Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Berlin
Beschluss verkündet am 31.01.2005
Aktenzeichen: OVG 6 B 4.04
Rechtsgebiete: AsylVfG, AuslG, VwGO, AufenthG


Vorschriften:

AsylVfG § 14 Abs. 4
AsylVfG § 18 Abs. 2 Nr. 3
AsylVfG § 18 a Abs. 2
AsylVfG § 30 Abs. 3 Nr. 4
AsylVfG § 30 Abs. 3 Nr. 6
AsylVfG § 34 Abs. 1
AsylVfG § 71
AsylVfG § 71 Abs. 1
AsylVfG § 71 Abs. 5
AsylVfG § 71 Abs. 5 Satz 1
AsylVfG § 71 Abs. 6 Satz 1
AuslG § 8 Abs. 2
AuslG § 42 Abs. 7 a.F.
AuslG § 50 Abs. 5 a.F.
AuslG § 50 Abs. 5 Satz 1
AuslG § 50 Abs. 5 Satz 2
VwGO § 125 Abs. 2 Satz 3
VwGO § 130 a
AufenthG § 59
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OVG 6 B 4.04

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 6. Senat des Oberverwaltungsgerichts Berlin am 31. Januar 2005 beschlossen:

Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 14. August 2003 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens zweiter Instanz mit Ausnahme der Kosten des Beigeladenen, der diese selbst trägt.

Der Beschluss ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des Vollstreckungsbetrags abwenden, wenn nicht der Kläger zuvor in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten um die Rechtmäßigkeit einer so genannten Abschiebungsandrohung "auf Vorrat"

Der 1971 in der Bundesrepublik Deutschland geborene Kläger ist türkischer Staatsangehöriger. Seinen aus der Abschiebehaft heraus gestellten Asylantrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 13. Dezember 1998 als offensichtlich unbegründet ab, stellte fest, dass Abschiebungshindernisse nicht vorliegen und kündigte dem Kläger an, dass er nach Ablauf einer Woche nach Bekanntgabe der Entscheidung aus der Haft heraus in die Türkei abgeschoben werde. Für den Fall der Haftentlassung wurde er zur Ausreise binnen einer Woche nach Bekanntgabe des Bescheides aufgefordert und ihm, falls er die Ausreisefrist nicht einhalte, die Abschiebung in die Türkei angedroht. Ferner wurde dem Kläger die Abschiebung für den Fall einer erneuten, unerlaubten Einreise in die Bundesrepublik Deutschland angedroht.

Auf die hiergegen erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht Berlin mit Urteil vom 14. August 2003 (VG 36 X 428.98) den Bescheid in Ziffer 4 des Tenors insoweit aufgehoben, als dem Kläger darin die Abschiebung für den Fall einer erneuten, unerlaubten Einreise in die Bundesrepublik Deutschland angedroht wird und im Übrigen die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat das Verwaltungsgericht - soweit die Klage erfolgreich war - im Wesentlichen ausgeführt: Eine Abschiebungsandrohung "auf Vorrat" sei mangels einer Rechtsgrundlage rechtswidrig. Lediglich § 18 a Abs. 2 AsylVfG erlaube im Rahmen des so genannten Flughafenverfahrens eine solche vorsorgliche, auf den Fall einer zukünftigen Einreise bezogene Abschiebungsandrohung. Diese Regelung sei nicht verallgemeinerungsfähig.

Zur Begründung der vom Senat mit Beschluss vom 13. August 2004 (OVG 6 N 87.03) zugelassenen Berufung trägt die Beklagte im Wesentlichen vor: Eine Abschiebungsandrohung "auf Vorrat" sei angesichts des vom Gesetzgeber deutlich gemachten Grundsatzes der Verfahrensbeschleunigung zulässig. In Haftfällen komme dieser Grundsatz in §§ 14 Abs. 4, 30 Abs. 3 Nr. 4 und Nr. 6 AsylVfG und § 50 Abs. 5 AuslG (a.F.) zum Ausdruck. Die Zulässigkeit von vorsorglichen Regelungen belegten auch die Regelungen in §§ 18 Abs. 2 Nr. 3, 71 Abs. 1 und 5 AsylVfG, §§ 8 Abs. 2, 42 Abs. 7 AuslG (a.F.). In Fällen, in denen der Betroffene doch nicht aus der Haft heraus, sondern nach Haftentlassung abgeschoben werde bzw. dann freiwillig ausreise, könne im Fall der Wiedereinreise im Rahmen des § 71 Abs. 5 Satz 1 AsylVfG auf die "alte" Abschiebungsandrohung zurückgegriffen werden.

Die Beklagte beantragt,

unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts Berlin vom 14. August 2003 die Klage, soweit die Androhung der Abschiebung des Klägers für den Fall einer erneuten, unerlaubten Einreise in die Bundesrepublik Deutschland aufgehoben wurde, insgesamt abzuweisen.

Der Kläger hat sich - nach Zulassung der Berufung - in der Sache nicht geäußert. Der beteiligte Bundesbeauftragte für Asylangelegenheiten hat keine Stellungnahme abgegeben. Die Beteiligten sind gemäß § 130 a i.V.m. § 125 Abs. 2 Satz 3 VwGO angehört worden.

II.

Der Senat konnte über die Berufung durch Beschluss entscheiden, weil er sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält (§ 130 a Satz 1 VwGO). Die Beteiligten sind auf diese Möglichkeit hingewiesen worden (§ 130 a Satz 2 i.V.m. § 125 Abs. 2 Satz 3 VwGO).

Die Berufung der Beklagten ist nicht begründet. Das Verwaltungsgericht hat den angefochtenen Bescheid in Ziffer 4 zu Recht aufgehoben. Die darin verfügte Abschiebungsandrohung "auf Vorrat" ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

Eine Ermächtigungsgrundlage für eine vorsorgliche, auf den Fall einer zukünftigen Einreise bezogene Abschiebungsandrohung ist ausdrücklich nur für den besonderen Fall im Rahmen des Flughafenverfahrens in § 18 a Abs. 2 AsylVfG enthalten. Entgegen der Auffassung der Beklagten lässt sich weder nach Sinn und Zweck unter Berufung auf den das Asylverfahrensrecht allgemein prägenden Grundsatz der Verfahrensbeschleunigung noch aus der Gesamtsystematik des Asylverfahrensgesetzes ableiten, dass die Regelung des - im Rahmen des Zuwanderungsgesetzes vom 30. Juli 2004 unverändert gebliebenen - § 18 a Abs. 2 AsylVfG zur Lückenschließung in entsprechender Anwendung zu verallgemeinern wäre.

Der Erlass einer Abschiebungsandrohung auf der Grundlage des Asylverfahrensgesetzes (§§ 34 Abs. 1 Satz 1, 34 a Abs. 1, 35, 39 Abs. 1, 71 Abs. 4 AsylVfG) knüpft an eine Ausreisepflicht an, die sich aus der Erfolglosigkeit eines Asylantrags ergibt. Vorausgesetzt wird ein gegenwärtiger Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland, den es gegebenenfalls im Wege der Verwaltungsvollstreckung zu beenden gilt. Das gilt auch für den in § 71 Abs. 5 Satz 1 und Abs. 6 Satz 1 AsylVfG geregelten Fall des Verzichts auf eine erneute Androhung bei einer Wiedereinreise - nach alter Fassung innerhalb der Zweijahresfrist, nach der gemäß Art. 3 Nr. 44 Zuwanderungsgesetz geltenden Fassung ohne zeitliche Begrenzung - und Stellung eines Asylfolgeantrags. Auch in diesem Fall wird vorausgesetzt, dass im Rahmen des ersten bzw. früheren Asylverfahrens eine Abschiebungsandrohung ergangen und wegen der Erfolglosigkeit des Antrags vollziehbar geworden ist.

Eine Abschiebungsandrohung auf Vorrat für den Fall der erneuten, illegalen Einreise knüpft hingegen nicht an den gegenwärtigen Aufenthalt, sondern an eine künftige Wiederanreise und eine erst dann durch die erneute unerlaubte Einreise entstehende Ausreisepflicht an. Der unterschiedliche Anknüpfungspunkt wird auch in der unterschiedlichen Zuständigkeit deutlich. Denn im Fall der erneuten unerlaubten Wiedereinreise ist die Beklagte nur dann zuständig, wenn nach der Wiedereinreise ein Antrag auf Durchführung eines weiteren Asylverfahrens gestellt wird. Wird ein solcher Folgeantrag nach § 71 AsylVfG gestellt, regelt § 71 Abs. 5 Satz 1 AsylVfG abschließend den Fall, in dem ein erneuter Erlass einer Abschiebungsandrohung nicht erforderlich ist (vgl. auch OVG Münster, Beschluss vom 23. März 2000 - 10 A 1284/00.A - in: juris; VGH Mannheim, Urteil vom 5. Juli 2001 - A 14 S 2181/00 -, VBlBW 2002, 38; OVG Greifswald, Beschluss vom 20. November 2003 - 2 L 60/03 -, in: juris; Funke-Kaiser, in: GK-AsylVfG § 34 Rdnr. 10). § 71 Abs. 5 AsylVfG und insbesondere § 71 Abs. 6 Satz 1 AsylVfG - wenn der Ausländer zwischenzeitlich das Bundesgebiet verlassen hat - besagen gerade nicht, dass in diesen Fällen eine Abschiebung ohne vorausgehende Androhung bzw. Anordnung durchgeführt werden kann. Geregelt wird vielmehr lediglich, dass es bei Stellung eines Folgeantrags einer erneuten Abschiebungsandrohung bzw. -anordnung nicht bedarf. Insofern greift auch das - von der Beklagten unter anderem durch Bezugnahme auf ein Urteil der 34. Kammer des Verwaltungsgerichts Berlin vorgebrachte - Argument nicht, für abgelehnte Asylbewerber, die aus der Haft heraus abgeschoben würden, müssten dieselben Rechtsfolgen gelten wie bei Asylantragstellern, die sich nicht in Haft befinden.

Soweit die Beklagte auf die Besonderheit von Haftfällen und damit auf den bis zum 31. Dezember 2004 geltenden § 50 Abs. 5 AuslG verweist, der für eine Vielzahl von "Altfällen" mit Blick auf den maßgeblichen Zeitpunkt für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung weiterhin relevant ist, führt auch dies nicht zur Zulässigkeit der streitigen Abschiebungsandrohung "auf Vorrat". Zu der bis zum 31. Dezember 2004 geltenden Rechtslage ist anzumerken, dass bereits zweifelhaft erscheint, ob die dargelegten Schwierigkeiten in Haftfällen in der Besonderheit der Abschiebung aus der Haft heraus begründet sind, oder ob nicht auch in dieser Situation eine Abschiebungsandrohung, an die die Vorschrift des § 71 Abs. 5 Satz 1 AsylVfG anknüpft, zulässig ist (vgl. auch VGH Mannheim, Urteil vom 5. Juli 2001 - A 14 S 2181/00 -, VBlBW 2002, 38).

Diese Einschätzung wird durch die Neuregelung im Rahmen des am 1. Januar 2005 in Kraft getretenen Aufenthaltsgesetzes bestätigt. Wie sich aus § 59 AufenthG ergibt, der keine mit § 50 Abs. 5 AuslG vergleichbare Regelung enthält, ist nunmehr auch in Haftfällen (§ 58 Abs. 3 Nr. 1 AufenthG) grundsätzlich die Abschiebung mit Fristsetzung anzudrohen (vgl. dazu auch Funke-Kaiser, in: GK-AufenthG, § 59 Rn. 83ff, 97ff). § 50 Abs. 5 Satz 1 AuslG erlaubte zwar den Verzicht auf die Fristsetzung, schloss eine solche jedoch nicht schlechthin aus. Es kann dahinstehen, ob § 50 Abs. 5 AuslG es zulies, in Haftfällen nicht nur von der Fristsetzung abzusehen, die gemäß § 50 Abs. 5 Satz 2 AuslG durch eine Ankündigungspflicht ersetzt wurde, sondern es auch erlaubte, von einer Androhung abzusehen (vgl. nur Funke-Kaiser, in: GK-AuslR § 50 Rdnr. 102 m.w.M.). Angesichts der - insoweit unverändert gebliebenen - asylverfahrensrechtlichen Regelung des § 34 Abs. 1 AsylVfG, die den Erlass der Abschiebungsandrohung ausdrücklich vorschreibt, kann nicht davon ausgegangen werden, dass es der Beklagten grundsätzlich versagt gewesen wäre, in einem Haftfall eine Abschiebungsandrohung zu erlassen. Die Androhung hat in einem Haftfall zwar mangels Möglichkeit zur freiwilligen Ausreise in erster Linie die Funktion einer Ankündigung der Abschiebung. Sie hat darüber hinaus aber noch eine weitere Funktion, nämlich mit Blick auf § 71 Abs. 5 AsylVfG den dort vorausgesetzten Anknüpfungspunkt der vollziehbaren Ausreisepflicht zu begründen. Das setzt wiederum voraus, dass in der Ankündigung auch der Staat bezeichnet wird, in den der Betroffene abgeschoben werden soll, es sei denn, die Benennung des Zielstaates ist ausnahmsweise entbehrlich. Damit kann die Beklagte sicherstellen, dass für abgelehnte Asylantragsteller, die aus der Haft heraus abgeschoben werden, dieselben Rechtsfolgen eintreten wie bei Antragstellern, die sich nicht in der Haft befinden. Zugleich wird der verfassungsgerichtlich gebotene Rechtsschutz gewährleistet (vgl. dazu nur BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des 2. Senats vom 16. März 1999 - 2 BvR 2131.95 -, InfAuslR 1999, 256).

Diese Auffassung steht auch nicht im Widerspruch zu dem das Asylverfahrensrecht prägenden Grundsatz der Verfahrensbeschleunigung. Zwar ist bei Aus-legung asylverfahrensrechtlicher Vorschriften insbesondere auch dem Beschleunigungszweck Rechnung zu tragen. Dies gilt jedoch nur soweit die bestehenden gesetzlichen Regelungen hierfür einen Anknüpfungspunkt bilden. Der Gesetzgeber hätte es in der Hand gehabt, durch eine entsprechende eindeutige Regelung - über die Regelung des § 18 a Abs. 2 AsylVfG hinaus - eine tragfähige Ermächtigungsgrundlage für eine vorsorgliche, auf den Fall einer zukünftigen Einreise bezogenen Abschiebungsandrohung zu begründen (so auch OVG Greifswald, Beschluss vom 20. November 2003 - 2 L 60/03 -, in: juris; VGH Mannheim, Urteil vom 5. Juli 2001 - A 14 S 2181/00 -, VBlBW 2002, 38). Darauf hat er verzichtet und, wie das zwischenzeitlich in Kraft getretene Zuwanderungsgesetz belegt, auch in Kenntnis der Rechtsprechung zu dieser Frage keine Notwendigkeit für eine solche Regelung gesehen.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 2, 162 Abs. 3 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht (mehr) vorliegen.

Ende der Entscheidung

Zurück