eintretenden Nachteile dürften das Maß dessen übersteigen, was Nachbarn billigerweise noch zumutbar ist.

Die streitige Nutzung soll in der "zweiten Reihe" inmitten der Wohnbebauung stattfinden. Sie bricht damit aus der gebietstypischen Nutzungsverteilung aus, wonach die gewerbliche Nutzung vorwiegend in den Häusern entlang der B. stattfindet und in den Straßenraum ausstrahlt. Zugleich schirmen diese Gebäude die hinteren Wohnbereiche von der Geschäftsstraße ab und schaffen dort eine beruhigte Zone. Die Nutzung muss sich daher hinsichtlich ihrer Umgebungsverträglichkeit an der konkreten Situation messen lassen, wie sie sich aus der vorhandenen Bebauung ergibt. Diese ist durch eine historisch gewachsene, kleinteilige, in die Grundstückstiefe gestaffelte und mit den Rückwänden jeweils grenzständig aneinander gebaute Wohnbebauung gekennzeichnet, die zwischen den Häusern grundstücksübergreifend kleine Hofsituationen hat entstehen lassen, auf die die Gebäude mit ihren Wohn- und Schlafräumen einseitig ausgerichtet sind. Diese kleinräumliche Enge wird noch durch eine grenzständige Ziegelmauer zwischen den Grundstücken Nr. 9 und 10 verstärkt. Die Bewohner sind Immissionen, die in diesem Bereich entstehen, alternativlos ausgesetzt. Durch die bauliche Enge fallen sie besonders ins Gewicht, denn sie erfassen die jeweilige Wohnqualität insgesamt. Dem Verwaltungsgericht ist deshalb darin zuzustimmen, dass die Zulassung eines Restaurantbetriebs mit Terrassennutzung im vorliegenden Fall schon für sich gesehen handgreiflich rücksichtslos ist.

Dies gilt erst recht, wenn die von einem solchen Betrieb ausgehenden Einwirkungen nach den Wertungen des Immissionsschutzrechts von den Nachbarn selbst in weniger empfindlichen baulichen Situationen schon nicht mehr hinzunehmen wären (vgl. BVerwG, Beschluss vom 20. April 2000, ZfBR 2001, S. 142; Urteil vom 25. Februar 1977, BVerwGE 52, 122). Immissionen, die das nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG zulässige Maß überschreiten, gelten als unzumutbar und begründen unter dem Gesichtspunkt des bauplanungsrechtlichen Rücksichtnahmegebots nachbarrechtliche Abwehr- und Schutzansprüche. Dies gilt auf Grund der Anforderungen des § 22 Abs. 1 BImSchG auch für solche Anlagen, die - wie der Restaurantbetrieb der Beigeladenen - keiner immissionsschutzrechtlichen Genehmigung bedürfen. Deshalb können die Richtwerte der TA-Lärm auch in diesen Fällen als Anhalt dienen, ob die von dem Vorhaben ausgehenden Immissionen gegen das Rücksichtnahmegebot verstoßen (vgl. Hess. VGH, Beschluss vom 28. Januar 2000, NVwZ-RR 2000, S. 570 m.w.N.).

Eine faktische Vorbelastung stellt jedoch die mit der ersten Nachtragsgenehmigung vom 10. Juni 1997 genehmigte Nutzung der Terrasse für den Restaurantbetrieb dar (Begrenzung auf maximal 16 Plätze, Ausschluss des Terrassenbetriebs von Sonn- und Feiertagen, Betriebszeiten 10.00 bis 20.00 Uhr, Einhaltung des Tagesrichtwertes der TA-Lärm für allgemeine Wohngebiete von 55 dB(A)), mit der sich die Antragstellerin im Schreiben vom 11. März 1997 auch einverstanden erklärt hat. Diese führt dazu, dass zumindest die damit verbundenen Beeinträchtigungen hinzunehmen sind und der Existenz des Betriebes insoweit Rechnung zu tragen ist. Der Bestandsschutz, den diese Nutzung genießt, ist situationsbelastender Bestandteil der Umgebung, in die das Grundstück der Antragstellerin hineingestellt ist (vgl. Hess. VGH, a.a.O.; BVerwG, Urteil vom 27. August 1998, BauR 1999, S. 152, 157).

Nicht hierzu zählen jedoch die durch zahlreiche Nachbarbeschwerden und -anzeigen dokumentierten Betriebszeitenüberschreitungen und Lärmbelästigungen durch die Gäste bei der Terrassennutzung über 20.00 Uhr hinaus oder sogar an Sonn- und Feiertagen, die dem Betrieb zuzurechnen sind (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 7. Mai 1996, DÖV 1997, S. 253 ff.). Hier wäre es Sache des Antragsgegners, im Interesse der Anwohner von dem unter 0006.1 der Anlage zur ersten Nachtragsgenehmigung vom 10. Juni 1997 genannten Vorbehalt nachträglicher Anforderungen auch Gebrauch zu machen oder ordnungswidrigkeitenrechtliche und gaststättenrechtliche Maßnahmen zu ergreifen. Ob die gemäß Nr. 6.1 d) TA-Lärm für allgemeine Wohngebiete geltenden Immissionsrichtwerte von tags 55 dB(A), die unter Bezugnahme auf das Schallschutzgutachten der B. vom 12. Februar 1997 zur Grundlage der ersten Nachtragsgenehmigung vom 10. Juni 1997 für die Terrassennutzung gemacht worden sind, während der genehmigten Betriebszeiten von 10.00 bis 20.00 Uhr überhaupt eingehalten werden, ist von dem Antragsgegner trotz der zahlreichen Nachbarbeschwerden vor der Erteilung der weiteren Genehmigung vom 2. August 2001 nicht durch Immissionsmessungen überprüft worden. Stattdessen beschränkte sich der Antragsgegner auf erneute rechnerische Immissionsprognosen. Die auf das Stellungnahmeersuchen des Bau- und Wohnungsaufsichtsamts Köpenick vom 8. September 2000 erfolgten Immissionsberechnungen des Umweltamtes ergaben für eine Terrassennutzung mit 16 Plätzen von 10.00 Uhr bis 22.00 Uhr werktags für den benachbarten Immissionsort B. 11 einen Gesamtbeurteilungspegel von 57,2 dB(A) statt des einzuhaltenden Richtwertes von 55 dB(A) und selbst bei einer Betriebseinschränkung auf die Zeit von 16.00 Uhr bis 22.00 Uhr noch von 55,4 dB(A). Für den Immissionsort B. 9 (Antragstellerin) errechnete der Antragsgegner für die Zeit von 10.00 Uhr bis 22.00 Uhr werktags einen Gesamtbeurteilungspegel von 55 dB(A). Diese Werte hätten in Verbindung mit der konkreten baulichen Situation eher Anlass für eine Betriebseinschränkung statt für eine Ausdehnung und Verlagerung der Betriebszeiten auch noch in die Zeiten erhöhter Empfindlichkeit nach 20.00 Uhr bis 22.00 Uhr sowie deren Zulassung auch an Sonn- und Feiertagen (vgl. Nr. 6.5 TA-Lärm) sein müssen. Die Verkürzung der Betriebszeiten durch einen Betriebsbeginn erst ab 16.00 Uhr statt bereits ab 10.00 Uhr stellt bei einer gleichzeitigen Verlagerung in die Zeit nach 20.00 Uhr unter Nachbarschutzgesichtspunkten keine geeignete Kompensationsmaßnahme dar, zumal die Beigeladene durch die wiederholten Überschreitungen der nur bis 20.00 Uhr genehmigten Betriebszeiten keinen Anlass zu der Erwartung gab, die Betriebszeit bis 22.00 Uhr auch einzuhalten und den Gartenausschank pünktlich einzustellen. Für die unmittelbar nachfolgende, deutlich lärmempfindlichere Nachtzeit ab 22.00 Uhr hat das Umweltamt Köpenick bei seiner schließlich auf das Schreiben der Antragstellerin vom 22. Juli 2001 - allerdings erst nach der Erteilung der Baugenehmigung vom 2. August 2001 - durchgeführten Messungen am Freitag, den 17. August 2001, festgestellt, dass eine Einhaltung des Immissionsrichtwertes für die Zeit ab 22.00 Uhr von 40 dB(A) selbst bei relativ ruhigem Verhalten der Gäste nicht möglich ist, sondern um mindestens 5 dB(A) überschritten wird. Auch an diesem Tag wurde der Terrassenbetrieb nicht um 20.00 Uhr eingestellt, sondern dauerte bis 0.00 Uhr an (vgl. Vermerk des Umweltamtes Köpenick vom 20. August 2001).

Bei summarischer Prüfung spricht deshalb die Würdigung der Gesamtumstände dagegen, dass die mit der angefochtenen Genehmigung vom 2. August 2001 zugelassenen erweiterten Betriebszeiten - täglich von 20.00 Uhr bis 22.00 Uhr sowie auch an Sonn- und Feiertagen von 16.00 bis 22.00 Uhr - der Antragstellerin noch zumutbar und unter dem Gesichtspunkt nachbarlicher Rücksichtnahme genehmigungsfähig sind.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Festsetzung des Verfahrenswertes beruht auf §§ 13 Abs. 1 Satz 2, 20 Abs. 3 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§152 Abs. 1 VwGO).

Ende der Entscheidung

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