Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Bremen
Beschluss verkündet am 20.06.2006
Aktenzeichen: 1 B 171/06
Rechtsgebiete: AufenthG


Vorschriften:

AufenthG § 60a
Zu den Voraussetzungen, unter denen bei einer geltend gemachten Suizidgefahr ein Abschiebungshindernis angenommen werden kann.
Oberverwaltungsgericht der Freien Hansestadt Bremen Beschluss

OVG: 1 B 171/06

In der Verwaltungsrechtssache

hat das Oberverwaltungsgericht der Freien Hansestadt Bremen - 1. Senat - durch die Richter Stauch, Nokel und Alexy am 20.06.2006 beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde der Antragsteller zu 3. und 4. gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Bremen - 4. Kammer - vom 21.04.2006 wird zurückgewiesen.

Die Antragsteller tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 5.000,- € festgesetzt.

Gründe:

Die Beschwerde, bei deren Prüfung das Oberverwaltungsgericht sich auf die geltend gemachten Beschwerdegründe beschränkt (§ 146 Abs. 4 S. 6 VwGO) bleibt erfolglos.

Das Verwaltungsgericht hat es zu Recht abgelehnt, die von den Antragstellern zu 3. und 4. beantragte einstweilige Anordnung zu erlassen. Die nach erfolglosem Asylverfahren vollziehbar ausreisepflichtigen Antragsteller zu 3. und 4. haben nicht glaubhaft gemacht, dass in ihrem Fall ein Abschiebungshindernis i. S. von § 60 a Abs. 2 AufenthG besteht.

Für den am 17.10.1987 geborenen Antragsteller zu 4. macht die Beschwerde geltend, dass dieser bislang immer im Schutz der Familie gelebt habe und große Angst davor habe, in einem für ihn fremden Land ohne seine Familie leben zu müssen. Damit hat er ein Abschiebungshindernis nicht dargelegt. Der Antragsteller zu 4. ist volljährig. Bis zur ersten Einreise nach Deutschland im März 1993 sowie zwischen 1995 und 1998 lebte er mit seiner Familie in Montenegro. Dass er jetzt nach Erreichen der Volljährigkeit aufgrund besonderer Umstände noch auf Betreuungs- und Versorgungsleistungen der Familie angewiesen wäre, hat er nicht dargelegt. Auch sonst sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass es ihm aus persönlichen Gründen unzumutbar wäre, sich in Montenegro eine Existenz aufzubauen.

Für die am 30.10.1983 geborene Antragstellerin zu 3. macht die Beschwerde geltend, dass diese aufgrund ihrer Erkrankungen nicht reisefähig sei. Die Beschwerde bezieht sich insoweit zunächst auf die Bescheinigung der Ärztin für Allgemeinmedizin Z. vom 21.03.2006. In dieser Bescheinigung wird der Antragstellerin zu 3. 1. Eisenmangelanämie, ungeklärte Ursache, 2. entzündliche Marisken, OP durchgeführt, 3. Rückenmuskelinsuffizienz, 4. Pityriasis versicolor, 5. Psychovegetativer Erschöpfungszustand diagnostiziert. Zu Recht hat das Verwaltungsgericht entschieden, dass diese Erkrankungen keine Reiseunfähigkeit, d. h. ein inlandsbezogenes Abschiebungshindernis - um das ist im vorliegenden Verfahren alleine geht - begründen. In einer weiteren Bescheinigung der Ärztin für Allgemeinmedizin Z. vom 19.04.2006 wird die Reisefähigkeit der Antragstellerin zu 3. auch nicht in Abrede gestellt, es wird lediglich darauf hingewiesen, dass ihr wegen massiver Flugangst ermöglicht werden sollte, die Ausreise nach Montenegro mit dem Bus- oder Bahn durchzuführen.

Wegen der am 23.05.2006 im Klinikum Bremen Nord durchgeführten ambulanten Operation, auf die die Beschwerde sich weiter gestützt hat, ist die Nachbehandlung inzwischen abgeschlossen (Bescheinigung Dr. M. vom 06.06.2006).

Die Antragstellerin zu 3. hat schließlich auch nicht glaubhaft gemacht, dass aus ihrer derzeitigen psychischen Verfassung ein Abschiebungshindernis resultiert. Sie trägt dazu vor, dass sie sich, da ihr psychischer Zustand sich durch die drohende Abschiebung verschlechtert habe, erneut in die Behandlung des Arztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. L. begeben habe. Dieser führt in seiner Bescheinigung vom 12.06.2006 aus, dass es sich bei der Antragstellerin zu 3. um eine infantile Persönlichkeit mit einer ganzen Reihe unterschiedlicher Probleme handele. Bei ihr habe fast zeitlebens eine Überforderungssituation bestanden. Sie habe jeden Anschluss an Gleichaltrige verloren. Zur Zeit sei sie schwer depressiv mit einer Fülle von psychosomatischen Symptomen und einem hohen Angstpegel. Dieser Angstpegel könne sich bei einer Abschiebung jederzeit zu einer suizidalen Krise entwickeln.

Depressive Zustände aufgrund einer bevorstehenden Abschiebung und eine damit einhergehende Suizidgefahr können in begründeten Einzelfällen zu einem inlandsbezogenen Abschiebungshindernis führen (vgl. VGH-Mannheim, B. v. 10.07.2003 - 11 S 2622/02 - InfAuslR 2003, S. 422). Das setzt aber voraus, dass sich in den vom Ausreisepflichtigen vorgelegten ärztlichen Bescheinigungen/Stellungnahmen präzise Aussagen zur psychischen Konstitution finden, was eine bestimmte Diagnose einschließt. Solche Aussagen lassen sich regelmäßig nur, insbesondere weil sie eine Prognose über die psychische Belastbarkeit beinhalten, auf der Grundlage einer längeren Behandlungsdauer treffen. Da in ihr Herkunftsland zurückkehrende Ausländer nicht selten eine ungewisse Zukunft erwartet, was verständlicherweise zu Ängsten führt, muss aus den ärztlichen Bescheinigungen/Stellungnahmen hervorgehen, dass es sich bei den Angstzuständen des Betreffenden nicht lediglich um eine derartige Reaktion handelt, sondern ein nicht mehr vom eigenen Willen kontrollierter pathologischer Zustand besteht. Selbst wenn bei dem Ausreisepflichtigen in dieser Hinsicht psychische Auffälligkeiten vorhanden sind, ist weiter zu prüfen, ob diesen durch geeignete Vorkehrungen und die Gestaltung der Abschiebung begegnet werden kann (vgl. OVG Münster, B. v. 30.12.2004 - 13 A 1250/04.A - Juris). Es ist Aufgabe der Verwaltungsgerichte, die vorgelegten ärztlichen Atteste eigenständig darauf zu überprüfen, ob sie methodisch und inhaltlich diesen Anforderungen genügen (vgl. OVG Münster, B. v. 05.01.2005 - 21 A 3093/04.A - NVwZ-RR 2005, 358).

Nach diesem Maßstab lässt sich der Bescheinigung Dr. L. nicht entnehmen, dass bei der Antragstellerin zu 3. aus psychischen Gründen ein Abschiebungshindernis gegeben ist. So fehlt es bereits an einer konkreten Diagnose, die einen Rückschluss auf ein bestimmtes Krankheitsbild bzw. - pathologisches Persönlichkeitsbild gestattet. Auch wird nicht angegeben, welche Behandlungen durchgeführt wurden. Die Bescheinigung verweist auf anscheinend nicht unproblematische innerfamiliäre Strukturen, andererseits hat die Antragstellerin zu 3. in der Beschwerde aber selbst angegeben, dass sie innerhalb ihrer Familie durchaus eigenständig wichtige Funktionen erfüllt (S. 2/3 der Beschwerdebegründung). Das zeigt, dass bei ihr die wesentlichen Merkmale, die einen Volljährigen auszeichnen, vorhanden sind. Insgesamt gibt die Bescheinigung die - durchaus nachvollziehbaren - Ängste der Antragstellerin zu 3. vor einem Neuanfang in Montenegro wieder, belegt aber nicht, dass bei ihr in dieser Hinsicht ein pathologischer Zustand gegeben wäre. Die Beschwerde setzt sich im Übrigen auch nicht damit auseinander, dass die Antragstellerin zu 3. bei diesem Neuanfang nicht gänzlich auf sich gestellt sein wird, sondern sie von ihrem Bruder, dem Antragsteller zu 4., begleitet sein wird.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO; die Streitwertfestsetzung auf §§ 53 Abs. 3, 52, Abs. 1 GKG.

Ende der Entscheidung

Zurück