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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Berlin
Beschluss verkündet am 12.06.2002
Aktenzeichen: OVG 2 S 8.02
Rechtsgebiete: VwGO, VwVfG, BauGB


Vorschriften:

VwGO § 80 Abs. 5
VwVfG § 36 Abs. 2 Nr. 4
BauGB § 136 Abs. 4 Nr. 1
BauGB § 145
BauGB § 145 Abs. 4
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OVG 2 S 8.02

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 2. Senat des Oberverwaltungsgerichts Berlin durch den Vorsitzenden Richter am Oberverwaltungsgericht Freitag, den Richter am Oberverwaltungsgericht Liermann und die Richterin am Oberverwaltungsgericht Dr. Broy-Bülow am 12. Juni 2002 beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin vom 24. Januar 2002 wird zurückgewiesen.

Der Antragsgegner trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Beschwerdewert wird auf 2 490 EUR (entsprechend 5 000 DM) festgesetzt.

Gründe:

Die Antragstellerin ist Eigentümerin des im festgesetzten Sanierungsgebiet Spandauer Vorstadt liegenden Grundstücks R. in Berlin, das mit einem fünfgeschossigen Wohnhaus bebaut ist. Durch den Bescheid vom 11. Oktober 2001 erteilte ihr der Antragsgegner unter Anordnung der sofortigen Vollziehung die sanierungsrechtliche Genehmigung für Sanierungs- und Modernisierungsmaßnahmen in den leer stehenden, zu je einer großen Wohnung zusammengelegten beiden Wohnungen im dritten und im vierten Obergeschoss. Durch als "modifizierende Auflagen" bezeichnete Nebenbestimmungen wurde ihr aufgegeben, eine Mietobergrenze von 7,38 DM pro m² für einen Zeitraum von fünf Jahren nach Abschluss der Modernisierung einzuhalten und dies durch entsprechende Mietverträge nachzuweisen.

Gegen diese Nebenbestimmungen hat die Antragstellerin Widerspruch eingelegt und beim Verwaltungsgericht die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung beantragt. Das Verwaltungsgericht hat diesem Antrag durch den Beschluss vom 24. Januar 2002 stattgegeben, weil ernstliche Zweifel gegen die Rechtmäßigkeit der isoliert anfechtbaren Auflagen beständen.

Die dagegen gerichtete Beschwerde des Antragsgegners hat keinen Erfolg. Bei der nach § 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmenden Abwägung der widerstreitenden Interessen überwiegt das Interesse der Antragstellerin, von der Vollziehung der angefochtenen Nebenbestimmung verschont zu bleiben, das öffentliche Interesse des Antragsgegners an deren sofortiger Vollziehung.

Wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat, handelt es sich bei den Nebenbestimmungen trotz ihrer ausdrücklichen Bezeichnung als solche nicht um den Inhalt der sanierungsrechtlichen Genehmigung bestimmende "modifizierende Auflagen", sondern um echte, der Antragstellerin ein bestimmtes Tun im Sinne von § 36 Abs. 2 Nr. 4 VwVfG vorschreibende Auflagen, die zu der die Baumaßnahmen erlaubenden, auf einer gebundenen begünstigenden Entscheidung beruhenden sanierungsrechtlichen Genehmigung nach § 145 BauGB hinzutreten. Sie sind deshalb mit dem Widerspruch und gegebenenfalls mit der Klage auf Aufhebung anfechtbar. Ob die Anfechtung im Ergebnis auch zur isolierten Aufhebung der Nebenbestimmung führen kann, hängt zwar davon ab, ob der begünstigende Verwaltungsakt ohne die Nebenbestimmung sinnvoller- und rechtmäßigerweise bestehen bleiben kann; dies ist jedoch eine Frage der Begründetheit und nicht der Zulässigkeit, soweit - was hier nicht der Fall ist - eine isolierte Aufhebbarkeit nicht offenkundig von vornherein ausscheidet (std. Rspr. des BVerwG, vgl. etwa BVerwGE 65, 140 f., E 100, 335, 338 und Beschluss vom 17. Juli 1995, NVwZ-RR 1996, S. 20, vgl. auch den Beschluss des Senats vom 7. Mai 2001, NVwZ 2001, S. 1059).

Bei summarischer Prüfung kann weder ein Obsiegen der Antragstellerin in der Sache noch ihr Unterliegen mit der erforderlichen überwiegenden Wahrscheinlichkeit prognostiziert werden.

Für die Beurteilung der Erfolgsaussichten ist es nicht erforderlich, aus Anlass des vorliegenden Falles grundsätzlich zu klären, ob mit Hilfe von Auflagen oder sonstigen Nebenbestimmungen die der Sanierungsgenehmigung nach § 145 Abs. 4 BauGB beigefügt sind, Mietobergrenzen festgelegt und vor allem durchgesetzt werden können, um über die Instandsetzung und Modernisierung der baulichen Substanz hinaus nach Maßgabe des gemeindlichen Sanierungskonzepts auch den Schutz der Zusammensetzung der vorhandenen Wohnbevölkerung vor Verdrängung als soziales Ziel von Sanierungsmaßnahmen gemäß § 136 Abs. 4 Nr. 1 BauGB zulässigerweise (herrschende Meinung, vgl. Schmidt-Eichstaedt, ZfBR 2002, S. 212, 213 und die Nachweise in Fußnote 6 sowie den Beschluss des Senats vom 10. Oktober 1995, NVwZ 1996, S. 920) zu verfolgen. Es kommt auch nicht entscheidend darauf an, ob und inwieweit die uneingeschränkte Einhaltung einheitlicher Mietobergrenzen unter Berücksichtigung der in dem Abschlussbericht des Büros für stadtteilnahe Sozialplanung GmbH vom März 2001 ermittelten Daten, wonach rund neun Jahre nach der förmlichen Festlegung des Sanierungsgebiets Spandauer Vorstadt die Wohnbevölkerung in ihrer Zusammensetzung und Einkommensstruktur auf Grund der hohen Mobilität der Bewohnerschaft weitgehende Veränderungen erfahren hat, nach dem Schutzziel des Sanierungskonzeptes noch erforderlich ist.

Entscheidungserheblich sind dagegen in erster Linie die rechtlichen Probleme, die sich daraus ergeben, dass der Antragsgegner nach seinem Sanierungskonzept über eine umfassende Instandsetzung und Modernisierung des Altbaubestandes hinaus gleichzeitig das Ziel verfolgt, durch eine an dem Mietspiegel ausgerichtete generelle Begrenzung der modernisierungsbedingten Mietsteigerungen einer Verdrängung der - insbesondere einkommensschwachen - Wohnbevölkerung des Gebiets vorzubeugen (vgl. Nr. 3 der Leitsätze des Senats zur Stadterneuerung in Berlin vom 31. August 1993). Denn wie insbesondere die spezifische Situation der hier in Frage stehenden Wohnungen zeigt, kann das gesetzliche Sanierungsziel der Behebung baulicher Missstände (§ 136 Abs. 2 Satz 1, § 148 Abs. 2 Nr. 1 BauGB) in Einzelfällen in einen unlösbaren Widerspruch zu dem gleichzeitig von der Behörde verfolgten Verdrängungsschutz geraten, wenn die Modernisierungsmaßnahmen zur Überschreitung der festgesetzten Mietobergrenzen führen (vgl. Schmidt-Eichstaedt, a.a.O., S. 214 und 216 sowie die Nachweise in den Fußnoten 18 und 19). Die Folge davon kann sein, dass sich private Investoren in solchen Fällen entschließen, beabsichtigte Modernisierungsmaßnahmen nicht durchzuführen oder aufzuschieben, so dass sich die Gefahr abzeichnet, dass der bekämpfte städtebauliche Missstand zunächst fortbesteht. Dieser Konflikt der Sanierungsziele tritt bei den hier streitigen Wohnungen besonders deutlich zutage, deren Herstellung aus zwei zusammengelegten Wohnungen erklärtermaßen dem Sanierungsprogramm des Antragsgegners entspricht, und die überdies bereits leer standen bzw. für die Umbaumaßnahmen geräumt werden müssten. Insoweit ist schon fraglich, ob in Sanierungsgebieten auch die neuen Mieter vor Mieterhöhungen geschützt werden müssen. Die vom Bundesverwaltungsgericht im Urteil vom 18. Juni 1997 (BVerwGE 105, S. 67) für festgesetzte Milieuschutzgebiete (§ 172 Abs. 1 Nr. 2 BauGB) vertretene Auffassung, dass es für die Anerkennung von Mietbelastungsobergrenzen als Indikatoren für eine Verdrängungsgefahr mit Rücksicht auf die Vorbildwirkung nicht darauf ankomme, ob die einzelne Wohnung in dem Gebiet leer stehe oder der Mieter mit der Baumaßnahme einverstanden sei, muss nicht notwendigerweise auch für das in Sanierungsgebieten verfolgte Ziel eines Verdrängungsschutzes gelten. Dem könnte der grundsätzliche Unterschied zu Milieuschutzsatzungen entgegenstehen, durch die für die in einem intakten Gebiet wohnenden Menschen der Bestand der Umgebung gesichert und so die Bevölkerungsstruktur in einem bestimmten Ortsteil vor unerwünschten Veränderungen geschützt werden soll, während in Sanierungsgebieten definitionsgemäß städtebauliche Missstände durch zumeist umfangreiche Instandsetzungs- und Modernisierungsmaßnahmen zügig beseitigt werden sollen (vgl. hierzu Schmidt-Eichstaedt, a.a.O., S. 216 und 218, anderer Auffassung Hong, ZMR 2001, S. 857, 863 f.). Im Hinblick auf diese rechtliche Konfliktlage hat die Senatsbauverwaltung bereits in einem Schreiben vom 12. Januar 1998 an die Bezirksbaustadträte (GE 1998, S. 348 ff.) anstelle einer flächendeckend gleichmäßigen Anwendung der festgesetzten Mietobergrenzen eine flexiblere Handhabung angemahnt.

Für eine grundsätzliche Klärung dieser Rechtsfragen ist das vorliegende einstweilige Rechtsschutzverfahren jedoch weder geeignet noch bestimmt. Auf der Grundlage des noch offenen Verfahrensausganges ist daher eine Abwägung der widerstreitenden Interessen vorzunehmen. Hierbei ist dem Interesse der Antragstellerin, von der Einhaltung der sie in ihren wirtschaftlichen Dispositionen erheblich einschränkenden Mietobergrenzen - vorläufig - verschont zu bleiben, gegenüber dem vom Antragsgegner verfolgten öffentlichen Interesse an der Durchsetzung der Mietobergrenzen jedenfalls für diese Wohnungen, die - wie das Verwaltungsgericht ausgeführt hat - auf Grund ihrer Größe und der daraus auch bei Wahrung der Mietobergrenze folgenden Miethöhe für die einkommensschwache Bevölkerung des Sanierungsgebietes ohnehin kaum in Betracht kommt, der Vorrang einzuräumen. Das auch dem Verdrängungsschutz dienende Sanierungsprogramm kann jedenfalls durch die einstweilige Ausnahme dieser Wohnungen von der Bindung an die Mietobergrenzen nicht spürbar beeinträchtigt werden.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO; die Streitwertfestsetzung beruht auf § 20 Abs. 3, § 13 Abs. 1 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Ende der Entscheidung

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