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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Bremen
Beschluss verkündet am 04.04.2003
Aktenzeichen: 1 B 95/03
Rechtsgebiete: BauGB


Vorschriften:

BauGB § 31 Abs. 2
1. Die Genehmigung einer Sporthalle verletzt Nachbarrechte, wenn die durch den An- und Abfahrverkehr ausgelösten Verkehrsimmissionen die Richtwerte der Sportanlagenlärmschutzverordnung überschreiten. Deshalb kann es erforderlich sein, in ausreichender Zahl von der angrenzenden Wohnbebauung abgeschirmte Parkplätze zu schaffen.

2. Die Anordnung der aufschiebenden Wirkung einer Nachbarklage ist nicht gerechtfertigt, wenn sich absehen läßt, dass sich etwaige Defizite im Lärmschutzkonzept der Sporthalle im Hauptsacheverfahren abstellen lassen.


OVG: 1 B 95/03

Beschluss

In der Verwaltungsrechtssache

hat das Oberverwaltungsgericht der Freien Hansestadt Bremen - 1. Senat - durch die Richter Stauch, Göbel und Alexy am 04.04.2003 beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Bremen - 1. Kammer - vom 20.02.2003 wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen, die dieser selbst trägt.

Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren ebenfalls auf 5.000,00 Euro festgesetzt.

Gründe:

I.

Die Antragsgegnerin hat dem Beigeladenen, einem Sportverein, am 08.10.2002 eine Baugenehmigung für die Errichtung einer Sporthalle auf einem an der ...straße in Bremen-... gelegenen Grundstück erteilt. Die Genehmigung erging unter Befreiung von den Festsetzungen des Bebauungsplans Nr. 721 vom 22.07.1977, der für das Baugrundstück als Nutzung "Grünfläche-Sportplatz/Bolzplatz" vorsieht. Die Grundmaße der Sporthalle betragen 24 m x 55 m, die Firsthöhe 9 m. Die Sporthalle ist für den Übungsbetrieb des Vereins konzipiert; Zuschauertribünen und Gaststättenräume sind nicht vorgesehen.

Der Antragsteller ist Eigentümer eines auf der gegenüberliegenden Straßenseite befindlichen, mit einem Einfamilienhaus bebauten Grundstücks, für das Bebauungsplan Nr. 1196 vom 13.07.1981 "Reines Wohngebiet" festsetzt. Der Antragsteller hat nach erfolglosem Widerspruch Klage gegen die Baugenehmigung erhoben. Er hält die Befreiung für rechtswidrig. Insbesondere der Kfz-Verkehr, den die Halle durch An- und Abfahrten auslöse, verletze ihn in seinen Rechten.

Das Verwaltungsgericht hat den Antrag, die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen und den Baubetrieb stillzulegen, abgelehnt. Dagegen richtet sich die Beschwerde des Antragstellers.

2.

Die Beschwerde ist zulässig, aber unbegründet.

Die in einem einstweiligen Rechtsschutzverfahren nach den §§ 80 a Abs. 3, 80 a Abs. 1 Nr. 2, 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmende gerichtliche Interessenabwägung führt zu dem Ergebnis, dass das Interesse des Beigeladenen, die erteilte Baugenehmigung nicht auszusetzen, überwiegt. Denn der Antragsteller wird im Hauptsacheverfahren nicht mit einer Aufhebung der Baugenehmigung rechnen können. Zwar erscheint es nach derzeitigem Sachstand nicht ausgeschlossen, dass ergänzende Bestimmungen zum Schutz des Antragstellers vor den Geräuschimmissionen des Parkplatzverkehrs in die Baugenehmigung aufgenommen werden müssen. Dies stellt jedoch nicht das Vorhaben als solches in Frage. Der Ansicht des Antragstellers, das Vorhaben sei schlechterdings nicht mit seinen Rechten vereinbar, kann nicht gefolgt werden.

Wird eine Baugenehmigung auf der Grundlage von § 31 Abs. 2 BauGB unter Befreiung von den Festsetzungen eines Bebauungsplans erteilt, hängt die Reichweite des Drittschutzes maßgeblich davon ab, ob die Festsetzung, von der befreit wird, nachbarschützende Wirkung besitzt oder nicht. Hat die Festsetzung nachbarschützende Wirkung, kann der Nachbar verlangen, dass die in § 31 Abs. 2 BauGB näher bezeichneten tatbestandlichen Voraussetzungen einer Befreiung in vollem Umfang eingehalten werden; ein Verstoß gegen die Befreiungsvoraussetzungen verletzt ihn in seinen Rechten. Hat die Festsetzung demgegenüber keine nachbarschützende Wirkung, beschränkt sich der Anspruch des Nachbarn darauf, dass von den in § 31 Abs. 2 BauBG genannten Voraussetzungen das Gebot der Rücksichtnahme gewahrt wird, d. h. "die Abweichung auch unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar ist" (st. Rspr., vgl. BVerwG, B. v. 08.07.1998 - 4 B 64/98 - NVwZ-RR 1999, S. 8; OVG Bremen, B. v. 17.10.2002 - 1 B 321/02).

1.

Im vorliegenden Fall ist eine Befreiung von einer nicht nachbarschützenden Vorschrift des Bebauungsplans erteilt worden.

Festsetzungen eines Bebauungsplanes sind nachbarschützend, wenn sie darauf gerichtet sind, ein bestimmtes Austauschverhältnis der Grundstücksnutzungen zu gewährleisten (vgl. Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, 8. Auflage, § 31 Rdnr. 62). Die durch den Bebauungsplan Nr. 721 vom 22.07.1977 getroffene Festsetzung "Grünfläche-Sportplatz, Bolzplatz", von der hier eine Befreiung erteilt worden ist und die sich auf § 9 Nr. 15 BBauG/BauGB stützt, zielt nicht auf ein bestimmtes, individualisierbares nachbarliches Austauschverhältnis, sondern hat ausschließlich städtebauliche Bedeutung. Bereits die konkrete Nutzung "Sportplatz, Bolzplatz" weist eindeutig auf eine öffentliche Zweckbestimmung hin. Der städtebauliche Bezug wird durch die Pufferfunktion unterstrichen, die die Fläche nach der Konzeption des Satzungsgebers hat. Zusammen mit einem sich südlich anschließenden eingeschränkten Gewerbegebiet soll diese Fläche die angrenzende Wohnbebauung gegen Verkehrslärm der ..., einer verkehrlich erheblich belasteten Hauptverkehrsstraße, abschirmen (Bremische Bürgerschaft - Stadtbürgerschaft -, Drs. 9/260 S, S. 8). Gewerbegebiet und Grünfläche sollen Straßenverkehr und Wohnen räumlich trennen. Das besagt aber nicht, dass damit zugleich die auf dieser Fläche vorgesehenen konkreten Nutzungen, die als durchaus heterogen zu bezeichnen sind, nachbarschützenden Charakter hätten. Die Verhältnisse liegen insofern anders als bei Festsetzungen nach § 9 Nr. 24 BBauG/BauGB, die konkrete Vorkehrungen gegen schädliche Umwelteinwirkungen zum Gegenstand haben und die drittschützende Wirkung entfalten können (vgl. BVerwG, B. v. 07.09.1988 - 4 N 1/87 - BVerwGE 80, S. 184).

2.

Wird eine Befreiung von einer nicht nachbarschschützenden Festsetzung des Bebauungplans erteilt, kommt Nachbarschutz nur nach Maßgabe des Gebots der Rücksichtnahme in Betracht.

Welche Anforderungen sich aus dem Gebot der Rücksichtnahme ergeben, hängt maßgeblich von den konkreten örtlichen Gegebenheiten ab. Bezogen auf den Nutzungskonflikt zwischen Sportanlagen und Wohnbebauung ist allerdings zu beachten, dass die aufgrund von § 23 Abs. 1 BImSchG erlassene Sportanlagenlärmschutzverordnung (18. BImSchVO) konkrete normative Vorgaben enthält. Diese Vorgaben sind auch zur Konkretisierung der nachbarlichen Zumutbarkeitsgrenze heranzuziehen, die durch das bauplanungsrechtliche Gebot der Rücksichtnahme begründet wird. Bauplanungsrecht und Immissionsschutzrecht sind in diesem Punkt inhaltlich aufeinander bezogen (BVerwG, U. v. 23.09.1999 - 4 C 6/98 - BVerwGE 109, S. 314).

§ 2 der 18. BImSchVO gibt für die jeweiligen Baugebiete unterschiedliche Immissionsrichtwerte vor. Der Bebauungsplan Nr. 1196 vom 23.06.1981 setzt für das Grundstück des Antragstellers, das nördlich an die ...straße grenzend gegenüber der genehmigten Sporthalle liegt, "Reines Wohngebiet" fest. Aus diesem Grund sind für den Antragsteller die Immissionsrichtwerte für diesen Gebietstyp anzuwenden (§ 2 Abs. 2 Nr. 4 der 18. BImSchVO: tags außerhalb der Ruhezeiten 50 dB (A); tags innerhalb der Ruhezeiten 45 dB (A); nachts 35 dB (A) ). Für die Heranziehung eines höheren Richtwerts, nämlich des für "Allgemeine Wohngebiete", wie es im Widerspruchsbescheid vom 10.01.2003 für richtig gehalten wird, fehlt die Grundlage. Insbesondere kann insoweit nicht auf die Grundsätze zurückgegriffen werden, die im Einzelfall die Schutzwürdigkeit der Wohnbebauung mindern können, wenn das Wohnen zeitlich nachfolgend an einen Sportplatz herangerückt ist (vgl. dazu BVerwG, U. v. 23.09.1999, a.a.O.). Im vorliegenden Fall ist durch den Bebauungsplan Nr. 721 eine eindeutige bauleitplanerische Regelung über das Nebeneinander der beiden Nutzungen getroffen worden. Der vier Jahre später ergangene Bebauungsplan Nr. 1196 fügt sich in dieses Konzept ein. Es besteht deshalb kein Anlass, Abstriche an der Schutzwürdigung der Wohnbebauung vorzunehmen.

Nach der in einem einstweiligen Rechtsschutzverfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO gebotenen summarischen Überprüfung drängt es sich auf, dass der Richtwert für "Reine Wohngebiete" eingehalten werden kann. Zwar sind hierzu möglicherweise noch weitere Schutzvorrichtungen im Bereich des Parkplatzes erforderlich. Dies stellt jedoch nicht generell die Genehmigungsfähigkeit der Sporthalle in Frage.

Von dem genehmigten Vorhaben gehen auf das Grundstück des Antragstellers Geräuschbeeinträchtigungen in erster Linie vom An- und Abfahrverkehr aus, den die motorisierten Besucher der Halle verursachen. Gemäß § 1 Abs. 3 S. 2 der 18. BImSchVO sind diese Geräusche der Sportanlage zuzurechnen. Geräuschimmissionen durch den Sportbetrieb selbst können demgegenüber vernachlässigt werden, da die Sporthalle baulich so errichtet wird, dass aus ihr keine Geräusche in Richtung auf die angrenzende Wohnbebauung dringen können. Soweit der Antragsteller in der Beschwerde geltend macht, dass außerdem der Sportbetrieb auf dem verbleibenden, ebenfalls vom Beigeladenen genutzten Sportplatz als Lärmquelle zu berücksichtigen sei, legt er nicht ansatzweise dar, welche relevanten Beeinträchtigungen von diesem - in einiger Entfernung von seinem Grundstück liegenden - Sportplatz bislang ausgegangen sein sollen. Soweit erforderlich, kann im übrigen Unzuträglichkeiten, die sich aus dem Sportbetrieb ergeben, wirksam mit betrieblichen Beschränkungen begegnet werden.

Der An- und Abfahrverkehr wird maßgeblich von Personen ausgelöst werden, die die Halle sportlich nutzen wollen. Veranstaltungen, die in nennenswertem Umfang Zuschauer anziehen könnten, sind nach der Betriebsbeschreibung nicht in der Halle vorgesehen. Dementsprechend sieht die Anlage keine Zuschauertribünen und ebenfalls keine Gaststättenräume vor. Zu den Geräuschimmissionen dieses An- und Abfahrverkehrs hat der Beigeladene im Baugenehmigungsverfahren ein schalltechnisches Gutachten vorgelegt (Dipl.-Ing. ... vom 23.05.2002). Das Gutachten hat als Messpunkt I 2 auch das Haus des Antragstellers in die Immissionsberechnung einbezogen und ist zu dem Ergebnis gelangt, dass der Richtwert von 45 dB (A) auch in der - kritischen - abendlichen Ruhezeit knapp eingehalten wird (Seite 8 des Gutachtens). Das Verwaltungsgericht hat zu den Annahmen, auf denen dieses Gutachten beruht, in einem gerichtlichen Hinweisschreiben vom 07.02.2003 Fragen formuliert, die berechtigt erscheinen. Der Beigeladene hat hierauf reagiert und weitere Lärmminderungspotentiale aufgezeigt, wie etwa die Herstellung einer zusätzlichen Schallschutzvorrichtung zwischen dem Parkplatz und der ...straße (Schreiben des Beigeladenen vom 07.02.2003 und vom 17.02.2003 nebst Anlage). Entgegen dem Vortrag in der Beschwerde hat das schalltechnische Gutachten vom 23.05.2002 diese jetzt vorgeschlagenen zusätzlichen Schutzvorrichtungen noch nicht einbezogen.

Berücksichtigt man Art und Umfang der vorgesehenen Hallennutzung sowie die konkret bezeichneten weiteren Lärmminderungspotentiale, drängt sich die Schlussfolgerung auf, dass das Problem der Parkplatzimmissionen einschließlich der Dimensionierung des Parkplatzes genehmigungsrechtlich beherrschbar ist, nämlich durch ggf. vorzunehmende Ergänzungen der erteilten Baugenehmigung. Das Verwaltungsgericht wird dem im Hauptsacheverfahren näher nachzugehen haben, sofern nicht zuvor eine einvernehmliche Regelung zwischen den Beteiligten zustande kommt, was nach dem Akteninhalt nicht von vornherein auszuschließen ist. Soweit der Antragsteller in der Beschwerde darüber hinaus geltend macht, die Sporthalle werde auch die Frequentierung des verbleibenden Sportplatzes erhöhen, erscheint das wenig plausibel. Auch diesem Punkt mag indes im weiteren Verfahren nachgegangen werden. Die grundsätzliche Zulässigkeit der Halle wird hiervon nicht berührt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO; die Streitwertfestsetzung auf §§ 13 Abs. 1, 20 Abs. 3 GKG.

Ende der Entscheidung

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