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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Bremen
Beschluss verkündet am 13.07.2009
Aktenzeichen: 1 B 211/09
Rechtsgebiete: AufenthG, EMRK, GG, VwGO


Vorschriften:

AufenthG § 60a Abs. 2
EMRK Art. 3
GG Art. 2 Abs. 2
GG Art. 19 Abs. 4
VwGO § 123
VwGO § 146 Abs. 4
1. Die Ausländerbehörde hat bei der Vollstreckung aufenthaltsbeendender Maßnahmen im Regelfall Rücksicht auf die Fristen zu nehmen, die der Gesetzgeber für das Beschwerdeverfahren in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes eingeräumt hat, und dafür Sorge zu tragen, dass auch dem Beschwerdegericht ausreichend Zeit für eine Entscheidungsfindung verbleibt, die der Bedeutung der Aufenthaltsbeendigung für den Ausländer Rechnung trägt. Ein solcher Regelfall liegt nicht vor, wenn die aufenthaltsbeendenen Maßnahmen kurz zuvor bereits Gegenstand einer gründlichen Überprüfung in einem oder mehreren Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes waren und nicht erkennbar ist, dass sich der den bisherigen Entscheidungen zugrunde liegende Sachverhalt geändert haben könnte.

2. Eine konkrete, ernsthafte Suizidgefährdung mit Krankheitswert kann zu einer Reiseunfähigkeit und damit zu einem Abschiebungshindernis im Sinne des § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG führen. Weder Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG noch Art. 3 EMRK gebieten aber, von der Abschiebung abzusehen, wenn durch geeignete Maßnahmen Vorsorge dagegen getroffen worden ist, dass sich die Suizidgefahr realisiert, und die getroffenen Vorkehrungen nicht ihrerseits nicht unverhältnismäßig in Grundrechte des Abzuschiebenden eingreifen (Bestätigung der bisherigen Rechtsprechung).


Oberverwaltungsgericht der Freien Hansestadt Bremen Beschluss

OVG: 1 B 211/09

In der Verwaltungsrechtssache

hat das Oberverwaltungsgericht der Freien Hansestadt Bremen - 1. Senat - durch die Richter Göbel, Prof. Alexy und Dr. Grundmann am 13.07.2009 beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts der Freien Hansestadt Bremen - 4. Kammer - vom 07.07.2009 wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 5.000,00 Euro festgesetzt.

Gründe:

A.

Der Antragsteller, ein 1976 geborener türkischer Staatsangehöriger, kam erstmals 1990 in das Bundesgebiet. Er erhielt keine Aufenthaltserlaubnis und reiste im Dezember 1994 wieder in die Türkei aus. Im Mai 1995 kam er mit einem Visum zum Zwecke des Nachzugs zu seiner deutschen Ehefrau in die Bundesrepublik. Für die Zeit vom 20.07.1995 bis zum 19.07.1998 erteilte die Ausländerbehörde ihm eine Aufenthaltserlaubnis im Hinblick auf die Ehe. Die Ehe, aus der 1997 ein Kind hervorging, wurde 1999 geschieden. Bereits seit Februar 1997 lebte der Antragsteller mit einer anderen deutschen Staatsangehörigen zusammen. Ihre gemeinsamen Kinder X, geb. 1998, und Y, geb. 2000, besitzen die deutsche Staatsangehörigkeit. Auf den Antrag vom 22.07.1998 zur Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis erhielt der Antragsteller Fiktionsbescheinigungen. Vom 22.01.2001 bis zum 21.01.2002 besaß er eine befristete Aufenthaltserlaubnis. Am 28.03.2002 beantragte er eine Verlängerung seines Aufenthaltstitels und erhielt wieder Fiktionsbescheinigungen. Vom 20.04.2005 bis 19.04.2006 hatte er erneut eine befristete Aufenthaltserlaubnis. Die Anträge auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis vom 07.04.2006 und 15.06.2006 lehnte das Stadtamt der Antragsgegnerin mit Verfügung vom 24.10.2007 ab. Gleichzeitig wies es den Antragsteller wegen sieben im Bundeszentralregister eingetragener Straftaten, darunter eine am 31.07.2005 begangene Brandstiftung, aus der Bundesrepublik aus und drohte ihm die Abschiebung in die Türkei an. Dagegen legte der Antragsteller am 13.11.2007 Widerspruch ein. Mit Bescheid vom 30.06.2008 ergänzte das Stadtamt die Ausweisung vom 24.10.2007 hilfsweise durch eine Ermessensentscheidung und befristete die Wirkung der Ausweisung auf 6 Jahre. Des Weiteren ordnete die Behörde die sofortige Vollziehung der Ausweisung und Abschiebungsandrohung an. Den Antrag des Antragstellers, die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs anzuordnen bzw. wiederherzustellen, lehnte das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 09.09.2008 (4 V 2151/08) ab; die dagegen erhobene Beschwerde wies das Oberverwaltungsgericht mit Beschluss vom 04.03.2009 (1 B 457/08) zurück. Zur Begründung führte das Oberverwaltungsgericht aus, die aufenthaltsbeendenden Maßnahmen seien auch unter Berücksichtigung der familiären Beziehungen des Antragstellers zu seinen Kindern nicht zu beanstanden. Da die Gefahr bestehe, dass der Antragsteller bereits während des Rechtsmittelverfahrens erneut gewalttätig werde, überwiege das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der Ausweisung auch unter Berücksichtigung der familiären Beziehungen des Antragstellers zu seinen Kindern dessen privates Interesse am vorläufigen weiteren Verbleib im Inland. Unter anderem führte das Gericht aus:

"Entgegen dem Vortrag des Antragstellers kann nicht angenommen werden, es habe sich bei der Brandstiftung zum Nachteil seiner Kinder und ihrer Mutter vom 31.07.2005 um einen "einmaligen Ausraster" gehandelt, der durch die Kindesmutter provoziert worden sei. Der Antragsteller war zuvor schon wiederholt u. a. durch Gewalttätigkeiten gegen die Kindesmutter in Erscheinung getreten. Auch nach der Brandstiftung hat er sein gewalttätiges Verhalten fortgesetzt. Sein Verhalten hat dazu geführt, dass das Amtsgericht ihn mit Beschluss vom 05.07.2007 der Wohnung verwiesen und ein Verbot ausgesprochen hat, sich der Kindesmutter zu nähern oder mit ihr Kontakt aufzunehmen; in der Begründung wird ausgeführt, das Verhalten des Antragstellers beeinträchtige auch das Kindeswohl. Am 07.11.2007 ist Anklage wegen sieben Gewalttaten des Antragstellers gegen seine Kinder und deren Mutter erhoben worden. Mit Beschluss vom 28.11.2007 lehnte das Oberlandesgericht Bremen die Aussetzung des Restes der vom Antragsteller verbüßten Freiheitsstrafe mit der Begründung ab, es bestehe ein erhebliches Risiko für die Begehung weiterer Straftaten, dem nicht durch Auflagen oder Weisungen entgegengewirkt werden könne. In seiner Stellungnahme gegenüber der Antragsgegnerin vom 24.06.2008 hielt es das Jugendamt für erforderlich, die Kinder vor ihrem gewalttätigen Vater zu schützen. Diese Umstände, die für die Gefahr weiterer Straftaten durch den Antragsteller sprechen, werden von der Beschwerde nicht substantiiert in Zweifel gezogen.

Die Auswirkungen ihrer Entscheidung auf die durch Art. 6 GG, Art. 8 EMRK geschützten familiären Kontakte des Antragstellers zu seinen Kindern hat die Antragsgegnerin bei ihrer Ermessensentscheidung berücksichtigt. Ihre Entscheidung, das öffentliche Interesse daran, die Wiederholung von Gewalttaten zu verhindern, höher zu bewerten als die Aufrechterhaltung des unmittelbaren Kontakts des Antragstellers zu seinen Kindern, ist rechtlich nicht zu beanstanden. Ein anderes Abwägungsergebnis ist durch Art. 6 GG, Art. 8 EMRK rechtlich nicht geboten. Auch die Beschwerde macht Umstände, die aus Rechtsgründen zu einer Erteilung der Aufenthaltserlaubnis zwängen, nicht geltend. Allein die Tatsache, dass der Schutzbereich des Art. 6 GG eröffnet ist, bedeutet - anders, als die Beschwerde offenbar meint - noch nicht, dass auch der Eingriff in diesen Schutzbereich unzulässig ist. Die Pflicht des Staates, die familiären Beziehungen eines ausländischen Kindes zu schützen, drängt zwar regelmäßig einwanderungspolitische Belange zurück (BVerfG, Kammerbeschl. v. 31.08.1999 - 2 BvR 1523/99 - NVwZ 2000, 59), zwingt aber nicht in jedem Fall zur Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis, wenn von dem Ausländer die Gefahr von schwerwiegenden Straftaten ausgeht (vgl. BVerfGE 51, 386 <398>; 69, 220 <320>).

Vom 20.04. bis zum 12.05.2009 befand sich der Antragsteller wegen einer "Anpassungsstörung mit Suizidalität", die durch die bevorstehende Abschiebung bedingt sei, in stationärer Behandlung im Klinikum Bremen-Ost. Zum Zeitpunkt der Entlassung bestand aus ärztlicher Sicht keine akute suizidale Gefährdung mehr. Am 19.05.2009 entzog sich der Antragsteller durch einen Sprung aus dem 3. Stock seiner Festnahme; anschließend begab er sich erneut zur stationären Behandlung in das Klinikum Bremen-Ost. Im Entlassungsbericht vom 22.05.2009 wurde erneut eine Anpassungsstörung mit depressiver Symptomatik und Suizidalität im Zusammenhang mit der geplanten Abschiebung diagnostiziert. Durch die stationäre Aufnahme sei der Antragsteller deutlich entlastet worden; er habe sich von suizidalen Absichten distanzieren können. Noch im Wartezimmer des Klinikums wurde der Antragsteller festgenommen. Dabei geriet der Antragsteller in einen starken Erregungs- und Aggressionszustand. Er trat wild und unkontrolliert um sich und schlug mehrfach seinen Kopf auf den Fußboden, so dass er fixiert werden musste. Nachdem der Ärztliche Beweissicherungsdienst im Polizeigewahrsam erneut eine Anpassungsstörung mit depressiver Symptomatik und Suizidalität diagnostiziert hatte, wurde der Antragsteller der Justizvollzugsanstalt (JVA) und von dort am 26.05.2009 vorübergehend dem Klinikum Bremen-Ost überstellt. Nach dem Bericht der JVA hat der Antragsteller zweimal versucht, sich das Leben zu nehmen.

Für den 09.06.2009 bereitete die Antragsgegnerin die Abschiebung des Antragstellers vor. Daraufhin beantragte der Antragsteller am 08.06.2009 beim Verwaltungsgericht, "der Antragsgegnerin die Abschiebung des Antragstellers in die Türkei zu untersagen und einen entsprechenden Hängebeschluss, die Abschiebung des Antragstellers bis zu einer rechtskräftigen letztinstanzlichen Entscheidung auszusetzen, bzw. zu untersagen, zu fassen und die Antragsgegnerin zu verpflichten, dem Antragsteller eine Duldungsbescheinigung zu erteilen". Mit Beschluss vom gleichen Tag (4 V 745/09) untersagte das Verwaltungsgericht der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung, den Antragsteller vor einer amtsärztlichen Überprüfung seiner Reisefähigkeit abzuschieben; etwaige Abschiebungsmaßnahmen dürften frühestens eine Woche nach Bekanntgabe der Feststellung der Reisefähigkeit aufgrund dieser Überprüfung an die Bevollmächtigte des Antragstellers durchgeführt werden. Zugleich wurde die Antragsgegnerin verpflichtet, dem Antragsteller für diesen Zeitraum eine Duldung zu erteilen. Im Übrigen wurde der Antrag abgelehnt.

Am 12.06.2009 wurde der Antragsteller von dem Oberarzt Dr. R. des Klinikums Bremen-Ost in der JVA untersucht. In einem amtsärztlich-psychiatrischen Gutachten vom gleichen Tage, das von Prof. Dr. H. unterzeichnet ist, fasste Dr. R. die Untersuchungsergebnisse wie folgt zusammen:

"Zum Zeitpunkt der Untersuchung ist die Suizidalität aktuell als latent einzuschätzen. Bei Umsetzung der Abschiebung ist davon auszugehen, dass eine konkrete, ernsthaft akute Suizidgefährdung besteht. Impulshafte, suizidale Handlungen sind nicht auszuschließen.

Die Suicidalität wird als interessengeleitet eingeschätzt. Sie ist nicht Ausdruck der Folge einer seelischen Erkrankung, sondern ist als unmittelbare Reaktion auf die drohende Abschiebung zu beziehen.

Es finden sich Symptome einer Anpassungsstörung, die aber nicht als krankheitswertige Störungen einzuordnen sind."

Weiter wurde in dem Gutachten ausgeführt:

"Das Befinden von Herrn A wird sich bei drohender Abschiebung verschlechtern, dies kann jedoch nicht als Ausdruck oder Folge einer seelischen Erkrankung gewertet werden, sondern als Konsequenz des Abschiebungsvorganges.

...

Herr A empfindet die Abschiebung für sich als so bedrohlich, dass für den Fall der Abschiebung sich sein Befinden erheblich verschlechtern wird und suizidale Handlungen nicht auszuschließen sind.

...

Durch eine medikamentöse Behandlung könnte eine vorübergehende Stabilisierung erreicht werden. Entsprechende Maßnahmen müssten vom Vollzugsdienst entschieden werden.

...

Im Heimatland sollte eine psychiatrisch psychotherapeutische Behandlung angeboten werden können."

Mit Schreiben vom 29.06.2009 teilte die Antragsgegnerin der Prozessbevollmächtigten des Antragstellers mit, sie komme nach Auswertung der fachärztlichen Stellungnahme zu dem Ergebnis, dass der Antragsteller reisefähig sei, und habe die Abschiebung für den 14.07.2009 vorgesehen. Der Antragsteller stehe bis zur Abschiebung in der JVA unter ständiger ärztlicher Kontrolle. Er werde bis zur Übergabe an die türkischen Behörden von einem Arzt begleitet. Am Flughafen werde er von einem Vertrauensarzt der Deutschen Botschaft im Empfang genommen. Nach einer ersten Untersuchung noch am Flughafen werde der Facharzt darüber entscheiden, welche weitere Behandlung erforderlich sei und in welchem Krankenhaus ggf. ein stationärer Aufenthalt erfolgen könne. Die Antragsgegnerin habe der Botschaft die Kostenübernahme für den Vertrauensarzt und einen Krankenhausaufenthalt für zunächst drei Tage zugesagt; reiche dieser Zeitraum nicht aus, sei die Antragsgegnerin bereit, auch weitere Kosten zu tragen, bis der Antragsteller ausreichend stabilisiert sei.

Bereits am 28.06.2009 hatte der Antragsteller beim Verwaltungsgericht beantragt,

1. der Antragsgegnerin die Abschiebung des Antragstellers in die Türkei wegen vorliegender Reiseunfähigkeit zu untersagen,

hilfsweise

2. die Antragsgegnerin zu verpflichten, ein umfassendes psychiatrisches Sachverständigengutachten erstellen zu lassen, ferner zugleich

3. die Antragsgegnerin zu verpflichten, dem Antragsteller eine Duldungsbescheinigung auszustellen,

4. die Antragsgegnerin zu verpflichten, den Antrag auf Sicherungshaft zur Abschiebung zurückzunehmen.

Mit dem angefochtenen Beschluss vom 07.07.2009 hat das Verwaltungsgericht den Antrag abgelehnt. Dagegen richtet sich die Beschwerde des Antragstellers vom gleichen Tag. Mit Schriftsatz vom 08.07.2009 hat er der Ankündigung des Oberverwaltungsgerichts widersprochen, am Tage vor der geplanten Abschiebung über die Beschwerde entscheiden zu wollen. Am 09.07.2009 hat er Auszüge aus familiengerichtlichen Akten übermittelt und sich eine ausführliche Beschwerdebegründung innerhalb der gesetzlich vorgesehenen Frist vorbehalten.

B.

Die Beschwerde ist nicht begründet.

I.

Die Abschiebung am 14.07.2009 ist nicht schon deshalb vorläufig zu untersagen, weil zu diesem Zeitpunkt die gesetzliche Frist für die Begründung der Beschwerde nach § 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO noch nicht abgelaufen ist.

1.

Der Antragsteller hat zwar einen aus Art. 19 Abs. 4 GG folgenden Anspruch darauf, dass ihm die Beschreitung des eröffneten Rechtswegs nicht in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert wird. Daraus folgt für den Regelfall, dass die Ausländerbehörde bei der Vollstreckung aufenthaltsbeendender Maßnahmen hinreichend Rücksicht auf die Fristen nimmt, die der Gesetzgeber für das Beschwerdeverfahren in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes eingeräumt hat, und dafür Sorge zu tragen, dass auch dem Beschwerdegericht ausreichend Zeit für eine Entscheidungsfindung verbleibt, die der Bedeutung der Aufenthaltsbeendigung für den Antragsteller Rechnung trägt. Geschieht dies nicht, ist die Abschiebung ggf. im Wege eines so genannten Hängebeschlusses nach § 123 Abs. 3 VwGO i. V. m. § 938 Abs. 1 ZPO vorläufig anzuhalten, um den nötigen zeitlichen Spielraum zu schaffen, damit sachgerecht über die Beschwerde entschieden werden kann (vgl. Eyermann-Happ, VwGO, 12. Aufl. 2006, Rn 60 zu § 123).

Ein solcher Regelfall liegt aber nicht vor, wenn die aufenthaltsbeendenden Maßnahmen bereits kurz zuvor bereits Gegenstand einer gründlichen Überprüfung in einem oder mehreren Verfahren vorläufigen Rechtsschutzes waren und nicht erkennbar ist, dass sich der den bisherigen Entscheidungen zugrunde liegende Sachverhalt wesentlich geändert haben könnte. Andernfalls könnte die Vollstreckung dieser Maßnahmen auf Dauer allein dadurch vereitelt werden, dass immer wieder neue Anträge auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt und entsprechende Beschwerden zum Oberverwaltungsgericht erhoben werden. Unter den genannten Voraussetzungen kann es deshalb im Einzelfall geboten sein, dass das Oberverwaltungsgericht schon vor Ablauf der Beschwerdebegründungfrist abschließend in der Sache entscheidet. Voraussetzung ist allerdings, dass der Antragsteller jedenfalls eine kurzfristige Gelegenheit zur Begründung hatte und diese Begründung nicht an den strengen Anforderungen des § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO gemessen wird (vgl. dazu BVerfG, Kammerbeschl. vom 05.09.2003 - 1 BvQ 32/03 - NVwZ 2004, 90; zuvor schon OVG Bremen, Beschl. v. 10.01.2002 - 1 B 8/02 - ). Kann eine Begründung der Beschwerde aus Zeitgründen überhaupt nicht erfolgen, ist die angefochtene Entscheidung gegebenenfalls abweichend von § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO umfassend zu überprüfen.

2.

Im Fall des Antragstellers besteht nach diesen Kriterien keine Veranlassung, die für den 14.07. vorbereitete Abschiebung allein deshalb auszusetzen, um dem Antragsteller Gelegenheit zur Ausschöpfung der gesetzlichen Frist zur Begründung der Beschwerde zu geben. Auch die besonderen Umstände des Einzelfalls gebieten einen solchen Aufschub nicht.

Die für und gegen die Beendigung seines Aufenthalts sprechenden Gründe waren Gegenstand einer umfassenden Überprüfung in den Verfahren 4 V 2151/08 vor dem Verwaltungsgericht und 1 B 457/08 vor dem Oberverwaltungsgericht. Das gilt insbesondere für die Frage, welche Bedeutung den Beziehungen des Antragstellers zu seinen beiden jüngsten Söhnen für sein Aufenthaltsrecht beizumessen ist. Hinreichend substantiierte Anhaltspunkte dafür, dass sich der Sachverhalt seit dem Beschluss des Oberverwaltungsgerichts vom 04.03.2009 entscheidungserheblich verändert haben könnte, sind nicht ersichtlich. Dem Erlass einer auf die familiären Beziehungen des Antragstellers zu seinen Kindern gestützten einstweiligen Anordnung steht deshalb schon die Rechtskraft des Beschlusses vom 04.03.2009 entgegen (vgl. Eyermann-Happ, a. a. O., Rn 75 zu § 123). Die Beziehungen des Antragstellers zu seinen Kindern und die sich daraus ergebenden aufenthaltsrechtlichen Konsequenzen können daher in diesem Eilverfahren nicht erneut überprüft werden. Der Antragsteller kann deshalb nicht mit Erfolg geltend machen, seine Prozessbevollmächtigte müsse zunächst die beim Familiengericht angefallenen Akten durcharbeiten.

Auch ein Abschiebungshindernis, das sich aus der - erstmals nach Abschluss des ersten Eilverfahrens geltend gemachten - Gefahr eines Suizids ergibt, war bereits Gegenstand eines rechtskräftig abgeschlossenen Eilverfahrens (1 V 745/09). Nach der ergangenen Entscheidung war die Antragsgegnerin verpflichtet, die Abschiebung für eine Woche nach Bekanntgabe der Feststellung der Reisefähigkeit auszusetzen; den weitergehenden Antrag hat das Verwaltungsgericht abgelehnt. Dagegen hat der Antragsteller kein Rechtsmittel eingelegt. An der kurzen Frist muss sich der Antragsteller daher unabhängig davon festhalten lassen, ob die Frist angemessen erscheint oder nicht. Er wusste, dass er, wenn er sich gegen die Feststellung der Reisefähigkeit wenden wolle, das dazu Erforderliche binnen einer Woche geltend machen müsse. Dementsprechend hat er zur Begründung seines Eilantrags umfassend und ausführlich gegenüber dem Verwaltungsgericht vorgetragen. Gesichtspunkte, aus denen sich ergibt, dass er mehr Zeit braucht, um gezielt zur Tragfähigkeit der Feststellung seiner Reisefähigkeit Stellung zu nehmen, hat er weder gegenüber dem Verwaltungsgericht noch im Beschwerdeverfahren geltend gemacht.

Der Senat ist daher nicht gehindert, unter umfassender Berücksichtigung des erstinstanzlichen Vorbringens abschließend in der Sache zu entscheiden.

II.

Das Verwaltungsgericht hat es zu Recht abgelehnt, die begehrte einstweilige Anordnung zu erlassen. Der Antragsteller hat nicht glaubhaft gemacht, dass er einen Anspruch auf Unterlassung der beabsichtigten Abschiebung hat.

1.

Wie das Verwaltungsgericht zutreffend im Anschluss an die Rechtsprechung des beschließenden Senats (vgl. zuletzt Beschl. v. 21.04.2009 - 1 B 144/09 - Asylmagazin 6/2009, S. 34) entschieden hat, kann eine konkrete, ernsthafte Suizidgefährdung mit Krankheitswert zu einer Reiseunfähigkeit und damit zu einem Abschiebungshindernis im Sinne des § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG führen. Die Schutzpflicht für das staatliche Leben (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG), aus der dieses Abschiebungshindernis abzuleiten ist, gebietet aber nicht, von der Abschiebung abzusehen, sofern und solange durch geeignete Maßnahmen Vorsorge dagegen getroffen worden ist, dass sich diese Gefahr realisiert (vgl. Hailbronner, Ausländerrecht, Rn 49 zu § 60a AufenthG <Stand April 2006>; ähnlich Funke-Kaiser, in: GK-AufenthG, Rn 130 zu § 60a <Stand Mai 2009>). Auch Art. 3 EMRK hindert nicht, einen Ausländer abzuschieben, wenn konkrete und geeignete Maßnahmen zur Verhinderung des Selbstmords getroffen werden (EGMR, Entsch. V. 07.10.2004 - 33743/03 - Dragan u. a. ./. Deutschland, NVwZ 2005, 1043 <1044>). Voraussetzung ist allerdings, dass die Vorkehrungen nicht ihrerseits in unverhältnismäßiger Weise in die Bewegungsfreiheit und körperliche Integrität des Ausländers eingreifen (vgl. den zit. Senatsbeschluss vom 21.04.2009).

2.

Die geplante Abschiebung begründet zwar eine aktuelle Suizidgefahr beim Antragsteller; Diese ist aber nicht dauerhaft, sondern zeitlich beschränkt (a.), und ihr lässt sich durch die von der Antragsgegnerin ergriffenen Begleitmaßnahmen voraussichtlich mit hinreichender Aussicht auf Erfolg wirksam begegnen (b.). Das verbleibende Restrisiko ist mit der Gefahr abzuwägen, die der weitere Aufenthalt des Antragstellers im Bundesgebiet für seine beiden jüngsten Söhne und deren Mutter bedeuten würde (c.).

a.

Nach den Feststellungen des Sachverständigen beruht die akute Suizidgefahr, die durch die Abschiebung beim Antragsteller begründet wird, nicht auf einer (dauerhaften) seelischen Erkrankung, sondern ist unmittelbare Reaktion auf die drohende Abschiebung. Der Auffassung des Antragstellers, das Gutachten des Sachverständigen sei "völlig unsubstantiiert, nicht wissenschaftlich begründet und damit nicht ausreichend", vermag der Senat - ebenso wie das Verwaltungsgericht - nicht zu folgen. Die Dauer der Untersuchung und der Umfang des Gutachtens rechtfertigen einen solchen Schluss nicht. Der Antragsteller verkennt, dass er den untersuchenden Ärzten aufgrund seiner kurzfristig zurückliegenden stationären Aufenthalte im Klinikum Bremen-Ost hinreichend bekannt war und es deshalb nicht einer Exploration und Anamnese in dem Ausmaß bedurfte, das erforderlich ist, wenn sich Proband und Gutachter erstmals begegnen. Es waren deshalb nicht, wie der Antragsteller meint, zunächst der Inhalt der Ausländerakten aufzubereiten, seine Lebensgeschichte nachzuzeichnen und umfassende Untersuchungen einschließlich der Durchführung von Intelligenztests durchzuführen. Angesichts seiner Vorbefassung mit dem Antragsteller, der begrenzten Problematik und der Eilbedürftigkeit aufgrund der fortdauernden Sicherungshaft konnte sich der Sachverständige damit begnügen, die ihm gestellten Fragen zu beantworten. Insbesondere bestand keine Veranlassung, sich auch der vom Antragsteller aufgeworfenen Frage zu widmen, ob ein begleiteter Umgang des Antragstellers mit seinen Söhnen aus psychiatrischer Sicht verantwortet werden könne. Die Stellungnahme des Sachverständigen stimmt mit den früher erhobenen Befunden überein. Konkrete Anhaltspunkte, aus denen sich ergeben könnte, dass eine abweichende Beurteilung gerechtfertigt sein könnte, sind weder vom Antragsteller in erster Instanz vorgetragen worden noch sonst ersichtlich. Dabei ist auch von Bedeutung, dass der Antragsteller sich erstmals im Zusammenhang mit der unmittelbar bevorstehenden Abschiebung auf psychische Auffälligkeiten berufen hat.

b.

Aus den Feststellungen des Sachverständigen hat die Antragsgegnerin zu Recht gefolgert, dass eine akute Selbstmordgefährdung beim Antragsteller voraussichtlich nur im zeitlichen Zusammenhang mit der Abschiebung besteht und sich ihr deshalb dadurch hinreichend begegnen lässt, dass eine ärztliche Überwachung und Begleitung der Abschiebung organisiert wird. Die vorgesehenen Maßnahmen enden nicht mit der Übergabe an die Behörden des Heimatlandes, sondern sind darauf gerichtet, den Antragsteller auch nach seiner Ankunft "aufzufangen". Die von der Antragsgegnerin zugesagte Betreuung soll erst enden, wenn sich der psychische Zustand des Antragstellers soweit stabilisiert hat, dass eine akute Suizidgefährdung nicht mehr besteht. Lücken in dem Betreuungsnetz, die den Schluss rechtfertigen könnten, die Maßnahmen seien unzureichend, hat auch der Antragsteller in seinem erstinstanzlichen Vortrag nicht geltend gemacht.

c.

Zwar lässt sich auch unter Berücksichtigung der vorgesehenen Begleitmaßnahmen nicht mit letzter Sicherheit ausschließen, dass der Antragsteller eine suizidale Handlung begeht und dadurch Schaden erleidet. Ein solches "Restrisiko" muss aber jedenfalls dann hingenommen werden, wenn - wie hier - die Abschiebung dazu dient, Übergriffe des Antragstellers gegenüber seinen Kindern und deren Mutter zu verhindern. Wie der Senat in seinem rechtskräftigen Beschluss vom 04.03.2009 unter Berufung auf die Feststellungen der Strafgerichte und der Jugendbehörden festgestellt hat, sind die aufenthaltsbeendenden Maßnahmen dringend erforderlich, um die Kinder des Antragstellers vor Gewalttaten ihres Vaters zu schützen. Die vom Antragsteller im Beschwerdeverfahren übersandten Aktenauszüge aus den Akten des Familiengerichts stellen diese Feststellungen nicht in Frage, sondern bestätigen sie in eindrucksvoller Deutlichkeit. Danach ist der Sohn X traumatisiert und bedarf eines auf Dauer geschützten gewaltfreien Umfelds, um die Folgen seiner Erlebnisse bearbeiten zu können und ihn in seiner kindlichen Entwicklung nicht noch weiter zu gefährden (Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie des Klinikums Bremen-Ost, 22.07.2008). Einen Kontakt mit seinem Vater lehnt er - ebenso wie sein Bruder - klar und unmissverständlich ab (Heilpädagogisches Kinderheim des Waisenstifts Varel, 04.11.2008). Es ist nicht gesichert erkennbar, dass der Antragsteller das, wenn er weiter in Deutschland verbliebe, akzeptieren und ohne gewalttätige Reaktionen hinnehmen würde.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 3, 52 Abs. 2 GKG.

Ende der Entscheidung

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