Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Bremen
Urteil verkündet am 06.11.2007
Aktenzeichen: 1 A 82/07
Rechtsgebiete: EMRK, AufenthG


Vorschriften:

EMRK Art. 8
AufenthG § 53 Nr. 2
AufenthG § 56 Abs. 1
1. Die Ausweisung eines straffällig gewordenen Ausländers, der mit seinen deutschen Familienangehörigen in familiärer Lebensgemeinschaft lebt, ist mit Rücksicht auf Art. 8 EMRK nur aus schwerwiegenden spezialpräventiven Gründen zulässig. Die Generalprävention scheidet als Ausweisungszweck aus. (Im Anschluss an OVG Bremen, Urt. v. 25.05.2004, InfAuslR 2004, 328).

2. Zu den Voraussetzungen, unter denen nach der strafrechtlichen Verurteilung wegen Rauschgifthandels ein schwerwiegender spezialpräventiver Ausweisungsgrund zu verneinen sein kann.


Oberverwaltungsgericht der Freien Hansestadt Bremen Im Namen des Volkes! Urteil

OVG: 1 A 82/07

In der Verwaltungsrechtssache

hat das Oberverwaltungsgericht der Freien Hansestadt Bremen - 1. Senat - durch die Richter Stauch, Göbel und Alexy sowie die ehrenamtlichen Richter B. Erlenwein und G. Schönborn aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 06.11.2007 für Recht erkannt:

Tenor:

Das Verfahren wird eingestellt, soweit die Verfahrensbeteiligten es übereinstimmend für erledigt erklärt haben. In diesem Umfang ist das Urteil des Verwaltungsgerichts Bremen vom 19.06.2006 gegenstandslos.

Im Übrigen werden das Urteil des Verwaltungsgerichts Bremen vom 19.06.2006 sowie der Bescheid des Stadtamts Bremen vom 28.07.2005 und der Widerspruchsbescheid des Senators für Inneres und Sport vom 19.10.2005 aufgehoben.

Die Kosten des Verfahrens trägt die Beklagte.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des Vollstreckungsbetrages abwenden, wenn nicht der Kläger zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger wendet sich gegen seine Ausweisung.

Der am 31.12.1978 geborene Kläger ist nach seinen Angaben Staatsangehöriger von Sierra Leone. Er ist im Besitz eines sierraleonischen Passes.

Der Kläger reiste im September 1995 in das Bundesgebiet ein und beantragte politisches Asyl. Das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge lehnte den Asylantrag mit Bescheid vom 22.03.1996 ab, stellte aber hinsichtlich Sierra Leone wegen des dortigen Bürgerkriegs ein Abschiebungshindernis fest. In den folgenden Jahren wurde der Kläger geduldet. Am 14.11.2002 widerrief das Bundesamt wegen der stabilisierten Sicherheitslage in Sierra Leone den Feststellungsbescheid vom 22.03.1996.

Zwischen April 1996 und Dezember 2001 wurde der Kläger nach dem Inhalt der Ausländerakte von der Polizei mindestens 18 mal wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz angezeigt. Ihm wurde jeweils zu Last gelegt, Kokain an Drogenabhängige verkauft zu haben. Hinzu kamen zwei Anzeigen wegen Körperverletzung und vier wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte.

Verurteilt wurde der Kläger wegen eines am 28.02.2000 begangenen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz und einer am 04.04.2000 begangenen Körperverletzung (Geschädigte: seine jetzige Ehefrau) zu einer Gesamtgeldstrafe von 150 Tagessätzen (Urteil des Amtsgerichts Bremen vom 22.11.2000, Az.: 75 Ds 150 Js 20964/00), wegen eines am 31.01.2001 begangenen Betäubungsmitteldelikts zu einer Geldstraße von 60 Tagessätzen (Strafbefehl des AG Bremen vom 28.09.2001, Az.: Cs 500 Js 12409/01) und wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte am 25.12.2001 zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen (Strafbefehl des AG Bremen vom 20.03.2002, Az.: Cs 200 Js 8556/02). Die übrigen zwischen 1996 und Dezember 2001 eingeleiteten Verfahren wurden entweder eingestellt oder mit jugendrichterlichen Weisungen und Auflagen geahndet.

Im Januar 2001 beantragte der Kläger die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis. Er sei Vater eines am 10.08.2000 geborenen Kindes. Die Kindesmutter besitze die deutsche Staatsangehörigkeit. Die elterliche Sorge werde gemeinsam ausgeübt. Es sei beabsichtigt, demnächst eine gemeinsame Wohnung zu beziehen.

Ihm wurde am 30.04.2001 eine bis zum 30.04.2002 befristete Aufenthaltserlaubnis erteilt.

Am 04.04.2002 heiratete er die Kindesmutter in Dänemark.

Wegen der Eheschließung wurde die Aufenthaltserlaubnis bis zum 30.04.2004 und dann nochmals bis zum 01.02.2006 verlängert.

Mit Urteil des Amtsgerichts Bremen vom 03.06.2004 wurde der Kläger wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln zu einer Freiheitsstrafe von 2 Jahren und 9 Monaten verurteilt (Az.: 500 Js 59 530/03). Der Kläger hatte sich Mitte Dezember 2003 knapp 500 gr. einer Kokainzubereitung aus den Niederlanden beschafft, die er gewinnbringend in die Schweiz verkaufen wollte. Der von ihm beauftragte Kurier wurde am 18.12.2003 an der Schweizer Grenze festgenommen. Zugunsten des Klägers bewertete das Amtsgericht sein umfassendes Geständnis, zu seinen Lasten seine einschlägigen Vorstrafen.

Der Kläger befand sich vom 23.02.2004 bis 03.06.2004 in Untersuchungshaft und verbüßte vom 22.03.2005 bis zum 13.10.2006 die verhängte Freiheitsstrafe.

Die Beklagte teilte ihm im März 2005 mit, dass seine Ausweisung beabsichtigt sei.

Der Kläger machte geltend, dass er bis zu seiner Inhaftierung im Februar 2004 einer Erwerbstätigkeit nachgegangen sei, unter anderem bei verschiedenen Zeitarbeitsfirmen. Auch nach der Entlassung aus der Untersuchungshaft sei er wieder einer Beschäftigung nachgegangen. Auslöser der Straftat seien finanzielle Schwierigkeiten wegen einer sehr hohen Stromrechnung - eine Nachzahlung - gewesen. Er bereue die Straftat zutiefst. Seine Führung in der Strafhaft sei beanstandungsfrei. Zwischen ihm und seiner Familie bestehe eine enge Beziehung. Seine am 10.08.2000 geborene Tochter Jenny leide sehr unter der haftbedingten Trennung. Eine Ausweisung würde mit Rücksicht auf Art. 6 Abs. 1 GG zu einer unzumutbaren Härte führen.

Er legte eine Erklärung seiner Ehefrau vor, in der diese angab, sie führten ein sehr harmonisches und intaktes Familienleben. Die Tochter Jenny habe eine sehr starke Bindung zu ihrem Vater und habe Angst, ihn zu verlieren. Ihr Ehemann bereue die Straftat sehr. Sie bitte darum, ihm eine letzte Chance zu geben.

Mit Verfügung vom 28.07.2005 wies das Stadtamt der Beklagten den Kläger befristet für die Dauer von 5 Jahren aus dem Bundesgebiet aus. Die Abschiebung nach Sierra Leone im unmittelbaren Anschluss an die Strafhaft sowie die sofortige Vollziehung von Ausweisung und Abschiebungsregelung wurden angeordnet.

Wegen seiner familiären Bindungen könne der Kläger nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgewiesen werden (§ 56 Abs. 1 S. 1 AufenthG). Durch das Betäubungsmitteldelikt habe der Kläger einen schwerwiegenden Ausweisungsgrund verwirklicht (§§ 53 Nr. 2, 56 Abs. 1 S. 3 AufenthG), der in seinem Fall zur Regelausweisung führe (§ 56 Abs. 1 S. 4 AufenthG). Ein atypischer Sachverhalt, der ein Absehen von der Regel-Rechtsfolge rechtfertigen könnte, sei nicht gegeben. Wegen der familiären Bindungen werde die Ausweisung auf 5 Jahre befristet.

Der Kläger legte rechtzeitig Widerspruch ein.

Mit Widerspruchsbescheid vom 19.10.2005 wies der Senator für Inneres und Sport den Widerspruch des Klägers gegen seine Ausweisung zurück. Die Wirkung der Ausweisung wurde auf 4 Jahre verkürzt. Darüber hinaus wurde die Abschiebungsregelung aufgehoben und die sofortige Vollziehung der Ausweisung ausgesetzt.

Im Widerspruchsbescheid wurde nochmals ausgeführt, dass der Kläger nach den Bestimmungen des Aufenthaltsgesetzes wegen der begangenen Straftat die Voraussetzungen der Regelausweisung erfülle. Ein atypischer Sachverhalt sei nicht gegeben. In diesem Zusammenhang sei zu berücksichtigen, dass er vor der Straftat vom Dezember 2003 bereits durch eine Vielzahl von Straftaten aufgefallen sei. Auch nach höherrangigem Recht (Art. 6 Abs. 1 GG, Art. 8 EMRK) sei die Ausweisung wegen der Schwere des Ausweisungsgrundes nicht zu beanstanden.

Die familiären Bindungen des Klägers führten jedoch zu einer weiteren Verkürzung der Ausweisungsdauer. Nach der einschlägigen ermessenslenkenden Verwaltungsvorschrift betrage die Ausweisungsdauer im Falle einer Regelausweisung grundsätzlich 8 Jahre. Das Stadtamt habe wegen der familiären Bindungen diese Frist um 3 Jahre auf 5 Jahre verkürzt. Aufgrund der besonderen Umstände des Falles sei es unter Abwägung der mit der Ausweisung verfolgten öffentlichen Belange gerechtfertigt, die Frist nochmals um ein 1 Jahr auf jetzt 4 Jahre zu mindern.

Die Abschiebungsregelung und die sofortige Vollziehung der Ausweisung seien aufgehoben worden, weil die Strafhaft, in der der Kläger sich derzeit befinde, ein Abschiebungshindernis begründe. Sobald sich die Haftentlassung absehen lasse, habe die Ausländerbehörde die entsprechenden Maßnahmen wieder anzuordnen.

Der Widerspruchsbescheid wurde am 21.10.2005 zugestellt.

Der Kläger hat am 21.11.2005 Klage erhoben. Er hat vorgetragen, es bestehe in seinem Fall eine sehr enge familiäre Lebensgemeinschaft. Die Tochter Jenny "hänge" an ihrem Vater. Dazu hat er eine kinderpsychiatrische Stellungnahme des Dr. S. vom 27.02.2006 vorgelegt, in der von deutlichen Verhaltensauffälligkeiten seit der Trennung vom Vater gesprochen wird. Die Situation habe sich derzeit stabilisiert, für die weitere Entwicklung der Tochter werde es aber wichtig sein, dass der familiäre Zusammenhang in Zukunft erhalten und der Vater verfügbar bleibe.

Der Kläger hat beantragt,

den Bescheid des Stadtamts vom 28.07.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides des Senators für Inneres und Sport vom 19.10.2005 aufzuheben, soweit der Kläger ausgewiesen wurde;

hilfsweise, die Beklagte zu verpflichten, über die Dauer der Sperrwirkung der Ausweisung unter Aufhebung des Bescheids des Stadtamts vom 28.07.2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheides des Senators für Inneres und Sport vom 19.10.2005 erneut zu entscheiden.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Aufgrund des langjährigen strafrechtlichen Fehlverhaltens des Klägers komme eine Aufhebung der Ausweisungsverfügung nicht in Betracht. Die Härten, die ihn und seine Familie nun träfen, müsse der Kläger sich selbst zurechnen. Sie seien vom Gesetzgeber, der in seinem Fall die Regelausweisung vorsehe, in Kauf genommen. Den familiären Belangen sei durch die Befristung der Wirkung der Ausweisung ausreichend Rechnung getragen.

Am 04.05.2006 wurde eine weitere Tochter des Klägers geboren

Das Verwaltungsgericht Bremen - 4. Kammer - hat die Klage mit Urteil vom 19.06.2006 abgewiesen. Die Ausweisung sei zu Recht erfolgt. Nach den Bestimmungen des Aufenthaltsgesetzes erfülle der Kläger, wie die Beklagte zutreffend ausgeführt habe, die Voraussetzungen einer Regelausweisung (§§ 53 Nr. 2, 56 Abs. 1 S. 3 u. 4 AufenthG). Ein atypischer Sachverhalt, der ein Absehen von der Regelausweisung rechtfertigen könnte, sei nicht gegeben. Weder die näheren Umstände der Straftat noch die persönlichen Verhältnisse des Klägers begründeten einen Ausnahmefall. Es liege kein unverhältnismäßiger Eingriff in das von Art. 8 EMRK geschützte Recht auf Achtung des Familienlebens vor. Das Gericht gehe beim Kläger von einer gegenwärtig noch vorhandenen Wiederholungsgefahr aus. Dafür spreche die lang andauernde Verstrickung in den Drogenhandel.

Die Entscheidung über die Befristung der Wirkung der Ausweisung lasse Rechtsfehler nicht erkennen. Die Beklagte habe sich dazu an der vom Senator für Inneres und Sport erlassenen Verwaltungsvorschrift orientiert. Das könne nicht beanstandet werden.

Das OVG hat auf Antrag des Klägers mit Beschluss vom 22.02.2007 gegen dieses Urteil die Berufung zugelassen.

Die Berufung ist am 23.03.2007 rechtzeitig begründet worden.

Am 19.07.2007 ist aus der Ehe des Klägers eine dritte Tochter hervorgegangen.

Das OVG hat die Ehefrau des Klägers in der mündlichen Verhandlung vom 06.11.2007 zu den Umständen der Straftaten und dem nachfolgenden Verhalten des Klägers sowie zur familiären Situation als Zeugin vernommen. Wegen der Aussagen wird auf das Verhandlungsprotokoll Bezug genommen.

Im Hinblick auf das Ergebnis der Beweisaufnahme hat die Beklagte die angefochtenen Bescheide in der mündlichen Verhandlung dahin abgeändert, dass die Wirkung der Ausweisung von 4 Jahren auf 1 Jahr verkürzt wurde. Insoweit haben die Beteiligten das Verfahren in der mündlichen Verhandlung übereinstimmend für erledigt erklärt.

Der Kläger ist der Ansicht, das die Ausweisung auch nach dieser Verkürzung ihrer Wirkung weiter gegen Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 8 EMRK verstoße. Er lebe mit seiner deutschen Ehefrau und seinen Kindern in familiärer Gemeinschaft. Er habe ein sehr intensives Verhältnis zu seinen Kindern. Die Inhaftierung im März 2004 sei für die Tochter Jenny ein traumatisches Erlebnis gewesen, das bis heute fortwirke. Das Bundesverfassungsgericht habe gerade in jüngster Zeit wiederholt auf den hohen Rang hingewiesen, den das Kindeswohl bei ausländerbehördlichen Entscheidungen genieße. Er habe seit seiner Inhaftierung einen grundlegenden Einstellungswandel vollzogen. Die Zeugenvernehmung seiner Ehefrau habe das bestätigt. Er wisse, dass er sich in der Vergangenheit falsch verhalten habe. Von ihm gehe keine Gefahr erneuter Straftaten aus.

Er beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Bremen vom 19.06.2006 sowie den Bescheid des Stadtamtes Bremen vom 28.07.2005 und den Widerspruchsbescheids des Senators für Inneres und Sport vom 19.10.2005 in der Fassung der in der mündlichen Verhandlung vom 06.11.2007 erfolgten Änderung aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil. Die Ausweisungsentscheidung könne rechtlich nicht beanstandet werden. Durch die weitere Befristung seien die familiären Belange des Klägers angemessen berücksichtigt worden. Der Kläger habe einen schwerwiegenden Ausweisungsgrund verwirklicht. Er habe die Straftat im Dezember 2003 nach der Geburt der Tochter Jenny und nach der Eheschließung begangen. Er sei davor bereits einschlägig vorbestraft worden. Es könne nicht angehen, dass das von ihm begangene schwerwiegende Drogendelikt aufenthaltsrechtlich ohne Folgen bliebe.

Dem Oberverwaltungsgericht liegen die Ausländerakten (2 Bände) und die die Verurteilung vom 03.06.2004 betreffende Strafakte (2 Bände und 1 Vollstreckungsheft) vor. Ihr Inhalt war, soweit in dieser Entscheidung verwertet, Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe:

Soweit die Beteiligten das Verfahren in der mündlichen Verhandlung vom 06.11.2007 übereinstimmend für erledigt erklärt haben, ist das Verfahren einzustellen. In diesem Umfang ist das Urteil des Verwaltungsgerichts wirkungslos (§ 173 VwGO i. V. m. § 269 Abs. 3 ZPO analog).

Gegenstand des Verfahrens ist nach der Änderung der angefochtenen Bescheide eine Ausweisungsverfügung, deren Wirkung auf ein Jahr befristet ist. Diese Ausweisungsverfügung ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Sie ist deshalb aufzuheben (§ 113 Abs. 1Satz 1 VwGO).

1. Für die Beurteilung der Rechtsmäßigkeit von Ausweisung und Befristung ist auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem OVG abzustellen.

Sofern eine Ausweisung in das durch Art. 8 Abs. 1 EMRK geschützte Recht auf Achtung des Familienlebens eingreift, richtet sich ihre Überprüfung nach den Verhältnissen in der letzten gerichtlichen Tatsacheninstanz (ständige Rechtsprechung des EGMR, vgl. zuletzt Urt. v. 28.06.2007, 31753/02 [Kaya], InfAuslR 2005, 325).

Die Verlagerung des Beurteilungszeitpunkts erstreckt sich sowohl auf die familiären Verhältnisse des betroffenen Ausländers als auch die mit der Ausweisung verfolgten öffentlichen Zwecke. Die widerstreitenden Belange sind ihrer Gesamtheit zu betrachten und nach der Rechtsprechung des EGMR in einen "gerechten Ausgleich" zu bringen. Das kann sinnvollerweise nur geschehen, wenn der Abwägung ein einheitlicher Beurteilungszeitpunkt zugrunde liegt.

Die Ausweisung greift hier in das Familienleben des Klägers ein. Der Kläger lebt mit seiner Ehefrau und seinen inzwischen drei Kindern, die die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen, in familiärer Lebensgemeinschaft. Deshalb ist auf die gegenwärtigen Verhältnisse abzustellen.

Das Bundesverwaltungsgericht hat inzwischen entschieden, dass sogar in allen Ausweisungsverfahren, also auch dann, wenn der Schutzbereich von Art. 8 Abs. 1 EMRK nicht berührt ist, auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung der Tatsachengerichte abzustellen ist (BVerwG, Urt. v. 15.11.2007 - 1 C 45.06 - Pressemitteilung 71/2007).

2. Nach den Bestimmungen des Aufenthaltsgesetzes hat der Kläger die Voraussetzungen einer Regelausweisung erfüllt. Zwar genießt er aufgrund der vorhandenen familiären Lebensgemeinschaft besonderen Ausweisungsschutz, d. h. er darf nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgewiesen werden (§ 56 Abs. 1 S. 1 Nr. 4, S. 2 AufenthG). Wegen des von ihm begangenen Betäubungsmitteldelikts besteht in seinem Fall jedoch eine gesetzliche Vermutung für einen schwerwiegenden Ausweisungsgrund (§§ 53 Nr. 2, 56 Abs. 1 Satz 3 AufenthG) und ist die Ausweisung ist darüber hinaus als gesetzliche Regel vorgesehen (§ 56 Abs. 1 Satz 4 AufenthG).

Die differenzierten Regelungen des deutschen Aufenthaltsgesetzes über die Muss-, Regel- und Ermessensausweisung sowie den besonderen Ausweisungsschutz tragen nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts grundsätzlich in ausreichender Weise der EMRK Rechnung (vgl. Urt. v. 17.06.1998 - 1 C 27/96 - InfAuslR 1998, 424; B. v. 11.07.2003 - 1 B 252/02 - Buchholz 140 Art. 8 EMRK Nr. 14). Das entbindet jedoch nicht von der Verpflichtung, namentlich im Fall einer nach dem Aufenthaltsgesetz vorgesehenen Regelausweisung, die Vorgaben zu berücksichtigen, die der EGMR zur Verhältnismäßigkeit einer Ausweisung entwickelt hat, die in das durch Art. 8 Abs. 1 EMRK geschützte Recht auf Achtung des Familienlebens eingreift (BVerfG, Kammerbeschl. v. 10.05.2007 - 2 BvR 304/07 - NVwZ 2007, 946).

Das bedeutet, dass es verfehlt wäre, den Schutz der EMRK allein auf der Ebene der Abschiebung des Ausgewiesenen anzusiedeln. Die EMRK "strahlt" bereits auf das Ausweisungsrecht aus.

Im vorliegenden Fall liegen danach im gegenwärtigen Zeitpunkt die Voraussetzungen für eine Ausweisung des Klägers nicht vor. Es mangelt nämlich an einem schwerwiegenden Ausweisungsgrund.

3. Die gesetzliche Vermutung des § 56 Abs. 1 Satz 3 AufenthG für einen schwerwiegenden Ausweisungsgrund enthält keine Automatik. Sie erfordert im jeweiligen Einzelfall eine individuelle Prüfung, ob nicht Besonderheiten vorliegen, die den an sich schwerwiegenden Ausweisungsanlass nach § 53 AufenthG als weniger gewichtig erscheinen lassen (BVerwG, Urt. v. 31.08.2004 - 1 C 25/03 - InfAuslR 2005, 49 zu § 48 Abs. 1 Satz 2 AuslG). Im Hinblick auf den Ausweisungszweck der Spezialprävention müssen Anhaltspunkte dafür bestehen, dass in Zukunft eine schwere Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung durch neue Verfehlungen des Ausländers ernsthaft droht und damit von ihm eine bedeutsame Gefahr für ein wichtiges Schutzgut ausgeht (BVerwG, Urt. v. 31.08.2004, a. a. O.; Urt. v. 11.06.1996 - 1 C 24.94 - BVerwGE 110, 247). Eine Ausweisung aus Gründen der Generalprävention ist bei Ausländern, die einen besonderen Ausweisungsschutz genießen, nur ausnahmsweise dann zulässig, wenn die Straftat besonders schwerwiegt und deshalb ein dringendes Bedürfnis dafür besteht, über eine etwaige strafrechtliche Sanktion hinaus durch Ausweisung andere Ausländer von Straftaten ähnlicher Art und Schwere abzuhalten (BVerwG, Urt. v. 31.08.2004 u. 11.06.1996, jeweils a. a. O.).

Im vorliegenden Fall führt Art. 8 EMRK dazu, dass von diesen beiden Ausweisungszwecken nur der spezialpräventive in Betracht kommt, generalpräventive Gründe also ausscheiden. Der EGMR verlangt im Falle einer Ausweisung, die in das Recht auf Achtung des Familienlebens eingreift, eine umfassende Abwägung, in die auch die Belange des Ehegatten und etwaiger Kinder gebührend eingestellt werden. Sind die Belange des Ehegatten und der Kinder schutzwürdig und ist ihnen eine Begleitung in das Herkunftsland des Ausgewiesenen nicht zumutbar, ist eine Ausweisung nur zulässig, wenn hinreichend gewichtige spezialpräventive Gründe vorliegen. Der EGMR hat in diesem Zusammenhang darauf abgestellt, ob die Straftat Anlass zu der Befürchtung gibt, der Betreffende "könne eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung dastelllen, indem er weitere Taten begeht" (EGMR, Urt. v. 02.08.2001, 54273/00 [Boultif], InfAuslR 2001, 476;Urt. v. 31.10.2002, 37295/97 [Yildiz], InfAuslR 2003, 126; Urt. v. 15.07.2003, 52 206/99 [Mokrani], InfAuslR 2004, 183; Urt. v. 05.07.2005, 46 410/99 [Üner], InfAuslR 2005, 450; Urt. v. 31.01.2006, 50 252/99 [Sezen], InfAuslR 2006, 255). Ein Rückgriff auf generalpräventive Überlegungen ist in diesem Fall grundsätzlich nicht erlaubt (OVG Bremen, Urt. v. 25..05.2004 - 1 A 303/03 - InfAuslR 2004, 328).

Im vorliegenden Fall sind die Belange der Ehefrau des Klägers sowie seiner Kinder schutzwürdig. Die Familienangehörigen besitzen die deutsche Staatsangehörigkeit, die älteste Tochter ist hier inzwischen eingeschult. Die Schwierigkeiten, mit denen sie im Heimatstaat des Klägers konfrontiert wären, sind ihnen nicht zumutbar.

4. Im Falle des Klägers kann nicht angenommen werden, dass in Zukunft eine schwere Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung durch neue strafrechtliche Verfehlungen ernsthaft droht.

Dabei verkennt das Oberverwaltungsgericht nicht, dass gerade bei Rauschgiftdelikten bereits bei erstmaliger Delinquenz im Hinblick auf den spezialpräventiven Ausweisungszweck ein schwerwiegender Ausweisungsgrund gegeben sein kann. Angesichts der mit einem solchen Verhalten regelmäßig verbundenen erheblichen kriminellen Energie ist es in diesen Fällen von Verfassungs wegen grundsätzlich nicht zu beanstanden, wenn die ernsthafte Wiederholungsgefahr bereits bei einer erstmaligen Bestrafung wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln angenommen wird (vgl. BVerfG, Kammerbeschlüsse v. 25.09.1986 - 2 BvR 744/86 - NVwZ 1987, 403 und v. 01.03.2000 - 2 BvR 2120/99 - InfAuslR 2001, 113). Beim Rauschgifthandel handelt es sich um ein Kriminalitätsgeschehen, dass durch internationale Vernetzung und kaum aufzuhellende, grenzüberschreitende Organisationsstrukturen gekennzeichnet ist. Nur selten kann im vollen Umfang nachgewiesen werden, in welcher Weise der einzelne Straftäter in das Kriminalitätsgeschehen eingebunden ist. Ist ein Ausländer in erheblichem Umfang in den Rauschgifthandel verwickelt, wird man die ernsthafte Wiederholungsgefahr deshalb nur verneinen, wenn hierfür aufgrund der Tat selbst, des nachfolgenden Verhaltens oder der übrigen Lebensumstände des Ausländers verlässliche Anhaltspunkte gegeben sind (vgl. OVG Bremen, B. v. 16.01.1995 - 1 B 147/94).

Im Falle des Klägers liegen solche verlässlichen Anhaltspunkte vor. Der Kläger hat zwar in der Vergangenheit in erheblichem Umfang gegen das Betäubungsmittelgesetz verstoßen. In der Zwischenzeit ist bei ihm jedoch eine deutliche Distanzierung von dem bisherigen strafrechtlichen Fehlverhalten festzustellen. Nach dem Eindruck, den das Gericht in der mündlichen Verhandlung gewonnen hat, ist diese Distanzierung ausreichend stabil, um für die Zukunft eine ernsthafte Wiederholungsgefahr zu verneinen:

a) Die der Verurteilung vom 03.06.2004 zugrunde liegende Straftat, die näheren Umstände dieser Tat und nicht zuletzt die strafrechtliche Vorgeschichte sind allerdings gewichtig. Der Kläger hat Mitte Dezember 2003 planvoll und mit einiger Intelligenz ein Rauschgiftgeschäft von nicht geringem Umfang organisiert. Seine Beteiligung ist erst durch eine umfangreiche Telefonüberwachung und Observation aufgedeckt worden. Er hat in der Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht für dieses Rauschgiftgeschäft zwar ein Geständnis abgelegt, was das Amtsgericht zu seinen Gunsten berücksichtigt hat, hat es andererseits aber ausdrücklich abgelehnt, "weitere Fragen zur Vorgeschichte" zu beantworten. Hintergrund und Bezüge des Delikts konnten damit in der mündlichen Verhandlung nicht aufgeklärt werden. Gegen den Kläger sprechen weiter seine Vorstrafen, die teilweise einschlägig sind (insgesamt 3 Verurteilungen zu Geldstrafen wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz, Körperverletzung und Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte).

b) Andererseits hat sich beim Kläger zur Überzeugung des Gerichts inzwischen ein nachhaltiger Einstellungswandel vollzogen. Ausgangspunkt hierfür ist die vom 23.02.2004 bis 03.06.2004 dauernde Untersuchungshaft, durch die dem Kläger erstmals mit der gebotenen Deutlichkeit die Konsequenzen von Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz vor Augen geführt wurden. Der Kläger wandte sich in dieser Zeit wieder seiner Familie zu, d. h. seiner Ehefrau und der damals 3 jährigen Tochter, zu denen sich zuvor die Bindungen gelockert hatten. Die Ehefrau des Klägers hat das bei ihrer Vernehmung vor dem Oberverwaltungsgericht im Einzelnen geschildert. Der Kläger habe sich nach seiner Inhaftierung "total verändert". Er habe sich wegen der Tat geschämt; ihm sei klar, dass er erhebliches strafrechtliches Unrecht begangen habe. Er nehme die Verantwortung, die er für die Kinder besitze, inzwischen intensiv wahr. Die Kinder hingen an ihrem Vater. Das persönliche Umfeld ihres Mannes habe sich seit 2004 grundlegend gewandelt.

Die Aussagen der Ehefrau sind detailliert und in sich stimmig. Die Ehefrau selbst macht auf das Gericht einen glaubwürdigen Eindruck. Ihre Aussagen weisen darauf hin, dass sich die Untersuchungs- und die nachfolgende Strafhaft, in Verbindung mit dem Rückhalt, den der Kläger in dieser Zeit durch seine Familie erfahren hat, als eine Zäsur ausgewirkt haben. Der Kläger weiß jetzt, was er, auch im Hinblick auf diesen familiären Rückhalt, zu verlieren hat. Diese Beurteilung wird durch das psychiatrische Prognosegutachten gestützt, das am 30.09.2006 im Rahmen der Entscheidung über die Haftentlassung von der Ärztin Dr. M. erstattet wurde. Danach lebt der Kläger in einer engen und stabilen Beziehung mit seiner Ehefrau und seinen Kindern. Ihm sei klar, dass er durch sein strafrechtliches Fehlverhalten seiner Familie erheblich geschadet habe. Er mache nicht andere, sondern sich selbst für das Fehlverhalten verantwortlich (S. 18/21 des Gutachtens). Es liege keine verfestigte dissoziale Entwicklung und/oder Identität vor (S. 21). Der Kläger sei glaubhaft bestrebt, für den Lebensunterhalt seiner Familie zu sorgen.

Die Erklärungen, die der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Oberverwaltungsgericht zu den näheren Umständen der Straftat von Mitte Dezember 2003 abgegeben hat, stehen dieser Beurteilung nicht entgegen. Sie sind zwar durch eine gewisse Bagatellisierungs-bzw. Verdrängungstendenz gekennzeichnet. Das betrifft insbesondere die Einlassung, von einem Bekannten unter Ausnutzung von Geldschwierigkeiten mehr oder weniger zu der Straftat genötigt worden zu sein. Das ändert aber nichts daran, dass dem Kläger das Gewicht der Straftat und das Ausmaß, in dem er damit gegen elementare öffentliche Belange verstoßen hat, zur Überzeugung des Gerichts sehr bewusst sind.

Bei zusammenfassender Würdigung kann damit zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht angenommen werden, dass beim Kläger die ernsthafte Gefahr erneuter Drogendelikte besteht.

Damit fehlt es an einem schwerwiegenden spezialpräventiven Ausweisungsgrund. Die Ausweisungsverfügung kann keinen Bestand haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 161 Abs. 2 VwGO; die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 167 VwGO, 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil Revisionszulassungsgründe (vgl. § 132 Abs. 2 VwGO) nicht gegeben sind.

Beschluss

Der Streitwert wird auf 5.000,- € festgesetzt.

Bremen, den 06.11.2007

Ende der Entscheidung

Zurück