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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Bremen
Beschluss verkündet am 13.12.2007
Aktenzeichen: 1 B 438/07
Rechtsgebiete: BremBaumschutzVO


Vorschriften:

BremBaumschutzVO § 12 Abs. 2
1. Einem geschützten Baum fehlt nicht erst dann die Standsicherheit, wenn von ihm eine akute Gefahr für die Allgemeinheit oder einzelne Personen ausgeht. Der Begriff berührt die Verkehrssicherungspflicht des Grundstückseigentümers und schließt auch die Vermeidung von Risiken ein, die zu einer akuten Gefahrenlagen führen können.

2. Gemäß § 12 Abs. 2 BremBaumschutzVO reicht zum Nachweis der fehlenden Stansicherheit eines Baumes grundsätzlich die Vorlage des Gutachtens eines vereidigten Sachverständigen aus.


Oberverwaltungsgericht der Freien Hansestadt Bremen Beschluss

OVG: 1 B 438/07

In der Verwaltungsrechtssache

hat das Oberverwaltungsgericht der Freien Hansestadt Bremen - 1. Senat - durch die Richter Stauch, Göbel und Alexy am 13.12.2007 beschlossen:

Tenor:

Der Beschluss des Verwaltungsgerichts Bremen - 5. Kammer - vom 02.10.2007 wird mit Ausnahme der Streitwertfestsetzung aufgehoben.

Im Wege einer einstweiligen Anordnung wird festgestellt, dass die Stieleiche auf dem Grundstück des Antragstellers gefällt werden darf.

Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren ebenfalls auf 2.500 € festgesetzt.

Gründe:

I.

Der Antragsteller möchte eine auf seinem Grundstück vorhandene Stieleiche fällen. Die Eiche ist 18 m hoch und 100 - 120 Jahre alt. Ihr Stamm neigt sich in Richtung Nordost (zum Gehweg und zur Straße). Der öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige B. ist in einem vom Antragsteller in Auftrag gegebenen Gutachten zu dem Ergebnis gelangt, dass die Eiche nicht mehr standsicher sei. Sie sollte gefällt und durch eine angemessene Neubepflanzung ersetzt werden (Gutachten vom 15.06.2007 und ergänzende Stellungnahmen vom 06.07.2007 und 24.08.2007). Der öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige S. ist in einem weiteren Gutachten zu dem Ergebnis gelangt, dass die Standsicherheit des Baumes stark beeinträchtigt sei. Um Gefährdungen durch die Eiche auszuschließen, sollte sie baldmöglichst gefällt werden (Gutachten vom 29.10.2007).

Die Antragsgegnerin hält beide Gutachten für nicht nachvollziehbar. Die Eiche sei, lege man die Messungen des Sachverständigen S. zugrunde, absolut standsicher. Die Argumentation des Gutachters sei teilweise abenteuerlich.

Der Antragsteller hat beantragt, die Antragsgegnerin im Wege einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, die Fällung der Stieleiche gem. § 12 Abs. 2 BremBaumschutzVO zu genehmigen.

II.

Die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung sind gegeben (vgl. § 123 Abs. 1, Abs. 3 VwGO i. V. m. § 920 Abs. 2 ZPO). Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts hat der Antragsteller Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund glaubhaft gemacht.

(1) Sein Begehren muss sich allerdings korrekterweise auf die gerichtliche Feststellung richten, dass die Stieleiche gefällt werden darf. § 12 Abs. 2 BremBaumschutzVO sieht vor, dass, sofern der Grundstückseigentümer die mangelnde Verkehrs- oder Standsicherheit eines geschützten Baumes der unteren Naturschutzbehörde durch Vorlage eines Gutachtens eines vereidigten Sachverständigen nachweisen kann, die notwendige Maßnahme zur Abwehr einer Gefahr für die Allgemeinheit oder für einzelne Personen nach Vorlage des Gutachtens bei der unteren Naturschutzbehörde ohne Befreiung nach § 7 der Verordnung zulässig ist. Es bedarf in diesem Fall also keines Verwaltungsakts, durch den das Fällen des Baumes behördlicherseits genehmigt wird. Das Fällen ist vielmehr bereits dann zulässig, wenn die mangelnde Verkehrs- oder Standsicherheit durch Vorlage eines Sachverständigengutachtens nachgewiesen wird. Besteht zwischen Grundstückseigentümer und Naturschutzbehörde Streit darüber, ob ein Baum gemäß § 12 Abs. 2 BremBaumschutzVO gefällt werden darf, ist die Feststellungsklage nach § 43 VwGO statthaft. Bei Eilbedürftigkeit kann der Erlass einer einstweiligen Anordnung in Betracht kommen, die grundsätzlich auch auf die Feststellung eines Rechtsverhältnisses gerichtet sein kann (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 12. Aufl., § 123 Rn 64).

(2) Im vorliegenden Fall hat der Antragsteller glaubhaft gemacht, dass in Bezug auf die Stieleiche die Voraussetzungen für eine Fällung nach § 12 Abs. 2 BremBaumschutzVO erfüllt sind. Zwei vereidigte Sachverständige sind zu dem Ergebnis gelangt, dass die Eiche nicht mehr hinreichend standsicher ist. Damit ist ihre Fällung zulässig.

§ 12 Abs. 2 BremBaumschutzVO knüpft den Nachweis der mangelnden Verkehrs- oder Standsicherheit allein an die Vorlage des Gutachtens eines vereidigten Sachverständigen. Dieses Gutachten ist maßgebliches Mittel, um die mangelnde Verkehrsoder Standsicherheit nachzuweisen. Eine solche Verlagerung der Fachprüfung auf einen vereidigten Sachverständigen ist nicht ungewöhnlich; auch in anderen Rechtsgebieten ist sie üblich (vgl. etwa § 86 Abs. 4 BremLBO; § 87 NdsBauO). Hier ist sie vom Verordnungsgeber ausdrücklich gewollt. Die Regelung, wonach "nach Vorlage" des Gutachtens die notwendigen Maßnahmen zulässig sind, lässt daran keinen Zweifel. Dadurch, dass der Sachverständige vereidigt sein muss, hat der Verordnungsgeber sichergestellt, dass das Gutachten die gebotene inhaltliche Qualität besitzt.

Das bedeutet, dass die untere Naturschutzbehörde bei einem im Rahmen von § 12 Abs. 2 BaumSchutzVO vorgelegten Gutachten im Prinzip von dessen inhaltlicher Richtigkeit auszugehen hat. Sie ist nicht berechtigt, das vorgelegte Gutachten in jedem Einzelfall einer umfassenden inhaltlichen Überprüfung zu unterziehen. Etwas anderes gilt nur dann, wenn Hinweise auf eine evidente Unrichtigkeit vorhanden sind.

Von einer evidenten Unrichtigkeit kann im vorliegenden Fall keine Rede sein. Beide Gutachten sind zu einem eindeutigen Ergebnis gelangt, nämlich der mangelnden Standsicherheit des Baumes. Sie haben übereinstimmend eine Fällung empfohlen. In beiden Gutachten wird in den Eingriffen in den Wurzelbereich des Baumes - veranlasst durch einen unstreitig dort verlaufenden Abwasserkanal - eine maßgebliche Ursache für die mangelnde Standsicherheit gesehen. Der Sachverständige S. , der eine Lastanalyse vorgenommen hat, hat dazu u. a. auf noch jüngst vorgenommene Arbeiten am Kanal hingewiesen. Der Sachverständige B. hat u. a. auf das Abplatzen der Rinde am Stammfuß des Baumes auf der Seite der höchsten Zugbelastung sowie das Fehlen von Wurzelanläufen zur Kompensierung des Schrägstandes Bezug genommen. Die Gutachten sind jeweils ohne weiteres plausibel.

In ihnen wird auch ein zutreffender Maßstab zugrunde gelegt. Mangelnde Standsicherheit ist nämlich nicht erst dann anzunehmen, wenn von einem Baum eine akute Gefahr für die Allgemeinheit oder einzelne Personen ausgeht. Für diese gesteigerte Gefahrenlage trifft § 12 Abs. 3 BremBaumschutzVO eine spezielle Regelung. Danach sind bei unmittelbar drohenden Gefahren für die öffentliche Sicherheit die notwendigen Maßnahmen ohne Vorlage eines Gutachtens nach Abs. 2 zulässig. Bei der mangelnden Standsicherheit nach Abs. 2 handelt es sich demgegenüber um eine Gefahr, die sich - noch - nicht zu einer unmittelbar drohenden verdichtet hat, sondern sich vielmehr in deren Vorfeld bewegt. Der Begriff berührt die Verkehrssicherungspflicht des Grundstückseigentümers und schließt auch die Vermeidung von Risiken ein, die zu einer akuten Gefahrenlage führen können.

In beiden Gutachten ist dieser Maßstab zugrunde gelegt worden. Soweit der Gutachter S. davon spricht, dass die "Sicherheiten" der Eiche zur Zeit ausreichend gegeben seien, soll damit erkennbar zum Ausdruck gebracht werden, dass eine akute Gefahrenlage derzeit nicht gegeben ist. Diese Aussage steht nicht in Widerspruch zu den weiteren, detaillierten Ausführungen des Sachverständigen zur Frage der Standsicherheit.

(3) Der Antragsteller hat darüber hinaus glaubhaft gemacht, dass ein Anordnungsgrund gegeben ist, d. h. zur Abwehr wesentlicher Nachteile der Erlass einer einstweiligen Anordnung notwendig ist.

Die Stieleiche ist zwar, wie dargelegt, derzeit nicht akut in ihrer Standsicherheit bedroht. Der Eintritt einer solchen Gefahrenlage ist aber jederzeit möglich. Das gilt zumal im Fall eines Sturms oder Orkans, was in der jetzigen Jahreszeit keine nur entfernt liegende Möglichkeit ist. Der Antragsteller hat ein berechtigtes Interesse daran, den Eintritt einer solchen akuten Gefahrenlage zu verhindern.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO; die Streitwertfestsetzung auf §§ 53 Abs. 3, 52 Abs. 1 GKG.

Ende der Entscheidung

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