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Gericht: Oberverwaltungsgericht Berlin
Beschluss verkündet am 29.03.2004
Aktenzeichen: OVG 8 S 31.04
Rechtsgebiete: AuslG 1990


Vorschriften:

AuslG 1990 § 45 Abs. 1
AuslG 1990 § 46 Nr. 2
AuslG 1990 § 48 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4
Das Bestehen einer ehelichen Lebensgemeinschaft setzt eine häusliche Gemeinschaft nicht zwingend voraus. Ein gemeinsamer Lebensmittelpunkt, an dem die eheliche Kommunikation erfolgt, kann auch ohne ständige häusliche Gemeinschaft bestehen.
Tatbestand:

Der in Berlin aufhältliche Antragsteller, der wegen Einschleusens von Ausländern zu einer einjährigen Bewährungsstrafe verurteilte worden war, wendet sich gegen seine Ausweisung mit der Begründung, er lebe mit seiner in Holland arbeitenden deutschen Ehefrau in ehelichen Lebensgemeinschaft und genieße daher besonderen Ausweisungsschutz. Sein Antrag, die aufschiebende Wirkung seiner Klage gegen den Bescheid des Landeseinwohneramts Berlin anzuordnen, war erstinstanzlich erfolglos.

Seine Beschwerde wurde vom OVG zurückgewiesen.

Gründe:

Das Verwaltungsgericht hat den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage (§ 80 Abs. 5 Satz 1 Alternat. 1 VwGO) gegen den Bescheid des Landeseinwohneramts Berlin vom 5. August 2003, mit dem der Antragsteller u. a. auch ausgewiesen worden ist, zu Recht wegen der Sperrwirkung der Ausweisung (§ 8 Abs. 2 Sätze 1 und 2 AuslG) abgelehnt und deren Rechtmäßigkeit zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) inzident geprüft und bejaht. Es ist zutreffend davon ausgegangen, dass der wegen Einschleusens von Ausländern in zwei Fällen und wegen Einschleusens von Ausländern in Tateinheit mit Verschaffen von falschen amtlichen Ausweisen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt worden ist, verurteilte Antragsteller damit einen Ausweisungsgrund (§§ 45 Abs. 1, 46 Nr. 2 AuslG) verwirklicht hat und ihm mangels einer ehelichen Lebensgemeinschaft mit seiner deutschen Ehefrau kein besonderer Ausweisungsschutz (§ 48 Abs. 1 Nr. 4 AuslG) zusteht.

Das Beschwerdevorbringen, das Inhalt und Umfang der oberverwaltungsgerichtlichen Überprüfung bestimmt (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO) und das sich ausschließlich gegen die Verneinung einer ehelichen Lebensgemeinschaft durch das Verwaltungsgericht wendet, rechtfertigt keine andere Beurteilung.

Der Antragsteller hat durch das Beschwerdevorbringen nicht glaubhaft zu machen vermocht, dass zwischen ihm und seiner deutschen Ehefrau, die von ihm getrennt in Holland lebt und studiert (vgl. Erklärung des Antragstellers vom 1. September 2003) bzw. dort eine Ausbildung als Alten- und Behindertenpflegerin absolviert (vgl. Erklärung des Antragstellers vom 9. September 1999: "Werksuchend in der Alten- und Behindertenpflege") oder einer Erwerbstätigkeit nachgeht (Feststellung des strafrechtlichen Urteils vom 11. Dezember 2002), trotz der räumlichen Distanz zwischen den Wohnorten eine eheliche Lebensgemeinschaft besteht. Die eheliche wie die familiäre Lebensgemeinschaft werden in der Regel in einer gemeinsamen Wohnung bzw. häuslichen Gemeinschaft geführt. Das Gesetz setzt dies allerdings nicht zwingend voraus (vgl. Begründung des Gesetzentwurfs und Bericht des Innenausschusses des Bundestages, abgedr. bei Kloesel/Christ/Häußer, Deutsches Ausländerrecht, 4. Aufl., § 17 AuslG). Ausnahmsweise kann eine solche Lebensgemeinschaft auch in anderer Form als in einer ständigen häuslichen Gemeinschaft geführt werden (Kloesel/Christ/Häußer, Deutsches Ausländerrecht, 4. Aufl. Stand Juli 2003, § 17 Rn. 18, § 48 Rn. 6; Hailbronner, Ausländerrecht, 2000, § 17 AuslG Rn. 22 f. Stand Nov. 2000, § 48 AuslG Rn. 8 Stand Sept. 2001; Igstadt, in GK-AuslR, Stand April 1998, § 17 Rn. 42 ff.; Vormeier, in GK-AuslR, Stand Dez. 1998, § 48 AuslG Rn. 19). Werden getrennte Wohnungen unterhalten, muss dennoch ein gemeinsamer Lebensmittelpunkt bestehen, die eheliche Kommunikation muss tatsächlich möglich sein und auch praktiziert werden. Eine bloße Begegnungsgemeinschaft genießt keinen besonderen Ausweisungsschutz (Renner, Ausländerrecht in Deutschland, 2000, Teil 6, Rn. 188; ders., Ausländerrecht, 7. Aufl. 1999, § 17 AuslG Rn. 11, § 48 AuslG Rn. 11). Der Senat ist aufgrund der Auswertung der Ausländerakte des Antragstellers zu der Überzeugung gelangt, dass die Eheleute allenfalls kurzfristig bis Ende des Jahres 1998 eine eheliche Lebensgemeinschaft geführt, sich ihre Wege danach getrennt haben und sie seit dem allenfalls noch eine Begegnungsgemeinschaft unterhalten. Das ergibt sich aus folgenden Umständen:

In den Jahren 1997/98 reiste der Antragsteller, der bereits im Jahre 1995 unter Angabe einer falschen Identität als Asylbewerber hier Fuß zu fassen versucht hatte, wiederholt mit Besuchsvisa ein, zuletzt am 18. April 1998, nachdem seine spätere deutsche Ehefrau unter deren Adresse er in Rathenow ab dem Einreisetag gemeldet war, am 3. März 1998 eine "Verpflichtungserklärung" abgegeben hatte. Die Eheschließung mit der deutschen Staatsangehörigen D. erfolgte am 3. Juli 1998. Daraufhin erhielt der Antragsteller zum Zwecke der Herstellung und Aufrechterhaltung der ehelichen Lebensgemeinschaft eine bis zum 7. Juli 1999 befristete Aufenthaltserlaubnis. Am 17. Mai 1999 wurde der Antragsteller zum 31. Dezember 1998 von Amts wegen nach unbekannt abgemeldet. Seine Ehefrau meldete sich ebenfalls ab diesem Zeitpunkt nach Holland ab. In den Meldeunterlagen der Stadtverwaltung Falkensee ist der Antragsteller ab 17. April 1999 mit alleiniger Hauptwohnung aus dem Ausland als zugezogen verzeichnet, wobei eine Überprüfung vor Ort zum Wochenende 26./27. Juni 1999 ergab, dass es sich "mit großer Sicherheit um eine Scheinanmeldung" gehandelt hat. Ab dem 15. Juli 1999 war der Antragsteller in Berlin unter der Anschrift Beusselstraße 62 gemeldet.

Bei der am 9. September 1999 erfolgten Vorsprache der Eheleute erklärte die Ehefrau, dass sie in den Niederlanden Arbeit gesucht und gefunden und dort von Januar bis August 1999 ohne ihren Ehemann gelebt habe. Sie habe ihn nicht zu überreden vermocht, mit ihr dorthin zu ziehen, daher habe sie ihn alle vier Wochen besucht. Wo diese Besuche erfolgt sein sollen, ist angesichts der unklaren Meldeverhältnisse des Antragstellers nicht nachvollziehbar. Eine Erklärung für die An- und Abmeldung und wo der Antragsteller in dieser Zeit gewohnt hat, wurde nicht gegeben. Die angeblichen Besuche der Ehefrau alle vier Wochen würden bei dieser Sachlage allenfalls eine Begegnungsgemeinschaft belegen. Es fehlte auch an einem gemeinsamen Lebensmittelpunkt, an dem die eheliche Kommunikation möglich war und auch tatsächlich praktiziert worden ist. Dass es zumindest dem Antragsteller an der erforderlichen intensiven ehelichen Bindung an seine Frau fehlte, ergibt sich aus seiner sonst nicht nachvollziehbaren Weigerung, mit dieser nach Holland zu ziehen, um dort mit ihr die für ein tatsächliches eheliches Zusammenleben typische enge Lebensgemeinschaft aufrecht zu erhalten. Berufliche Rücksichten konnten ihn jedenfalls nicht gehindert haben, ihr dorthin zu folgen, in dem Antrag vom 16. August 1999 hat der Antragsteller angegeben, dass er seinen Lebensunterhalt mit dem "Lohn des Ehegatten" bestreite, also nicht aus eigenem Erwerbseinkommen. Beide Eheleute bestätigen im Übrigen indirekt eine Trennung durch ihre Erklärungen vom 27. Juli 2003, dass sie sich seit Juni 2003 wieder vertrügen.

Die am 9. September 1999 anlässlich der anstehenden Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis des Antragstellers abgegebene Absichtserklärung der Ehefrau, mit ihrem Ehemann die Ehe wieder in Deutschland zu führen, sowie ihre zuvor unter dessen neuer Wohnanschrift Beusselstaße 62 in Berlin erfolgte Anmeldung wertet der Senat angesichts der Tatsache, dass die Ehefrau nach wie vor in Holland lebt und dort arbeitet bzw. immer noch als Alten- bzw. Behindertenpflegerin ausgebildet wird, als verfahrensangepasstes Verhalten, um dem Antragsteller weiterhin den Aufenthalt in Deutschland zu ermöglichen.

Dass der Antragsteller mit seiner deutschen Ehefrau die eheliche Lebensgemeinschaft wieder in vollem Umfang aufgenommen hat, wie die Beschwerdebegründung behauptet, und nicht nur eine ausweisungsrechtlich unerhebliche Begegnungsgemeinschaft führt, ist durch die Darstellung der Treffen zwischen den Eheleuten in Lingen bei gemeinsamen Freunden und in Berlin auch wegen der widersprüchlichen Darstellung der Zeitpunkte der einzelnen Treffen, die zudem eine gewisse Beliebigkeit erkennen lässt, nicht glaubhaft dargelegt. Während in der eidesstattlichen Versicherung der Ehefrau vom 9. September 2003 Wochenendtreffen "am letzten August-Wochenende" (30./31. August 2003) sowie am "darauf folgenden Wochenende" (6./7. September 2003) vermutlich in Lingen sowie ein von ihr im Oktober 2003 beabsichtigter urlaubsbedingter Besuch in Berlin erwähnt werden, versichert der Antragsteller am 10. November 2003 eidesstattlich, sie am 13./14. und 20./21. September 2003 in Lingen getroffen und mit ihr bei Frau N. übernachtet zu haben. Diese erklärte hiervon teilweise abweichend eidesstattlich am 5. Oktober 2003, die Eheleute hätten am 13./14. September 2003 übernachtet, und am letzten Wochenende im September 2003, also am 27./28. September 2003 würden sie wieder in ihrem Gästezimmer übernachten. Selbst wenn die Ehefrau ihre eidesstattlich versicherte Absicht verwirklicht und den Antragsteller, wie dieser in seiner eidesstattlichen Versicherung erklärt hat, vom 3. bis 5. Oktober 2003 anlässlich eines Urlaubsaufenthaltes in Berlin in der Wohnung Friedrichsruher Str. 33 C besucht und dort gewohnt haben sollte, würde dies nur eine Begegnungsgemeinschaft aber keine mit der erforderlichen Intensität tatsächlich gelebte eheliche Lebensgemeinschaft belegen. Nichts anderes gilt für einen seinerzeit noch geplanten Kurzurlaub der Ehefrau im Dezember 2003, der nach der Darstellung des Antragstellers in Lingen oder in Berlin verbracht werden sollte. Im Übrigen ergeben die unterschiedlichen Orte des Zusammentreffens, dass es, wenn auch bedingt durch die erhebliche Entfernung zwischen den unterschiedlichen Wohnorten des Antragstellers und seiner deutschen Ehefrau, an einem gemeinsamen Lebensmittelpunkt für eine praktizierte eheliche Kommunikation fehlt.

Ende der Entscheidung

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