Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Bremen
Beschluss verkündet am 10.12.2004
Aktenzeichen: 1 B 387/04
Rechtsgebiete: VwGO, ZPO, BremLStrG


Vorschriften:

VwGO § 123 Abs. 1
ZPO § 322
BremLStrG § 5 Abs. 6
1. Die Öffentlichkeit eines Weges ist vor den Verwaltungsgerichten zu klären. Ein zwischen Anliegern des Weges ergangenes zivilgerichtliches Urteil, das einem der Anlieger das Betreten des Weges verbietet, entfaltet hinsichtlich der Frage der Öffentlichkeit des Weges keine Rechtskraftwirkung für das verwaltungsgerichtliche Verfahren.

2. Zur Frage, unter welchen Voraussetzungen eine die Öffentlichkeit eines Weges sichernde einstweilige Anordnung in Betracht kommt.


Oberverwaltungsgericht der Freien Hansestadt Bremen Beschluss

OVG: 1 B 387/04

In der Verwaltungsrechtssache

hat das Oberverwaltungsgericht der Freien Hansestadt Bremen - 1. Senat - durch die Richter Stauch, Göbel und Alexy am 10.12.2004 beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Bremen - 8. Kammer - vom 07.10.2004 wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt die Antragstellerin.

Die Beigeladenen tragen ihre außergerichtlichen Kosten selbst.

Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren ebenfalls auf 2.500,00 Euro festgesetzt.

Gründe:

I. Die Antragstellerin ist Eigentümerin des Grundstücks ...straße 61 in Bremen, die Beigeladenen sind Eigentümer des Grundstücks ...straße 60 a. Bei dem Grundstück der Beigeladenen handelt es sich um ein Hinterliegergrundstück, das durch einen am Grundstück der Antragstellerin vorbeilaufenden Fußweg erreichbar ist. Für das Grundstück der Antragstellerin, das unmittelbar an die ...straße grenzt, stellt dieser Fußweg einen seitlichen Zugang zu den Räumen im Souterrain des Hauses dar.

Über die Nutzung des Weges besteht zwischen der Antragstellerin und den Beigeladenen seit längerem Streit. 1997 haben die Beigeladenen das Eigentum an dem Wegegrundstück von der Antragsgegnerin erworben. Auf die Klage der Beigeladenen hat das Amtsgericht Bremen die Antragstellerin mit Urteil vom 21.10.2003 verurteilt, es zu unterlassen, den Fußweg zu betreten. Das Urteil ist rechtskräftig geworden, nachdem die Antragstellerin verspätet Rechtsmittel eingelegt hatte.

Im April 2004 hat die Antragstellerin vor dem Verwaltungsgericht Klage erhoben, mit der sie die Feststellung erstrebt, dass der Fußweg dem öffentlichen Verkehr gewidmet sei. Außerdem hat sie beantragt, die Antragsgegner zu verurteilen, ihr den Gemeingebrauch an dem Grundstück zu ermöglichen.

Im August 2004 hat die Antragstellerin einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt, mit der die Antragsgegnerin verpflichtet werden soll, ihr für die Dauer des Klageverfahrens die Zugangsmöglichkeit zu ihrem Haus über den Fußweg zu verschaffen.

Das Verwaltungsgericht Bremen - 8. Kammer - hat es mit Beschluss vom 07.10.2004 abgelehnt, die einstweilige Anordnung zu erlassen. Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Antragstellerin.

II. Die Beschwerde ist zulässig, aber unbegründet.

Das Verwaltungsgericht hat es im Ergebnis zu Recht abgelehnt, die beantragte einstweilige Anordnung zu erlassen.

Eine einstweilige Anordnung nach § 123 Abs. 1 VwGO kann nur ergehen, wenn Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund glaubhaft gemacht worden sind (§§ 123 Abs. 3 VwGO, 920 Abs. 2 ZPO). Glaubhaftmachung bedeutet, dass sich aus dem Vortrag des Antragstellers sowie den vorgelegten Beweismitteln eine überwiegende Wahrscheinlichkeit für das Bestehen von Anordnungsanspruch und -grund ergeben. Das kann hier nicht angenommen werden.

1. Zwar kann das Oberverwaltungsgericht dem Verwaltungsgericht nicht ohne Weiteres darin folgen, dass bereits die Rechtskraft des Urteils des Amtsgerichts Bremen vom 23.10.2003 der erstrebten einstweiligen Anordnung entgegensteht. Die Antragstellerin stützt ihr Begehren maßgeblich auf die Behauptung, bei dem an ihrem Grundstück seitlich vorbeilaufenden Fußweg handele es sich um einen öffentlichen Weg. Über die Frage der Öffentlichkeit des Weges hat das Amtsgericht Bremen in dem genannten Urteil aber nicht rechtskräftig entschieden. Dabei kann auf sich beruhen, dass das Amtsgericht in seinem Urteil zu der Frage keine Stellung bezogen hat; etwaige öffentlich-rechtliche Gegenpositionen der Antragstellerin gegenüber den zivilrechtlichen Ansprüchen der Beigeladenen sind vom Amtsgericht nicht in den Blick genommen worden. Denn selbst wenn das Amtsgericht eine derartige Prüfung vorgenommen hätte, hätte es sich insoweit um die Beurteilung eines vorgreiflichen Rechtsverhältnisses gehandelt. Die Klärung eines vorgreiflichen Rechtsverhältnisses im Zivilrechtsstreit erwächst aber, jedenfalls wenn der nachfolgende Verwaltungsrechtsstreit zwischen anderen Beteiligten geführt wird, nicht in Rechtskraft (vgl. BVerwG, U. v. 04.06.1996 - 1 C 15/95 - NVwZ-RR 1997, S. 271; B. v. 11.05.1998 - 4 B 45/98 - NJW-RR 1999, S. 165). Es drängt sich auf, dass dies zumal bei der Beurteilung der Öffentlichkeit eines Weges gelten muss. Hierbei handelt es sich um ein dem öffentlichen Recht unterliegendes, jeden potentiellen Nutzer des Weges berührendes Rechtsverhältnis, das die Zivilgerichte nicht mit Wirkung gegen die zuständige Verwaltungsbehörde entscheiden können (BGH, U. v. 14.07.1995 - V ZR 171/94 - NJW 1995, S. 2993).

Eine andere Frage ist, ob eine positive Feststellung der Öffentlichkeit des Weges durch ein nachträglich ergehendes verwaltungsgerichtliches Urteil dazu beitragen könnte, die Rechtskraftwirkung des zuvor gefällten zivilgerichtlichen Urteils zu überwinden - etwa im Hinblick auf deren zeitliche Grenze oder deren objektiven Umfang. Diese Frage ist gegebenenfalls vor den Zivilgerichten zu klären. Unabhängig davon besteht in jedem Fall ein Rechtsschutzbedürfnis der Antragstellerin, vor dem Verwaltungsgericht die Rechtsnatur des Weges zu klären.

2. Der für den Erlass einer einstweiligen Anordnung erforderliche Anordnungsanspruch ist nicht gegeben, weil sich im Rahmen des vorliegenden Eilverfahrens die Rechtsnatur des Fußwegs nicht hinreichend sicher bestimmen läßt. Die Öffentlichkeit kann sich hier allein, weil ein formeller Widmungsakt nicht vorliegt, unter dem Gesichtspunkt einer in der Vergangenheit bestehenden tatsächlichen Verkehrsfunktion für die Allgemeinheit ergeben (vgl. § 5 Abs. 6 BremLStrG). Unter Umständen sind insoweit die Maßstäbe heranzuziehen, die für das Rechtsinstitut der unvordenklichen Verjährung entwickelt worden sind (vgl. OVG Münster, B. v. 01.08.2002 - 7 B 892/02 - juris; OLG Jena, U. v. 27.11.2002 - 1 U 24/00 - juris). Die Geschichte des Weges, auf die es in diesem Zusammenhang entscheidend ankommt, kann aber nicht in diesem Eilverfahren geklärt werden. Das Verwaltungsgericht hat in dem angefochtenen Beschluss Gesichtspunkte aufgezeigt, die gegen eine Öffentlichkeit sprechen. Die Einschätzung des Verwaltungsgerichts wird von dem Vortrag der Antragsgegnerin in der Beschwerdeerwiderung gestützt. Demgegenüber hat die Antragstellerin in der Beschwerde Anhaltspunkte genannt, die für eine gegenteilige Schlussfolgerung sprechen könnten. Der Ausgang des Rechtsstreits erscheint in diesem Punkt offen, weder in die eine noch in die andere Richtung lassen sich derzeit hinreichend verlässliche Aussagen treffen.

Ein Anordnungsanspruch scheitert aber nicht nur daran, dass nach derzeitigem Sach- und Streitstand nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit von einer Öffentlichkeit des Weges ausgegangen werden kann. Hinzu kommt, dass selbst dann, wenn die Öffentlichkeit zu bejahen wäre, ein Einschreiten der Behörde in deren Ermessen stünde. Als Rechtsgrundlage für ein Einschreiten käme, soweit ersichtlich, nur die polizeiliche Generalklausel in Betracht (§ 10 Abs. 1 BremPolG). Das der Behörde in dieser Vorschrift eingeräumte Ermessen müsste, um den Erlass einer einstweiligen Anordnung zu rechtfertigen, "auf Null" reduziert sein. Hiervon kann vorliegend kaum ausgegangen werden, jedenfalls hat die Antragstellerin eine derartige Ermessensreduzierung bislang nicht dargelegt. Insoweit ist auch von Bedeutung, dass die Behörde im Rahmen des ihr eingeräumten Ermessens das Vorliegen des Urteils des Amtsgerichts vom 23.10.2003 berücksichtigen könnte, das der Antragstellerin derzeit - aus zivilrechtlichen Gründen - die Nutzung des Weges verbietet. Bei dieser Sachlage bedürfte es besonders triftiger Gründe, um eine Ermessensreduzierung anzunehmen.

3. Unabhängig von Vorstehendem hat die Antragstellerin aber auch einen Anordnungsgrund nicht glaubhaft gemacht. Es kann nicht angenommen werden, dass der Erlass der beantragten einstweiligen Anordnung geboten ist, um wesentliche Nachteile von ihr abzuwenden.

Aufgrund des Wegfalls der bisherigen Zugangsmöglichkeit kann die Antragstellerin die Souterrainräume ihres Hauses nicht mehr ebenerdig von der Straße aus erreichen. Der Zugang wurde nach Angaben der Antragstellerin bislang genutzt, um Fahrräder in diesen Räumen abzustellen, schwere Gegenstände in das Haus zu transportieren sowie die Biotonne in den Garten zu befördern. Diese Gegenstände müssen nun durch das Haus transportiert bzw. ggfs. vor dem Haus abgestellt werden (Biotonne/Fahrräder). Dies mag für die Antragstellerin nachteilig sein, die Nachteile können aber nicht als derart gravierend angesehen werden, dass der Erlass einer einstweiligen Anordnung, die im Ergebnis die Hauptsache vorwegnehmen würde, gerechtfertigt wäre. Das gilt auch im Hinblick auf die gesundheitlichen Beeinträchtigungen, unter denen die Antragstellerin und ihr Lebensgefährte leiden. Durch ein Abstellen von Biotonne und Fahrräder im Vorgartenbereich lassen sich schwere körperliche Belastungen erheblich reduzieren.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 2, Abs. 3, 162 Abs. 3 VwGO; die Streitwertfestsetzung auf §§ 53 Abs. 3, 52 Abs. 2 GKG n. F.

Ende der Entscheidung

Zurück