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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Bremen
Beschluss verkündet am 27.06.2005
Aktenzeichen: 1 B 131/05
Rechtsgebiete: Richtlinie 74/442/EWG, AbfVerbrG


Vorschriften:

Richtlinie 74/442/EWG
AbfVerbrG § 2 Abs. 1
AbfVerbrG § 2 Abs. 4
Funktionsfähige und für die Wiederverwendung vorgesehene Bauteile aus Altfahrzeugen stellen keinen Abfall dar und unterliegen deshalb nicht den Beschränkungen des Abfallverbringungsgesetzes.
Oberverwaltungsgericht der Freien Hansestadt Bremen Beschluss

OVG: 1 B 131/05

In der Verwaltungsrechtssache

hat das Oberverwaltungsgericht der Freien Hansestadt Bremen - 1. Senat - durch die Richter Stauch, Göbel und Alexy am 27.06.2005 beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Bremen - 5. Kammer - vom 07.04.2005, der wie folgt neu gefasst wird, wird zurückgewiesen:

Es wird vorläufig festgestellt, dass die im Bescheid der Antragsgegnerin vom 22.02.2005 genannten Gegenstände nicht als Abfall zu qualifizieren sind.

Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren ebenfalls auf 2.500,-Euro festgesetzt.

Gründe:

I.

Der Antragsteller, der ghanaischer Staatsangehöriger ist, möchte gebrauchte Autoteile (ca. 2500 Altreifen, 37 Pkw-Motoren und 15 Starterbatterien) nach Ghana ausführen. Der Zoll hält diese Gegenstände auf Veranlassung der Umweltbehörde der Antragsgegnerin fest. Nach Ansicht der Antragsgegnerin handelt es sich um Abfall, der nicht nach Ghana ausgeführt werden dürfe. Am 22.02.2005 hat die Antragsgegnerin einen feststellenden Bescheid mit entsprechenden Inhalt erlassen, gegen den der Antragsteller Widerspruch eingelegt hat. Zugleich hat er bei Gericht beantragt, im Wege einer einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO diesen Bescheid aufzuheben und festzustellen, dass es sich bei den Gegenständen nicht um Abfall, sondern um Wirtschaftsgüter handele. Das Verwaltungsgericht hat diesen Antrag als Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO gewertet und festgestellt, dass der Widerspruch gegen den Bescheid vom 22.02.2005 aufschiebende Wirkung hat. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass es sich bei den Gegenständen nicht um Abfall handele. Dagegen richtet sich die Beschwerde der Antragsgegnerin.

II.

Die Beschwerde der Antragsgegnerin bleibt erfolglos.

Einstweiligen Rechtsschutz kann der Antragsteller allerdings nur, wie von ihm auch zutreffend beantragt, nach § 123 VwGO erlangen. Im Rahmen einer Regelungsanordnung ist es zulässig, auch vorläufige Feststellungen zu treffen (Kopp/Schenke, VwGO, 13. Aufl. 2003, § 123 Rn. 9). Da die Antragsgegnerin aufgrund ihrer Ansicht, es handele sich um Abfall, die vom Antragsteller erstrebte Ausfuhr nach Ghana verhindert, kann die vorläufige rechtliche Qualifizierung der gebrauchten Autoteile den Gegenstand einer einstweiligen Anordnung bilden. Rechtsschutz nach § 80 Abs. 5 VwGO kommt schon deshalb nicht in Betracht, weil die Antragsgegnerin bislang bewusst von einer Anordnung der sofortigen Vollziehung des feststellenden Bescheids vom 22.02.2005 abgesehen hat. Dementsprechend ist der Tenor des erstinstanzlichen Beschlusses neu zu fassen.

Sowohl Anordnungsanspruch (1.) als auch Anordnungsgrund (2.) sind gegeben (§§ 123 Abs. 3, 920 Abs. 2 ZPO).

1.

In der Sache teilt das Oberverwaltungsgericht die Ansicht des Verwaltungsgerichts, dass die Autoteile nicht als Abfall angesehen werden können. Es handelt sich vielmehr um nicht dem Abfallregime unterfallende Wirtschaftsgüter.

Die grenzüberschreitende Verbringung von Abfällen unterliegt den Bindungen des Abfallverbringungsgesetzes vom 30.09.1994 (BGBl. I S. 2771), zuletzt geändert durch Gesetz vom 25.11.2003 (BGBl. I, S. 2304) - AbfVerbrG -. Das Abfallverbringungsgesetz, auf das die Antragsgegnerin auch ihr Vorgehen gestützt hat, dient der Ausführung der VO/EWG 259/93. Diese nimmt hinsichtlich der Frage, was Abfall ist, auf die RL 75/442/EWG Bezug.

(1) Als Abfall anzusehen sind zunächst die im Abfallverbringungsgesetz ausdrücklich bezeichneten Abfallgruppen (§ 2 Abs. 1 AbfVerbrG i. V. m. Anhang I Q 1 bis Q 15). Aufgeführt sind u. a. "nicht verwendbare Elemente (z. B. verbrauchte Batterien, Katalysatoren usw." (Q 6).

Die Wiederverwendbarkeit, die in dieser Begriffsbestimmung angesprochen wird, beurteilt sich dabei zum einen nach dem technischen Zustand des Elements bzw. des Bauteils. Dieser muss eine weitere Nutzung zu dem ursprünglichen Zweck noch zulassen. Bei einer verbrauchten Batterie ist das, wie die Definition beispielhaft verdeutlicht, nicht der Fall. Darüber hinaus ist der Grad der Wahrscheinlichkeit der Wiederverwendung maßgeblich (vgl. EuGH, Urt. v. 18.04.2002, C - 9/00, NVwZ 2002, S. 1362). Das gilt insbesondere für Elemente bzw. Bauteile, die - wie im vorliegenden Fall - aus einer Sachgesamtheit ausgebaut werden, welche insgesamt als Abfall einzustufen ist. Insoweit wird sich regelmäßig die Frage stellen, ob aufgrund des eingetretenen Verschleißes - noch - mit einer Wiederverwendung zu rechnen ist (OVG Münster, B. v. 12.03.2004, 20 B 2022/03 - juris). Maßgeblich sind insoweit die Verhältnisse des Einzelfalles. Der Ansicht der Antragsgegnerin, dass aus Altfahrzeugen ausgebaute Elemente bzw. Bauteile - ungeachtet ihres Erhaltungszustands und des Grads der Wahrscheinlichkeit einer erneuten Nutzung - in jedem Fall bis zu ihrer Wiederverwendung Abfall darstellen, kann das Oberverwaltungsgericht nicht folgen.

Bei den hier streitigen Gegenständen handelt es sich nach diesem Maßstab nicht um verbrauchte Bauteile; es ist mit einer Wiederverwendung zu rechnen.

Die Pkw-Motoren sind nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts vor ihrem Ausbau einer - zumindest groben - Funktionsüberprüfung unterzogen worden. Der Antragsteller hat weiterhin belegt, dass er für sie einen relevanten Preis gezahlt hat. Das Verwaltungsgericht hat daraus in nachvollziehbarer Weise geschlossen, dass der Export der Motoren primär von der Absicht bestimmt sei, die Aggregate in Ghana als funktionstüchtige Einheiten zu vermarkten. Dem ist die Beschwerde nicht substantiiert entgegengetreten.

Die Starterbatterien sind nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts nicht verbraucht, sondern ebenfalls noch funktionsfähig. Gleiches gilt für die Reifen. Ein vom Verwaltungsgericht befragter Fachmann hat zu den Reifen eingeräumt, dass entgegen der ursprünglichen Einschätzung doch eine weitere Verwendungsfähigkeit gegeben sein könne. Sowohl in Bezug auf die Starterbatterien als auch die Reifen hat das Verwaltungsgericht dabei die arbeitsaufwendige Stapelung in dem festgehaltenen Container berücksichtigt. Die Stapelung vermittelt nach den angefertigten Lichtbildern in der Tat nicht den Eindruck, dass zur Verschrottung/zur Abfallbeseitigung vorgesehene Gegenstände transportiert werden würden. Das Verwaltungsgericht hat daraus geschlossen, dass gezielt Handelsware aufgekauft wurde. Auch insoweit enthält die Beschwerde keinen Vortrag, der diese Beurteilung ernstlich in Zweifel ziehen könnte.

Durch eine entsprechende Lagerung kann, wie das Verwaltungsgericht weiterhin zutreffend ausgeführt hat, das Auslaufen schädlicher Flüssigkeiten aus Motoren und Batterien verhindert werden. Anhaltspunkte dafür, dass bei sachgemäßem Transport gleichwohl ein derartiges Auslaufen drohen könnte, finden sich nicht in der Akte.

(2) Abfälle können darüber hinaus alle übrigen beweglichen Sachen darstellen, denen sich der Besitzer entledigen will oder - weil sie gefährlich sind - aus Rechtsgründen entledigen muss (§ 2 Abs. 1, Abs. 4 AbfVerbrG, Anhang I Q 16). Auch nach diesem Maßstab ist hier eine Abfalleigenschaft nicht gegeben.

Die Gesamtumstände sprechen im vorliegenden Fall deutlich gegen einen subjektiven Entledigungswillen. Die Funktionsfähigkeit der Autoteile, der für sie gezahlte Preis und nicht zuletzt die Art und Weise der Stapelung in dem Container weisen darauf hin, dass der Antragsteller sich ihnen gerade nicht entledigen will.

Es kann auch nicht angenommen werden, dass die Abfalleigenschaft wegen etwaiger Umweltgefahren, die von den Sachen ausgehen und die zwingend ihre Beseitigung oder Verwertung erfordern, begründet wird. Dagegen spricht schon, dass die Sachen entsprechend ihrer ursprünglichen Zweckbestimmung wiederverwandt werden sollen.

(3) Die von der Antragsgegnerin in der Beschwerde erhobene Forderung nach einer Schadstoffentfrachtung (vollständiges Ablassen des Motoröls und der Säure aus den Batterien) findet, soweit das Oberverwaltungsgericht dies im vorliegenden Eilverfahren übersehen kann, im Abfallverbringungsrecht keine Grundlage. Der Hinweis der Antragsgegnerin auf die Altgeräterichtlinie (Richtlinie 2002/96/EG) sowie der Altfahrzeugrichtlinie (Richtlinie 2000/43/EG) geht schon deshalb fehl, weil es hier um die Ausfuhr von für sich genommen noch funktionsfähigen und zur Wiederverwendung vorgesehenen Bauteilen aus Kraftfahrzeugen geht. Ob Umweltgefahren, die speziell beim Transport auftreten können, für die Abfalleigenschaft überhaupt relevant sein können, mag hier dahinstehen (vgl. dazu C. Weidemann, A. Neun, Zum Ende der Abfalleigenschaft von Bauteilen aus (Elektro- und Elektronik-) Altgeräten und Altfahrzeugen, NuR 2004, S. 97 <102>). Denn diese Gefahren sind vorliegend, wie dargelegt, beherrschbar.

2.

Ein Anordnungsgrund ist gegeben, weil dem Antragsteller ohne den Erlass der beantragten einstweiligen Anordnung erhebliche Nachteile drohen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO; die Streitwertfestsetzung auf §§ 53 Abs. 3, 52 Abs. 2 GKG.

Ende der Entscheidung

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