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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Berlin
Beschluss verkündet am 15.07.2004
Aktenzeichen: OVG 6 S 117.04
Rechtsgebiete: BSHG, VwGO


Vorschriften:

BSHG § 23 Abs. 4
VwGO § 80 Abs. 2 Nr. 4
VwGO § 80 Abs. 5
VwGO § 146 Abs. 4 Satz 1
VwGO § 146 Abs. 4 Satz 6
VwGO § 123
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OVG 6 S 117.04 OVG 6 M 38.04

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 6. Senat des Oberverwaltungsgerichts Berlin am 15. Juli 2004 beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin vom 3. März 2004 wird, soweit sie sich gegen die Versagung einstweiligen Rechtsschutzes wendet, zurückgewiesen.

Der Beschluss über die Ablehnung von Prozesskostenhilfe wird auf die Beschwerde des Antragstellers geändert. Ihm wird Prozesskostenhilfe unter Beiordnung seines Verfahrensbevollmächtigten Rechtsanwalt G. für das Verfahren erster Instanz bewilligt, soweit ein Mehrbedarfszuschlag für den Monat Februar 2004 im Streit gewesen ist.

Die Kosten der Beschwerde gegen die Ablehnung einstweiligen Rechtsschutzes trägt der Antragsteller. Kosten für die Prozesskostenhilfebeschwerde werden nicht erstattet.

Gründe:

I.

Der Antragsteller beantragt einstweiligen Rechtsschutz wegen der Versagung eines Mehrbedarfszuschlags wegen kostenaufwändiger Ernährung im Sinne von § 23 Abs. 4 BSHG.

Der Antragsgegner bewilligte dem Antragsteller eine Zeit lang einen Mehrbedarfszuschlag wegen kostenaufwändiger Ernährung im Rahmen der Hilfe zum Lebensunterhalt und stellte diesen Teil der Hilfe mit den Leistungen für den Monat Januar 2004 ein. Mit Schreiben vom 7. Februar 2003 hatte sich der Antragsteller gegen eine Kürzung des ihm bisher gewährten Mehrbedarfszuschlags auf einen Betrag von 26,16 EUR gewandt. Der Antragsgegner teilte dazu mit Schreiben vom 12. Februar 2003 mit, der bis zum 28. Februar 2002 anerkannte Mehrbedarf sei auf Grund der Bescheinigung Hyperlipidämie und Hypertonie bewilligt worden. Mit der dann vorgelegten ärztlichen Bescheinigung sei als Grund für kostenaufwändigere Ernährung nur noch Hypertonie genannt worden, die eine Anerkennung von lediglich 26,16 EUR an Mehrbedarf rechtfertige. Sollten weitere Gründe für einen Mehrbedarf vorliegen, werde um entsprechendes ärztliches Attest gebeten. Nachdem der Antragsteller eine ärztliche Bescheinigung von 7. März 2003 mit den Diagnosen "Hypertonie, Adipositas permagna und Hyperurikämie" (Gewicht: 120 kg bei einer Körpergröße von 178 cm) vorgelegt hatte, bewilligte der Antragsgegner mit Bescheid vom 19. Mai 2003 einen monatlichen Mehrbedarfszuschlag wegen Hypertonie und Hyperurikämie für die Zeit ab März 2003 im Umfang von 31,39 EUR. Gegen diese Entscheidung wandte sich der Antragsteller mit Schreiben vom 4. Juni 2003 und verlangte, es müsse für die gesamte zurückliegende Zeit ein Mehrbedarf von 36,62 EUR bewilligt werden. Mit Schreiben vom 13. Juni 2003 verwies der Antragsgegner darauf, vor März 2003 komme ein höherer Mehrbetrag nicht in Betracht, weil das entsprechende Attest erst am 7. März 2003 ausgestellt worden sei. Um bei ärztlichen Bescheinigungen, die wechselnde Diagnosen auswiesen, den "stetig angefochtenen Punkt des Mehrbedarfs endgültig zu klären", sei der Vorgang dem amts- und vertrauensärztlichen Dienst zur Prüfung vorgelegt worden. Dieser werde ein Gutachten zum Mehrbedarf erstatten. Dazu verwies der Antragsteller darauf, für den Fall der Vorlage eines entsprechenden Attestes sei ihm mündlich die rückwirkende Bewilligung des entsprechenden Mehrbedarfsbetrages zugesagt worden. Mit einem mit Rechtsmittelbelehrung versehenen Schreiben vom 30. Juli 2003 teilte der Antragsgegner mit, die Angelegenheit müsse zunächst amtsärztlich geprüft werden.

Mit Schreiben an den Antragsgegner vom 9. Juli und 28. August 2003 teilte der amtsärztliche Dienst mit, die Diagnosen Hyperurikämie und Hypertonie begründeten bei einem Body-Mass-Index von 38 nicht die Zuerkennung eines Mehr-bedarfs für Ernährung, weil die einzig sinnvolle Diät eine Reduktionskost sei (weniger Essen mit Vermeidung u.a. von Fett und Zucker). Stoffwechselveränderungen seien Folge des Übergewichts des Antragstellers. Daraufhin entschied der Antragsgegner mit Bescheid vom 9. September 2003, der Mehrbedarfszuschlag wegen kostenaufwändiger Ernährung werde auf Grund der Stellungnahme des gesundheitlichen Dienstes abgelehnt und der entsprechende Zuschlag zum 1. Oktober 2003 eingestellt. Den gegen diese Entscheidung gerichteten Widerspruch des Antragstellers wies der Antragsgegner mit Bescheid vom 30. Dezember 2003 zurück. Dagegen hat der Kläger am 22. Januar 2004 Klage erhoben und mit einem am 20. Februar 2004 bei dem Verwaltungsgericht ein-gegangenen Schriftsatz beantragt, die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs vom 17. September 2003 gegen den Bescheid des Beklagten vom 9. September 2003 anzuordnen.

Das Verwaltungsgericht hat das Begehren als Antrag auf Erlass einer einstwei-ligen Anordnung zur Zahlung eines Mehrbedarfs wegen kostenaufwändiger Ernährung angesehen und mangels Darlegung eines Anordnungsanspruchs mit Beschluss vom 3. März 2004 als unbegründet abgelehnt. Gegen diese Entscheidung wendet sich der Antragsteller mit der Beschwerde.

II.

Die Beschwerde gegen die Versagung einstweiligen Rechtsschutzes kann mit den nach § 146 Abs. 4 Satz 1 und 6 VwGO allein zu prüfenden Gründen keinen Erfolg haben.

Der Antragsteller rügt zunächst, das Verwaltungsgericht habe verkannt, dass mit dem Bescheid vom 9. September 2003 ein begünstigender Verwaltungsakt widerrufen worden sei. Die von ihm, dem Antragsteller, vorgelegte ärztliche Bescheinigung, die den Mehrbedarf begründen solle, gelte jeweils für ein Jahr. Diese Ausführungen rechtfertigen die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes nicht.

Ginge man von der Auffassung des Antragstellers aus, der Mehrbedarf werde jeweils für ein Jahr bewilligt, so hätten der Widerspruch und die Klage VG 32 A 60.04 gegen die Einstellung der entsprechenden Hilfe aufschiebende Wirkung, da es an einer Vollzugsanordnung im Sinne von § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO fehlt. In Betracht käme alsdann nicht die Anordnung, sondern bei tatsächlichem Vollzug nur die Feststellung der aufschiebenden Wirkung. Eine solche Feststellung könnte sich nur auswirken, soweit der Antragsgegner die "Einstellung" der beantragten Leistung tatsächlich vollzogen hat. Von der Auffassung des Antragstellers sowie der Feststellung des Mehrbedarfs für die Zeit ab 1. März 2003 ausgehend wäre die Feststellung der aufschiebenden Wirkung der Rechtsmittel nur für den Monat Februar 2004 von Bedeutung, weil der Antragsgegner bis Januar 2004 einschließlich den bisher anerkannten Mehrbedarf tatsächlich weiter gezahlt hat (VG 32 A 60.04 Bl. 19). Ab 1. März 2004 wäre ohnehin wieder die Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung erforderlich zur Darlegung der Notwendigkeit weiteren Mehrbedarfs und käme einstweiliger Rechtsschutz nur in Form der einstweiligen Anordnung in Betracht. Insoweit - also jedenfalls für die Zeit ab März 2004 - hat das Verwaltungsgericht mit Recht ausgeführt, dass eine Bescheinigung über eine notwendige Diät, die Mehrkosten im Vergleich zu normaler Vollkost erfordert, nicht beigebracht worden ist.

Das Verwaltungsgericht hat jedoch auch für den Monat Februar 2004 mit Recht einstweiligen Rechtsschutz nach § 80 Abs. 5 VwGO nicht gewährt und ausgeführt, es komme nur Rechtsschutz nach § 123 VwGO in Betracht; dieser sei jedoch abzulehnen, weil es an der Glaubhaftmachung eines Anordnungsanspruchs fehle.

Sozialhilfe ist - wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat - keine rentengleiche Dauerleistung, sondern bedarf immer wieder der Überprüfung. Diese findet in der Regel bei der Hilfe zum Lebensunterhalt monatlich statt, soweit nicht kürzere Zeiträume nach Lage des Einzelfalles geboten sind oder soweit sich einem Bewilligungsbescheid nicht entnehmen lässt, dass er wegen der Besonderheiten des Einzelfalles Leistungen für einen längeren Zeitraum zuerkennen will.

Bei Art und Umfang der Bewilligung von Mehrbedarf wegen kostenaufwändiger Ernährung geht der Antragsgegner von den "Empfehlungen für die Gewährung von Krankenkostzulagen in der Sozialhilfe" des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge aus (2. neubearbeitete Auflage 1997; vgl. Rundschreiben V Nr. 13/1998 der Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales). Der Deutsche Verein empfiehlt, die Bewilligung von Krankenkost auf 12 Monate zu befristen. Dem folgt der Antragsgegner insoweit, als er sich in der Regel nur einmal im Jahr die Notwendigkeit einer Diät ärztlich bescheinigen lässt. Eine ausdrückliche Bewilligung für ein Jahr enthält der Bescheid des Antragsgegners vom 19. Mai 2003, der den Mehrbedarf für die Zeit ab 1. März 2003 regelt, hingegen nicht. Das bedeutet, dass der Antragsgegner den Mehrbedarf ebenso wie die sonstigen laufenden Leistungen für den Lebensunterhalt monatlich prüft und, wenn er Gründe sieht, die Hilfe, hier insbesondere den Mehrbedarf, höher oder niedriger zu bemessen, auch vor Ablauf eines Jahres eine neue Entscheidung für künftige Monate treffen kann. Das ist auch sinnvoll, weil sich nicht nur die tatsächlichen Voraussetzungen für den sonstigen Lebensunterhaltsbedarf, sondern auch die des ernährungsbedingten Mehrbedarfs vor Ablauf eines Jahres ändern können. So hängt dieser Bedarf nach den Feststellungen des gesundheitlichen Dienstes bei dem Antragsteller insbesondere davon ab, ob er übergewichtig ist. Außerdem richtet sich der Mehrbedarf nach dem jeweiligen Stand der medizinischen Erkenntnisse zu Art und Umfang einer notwendigen Diät. Ergeben sich hier weder vom Wortlaut des Bewilligungsbescheides her noch aus Sinn und Zweck der Bewilligung Anhaltspunkte dafür, dass der Mehrbedarf für einen längeren Zeitraum als die übrige Hilfe zum Lebensbedarf geregelt worden ist, so ist von einer monatlichen Prüfung und Bewilligung auszugehen (vgl. zur Prüfung des Mehrbedarfs auch OVG Berlin, Beschluss vom 18. Juni 2004 - OVG 6 S 165.04 - sowie OVG Münster, Urteil vom 28. September 2001, FEVS 53, 310).

Gründe für eine Prüfung ergaben sich hier im Zusammenhang damit, dass der Antragsteller die Bewilligung vom 19. Mai 2003 angefochten und höhere Leistungen gefordert hatte. Daraufhin hat der Antragsgegner im Hinblick auf die wechselnden Diagnosen in den vom Antragsteller seit dem Jahre 2000 eingereichten ärztlichen Bescheinigungen Anlass gesehen, die Frage eines Mehrbedarfs amtsärztlich grundsätzlich überprüfen zu lassen, und den Antragsteller auf diese Überprüfung hingewiesen (Schreiben vom 13. Juni 2003). Damit musste der Antragsteller mit einer grundlegenden Neubewertung somit auch mit einer Änderung der Mehrbedarfsentscheidung für die Zukunft zu seinen Lasten rechnen. Allerdings ist er sodann vom Antragsgegner vor dem Erlass des den Mehrbedarf für die Zukunft einstellenden Bescheides vom 9. September 2003 nicht angehört worden. Sollte darin - wie der Antragsteller meint - ein Versäumnis gelegen haben, so ist dieses jedenfalls mit der Anhörung im Widerspruchsverfahren beseitigt worden. Der Antragsteller hatte bis zur endgültigen Einstellung der Zahlungen, also bis zum Ablauf des Monats Januar 2004, Gelegenheit, darzutun, dass trotz der Ausführungen des amtsärztlichen Dienstes ein ernährungsbedingter Mehrbedarf gegeben sei. Dazu hat der Antragsteller weder damals noch im gerichtlichen Verfahren eine dies begründende ärztliche Bescheinigung beigebracht. Das Verwaltungsgericht hat deshalb zu Recht ausgeführt, er habe einen Anordnungsgrund im Sinne von § 123 VwGO nicht dargetan.

Der Beschwerde des Antragstellers gegen die Versagung von Prozesskostenhilfe für das Verfahren erster Instanz war in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang stattzugeben, da sein Begehren zwar in der Sache keinen Erfolg hatte, er jedoch wegen schwieriger Rechtsfragen im Zusammenhang mit der Art der Bewilligung einstweiligen Rechtsschutzes (vgl. oben S. 4 in II., 3. Absatz) der anwaltlichen Vertretung bedurfte.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO, § 127 Abs. 4 ZPO.

Dieser Beschluss ist gemäß § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar.

Ende der Entscheidung

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