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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Brandenburg
Beschluss verkündet am 23.10.2003
Aktenzeichen: 2 B 265/03
Rechtsgebiete: KAG, AO, VwVfG Bbg


Vorschriften:

KAG § 8 Abs. 1 Satz 2
KAG § 12 Abs. 1 Nr. 4 b
AO §§ 169 ff.
VwVfG Bbg § 62 Satz 2
Lässt der Wortlaut einer Vereinbarung in einem öffentlichen-rechtlichen Vertrag mehrere Auslegungsmöglichkeiten zu, ist im Wege der gesetzeskonformen Auslegung zur Vermeidung der Nichtigkeit des Vertrages diejenige Auslegungsmöglichkeit zu wählen, die nicht zur Nichtigkeit der vertraglichen Regelung führt.
OBERVERWALTUNGSGERICHT FÜR DAS LAND BRANDENBURG BESCHLUSS

2 B 265/03

In dem verwaltungsgerichtlichen Verfahren

wegen Heranziehung zu Straßenausbaubeiträgen;

hier: Beschwerde

hat der 2. Senat

durch

den Vorsitzenden Richter am ..., den Richter am ... und den Richter am ...

am 23. Oktober 2003

beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Cottbus vom 10. Juli 2003 wird zurückgewiesen.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 52.103,20 € festgesetzt.

Gründe:

Die Beschwerde gemäß § 146 Abs. 1 und Abs. 4 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) hat keinen Erfolg. Gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO prüft das Oberverwaltungsgericht im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nur die dargelegten Gründe. Die von der Antragstellerin in der Beschwerde dargelegten Gründe rechtfertigen keine Abänderung oder Aufhebung der angefochtenen Entscheidung des Verwaltungsgerichts. Mit dieser Entscheidung wurde zu Recht der sinngemäße Antrag abgelehnt, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin gegen den Heranziehungsbescheid vom 20. Februar 2003 über einen Straßenausbaubeitrag in Höhe von 208.412,80 € - der für eine Baumaßnahme an der ...straße in der Stadt Cottbus (zwischen ...straße und ...-...-Straße) einschließlich der Anlegung eines Geh- und Radweges erhoben wurde - anzuordnen.

1. Die Beschwerdebegründung genügt nicht den Darlegungsanforderungen des § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO, soweit die Antragstellern! vorträgt, dass in dem angefochtenen Straßenausbaubeitrag zu Unrecht auch der Aufwand für einen Regenwasserkanal eingeflossen sei. Dieser Aufwand könne nach Ansicht der Antragstellerin nur Gegenstand eines Kanalanschlussbeitrages sein. Das Verwaltungsgericht habe die Prüfung der Richtigkeit der "Abrechnung" zu Unrecht im Hauptsacheverfahren vorbehalten.

Nach § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO ist eine Beschwerde gegen einen Beschluss im Verfahren des vorläufigen Rechtschutzes nur dann zulässig, wenn sie die Gründe darlegt, aus denen die Entscheidung abzuändern oder aufzuheben ist und sich mit der angefochtenen Entscheidung auseinander setzt. Die Beschwerdebegründung muss insoweit substantiiert erkennen lassen, aus welchen rechtlichen oder tatsächlichen Gründen der angefochtene Beschluss nach Ansicht des Beschwerdeführers unrichtig sein soll und geändert werden muss. Dies fordert eine Prüfung, Sichtung und rechtliche Durchdringung des rechtlichen und tatsächlichen Streitstoffes und damit eine sachliche Auseinandersetzung mit den Gründen des angefochtenen Beschlusses (vgl. näher u. a. Beschluss des Senates vom 12. Dezember 2002 - 2 B 133/02 -, Entscheidungsumdruck S. 2).

Diesen Anforderungen genügt die Beschwerdebegründung nicht. Sie zeigt nicht auf, dass die angefochtene Entscheidung im Hinblick auf die Einbeziehung der Kosten des Regenwasserkanals in den beitragsfähigen Aufwand im Sinne des § 8 Abs. 2 Satz 1 KAG rechtswidrig ist.

Im Rahmen des durch Straßenbaubeiträge zu deckenden Aufwandes können Aufwendungen für Entwässerungsanlagen beitragsfähig sein, insoweit sie der Straßenentwässerung dienen (vgl. dazu näher Dietzel/Hinsen/Kallerhoff, Das Straßenbaubeitragsrecht nach § 8 KAG NW, 4. Auflage Rn. 163 ff.). Mit dem pauschalen Einwand der Antragstellerin, dass die Kosten für den Regenwasserkanal nicht beitragsfähig seien, ist deshalb nicht erläutert, was konkret gegen die Beitragsfähigkeit des im Beitragstatbestand des § 1 Nr. 3 i.V.m. § 2 der Einzelsatzung der Stadt Cottbus über die Erhebung von Beiträgen für die Straßenausbaumaßnahme ... zwischen ...- und ...-...-Straße vom 26. März 2003 - SBS - (Amtsblatt für die Stadt Cottbus vom 7. Mai 2003, S. 8 f) erfassten Aufwandes für die Verbesserung der Straßenentwässerung sprechen soll. Auch sind keine Anhaltspunkte dafür vorgetragen, dass die Regenwasserleitung anderen Zwecken als der Straßenentwässerung dient. Angesichts der Beschränkungen der gerichtlichen Kontrolldichte im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes ist auch nicht geltend gemacht, weshalb nach Ansicht der Antragstellerin die Verweisung auf die nähere Prüfung des beitragsfähigen Aufwandes für Entwässerungsanlagen im Hauptsacheverfahren hier rechtlich unzulässig sein soll.

2. Die Beschwerde hat im Übrigen in der Sache keinen Erfolg, soweit die Antragstellerin geltend macht, dass sie aufgrund einer vertraglichen Vereinbarung von der Straßenbaubeitragspflicht "freigestellt" sei sowie dass der festgesetzte Beitragsanspruch bereits verjährt sei.

Das Verwaltungsgericht ist im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO zu Recht davon ausgegangen, dass keine ernstlichen Zweifel im Sinne des § 80 Abs. 4 Satz 3 VwGO (analog) an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Straßenausbaubeitrages bestehen, weil der Erfolg des eingelegten Widerspruches nicht wahrscheinlicher ist als sein Misserfolg. Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes im Sinne von § 80 Abs. 4 Satz 3 VwGO bestehen nämlich erst dann, wenn ein Erfolg des Rechtmittels in der Hauptsache wahrscheinlicher ist als sein Misserfolg (vgl. u. a. Beschluss vom 23. September 1996 - 2 B 53/96 -, Mitt. StGB Bbg 11-12/1997, S. 22 [23]). Dabei wird im Verfahren nach § 80 Abs. 5 der Umfang der gerichtlichen Überprüfung durch die Gegebenheiten des Verfahrens des vorläufigen Rechtsschutzes beschränkt. Geht es bei der Bewertung der Rechtmäßigkeit des Abgabenbescheides um die Klärung schwieriger Tatsachen- oder Rechtsfragen, die im Hinblick auf den nur summarischen Charakter des vorläufigen Rechtsschutzes nicht abschließend zu klären sind, scheiden ernsthafte Zweifel im Sinne des Gesetzes aus und es verbleibt bei der sofortigen Vollziehbarkeit des Abgabenbescheides im Sinne von § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 VwGO (vgl. u.a. Beschluss des Senates vom 2. Oktober 2003 - 2 B 75/03 -, Entscheidungsumdruck, S. 3 f.).

Gemessen an diesem - auch im hiesigen Beschwerdeverfahren geltenden - Maßstab vermag das Vorbringen der Antragstellerin die Begründung des angefochtenen Beschlusses, wonach keine ernstlichen Zweifel im Sinne von § 80 Abs. 4 Satz 3 VwGO (analog) an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Straßenausbaubeitragsbescheides bestehen, nicht in entscheidungserheblicher Weise erschüttern.

Der von der Antragstellerin dargelegte Grund, wonach ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Erhebung des Straßenausbaubeitrages bestünden, weil sie bei einer richtigen Auslegung von § 7 Abs. 4 des Erschließungsvertrages entsprechend § 62 Satz 2 VwVfG Bbg i. V. m. §§ 133, 157 BGB von Straßenausbaubeiträgen freigestellt sei, rechtfertigt eine Änderung des angefochtenen Beschlusses nicht.

Die Stadt Cottbus hat am 1. Juni 1992 mit der Antragsgegnerin einen Erschließungsvertrag (EV) geschlossen. Darin hat sie der Antragsgegnerin als Erschließungsträgerin gemäß § 124 Abs. 1 BauGB die Erschließung von bestimmten Erschließungsanlagen im räumlichen Geltungsbereich des Vorhabens- und Erschließungsplans "Haupterschließungstrasse ..." übertragen (vgl. §§ 1 Abs. 1, 2 EV). Nach dem Vertrag waren u. a. Straßen- einschließlich der Entwässerungsanlagen herzustellen (§ 2 Abs. 2 a. Nr. 1 EV). In der Regelung des § 7 EV über Kostentragung wurde folgender Absatz 4 aufgenommen:

"Mit der vertragsgemäßen Fertigstellung und Abnahme der Erschließungsanlage wird der Erschließungsträger für seine im Erschließungsgebiet liegenden Baugrundstücke von Erschließungs- und sonstigen Anliegerbeiträgen freigestellt".

Die Auffassung des Verwaltungsgerichts, wonach bei summarischer Prüfung diese Vereinbarung der Erhebung des Straßenausbaubeitrages nicht entgegensteht, weil keine überwiegenden Gründe dafür sprechen, dass unter "sonstigen Anliegerbeiträgen" auch der erhobene Straßenausbaubeitrag zu verstehen ist, ist im Ergebnis nicht zu beanstanden. Dazu bedarf es keiner abschließenden Klärung im Beschwerdeverfahren, ob die vertragliche Regelung des § 7 Abs. 4 EV die Erhebung des mit Bescheid vom 20. Februar 2003 festgesetzten Straßenausbaubeitrages ausschließt. Insbesondere kann der Senat offen lassen, ob zumindest § 7 Abs. 4 EV als Teil des Vertrages, soweit diese Vereinbarung die Antragstellerin von "sonstigen Anliegerbeiträgen" freistellt, wegen Verstoßes gegen gesetzliche Beitragserhebungspflichten nach § 59 Abs. 1 i.V.m. § 134 BGB nichtig sein könnte. Jedenfalls kann bei einer Auslegung des § 7 Abs. 4 EV das Vorliegen eines solchen Ausschlusses von der Beitragserhebung nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit festgestellt werden, weshalb der Erfolg des eingelegten Rechtsbehelfs nicht wahrscheinlicher ist, als sein Misserfolg.

Zum einen lassen die Darlegungen der Antragstellerin nicht erkennen, ob die tatbestandlichen Voraussetzungen des - der Sache nach - in § 7 Abs. 4 EV geregelten Beitragsverzichtes überhaupt vorliegen. Diese Regelung ist nur anwendbar auf Baugrundstücke der Antragstellerin, die "im Erschließungsgebiet", also im räumlichen Geltungsbereich des Vorhabens- und Erschließungsplans "Haupterschließungstrasse ...-...", liegen (vgl. § 1 Abs. 2 EV i. V. m. § 7 Abs. 4 EV). Das Verwaltungsgericht hat zu Recht darauf hingewiesen, dass auf Grund der divergierenden Angaben der Beteiligten unklar ist, ob die betroffenen Grundstücke der Antragstellerin an der ...Straße überhaupt zu diesem Erschließungsgebiet gehören. Hierzu macht die Antragstellerin auch in der Beschwerde keine näheren Ausführungen. Klärungsbedürftig ist weiterhin die Tatsachen- oder Rechtsfrage, ob die Erschließungsmaßnahme im Sinne von § 7 Abs. 4 EV fertiggestellt und abgenommen wurde, woran Zweifel bestehen könnten, weil sich aus Ziffer 6 des zwischen den Beteiligten vor dem Landgericht Cottbus am 12. März 1996 geschlossenen Vergleiches ergibt, dass ein letzter Teilabschnitt der Bauleistung noch nicht erbracht wurde. Im Hauptsacheverfahren näher zu untersuchen ist auch die Frage, welche Auswirkungen Ziffer 5 des Vergleiches, wonach sich alle wechselseitigen Ansprüche der Parteien aus dem Erschließungsvertrag vom 1. Juni 1992 mit der Erfüllung des Vergleiches erledigt haben, auf den Beitragsverzicht im Sinne von § 7 Abs. 4 EV hat.

Zum anderen erscheint eine Auslegung der Rechtsfolgenseite des § 7 Abs. 4 EV keineswegs dahin gehend zwingend, dass damit auch die "Freistellung" von der Erhebung von Beiträgen für den Ausbau der Straße ausgeschlossen werden sollte.

Für die Auslegung von öffentlich-rechtlichen Verträgen, zu dem der Erschließungsvertrag gehört, gelten nach § 62 Satz 2 VwVfG Bbg die Vorschriften der §§ 133, 157 BGB entsprechend. Lässt der Wortlaut einer Vereinbarung in einem öffentlich-rechtlichen Vertrag mehrere Auslegungsmöglichkeiten zu, ist im Wege der gesetzeskonformen Auslegung zur Vermeidung der Nichtigkeit des Vertrages diejenige Auslegungsmöglichkeit zu wählen, die nicht zur Nichtigkeit der vertraglichen Regelung führt (vgl. OVG NW, Urteil vom 12. Dezember 1991 - 11 A 2717/98 -, NVwZ 1992, 988; Stelkens/Bonk, VwVfG, 6. Aufl., § 59 Rn. 10 m. w. N.).

Eine nach diesen Grundsätzen vorzunehmende Auslegung spricht eher gegen als dafür, dass die Antragstellerin hier von der Heranziehung zu Straßenausbaubeiträgen freigestellt ist. Der Wortlaut des § 7 Abs. 4 EV, wonach die Antragstellerin von Erschließungs- und "sonstigen Anliegerbeiträgen" freigestellt wird, lässt zwar möglicherweise verschiedene Auslegungsmöglichkeiten zu. Klar ausgeschlossen ist danach die Erhebung von Erschließungsbeiträgen im Sinne von § 127 ff. BauGB, während der Ausschluss von "sonstigen Anliegerbeiträgen" mehrere Deutungen zulassen könnte. Der Begriff des Anliegerbeitrages stammt aus dem ehemaligen preußischen Anliegerbeitragsrecht. Er kann in einem weiten Sinne verstanden werden, wonach alle Beiträge umfasst sind, bei denen der Anlieger, d. h. der Eigentümer oder Nutzer des an eine öffentliche Sache angrenzenden Grundstückes (vgl. Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, Allgemeiner Teil, 9. Auflage, S. 374) Beitragsschuldner ist. Bei einem solchen Verständnis wären auch Straßenausbaubeiträge vom Begriff des Anliegerbeitrages umfasst. Der Begriff des Anliegerbeitrages lässt sich auch in einem engeren Sinne verstehen, wonach nur Beiträge der Anlieger gemeint sind, die neben den im Baugesetzbuch geregelten Erschließungsbeiträgen zusätzlich für Versorgungs- und Entsorgungseinrichtungen erhoben werden, insbesondere solche für leitungsgebundene Einrichtungen und Anlagen, die der Versorgung oder der Abwasserbeseitigung dienen (sog. Anschlussbeiträge) (vgl. Brockhaus Enzyklopädie, 19. Auflage, 1. Band, S. 599). Ein solches Verständnis würde die hier einschlägigen Straßenausbaubeiträge nicht umfassen. Für eine Auslegung in diesem Sinne spricht, dass der Verzicht auf Beiträge regelmäßig im Zusammenhang mit der Erschließungsmaßnahme und damit errichteten Versorgungs- und Entsorgungseinrichtungen stehen wird und sich deshalb auf spätere Ausbaumaßnahmen an der Straße, die in keinem Zusammenhang mit der Erschließungsmaßnahme stehen, nicht ohne weiteres beziehen lässt. Keiner Entscheidung bedarf es hiernach, ob die bei Zugrundelegung dieses Verständnisses des Begriffs des Anliegerbeitrages vorliegende Vereinbarung einen Verzicht auf Anschlussbeiträge (vgl. § 8 Abs. 4 Satz 3 KAG) bewirken kann (vgl. zur Problematik insoweit allein in Betracht kommender Ablösevereinbarungen Driehaus, Kommunalabgabenrecht - Kommentar -, Band 2, § 8 Rn. 152 ff.).

Eine gesetzeskonforme Auslegung des Vertrages spricht zudem dafür, dass die Vereinbarung keinen Verzicht auf die Erhebung von Straßenausbaubeiträgen enthält. Ein öffentlichrechtlicher Vertrag muss dem materiellen Recht entsprechen, da die Antragsgegnerin als Teil der kommunalen Selbstverwaltung auch bei vertraglichem Handeln an das materielle Recht gebunden ist. Nach der materiell-rechtlichen Regelung des § 8 Abs. 1 Satz 2 KAG "sollen" bei den dem öffentlichen Verkehr gewidmeten Straßen, Wegen und Plätzen Beiträge erhoben werden. Das bedeutet, dass die Gemeinde grundsätzlich verpflichtet ist, Straßenausbaubeiträge zu erheben. Es ist nur in atypischen, eng auszulegenden Ausnahmefällen zulässig, von der Beitragserhebung abzusehen oder auf sie zu verzichten (vgl. Beschluss des Senates vom 5. Oktober 2001 - 2 D 7/01.NE -, Mitt. StGB Bbg. 03/2002 S. 115 [122]). Da § 8 KAG in der derzeit gültigen Fassung keine Regelungen für vertragliche Vereinbarungen zum Beitragsausschluss oder -verzicht enthält, würde die Antragsgegnerin nach materiellem Recht hier wohl gegen das gesetzliche Gebot des § 8 Abs. 1 Satz 2 KAG verstoßen, wenn sie durch § 7 Abs. 4 EV auf die Erhebung von Straßenausbaubeiträgen verzichtet hätte. Zwar richtet sich dieses Gebot an die Gemeinden und damit primär an den Satzungsgeber. Hat dieser - wie hier - eine Ausbaubeitragssatzung erlassen, kommt ein Verzicht auf deren Anwendung durch die Verwaltung grundsätzlich nicht in Betracht, so dass ein Verzicht in der hier vorliegenden Form unzulässig wäre. Denkbar wäre allenfalls - nicht anders als bei Anschlussbeiträgen - eine sog. Ablösungsvereinbarung, deren materiellen Anforderungen die hier vorliegende Vertragsbestimmung allerdings kaum genügen dürfte. Jedenfalls kann eine Regelung, die jede Form von Straßenausbaubeiträgen bei Anliegergrundstücken der Antragstellerin für alle Zukunft unabhängig von den weiteren - zur Zeit des Vertragsschlusses noch unvorhersehbaren - tatsächlichen und rechtlichen Entwicklungen auch bei der Verwirklichung neuer Tatbestände wie der Erweiterung, Erneuerung und Verbesserung der betroffenen Anlagen ausschließen würde, hier nicht durch die vereinbarten Regelungen des Erschließungsvertrages und die daraus folgenden Kostenlasten sachlich gerechtfertigt werden (vgl. näher Driehaus, Kommunalabgabenrecht - Kommentar - § 8 Rn. 21). Zur Vermeidung einer (Teil-)Nichtigkeit von § 7 Abs. 4 des Erschließungsvertrages vom 1. Juni 1992 spricht daher vieles dafür, diese Vereinbarung im Wege einer gesetzeskonformen Auslegung dahin gehend auszulegen, dass die Erhebung von Straßenausbaubeiträgen durch sie nicht ausgeschlossen wird.

Soweit die Antragstellerin mit den Schriftsätzen vom 30. Juli und 7. Oktober 2003 darlegt, dass der mit Bescheid vom 20. Februar 2003 erhobene Abgabenanspruch bereits mit Ablauf des Jahres 1996 verjährt gewesen sei, weil die Anlage bereits im Jahre 1992 endgültig hergestellt worden sei, da das ursprüngliche gemeindliche Bauprogramm für den Ausbau der Nordstraße nur in dem ca. 70 m langen Teilbereich zwischen der ...straße und der heutigen ...straße einen Gehweg vorgesehen habe, während der 1998 erfolgte weitere Ausbau die Erfüllung eines neuen Bauprogramms darstelle, rechtfertigt dies keine Änderung des angegriffenen Beschlusses. Auch mit diesem Vorbringen vermag die Beschwerde die Begründung des Verwaltungsgerichtes nicht entscheidungserheblich zu erschüttern. Nach dieser Begründung ist der Beitrag mit der Bauabnahme am 24. Juni 1998 entstanden und war bei der Festsetzung mit Bescheid vom 20. Februar 2003 gemäß § 12 Abs. 1 Nr. 4 b) KAG i. V. m. § 171 Abs. 3 a Satz 3 AO nicht verjährt, weil er zunächst fristgemäß mit dem - durch Urteil des Verwaltungsgerichts vom 19. November 2002 (4 K 1453/00) aufgehobenen - Bescheid vom 8. September 1999 festgesetzt worden und über den darauf ergangenen - hier streitgegenständlichen - neuen Abgabenbescheid noch nicht unanfechtbar entschieden worden ist.

Nach den Prüfungsmaßstäben im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO ist eine solche Bewertung jedenfalls nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen. Gemäß § 12 Abs. 1 Nr. 4 b) i. V. m. § 169 Abs. 1 Satz 1 AO ist eine Abgabenfestsetzung nicht mehr zulässig, wenn die einheitlich 4 Jahre betragende Festsetzungsfrist abgelaufen ist. Die Festsetzungsfrist beginnt mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Abgabe entstanden ist (vgl. § 12 Abs. 1 Nr. 4 b i.V.m. § 170 Abs. 1 AO). Die Beitragspflicht für Straßenausbaubeiträge entsteht gemäß § 8 Abs. 7 KAG grundsätzlich mit der endgültigen Herstellung der Anlage, d. h. mit der vollständigen technischen Verwirklichung des gemeindlichen Bauprogramms wie es durch die Abnahme der Straßenausbauarbeiten durch den Auftraggeber materiell markiert wird (vgl. Urteil des Senates vom 23. März 2000 - 2 A 226/98 -, Mitt. StGB Bbg 2000, 213, Ls. 1; Beschluss des Senats vom 2. August 2002 - 2 A 682/02.Z -, LKV 2003, 92). Wird ein Abgabebescheid mit Widerspruch und Klage angefochten, so läuft allerdings nach den Regelungen über die Ablaufhemmung die Fristsetzung nicht ab, bevor über den Rechtsbehelf unanfechtbar entschieden ist. Dabei tritt - wovon das Verwaltungsgericht zu Recht ausgegangen ist - in Fällen u.a. des § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO, also der Aufhebung des Abgabenbescheides durch verwaltungsgerichtliches Urteil, die Unanfechtbarkeit im Sinne von § 171 Abs. 3 a AO erst dann ein, wenn über einen darauf ergehenden neuerlichen Abgabenbescheid unanfechtbar entschieden worden ist (§ 12 Abs. 1 Nr. 4 b i. V. m. § 170 Abs. 3 a Satz 1 und 3 AO; vgl. dazu Beschluss des Senats vom 29. September 2003 - 2 B 191/02 - BA S. 10; Dietzel/Hinsen/Kallerhoff, Straßenausbaubeitragsrecht nach § 8 KAG NW, 4. Auflage Rn. 312 m. w. N.; Klein AO, 7. Auflage, § 171 Rn. 134).

Die sich demnach hier stellende Frage, ob gemessen an diesen Regelungen der mit Bescheid vom 20. Februar 2003 festgesetzte Straßenausbaubeitrag verjährt ist, führt zu schwierigen Tatsachenfragen, die im Hinblick auf den nur summarischen Charakter des vorläufigen Rechtsschutzverfahrens vom Senat im Beschwerdeverfahren nicht abschließend zu klären sind. Sie muss einem - ggf. noch anhängig zu machenden - Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben. Es bedarf nämlich insoweit der Ermittlung, wann hier die Festsetzungsfrist zu laufen begonnen hat, was gerade von der unter den Beteiligten umstrittenen Frage abhängt, wann die Anlage endgültig hergestellt war. Letzteres ist danach zu entscheiden, welchen Inhalt hier das gemeindliche Bauprogramm zum Ausbau der ...straße hatte und wann es vollständig verwirklicht wurde. Allein der Umstand, dass der Antragsgegner mit dem später zurückgenommenen Bescheid vom 6. November 1995 versucht hatte, die Antragstellerin zu einem vorläufigen "Straßenausbaubeitrag" heranzuziehen, lässt - zumal wegen der Vorläufigkeit - für sich genommen noch nicht mit hinreichender Sicherheit auf die Herstellung der Anlage schließen. Die Feststellung des Zeitpunktes der Herstellung hängt insbesondere von der Frage ab, ob das Bauprogramm für den Ausbau der ...straße nur in dem (bereits im Jahre 1992 verwirklichten) Teilbereich zwischen der ...straße und der ...straße oder auch darüber hinaus bis zur ...-...-Straße einen Geh- und Radweg vorsah. Es bedarf also tatsächlicher Aufklärung und Feststellung über den Inhalt und den Zeitpunkt der Erfüllung des Bauprogramms. Dabei ist auch zu untersuchen, ob der Inhalt des Programms bis zur Beendigung der Ausbaumaßnahmen unverändert geblieben ist (vgl. dazu: Dietzel/Hinsen/Kallerhoff, Das Straßenausbaubeitragsrecht nach § 8 KAG NW, 4. Auflage Rn. 111 m. w. N.). Alle diese Fragen sind in jeder Hinsicht offen. Nach derzeitigem Erkenntnisstand kann jedenfalls der sinngemäße Vortrag der Antragsgegnerin, die ...straße sei erst im Jahre 1998 endgültig hergestellt worden, weil erst in diesem Jahr das gemeindliche Bauprogramm mit der vollständigen Schaffung des Geh- und Radweges aus seiner ganzen Länge im Rahmen des Radwegenetzes im Bauplanungsgebiet ...-... vollständig verwirklicht worden sei, nicht als offensichtlich oder mit überwiegender Wahrscheinlichkeit unrichtig erkannt werden, obwohl der von der Antragstellerin vorgelegte Erläuterungsbericht der ... GmbH vom Oktober 1991 zum durchzuführenden Vorhaben bei der Trassenbeschreibung (Punkt 3) nur von einem auf einem Teilstück der ...Straße herzustellenden kombinierten Geh- und Radweg spricht. Dieser Bericht schließt das Vorliegen eines weitergehenden Bauprogramms nicht aus und kann deshalb keine ernstlichen Zweifel im Sinne des § 80 Abs. 4 Satz 3 VwGO (analog) begründen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung für das Beschwerdeverfahren beruht auf §§ 13 Abs. 1 und 2, 14 Abs. 1 Satz 1 und 20 Abs. 3 des Gerichtskostengesetzes (GKG).

Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 25 Abs. 3 Satz 2 GKG).

Ende der Entscheidung

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