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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Brandenburg
Beschluss verkündet am 29.11.2004
Aktenzeichen: 4 B 107/04
Rechtsgebiete: VwGO


Vorschriften:

VwGO § 80 Abs. 1
VwGO § 80 Abs. 2
VwGO § 80 Abs. 2 Nr. 1
VwGO § 80 Abs. 2 Nr. 2
VwGO § 80 Abs. 2 Nr. 3
VwGO § 80 Abs. 2 Nr. 4
VwGO § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4
VwGO § 80 Abs. 3
VwGO § 80 Abs. 3 Satz 1
VwGO § 80 Abs. 5 Satz 1
VwGO § 146 Abs. 4 Satz 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OBERVERWALTUNGSGERICHT FÜR DAS LAND BRANDENBURG BESCHLUSS

4 B 107/04

In dem verwaltungsgerichtlichen Verfahren

wegen Ordnungsrechts;

hier: Beschwerde

hat der 4. Senat am 29. November 2004 durch

den Vorsitzenden Richter am ..., die Richterin am ... und den Richter am ...

beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Potsdam vom 3. März 2004 wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 2.000,- Euro festgesetzt.

Gründe:

Die Beschwerde bleibt ohne Erfolg. Nach § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO muss die Beschwerdebegründung u.a. die Gründe darlegen, aus denen die Entscheidung abzuändern oder aufzuheben ist und sich mit der angefochtenen Entscheidung auseinander setzen. Das Oberverwaltungsgericht prüft nur die dargelegten Gründe (Satz 6 der Vorschrift). Auf der danach für den Senat allein maßgeblichen Grundlage der Darlegungen des Antragstellers in der Beschwerdebegründung besteht für eine Änderung des angefochtenen Bechlusses des Verwaltungsgerichts kein Anlass.

Dem Antragsteller wurde mit Bescheid des Antragsgegners vom 22. August 2003 die Hundehaltung unter Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit in seinem Amtsgebiet untersagt. Den hiergegen gerichteten vorläufigen Rechtsschutzantrag hat das Verwaltungsgericht im Einzelnen substantiiert mit der Begründung, auf die im Einzelnen verwiesen wird, zurückgewiesen, dass weder formelle Bedenken gegen die Anordnung des Sofortvollzugs noch materielle Bedenken gegen das Verbot der Hundehaltung gemäß § 5 Abs. 1 der Ordnungsbehördlichen Verordnung über das Halten und Führen von Hunden in Brandenburg vom 25. Juli 2000 - HundehV - (GVBl I S. 235) beständen; jedenfalls das sofortige Vollziehungsinteresse das private Aussetzungsinteresse des Antragstellers überwiege.

Hiergegen wendet sich der Antragsteller mit der Beschwerde zum einen weiterhin mit der Begründung, die sofortige Vollziehungsanordnung sei gem. § 80 Abs. 3 VwGO mit dem Hinweis auf den Schutz der Allgemeinheit nicht ausreichend begründet.

Damit kann der Antragsteller mit Blick auf die von § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO geforderte Begründung der sofortigen Vollziehungsanordnung gemäß der ständigen Rechtsprechung des Senats nicht durchdringen. Der Senat hat hierzu in seinem Beschluss vom 5. Februar 1998 - 4 B 134/97 - ausgeführt:

Der Regelungsgehalt des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO i. V. m. § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO und die daraus folgenden Anforderungen an eine behördliche Vollziehungsanordnung erschließen sich aus dem Wortlaut, vor allem aber aus dem Sinn und Zweck der Vorschrift. Das Begründungserfordernis gemäß § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO soll die Behörde dazu anhalten, sich des Ausnahmecharakters der Vollziehungsanordnung mit Blick auf den grundsätzlich gemäß § 80 Abs. 1 VwGO durch einen Rechtsbehelf eintretenden Suspensiveffekt bewußt zu werden und die Frage des Sofortvollzugs sorgfältig zu prüfen. Zugleich soll der Betroffene über die für die Behörde maßgeblichen Gründe des von ihr angenommenen überwiegenden Sofortvollzugsinteresses informiert werden, damit darüber hinaus in einem möglichen Rechtsschutzverfahren dem Gericht die Erwägungen der Behörde zur Kenntnis gebracht und zur Überprüfung gestellt werden können. Dem entscheidenden Gericht obliegt allerdings keine auf die Überlegungen der Behörde beschränkte Prüfung der Berechtigung des Sofortvollzugs, vielmehr trifft es eine in Würdigung aller einschlägigen Gesichtspunkte eigene Ermessensentscheidung (vgl. hierzu OVG NW, Beschluß vom 5. Juli 1994 - 18 B 1171/94 - in NWVBl. 1994, 424, 425 m. w. N.). Die Erfordernisse des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO haben hiernach für die gerichtliche Entscheidung vorwiegend die Bedeutung, als es um den mit dieser Vorschrift verfolgten Zweck geht, der Behörde den Ausnahmecharakter des Sofortvollzugs vor Augen zu führen. Ist dies hinreichend erkennbar, kommt es für die Frage der ordnungsgemäßen Begründung gemäß § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO nicht bereits darauf an, ob die Annahme eines Überwiegens des sofortigen Vollzugsinteresses aus den angegebenen Gründen bereits voll zu überzeugen vermag. Fehlt es aber an einer Begründung, erschöpft sich eine tatsächlich gegebene Begründung in einer Wiederholung des Gesetzeswortlautes, geht sie über allgemeine, den zu entscheidenden Einzelfall unberücksichtigt lassende Formeln nicht hinaus oder erweist sich in anderer Weise, dass die Behörde das Regel-Ausnahme-Prinzip des § 80 Abs. 1 und Abs. 2 VwGO missachtet hat, so ist den Anforderungen des § 80 Abs. 3 VwGO nicht genügt. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats (vgl. Beschluß vom 21. November 1996 - 4 B 130/96 -; Beschluß vom 19. Dezember 1996 - 4 B 140/96 -; Beschluß vom 13. Januar 1997 - 4 B 165/96 -) gebietet § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO eine auf den konkreten Einzelfall abstellende Darlegung des besonderen öffentlichen Interesses dafür, dass ausnahmsweise entgegen der Regel von § 80 Abs. 1 VwGO die sofortige Vollziehung notwendig ist und dass hinter dieses erhebliche öffentliche Interesse das Interesse des Betroffenen, von dem Sofortvollzug verschont zu werden, zurücktreten muss. Die Begründung muss im oben erwähnten Sinn erkennen lassen, dass die Behörde sich mit der Frage der sofortigen Vollziehung auseinandergesetzt und bei ihrer Entscheidung Ermessen ausgeübt hat.

Mit Blick auf die Ausstrahlungen des Entscheidungsmaßstabes bezüglich der Begründetheit des Antrages gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO auf die Anforderungen der Begründung des Sofortvollzugsinteresses gemäß § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO hat der Senat zudem im Beschluss vom 5. Februar 1998 bemerkt:

Gegenstand der Abwägung gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO sind das private Aufschubinteresse und das öffentliche Interesse an der Vollziehung des Verwaltungsakts. Diese Abwägung hat der Gesetzgeber zunächst dahin vorgenommen, daß Widerspruch und Klage im Einklang mit dem verfassungsrechtlichen Gebot effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) grundsätzlich aufschiebende Wirkung entfalten (§ 80 Abs. 1 VwGO), diese aber entfällt, wenn der Gesetzgeber die aufschiebende Wirkung in den Fällen des § 80 Abs. 2 Nrn. 1 bis 3 VwGO wegen vorrangigem öffentlichen Interesses ausgeschlossen hat oder wenn die Behörde die sofortige Vollziehung nach § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO gesondert angeordnet hat. Das Gericht prüft mithin im Fall einer sofortigen Vollziehungsanordnung, ob die Behörde zu Recht das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung höher gewichtet hat als das private Interesse, bis zum Abschluß des Widerspruchsverfahrens oder des gerichtlichen Hauptverfahrens dem Verwaltungsakt nicht folgen zu müssen. Im Rahmen dieser Interessenabwägung haben auch Erkenntnisse über die Rechtmäßigkeit oder die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes, der vollzogen werden soll, Bedeutung; allerdings nicht als unmittelbare Entscheidungsgrundlage, sondern als in die Abwägung einzustellende Gesichtspunkte (vgl. Beschluß des Senats vom 17. März 1997 - 4 B 4/97 - in NJW 1997, 1387). Dies schließt nicht aus, daß sich das besondere Vollzugsinteresse im Einzelfall auch aus dem allgemeinen Erlaßinteresse des Verwaltungsaktes selbst ergeben bzw. mit diesem identisch sein und dem privaten Aussetzungsinteresse vorgehen kann, etwa wenn bei Maßnahmen der Gefahrenabwehr die begründete Besorgnis besteht, die mit dem Verwaltungsakt bekämpfte Gefahr werde sich bereits vor Abschluß des Hauptsacheverfahrens realisieren, oder wenn ein Verwaltungsakt letztlich ohne sofortige Vollziehung den damit verfolgten Gesetzeszweck verfehlt (vgl. auch VGH BW, Beschluß vom 13. März 1997 - 13 S 1132/96 - in InfAuslR 1997, 358, 360 m. w. N., Beschluß vom 19. Februar 1997 - 4 S 6/97 - in VBlBW 97, 305). Wesentlich ist hierbei, daß letztlich nicht die festgestellte Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts die Berechtigung für den Sofortvollzug darstellt, sondern die diesen rechtfertigenden Gründe, sofern sie zugleich nach Art und Gewicht ein sofortiges Vollziehungsinteresse zu begründen vermögen und insofern ein besonderes Vollzugsinteresse darstellen, das nicht zwangsläufig in einem aliud gegenüber dem Interesse am Erlaß des zu vollziehenden Verwaltungsakts bestehen muß. Letzterer Umstand hat besondere Bedeutung für die Begründungspflicht gemäß § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO, die demnach durchaus auch in einer Wiederholung der bzw. Bezugnahme auf die Bescheidbegründung selbst bestehen kann, sofern erkennbar hieraus seitens der Behörde die Schlußfolgerung des überwiegenden Sofortvollziehungsinteresses in Abwägung des privaten Aussetzungsinteresses des Adressaten gezogen worden ist.

Den hiernach zu beachtenden Begründungsanforderungen wird die der angegriffenen Ordnungsverfügung beigefügte Begründung der Anordnung der sofortigen Vollziehung gerecht. Sie lässt zunächst ohne weiteres erkennen, dass sich der Antragsgegner des Ausnahmecharakters einer Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit bewusst war, indem er die sofortige Vollziehungsanordnung gesondert im Wesentlichen mit dem Hinweis begründet hat, es könne nicht zugelassen werden, dass der Antragsteller seinen Hund entgegen dem bereits angeordneten Leinenzwang außerhalb seines eingefriedeten Besitztums frei laufen lasse und dieser Personen und Tiere, die den öffentlichen Weg nutzten, bedroht oder gefährdet, ohne selbst von diesen angegriffen worden zu sein. Der Antragsgegner hat mit dieser Begründung bezogen auf den konkreten Fall, insbesondere die Örtlichkeit des Besitztums des Antragstellers sinngemäß zum Ausdruck gebracht, dass er den Schutz der Bevölkerung, insbesondere der hochrangigen Rechtsgüter, wie Gesundheit, Leben höher einschätze als die Gewährleistung, dass der Antragsteller weiter Hunde halten könne. Dies genügt den Anforderungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO. Im Bewusstsein des Ausnahmecharakters der Anordnung gem. § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO stellt der Antragsgegner damit bezogen auf den vorliegenden Einzelfall auf die von ihm befürchtete konkrete Gefahr ab, dass der Antragsteller während eines Rechtsmittelverfahrens einen Hund weiter hält und dadurch Gefährdungen eintreten könnten.

Materiell beruft sich der Antragsteller allein darauf, dass von seinen unangeleinten Hunden keine Gefahr drohe, vielmehr der streitgegenständliche Vorfall sich auf seinem Grundstück ereignet habe, durch den Kampfhund seiner Nachbarin provoziert worden sei und er selbstverständlich nicht verpflichtet sei, die Hunde auf seinem Privatgrundstück anzuleinen.

Mit dieser Begründung kann er die Feststellungen des Verwaltungsgerichts, dass die Prognoseentscheidung des Antragsgegners, der Antragsteller werde seine Hunde in Zukunft nicht ordnungsgemäß halten, bei summarischer Prüfung nicht zu beanstanden sei, nicht erschüttern. Das Verwaltungsgericht hat unter Würdigung der Vorfälle vom 15. Januar 2003 und vom 17. September 2003 im Einzelnen überzeugend dargelegt, der Antragsteller biete keine Gewähr für eine ordnungsgemäße Hundehaltung, da er entgegen dem mit Bescheid vom 13. März 2000 ihm gegenüber verfügten Leinenzwang Hunde unangeleint laufen lasse. Dem ist der Antragsteller nicht im Einzelnen begründet entgegengetreten, vielmehr ist er weiterhin der Auffassung, Hunde auf seinem auch nicht eingefriedeten Besitztum frei laufen lassen zu dürfen. Damit erkennt er aber den - bestandskräftig - verfügten Leinenzwang weiterhin nicht an und verkennt die sich aus der gegebenen Örtlichkeit seines Besitztums im ländlichen Raum für die Allgemeinheit ergebende Gefährdung, wie sie nach Darstellung des Verwaltungsgerichts durch seine Hunde entstanden waren. Mit dem pauschalen Hinweis der Provokation seiner Hunde durch den Hund der Nachbarin hinsichtlich des Vorfalls am 17. September 2003 vermag er die Bewertungen des Verwaltungsgerichts nicht in Zweifel zu ziehen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO; die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 13 Abs. 1, 14 Abs. 1 und 20 Abs. 3 GKG, das hier noch in der bis zum 30. Juni 2004 geltenden Fassung anzuwenden ist (vgl. § 72 Nr. 1 GKG i.d.F. des Art. 1 des Gesetzes zur Modernisierung des Kostenrechts vom 5. Mai 2004. BGBl. 1 S. 718), und folgt hinsichtlich der Höhe des festzusetzenden Betrages der erstinstanzlichen Begründung.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 25 Abs. 3 Satz 2 GKG a.F.).

Ende der Entscheidung

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