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Gericht: Oberverwaltungsgericht Berlin
Beschluss verkündet am 30.07.2003
Aktenzeichen: OVG 2 S 24.03
Rechtsgebiete: VwGO, GG


Vorschriften:

VwGO § 42 Abs. 2
GG Art. 14 Abs. 1
GG Art. 5 Abs. 1
1. Zum Nachbarschutz obligatorisch Berechtigter.

2. Das Mietrecht an einem Grundstück erstarkt nicht dadurch zu einer eigentumsähnlichen, zur Inanspruchnahme öffentlich-rechtlichen Nachbarschutzes berechtigenden Rechtsposition, dass das Nutzungskonzept für die Mieträume auf die Authentizität des Ortes angewiesen ist (Mauermuseum "Haus am Checkpoint Charlie").

3. Art. 5 Abs. 1 GG gewährt keinen Anspruch auf Beibehaltung eines angemessenen baulichen Umfeldes.


Tatbestand:

Die Antragstellerin betreibt seit über vier Jahrzehnten das sog. Mauermuseum im "Haus am Checkpoint Charlie" in Berlin Mitte. Die dortige Ausstellung zeigt in den von ihr angemieteten Räumen Exponate zur Teilung Deutschlands sowie zum DDR-Grenzregime und befindet sich aus Gründen der historischen Authentizität von Ort und Geschichtsdarstellungen am symbolträchtigen ehemaligen Gernzübergang Checkpiont Charlie. Der Antragsgegner hat einer Veranstaltungsagentur für das zurzeit noch brachliegende Nachbargrundstück eine Baugenehmigung für einen befristeten Markt erteilt. Dort soll eine Marktgasse im Ambiente "Altberlin" mit mobilen Ständen für Souvenirhändler, Kunsthandwerk und Gastronomiebetrieben mit berlinspezifischem Begleittreiben sowie ein Ausstellungszelt aufgestellt werden. Außerdem soll das Marktgeschehen durch ein Stück der Berliner Mauer ergänzt werden. Die Antragstellerin wendet sich mit dem vorliegenden Verfahren gegen die"rücksichtslose Profanisierung" des Ortes durch den Markt, weil sie aufgrund des Ausstellungskonzeptes auf die historische Authentizität des Ortes angewiesen und dadurch ortsgebunden sei. Ihr grundstücksbezogenes Nutzungsinteresse gestatte ihr die Geltendmachung eigentumsrechtlicher Abwehrrechte unter Rückgriff auf Art. 14 Abs. 1 GG sowie aus Art. 5 Abs. 1 GG, weil die Darstellung der historischen Ereignisse in ihrem Museum "unerträglich verunglimpft" werde.

Das VG hat den Antrag, das OVG die Beschwerde zurückgewiesen.

Gründe:

Die Antragstelleerin ist nicht antragsbefugt (§42 Abs. 2 VwGO). Als Mieterin der Museumsräume in Berlin-Mitte ist sie lediglich obligatorisch Berechtigte und kann deshalb keinen öffentlich-rechtlichen Nachbarschutz gegen die Baugenehmigung für den befristeten Markt geltend machen.

Grundsätzlich können nur Grundstückseigentümer - quasi als Repräsentanten eines benachbarten Grundstücks - öffentlich-rechtlichen Nachbarschutz für sich in Anspruch nehmen oder solche Antragsteller, die zumindest eine dem Grundeigentum angenäherte Rechtsposition erlangt haben, die es rechtfertigt, sie als antragsbefugte "Nachbarn" anzusehen. Diese Beschränkung des öffentlich-rechtlichen Nachbarschutzes auf den Grundstückseigentümer beruht zum einen auf dem Grundgedanken, dass das Bauplanungs- und Bauordnungsrecht die bauliche und sonstige Nutzung der Grundstücke regelt und deshalb grundstücks- und nicht personenbezogen ist sowie zum anderen auf dem Aspekt des wechselseitigen Austauschverhältnisses. Denn nur weil und soweit der Eigentümer eines Grundstücks hinsichtlich dessen Ausnutzung öffentlich-rechtlichen Beschränkungen unterworfen ist, kann er deren Beachtung auch im Verhältnis zum Grundstücksnachbarn verlangen und durchsetzen (vgl. BVerwG, Urteil vom 11. Mai 1989, DVBI. 1989, S. 1055, 1060).

Auch dem Eigentumsrecht an dem Grundstück im materiellen Sinne weitgehend angenäherte Rechte können Nachbarschutz vermitteln. Dem Eigentümer ist deshalb gleichzustellen, wer in eigentumsähnlicher Weise an einem Grundstück dinglich berechtigt ist (etwa der Inhaber eines Erbbaurechts) oder wer eine schutzwürdige eigentumsähnliche Rechtsposition erlangt hat, der schon im Vorfeld der Rechtsänderung dingliche Wirkungen zukommen, wie z.B. durch eine Auflassungs- oder Eigentumsübertragungsvormerkung im Grundbuch (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 16. September 1993; ZfBR 1994, S. 101, 102; Urteil vom 11. Mai 1989, a.a.O.; Urteil vom 29. Oktober 1982, ZfBR 1983, S. 33, 34; Beschlüsse des Senats vom 1. November 1988 - OVG 2 S 8.88 - ,NVwZ 1989, S. 267 sowie vom 24. Juli 2002 - OVG 2 S 22.02 -; OVG Lüneburg, Urteil vom 22. März 1996, NVwZ 1996, S. 918, 919; OVG Thür., Beschluss vom 18. Oktober 1996, BRS 58 Nr. 156). Wer jedoch lediglich ein obligatorisches Recht an einem Grundstück von dessen Eigentümer ableitet, hat aus dieser rechtlichen Position gegen die einem Nachbarn erteilte Baugenehmigung grundsätzlich kein öffentlich-rechtliches Abwehrrecht (vgl. BVerwG, Urteil vom 16. September 1993, a.a.O., Beschluss des Senats vom 1. November 1988, a.a.O.). Obligatorische Rechtsverhältnisse reichen, selbst wenn sie beispielsweise pachtähnlich sind und der Berechtigte sogar an den Grunderwerbs- und Grunderwerbssteuerkosten beteiligt worden ist, nicht für die Inanspruchnahme öffentlich-rechtlichen Nachbarschutzes aus (vgl. hierzu Beschluss des Senats vom 13. Mai 2002 - OVG 2 L 9.02 -). Daraus folgt, dass sich das Nutzungsrecht der Antragstellerin jedenfalls nicht schon dadurch einem dinglichen Recht an dem Grundstück angenähert haben kann, dass sie durch die Ausstellungsthematik mit der Situierung der Mieträume auf den besonderen Bezug zu dem historischen Ort am früheren Checkpoint Charlie angewiesen ist.

Das Besitzrecht des Mieters an den gemieteten Räumen wird zwar nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Beschluss vom 26. Mai 1993, BVerfGE 89, 1 ff.) auch zu den vermögenswerten Rechtspositionen im Sinne des Artikel 14 Abs. 1 GG gezählt und stellt insoweit "Eigentum" dar. Dieses eigentumskräftige Recht ist jedoch ausschließlich staatsgerichtet (vgl. BVerfG, a.a.O., S.8; Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, GG, Stand: Februar 2003, Artikel 14 Rn. 202), und der Einfluss des Artikel 14 Abs. 1 GG bezieht sich darauf, dass das Recht zur Nutzung der Räume im Rahmen des vertragsgemäßen Gebrauchs auch anhand der grundrechtlichen Werteordnung auszulegen ist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 28. März 2000, NJW 2000, S. 2658 ff.). Dies führt nicht dazu, dass sich im Rahmen öffentlichrechtlicher Nachbarklagen die Antrags- oder Klagebefugnis nunmehr auch auf diesen Kreis zivilrechtlich Berechtigter erstreckt (vgl. BVerwG, Beschluss vom 20. April 1998, Buchholz 406.19. Nachbarschutz Nr. 150 = DVBI. 1998, S. 899; OVG Lüneburg, Urteil vom 22. März 1996, NVwZ 1996, S. 918, 919), zumal durch die einem Nachbarn erteilte Baugenehmigung in .der Regel weder in das Mietverhältnis selbst noch in das daraus folgende Besitzrecht eingegriffen wird. Die Antragstellerin kann sich zur Abwehr des genehmigten Marktes auf dem Nachbargrundstück auch nicht mit Erfolg auf Artikel 5 Abs. 1 GG.

Das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung umfasst in Form des Unterfalles , der Meinungsverbreitungsfreiheit das Recht, andere zu informieren, wobei auch Informationsquellen wie Ausstellungen und Museen zu den Schutzobjekten des Grundrechts gehören (vgl. Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Artikel 5 Rn. 81, 92) Im vorliegenden Fall wird durch den genehmigten Markt jedoch weder die AlIgemeinzugänglichkeit der Ausstellung abgeschnitten noch wird die Meinungsverbreitung dadurch faktisch unmöglich gemacht (vgl. Maunz/Dürig/Herzog/Scholz,a.a.O., Rn. 88, 74 ff.). Eine Drittwirkung in Form eines Anspruchs auf Gewährleistung der Beibehaltung eines für die gewählte Meinungsverbreitungsform einer Ausstellung angemessenen baulichen Umfeldes begründet Artikel 5 Abs. 1 GG nicht. Auch gegenüber der öffentlichen Hand ist ein Leistungsanspruch in diesem Sinne nicht begründet; Artikel 5 Abs. 1 GG ist insoweit nur ein bloßes Abwehrrecht im klassischen Sinne (vgl. Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, a.a.O., Rn. 61, 62).

Nicht einmal Gewerbebetriebe könnten sich gegen den Verlust eines Lagevorteils wehren und die Beibehaltung bestimmter örtlicher Gegebenheiten-einklagen, weil diese Faktoren zu dem außerhalb des Eigentumsschutzes des Artikel 14 Abs. 1 GG liegenden allgemeinen Unternehmerrisiko gehören (vgl. Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Artikel 14 Rn. 101, 104 sowie Beschluss des Senats vom 12. Mai 2003 - OVG 2 S 10.03 -).

Da in einem kerngebietstypischen Innenstadtbereich jahrmarktsähnliche Nutzungen vorübergehender Natur bauplanungsrechtlich nicht auszuschließen sind, müssen sie insbesondere von Nutzern eines Mietobjekts in diesem Bereich hingenommen werden und können nicht im Wege von Nachbarklagen angefochten werden, soweit nicht durch Immissionen o.ä. gesundheitliche Beeinträchtigungen in Frage stehen (Art. 2 Abs. 1 GG).

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